Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 21 / 23.05.2005
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Christian Thiele

"Überwiegend ruhig, aber nicht stabil"

Ein Truppenbesuch bei der NATO-Friedenstruppe KFOR im Kosovo
In der Abflughalle D gibt es heute keine Cola, der Automat ist kaputt. An der Wand hängen Poster von Jagdbombern, in einem Regal liegen Spielekartons: Mensch ärger Dich nicht, Kniffel, Vier gewinnt. Hier muss man Zeit totschlagen. In den abgesessenen Polstern dösen ein paar Offiziere, ein Militärpfarrer hört Musik über seinen Ipod. Eine knarzige Lautsprecherstimme ruft zum Boarding: Zivilisten zuerst, Abflughalle bitte ordentlich zurücklassen! Zu Fuß geht es aufs Rollfeld, von der Gangway aus ein letzter Blick auf den Flughafen Hannover: Die Maschine rechts daneben muss bestimmt nach Mallorca - wir, im feldgrauen Airbus A 310 "Kurt Schumacher", dürfen nach Pristina. Pristina im Kosovo.

Reihe eins ist für Jens Spahn und Begleitung reserviert. Der 25-Jährige aus Münster ist der jüngste CDU-Abgeordnete im Bundestag. Gedient hat er nicht, aber als stellvertretendes Mitglied im Verteidigungsausschuss beschäftigt er sich mit Bundeswehrfragen - "rund 50 Prozent meiner Zeit", sagt er. Das Verteidigungsministerium hat ihm deshalb eine Informationsreise organisiert: Drei Tage Truppenbesuch im Kosovo.

Gut zweieinhalb Stunden später setzt die Maschine auf dem Rollfeld in Pristina auf, das Begrüßungskommando für den Herrn Abgeordneten steht parat. Der für das Besuchsprogramm zuständige Oberleutnant sagt: "Wir verlegen jetzt per Hubschrauber nach Prizren, da haben Sie 45 Minuten Verfügungszeit, ehe dann der Kommandeur berichtet!" Der "Organisationssprech" der Soldaten hat es dem Abgeordneten schnell angetan. Schon am nächsten Tag wird Jens Spahn um eine "Verlegung" fragen - wenn er vom Abendbrottisch in die Kneipe will.

Flapflapflapflapflap: Die Rotorblätter der zwei Bell-Helikopter zersäbeln die Frühlingsluft, es geht über braune Hügel und aufgelassene Weinberge Richting Südwesten, Richtung Prizren. Links und rechts steile Bergketten, bis 2.000 Meter hoch, knapp oberhalb der Baumgrenze liegt Schnee in kleinen Flecken. "Das könnte so ein schönes Land sein", seufzt ein Offizier. Eine Art Schweiz, nur kleiner.

Doch das Kosovo ist alles andere als die Schweiz: Es ist Europas offene Wunde. Sie schwärt, sie eitert, ihre Schmerzen strahlen weit aus - und die Bundeswehr versucht gleichzeitig, Salbe, Arzt und Pflaster zu sein.

In Titos Jugoslawien war das mehrheitlich von Albanern bewohnte Kosovo ein relativ unabhängiger Teil Serbiens. Als nach Titos Tod und dem Zerfall des Ostblocks den jugoslawischen Republiken der Kitt verloren ging, definierten die Ultrationationalisten um Slobodan Milosevic das Kosovo zu slawisch-serbischem Herzland. Von Belgrad geführte Polizei- und Armeeeinheiten terrorisierten die Provinz, auf Anschläge der Albaner-Guerilla UCK folgten immer grausamere serbische Operationen - bis 1999 die NATO die Belgrader Truppen aus dem Kosovo bombte.

Seitdem hängt die Provinz politisch in der Luft, der Weltsicherheitsrat zaudert: Für die Eigenstaatlichkeit - das wollen die Albaner - ist es zu früh, für die Reintegration - das wollen die Serben - viel zu spät. Also muss die NATO-Friedenstruppe KFOR Zeit kaufen. Rund 17.000 Soldaten aus 34 Ländern schützen nun die Albaner vor den Serben und die Serben vor den Albanern. Für die Bundeswehr ist es der größte Auslandseinsatz: Vor fast sechs Jahren kamen die Soldaten - wann sie wieder gehen, weiß keiner: "Überwiegend ruhig, aber nicht stabil" sei die Lage, steht in den Berichten des Verteidigungsministeriums für den Bundestag - Verschlusssache, nur für den Dienstgebrauch.

