Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 13 / 29.03.2005
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Nanuli Kakauridse

Den Bazillus der Freiheit übertragen auf ein ganzes Volk

Friedrich Schiller auf dem georgischen Theater
Schillers Schaffen ragt nicht nur durch seine künstlerische Größe heraus, sondern auch durch seine Eigenschaft, immer aktuell und zeitgemäß zu sein. Dank seiner großen Humanität wurde Schiller auch für georgische Leser zum Begleiter ihres kulturell-geistigen Lebens. In seinen Werken entwickelte er die Idee der Freiheit und der nationalen Einheit. Diese Ideen bewegten auch die georgische Nation besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Georgien hatte damals seine Unabhängigkeit verloren; das zaristische Russland hatte Georgien erobert. Das georgische Volk - so wie auch andere Völker des russischen Reichs - litt unter der russischen Unterdrückung.

Eine progressive Jugend hatte in den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts eine neue Denkweise in die georgische Dichtung eingeführt. Das wichtigste Problem für Georgien war die Frage seiner nationalen Unabhängigkeit. In diesem Kampf für die nationale Einheit und Freiheit spielten die Werke der großen Schriftsteller der Welt eine große Rolle. Es entstand die Notwendigkeit, die Meisterwerke der Weltliteratur ins Georgische zu übersetzen.

Meistens waren es Theaterstücke. Das hatte zwei Gründe: Einerseits fehlte es an Stücken einheimischer Autoren, andererseits war das Theater die beste Möglichkeit zur Propagierung progressiver Ideen. Die Bühne war das beste Mittel, die georgische Gesellschaft mit neuen Ideen vertraut zu machen. Damals spielten in Georgien schon professionelle Theatertruppen, die trotz aller Schwierigkeiten Stücke der Weltliteratur aufführten Die Gesellschaft war ungemein aufgeschlossen für das Theater.

Bei der rasch wachsenden Nachfage war Friedrich Schiller einer der ersten Dramatiker, der mit seinen Ideen und Gestalten zum Mitkämpfer des georgischen Volkes gegen den Zarismus wurde. Seinem reichen dramatischen Werk fühlte sich das Theater eng verbunden. Schiller hatte für seine Dramen Stoffe und Gestalten gewählt, die von Verschwörung und Aufstand handelten und Figuren revolutionären, widerständischen Geistes waren. Schiller benutzte das Medium der Bühne, um den Zuschauer auf suggestive Weise in seinen Bann zu ziehen, ihn hinzureißen und ihn zu beherrschen. Das zaristische Regime versuchte immer, das georgische Theater zu verdrängen; viele Theaterstücke der progressiven Dramatiker wurden verboten, darunter auch Schiller.

Schillers Dramen haben auf der georgischen Bühne eine große Tradition. Das erste Stück, das ins Georgische übersetzt wurde, war 1867 "Wilhelm Tell". Es ist klar, warum der "Tell" und dann etwas später "Die Räuber" ausgewählt wurden: Unabhängigkeits- und Freiheitsliebe, die Schiller hier ausdrückt, entsprachen der damaligen Stimmung im Land. Das Interesse an seinem Schaffen wuchs von Jahr zu Jahr.

1905 feierte man den 100. Todestag des großen deutschen Dramatikers. Die Zeitschrift "Nakaduli" schrieb damals: "Wie kann man den Autor nicht schätzen und lieben, der uns beim Lesen seiner Werke verzaubert und durch seine Humanität veredelt. Seine Werke sind Quellen für gute Bestrebungen, er ist der Prophet der Freiheit." Nach Shakespeare ist Schiller der Dramatiker, der am häufigsten auf georgischen Bühnen aufgeführt wurde.