Wie überall im Leben gibt es auch bei der Bundeswehr Hundertprozentige und Nicht-ganz-Hundertprozentige. Oberstleutnant Georg Schatz* ist ein Hundertfünfzigprozentiger: Kalte blaue Augen, stoppelkurzes Haar, er spricht Kommandodeutsch. In anderen Bataillonen mögen die Männer abends Bier bekommen, ohne Schutzweste herumlaufen - bei ihm gibt es so was nicht. Aber vielleicht darf es so was bei ihm auch nicht geben: Denn Schatz leitet das Einsatzbataillon in und um Prizren. Und wenn die Stimmung wieder hochkocht wie im März letzten Jahres, dann sind Schatzens Männer buchstäblich an vorderster Front. "Wir machen rund um die Uhr Patrouillen, halten die neuralgischen Punkte 24 Stunden lang unter Beobachtung - wir würden sofort sehen, wenn etwas hocheskaliert", sagt Schatz.

Das Gewehr im Anschlag

Schatz führt die Besucher durch das alte Serbenviertel im Südosten Prizrens: Vorneweg zwei Soldaten mit Gewehr im Anschlag, einer sichert nach hinten ab. In engen, steilen Gassen haben sich die Häuser an den Hang geschmiegt, man muss sich weit über die groben Pflastersteine beugen beim Anstieg. Unten mäandert die Bistrica durch die Stadt: Hier muss es mal schön gewesen sein. Jetzt klirren Scherben von Dachziegeln unter den Füßen. Wie hohle Augenlöcher starren angekokelte Löcher aus den Fassaden. Versprenkeltes Weiß einer Kloschüssel, in tausend Teile zerborsten. "Das meiste hier wurde nach 1999 zerstört. Aber dann kam im März 2004 ein Ultimatum, die Bewohner hatten zehn Minuten zum Verlassen der Häuser - und dann ist nachhaltige Zerstörungsarbeit geleistet worden", sagt Schatz nüchtern.

Zuerst sollten die internationalen Truppen hier die Albaner vor dem Hass der Serben schützen. Dann sollten sie die Serben vor der Rache der Albaner schützen. Jetzt gibt es so gut wie keine Serben mehr zu beschützen. "Die Hasen vom Amselfeld" hatte der "Spiegel" nach den März-Unruhen getitelt - mit kalter Wut zitieren die Soldaten noch heute die schmähende Schlagzeile. Natürlich konnten sie die Serben nicht beschützen. Aber es war schließlich die Politik, die ihnen zu wenig Soldaten zur Verfügung gestellt hatte, und die noch mit der falschen Ausrüstung. Es war die Politik, die da von der Übergabe der Kommandohoheit an die schwachbrüstige UN-Polizei faselte. Und es ist die Politik, die bis heute noch keine Formel für das Kosovo gefunden hat.

Die Soldaten verstehen sich als Teil eines Parlamentsheeres: Der Bundestag hat zu entscheiden, wieso wohin wie viele Soldaten gehen. Deshalb halten sie gegenüber dem Herrn Abgeordneten den Mund, wenn es um die Politik geht. Nur zaghaft, erst abends in der Kneipe äußern sie ihre Meinung. Dass es verhältnismäßig ruhig geblieben sei nach der Selbstauslieferung von Premierminister Ramush Haradinaj an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, liege an zwei Dingen: Die Albaner rechneten mit schnellen Fortschritten bei den Verhandlungen über den Kosovo-Status bei der UNO; und sie glaubten, dass die Richter in Den Haag den früheren UCK-Führer Haradinaj als Unschuldigen wieder heimschickten. "Aber wenn das nicht so kommt - tja dann..." sagt ein Hauptmann und zieht die Stirn in Falten.

Was dann passieren kann, haben die Soldaten im März 2004 erlebt: Busseweise kamen junge Männer in Prizren an, per Handy organisierte man sich, es flogen Molotowcocktails. Schnell brannte das Serbenviertel am Hang, dann das orthodoxe Priesterseminar unten am Fluß, dann zog der Mob ein paar Kilometer weiter, die Bistrica entlang zum Erzengel-Gabriel-Kloster. Insgesamt wurden damals 19 Menschen getötet, bis zu 900 verletzt, 4.500 vertrieben - auch bei den UN-Polizisten und KFOR-Soldaten gab es über 100 Verletzte. "Die Warnschüsse wurden mit spöttischem Johlen quittiert", erzählt Schatz, die paar argentinischen UN-Polizisten mit ihren paar Tränengaskartuschen drängte man einfach ab - verhältnismäßig höflich, aber verhältnismäßig bestimmt. Unter den Soldaten erzählt man sich, dass die Rädelsführer nach getaner Arbeit insgesamt 20.000 Euro verteilt hätten. Aber wer weiß das schon, Quittungen mit Umsatzsteuernachweis finden sich im Kosovo eher selten.

Hauptmann Knut Maier* ist heute unterwegs ins Roma-Viertel: Die bulligen olivgrünen Bundeswehrautos rumpeln von Schlagloch zu Schlagloch, am Weges-rand schwelen matte Flämmchen über Haufen aus Kartons und Flaschen - Müllentsorgung auf kosovarisch. Ein paar aneinandergenagelte Bretter ergeben hier eine Wand, ein paar rostige Metallplatten ein Dach.

Maier ist ein höflicher Mensch: Er klopft an, stellt sich vor, bittet um den Pass, und dann kommen die Fragen: Haben die Kinder denn keine Schuhe? Gibt es irgendwo Holz für den Herd? Was kosten die Herztabletten für die Oma? Für einen Soldaten unübliche Fragen, die Maier an diesem Morgen stellt. Aber für Maier sind es die üblichen Fragen, wenn er durch Prizren fährt. Die Straßen hier sind mal vereist, mal verschlammt, mal verstaubt - aber Maiers Fragen sind immer die selben: Er will wissen, was die Leute brauchen und was sie haben. Wenn sie mehr brauchen als sie haben, dann können sie zu Maiers Leuten gehen. Sie bekommen einen Kubikmeter Holz oder ein paar Euro für Schuhe oder ein Lebensmittelpaket mit Mehl und Öl, Reis und Nudeln, Zucker und Salz. "Ich mache die Arbeit gerne, denn man kann ja auch wirklich helfen", sagt Maier. Manchmal koste es zwar Überwindung. "Aber dann trinke ich abends halt ein Bier mehr und kann auch gut schlafen."

Cimic heißt das, wofür Maier verantwortlich ist - zivil-militärische Kooperation - das Modewort bei den jüngsten Bundeswehreinsätzen. Denn wenn sie Kindergärten baut, deutsche Rentenanträge ausfüllt und Lebensmittel verteilt, kann die Bundeswehr a) dem "Tagesschau"-Publikum in Deutschland vermitteln, dass sie den Frieden fördert. Und b) gewinnt sie so die Herzen der Bevölkerung im Einsatzland. "Force Protection spielt natürlich eine Rolle", sagt Oberstleutnant Jürgen Schipkowski - nett sein als Truppenschutz. "Wenn ich mit dem Cimic-Abzeichen am Ärmel unterwegs bin, kann ich eigentlich die Waffe daheimlassen."

Gerade hat er Windeln eingekauft, für 300 Euro - denn Babies sind die Zukunft, das ist auch im Kosovo so. "Aber die Gelder fließen nicht mehr so", sagt Schipkowski: Zu Anfang des Kosovo-Einsatzes hatte die Bundeswehr noch ein ganzes Cimic-Bataillon hier - jetzt ist es nur noch eine Kompanie. Balkan ist out, der Afghanistan-Einsatz geht vor. Da schlägt die Stunde des Abgeordneten: "Sag mal", sagt Spahn zu seinem Mitarbeiter, "da können wir doch mal ein Fraktionsrundschreiben machen - vielleicht kommt da was zusammen..."

Es geht zurück ins Feldlager, zur Besichtigungstour durch die Quartiere. Am Eingangstor stehen zwei Wachposten, grimmige Gesichter, volle Montur - aber sie verstehen kein Wort. Der Fahrer seufzt und zwingt sich ein paar Brocken russisch ab: Es sind die Männer vom georgischen Wachbataillon, und bei der diensthabenden Schicht ist wieder mal keiner dabei, der auch nur ein Wort englisch oder gar deutsch spräche. "Ich verstehe das nicht", schimpft ein Oberst: "Wenn ich auch nur privat Urlaub in Georgien machen will, dann muss ich mir das in Berlin genehmigen lassen, vom Führungsstab der Streitkräfte - und hier spielen die unsere Bewacher. Aber das ist eben politisch so gewollt."