Die längste und interessanteste Geschichte betrifft "Die Räuber". Wie bekannt, war die Erstaufführung in Mannheim ein großer Erfolg für den jungen Dramatiker. Schillers Karl Moor begeisterte viele Herzen, er weckte in den Menschen den Hass gegen Tyrannei und Unterdrückung nicht nur in Deutschland, sondern auch in Georgien. Dort war die junge Generation begeistert von Karl Moors Ideen, weil Karl gegen die etablierte Ordnung rebellierte. Dieses revolutionäre Drama mit dem Untertitel "In tiranos" gehörte noch in der Zeit der Tyrannei zum Spielplan der georgischen Theater.

Schillers "Räuber" wurden zum ersten Mal 1886 und dann 1889 auf die Bühne gebracht, aber erst die Aufführung vom Jahr 1893 in Kutaissi weckte besondere Aufmerksamkeit. Die Rolle von Franz Moor war für den großen georgischen Regisseur und Schauspieler Lado Meschischwili ein Triumph. Die Aufführungen der Jugenddramen Schillers sind mit dem Namen dieses genialen Künstlers eng verbunden. Die Zeitungen schrieben begeistert, diese Rolle sei der schöpferische Höhepunkt seiner theatralischen Tätigkeit.

Ein besonderes Ereignis in der Geschichte der georgischen Bühne war bald darauf die Darstellung beider Brüder Moor durch Meschischwili. Da der Darsteller des Karl Moor bei einer Aufführung wegen der Krankheit fehlte, musste sich Lado Meschischwili für beide Brüder einsetzen. Dank seiner Meisterschaft verwandelte er sich von einer Szene zur anderen, so dass man ihn nicht erkennen konnte. Er hat die gegensätzlichen Charaktere geschaffen, - ein Schauspieler, auf den die georgische Gesellschaft stolz sein kann. "Die Räuber" unter der Regie von Lado Meschischwili wurde ungefähr 100-mal aufgeführt. In der Gestalt von Karl Moor sah man die georgischen Volkshelden, die für Freiheit und Gerechtigkeit kämpften.

Mit dem Namen von Lado Meschischwili ist auch die Erstaufführung von Schillers "Kabale und Liebe" 1895 in Kutaissi verbunden. Nach einem Jahr brachte das Theater "Maria Stuart" auf die Bühne, etwas später das Drama "Don Carlos". Die Darstellung von "Maria Stuart" entsprach den politischen Interessen Georgiens gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Schiller schildert in der Gegenüberstellung von Maria und Elisabeth die politische Situation seiner Zeit. In seiner Aufführung drückte das Kutaissier Theater seine Sympathie für Maria aus.

In der sowjetischen Zeit gehörte Schillers dramatisches Werk zum festen Repertoire der georgischen Theater. In den Jahren 1926 - 27 wurde im Rustaweli-Theater Tbilissi Schillers "Wilhelm Tell" aufgeführt. Das Drama hat Schiller ein Jahr vor seinem Tode geschrieben. Es war die letzte Stimme des Autors gegen Despotismus und Tyrannei. In den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts begann man wieder mit neuen szenischen Darstellungen von Schillers "Die Räuber". Das bedeutendste Ereignis war die Aufführung des Rustaweli-Theaters Tiblissi im Jahre 1933.

Diese Aufführung nimmt einen herausragenden Platz in der Geschichte von Schillers Dramen auf georgischen Bühnen ein. In dieser Zeit suchte das Rustaweli-Theather Tiblissi nach eigenen nationalen und künstlerischen Darstellungsformen. Die Theaterleiter wussten, dass die großen Menschheitsideen in einem nationalen Rahmen verwirklicht werden mussten. Der Regisseur des Theaters, S. Achmeteli, schrieb, besonders Schiller sei den georgischen Freiheitsideen nah: "Unser Theater entwuchs aus den nationalen Quellen, aber es muss keine lokale, sondern eine allgemeine Bedeutung haben."