Jens Spahn, der Politiker, kommt ins Grübeln: Einerseits sei so viel Multinationalität doch positiv. "Schon alleine damit die Soldaten sehen, dass es auch nicht überall besser ist als bei uns." Aber wenn er sich klarmacht, dass der Schutz von Bundeswehrsoldaten abhängt von georgischen Rekruten, die sich im Ernstfall nicht verständlich machen können - "dann muss man vielleicht doch auch mal auf so ein Angebot von georgischer Seite verzichten", sagt Spahn.

Es ist später Nachmittag, im Feldlager sieht es ein bisschen aus wie im Club Med: Einige Soldaten joggen mit rotem Kopf die Drei-Kilometer-Runde am Zaun entlang, am Sportplatz spielen sie Beachvolleyball. Plick-plock-plick-plock tönt es aus dem Lazarettzelt: Tischtennis, es gibt gerade nichts zu tun. Ein Rudel von sonnenbebrillten Italienern schlendert plappernd durch die Straßen, die Hände in den Hosentaschen, die Barette so scheps auf dem Kopf wie Karnevalskäppis - aber immer ein freundliches "Ciao" auf den Lippen. Ein paar Deutsche, einzeln oder in Zweiergrüppchen, alle in tadelloser Uniform, die Hand geht zum Gruß an die Kappe.

Eine Niedersachsen-Fahne, gelbe Ortsschilder mit schwarzer Schrift: "Senden", "Donauwörth": Inseln von Heimat in der Fremde. Draußen, jenseits des Lagerzaunes, flackern die Müllfeuer - hier steht an jedem zweiten Zelt eine Batterie von Mülltonnen: blau für Papier, grün für Glas, schwarz für den Rest. "Das Recht folgt der Fahne", sagt ein Offizier - auf Bundeswehrterritorium wird der Müll getrennt, und selbst wenn es im Kosovo ist.

Im Stabsgebäude sind die Ergebnisse vom letzten Bundesligaspieltag angeschlagen - gleich neben den Öffnungszeiten für die Frauensauna, der internationalen Vergleichstabelle für Dienstränge und den Aufforderungsplakaten, doch bitte langsam und vorsichtig autozufahren. Im dritten Stock hat der Kommandeur zum Briefing geladen: Brigadegeneral Richard Rossmanith, ein Bayer. Die Nato hat den Kosovo in vier Sektoren aufgeteilt - rund um Prizren hat Rossmanith das Sagen, denn er befehligt die multinationale Brigade Südwest. Damit unterstehen ihm nicht nur rund 8.000 Soldaten aus einem Dutzend Nationen - sondern auch rund die Hälfte des Kosovo mit 594 Kommunen und 830.000 Einwohnern, 90 Prozent davon Albaner.

Seine Oberstleutnante hat er bunte Powerpoint-Präsentationen vorbereiten lassen, dem Abgeordneten wird der Einsatz als Multimedia-Show serviert. Es geht um den Bevölkerungsmix: gelbe Balken, das sind die Albaner, rote Balken, das sind die Serben. Die roten Balken sind kürzer geworden über die Jahre, fast überall im Kosovo: "Die Masse der Serben hat das Kosovo doch schon 1999/2000 verlassen, da passierte jeden Tag mehrfach, was dann einmalig im März 2004 passierte: In Prizren brannte es laufend", sagt Rossmanith. Man merkt: Obwohl die März-Unruhen ein Jahr her sind; obwohl ein ganz anderes Bundeswehrkontingent damals im Kosovo war und die jetzigen Soldaten damals noch in ihren Heimatkasernen für den Einsatz trainierten - der Bundeswehr steckt die Sache noch in den Knochen. Den Vorwurf, sie habe zu wenig getan, sei schlecht vorbereitet gewesen, den hört keine Truppe gern.

Ausgangsverbot für die Soldaten

Aber Konsequenzen hat die Bundeswehr dennoch gezogen - Lessons learned, wie so etwas die Militärs nennen: Oberst Gerd Krause* zählt auf: Es gibt heute mehr bewegliche Operationen, die einzelnen Nationen wechseln sich häufiger ab - die Deutschen mit den Spaniern, die Spanier mit den Italienern. Logistiker, Fernmelder und Pioniere, die sich früher nur auf ihre Spezialfunktionen konzentrierten, üben jetzt wieder häufiger das Schießen - als Alarmreserven, wenn Verstärkung nötig ist. Außerdem mehr Dialog: Krause zeigt Dias von Soldaten, wie sie mit orthodoxen Popen und muslimischen Imamen Hände schütteln, an kleine Mädchen Puppen verteilen, Kommunalpolitikern das Lager zeigen.