Dieses Drama hatte in der georgischen Theater-Geschichte schon eine lange Tradition. Aber Achmeteli hat das Stück neu durchdacht und dessen kämpferischen Geist hervorgehoben. Die Aufführung lief unter dem Titel "In tiranos". Sie zeigte revolutionäres Pathos und politische Schärfe. Mit dem Titel "In tiranos" protestierte der Regisseur gegen das damalige Regime. Es war die Zeit, in der hunderte von Künstlern, Schriftstellern und Wissenschaftlern verhaftet und von der Sowjetmacht erschossen wurden. Auch S. Achmeteli wurde ein Opfer des damaligen Regimes.

Die Aufführung bekam weltweite Rezensionen. Kritiker schrieben, das Rustaweli-Theater habe den Geist von Schillers Drama am wahrhaftigsten auf der Bühne dargestellt. Man nannte sie "die inspirierende Sinfonie". Alle hoben den revolutionären Charakter der Aufführung hervor. Das Rustaweli-Theater hat das Drama auf Gastspielreisen nach Moskau mitgenommen. Nach dem thriumphalen Erfolg erhielt es Einladungen aus New York und Paris, Warschau und London, Rom, Madrid, Prag und Wien.

Schillers "Kabale und Liebe" ist in Georgien eines der beliebtesten Theaterstücke. In der Gestalt des Ferdinand gefällt dem Publikum, dass er geprägt und begeistert von den Ideen einer Humanitätsphilosophie ist, die im Menschen zuerst den Menschen sieht, und dass ihn Moral und Praktiken des Hofes in Politik und Liebe abstoßen. Das Drama wurde zum ersten Mal 1895 in Kutaissi aufgeführt. Seinen großen Erfolg hatte es aber in der sowjetischen Zeit. Das Stück wurde in verschiedenen Städten des Landes, in Batumi, Gori, Telawi, Sugdidi, Poti, Bordschomi gespielt. Besonders interessant war die Aufführung aus dem Jahre 1934 am Mardschanischwili-Theater Tiblissi. Die bekannten georgischen Schauspieler der damaligen Zeit, W. Andshaparidze (Luise) und P. Kobachidze (Ferdinand), haben eindrucksvolle Charaktere von Luise und Ferdinand geschaffen. In der Aufführung spürte man eine große Harmonie und Energie. Jede Szene begann und endete mit stürmischem Beifall der Zuschauer.

Zum 150. Todestag Schillers im Jahr 1955 hat das Mardschanischwili-Theater Tiblissi "Maria Stuart" noch einmal auf die Bühne gebracht. Die beiden großen Schauspieler Weriko Andschaparidze (Maria) und Sesilia Takaischwili (Elisabeth) haben durch ihre hervorragende Schauspielkunst einen tiefen Eindruck hinterlassen.

In den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts war der deutsche Regisseur Hermann Wedekind in Georgien tätig. Unter seiner Leitung hat das Telawi-Theater "Kabale und Liebe" aufgeführt, - ein wichtiges Theaterereignis. Wedekind symbolisierte die Freudschaft zwischen Deutschen und Georgiern, er war Vorsitzender der deutsch-georgischen Gesellschaft, hatte eine besondere Zuneigung zur georgischen Kultur und veranstaltete georgische Kulturtage in Deutschland. In Georgien hat er Theaterstücke und Opern in Tbilissi und Kutaissi inszeniert. Sein Motto lautete: "Kunst kennt keine Grenzen."

Ende des 20. Jahrhunderts standen auf georgischen Bühnen mehrere Neuinszenierungen von Schillers Dramen auf dem Programm: Auf der kleinen Bühne des Rustaweli-Theaters "Maria Stuart", in Suchumi Schillers "Die Jungfrau von Orleans".

Das Freiheitspathos des großen deutschen Dramatikers war für die georgische Gesellschaft immer aktuell. Schillers Dramen halfen den Regisseuren, die Ideen des Humanismus und der Demokratie von der Bühne her zu vermitteln.


Die Autorin ist Professorin an der Germanistischen Abteilung der Universität Kutaissi.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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