Immer noch haben die Soldaten Ausgangsverbot. Nur für dienstliche Notwendigkeiten darf das Lager verlassen werden - ein Großteil der Soldaten jedoch bleibt ein halbes Jahr lang einkaserniert. Also geht es zum Abendessen in die Kantine, ein oktoberfestgroßes Metallzelt. Die Deutschen reihen sich vom Feldwebel bis zum Brigadegeneral brav in die Schlange ein, platzieren sich an Achtertischen, es gibt Brot, Wurst, Salat. "Ein italienischer General würde sich hier nie anstellen", knurrt ein Oberleutnant, "aber die haben ja auch ihr eigenes Offizierskasino."

Ein paar Schritte weiter zum Gute-Nacht-Drink in die "San-Shine-Bar". Sanitätssoldaten haben die Kneipe gebaut - daher der Name. An der Decke hängt eine Discokugel, aus den Boxen röhrt "Footloose". Es wird gedartet, es wird geflirtet. Einer hat Geburtstag und bedankt sich in radebrecherischem Englisch bei den deutschen und italienischen Kameraden fürs Geschenk: Seine Worte verstehen die meisten, die spendierten Biere verstehen alle. Zwei, drei davon darf jeder trinken, wenn er sie verträgt - aber für einen Rausch verhängt der Kommandeur schon mal vierstellige Geldbußen. "Wir haben hier zwar kein Alkoholproblem, aber wer zu Hause gerne mal zur Tasse langt, den kriegst Du auch hier nicht trocken", sagt ein Oberst. Um punkt halb elf die letzte Runde, vom DJ Paulchen Panthers "Wer hat an der Uhr gedreht?" - und die Truppe geht schlafen.

Lehren aus den März-Unruhen

Die gravierendsten Lehren aus dem März-Unruhen demonstriert am nächsten Tag Hauptmann Klaus Schlosser.* Schlosser befehligt, zusammen mit einem österreichischen Kameraden, die Task Force Dulje nordöstlich von Prizren. Von der guten Küche spannt ihm ein wenig der Feldrock über dem Bauch - ein gemütlicher Mann mit breitem westfälischen Akzent. Aber wenn er, in Begleitung dreier schwergepanzerter Soldaten, durch die staubigen Gassen von Orahovac läuft, ist Schlosser auf der Hut: "Das geht hier ganz schnell: Der Dorfplatz ist leer, und drei Minuten später ist er schwarz vor Menschen. Und wenn die dann so ernst gucken, weiß ich nie: Führen die was im Schilde, oder sind die nur traurig von einer Beerdigung." Deshalb hat Schlosser Vorkehrungen getroffen.

Es gackern die Hühner, ein Hund döst im Schatten, eine Mutter wippt ihr Baby im Arm - bis Stiefeltritte den Hang hinabpoltern: Drei, vier, fünf, sechs grüne Wesen stürmen die Gasse herab, auf dem Kopf Helme mit Vollvisier, in den Händen Schlagstock und Schild. Sie zerren zwei Rollen Stacheldraht über das Pflaster, von hinten rollt ein Transportpanzer heran, aus dem Wasserwerfer auf dem Dach tröpfelt es - wie Speichel aus dem Mund eines Jagdhundes. In wenigen Augenblicken ist die Gasse abgeriegelt, hier kommt keiner mehr durch. Alles nur Übung diesmal. Aber im Ernstfall könnten so die serbischen Familien oben am Hang vor dem Albanermob beschützt werden, "so schnell kann keiner schlucken", sagt Schlosser.

Nach den März-Unruhen hat die Bundeswehr Hunderte von so genannten CRC-Ausrüstungen angeschafft, "Crowd-and-riot control", zur Eindämmung von Massenansammlungen und Aufständen: Schoner für Ellenbogen, Brust und Unterleib - der Herr Abgeordnete nimmt die Einladung zu ein paar Stockschlägen an, Prügel zu Testzwecken. Parlament und Regierung haben letzten Sommer sogar das Chemiewaffenübereinkommen modifiziert - damit die Soldaten auch Pfefferspray, Gummigeschosse und Reizgas einsetzen können. "Früher gab es nur Warnschüsse in die Luft oder ernsthaftes Feuer", sagt Schlosser. "Jetzt können wir über die komplette Eskalationsleiter gehen - das wirkt deeskalierend." Zum Beispiel neulich, als zwei Streithähne mit Mistgabeln aufeinander losgingen und damit das halbe Dorf in Tumult zu stürzen drohten - nach einer Prise Pfefferspray herrschte Ruhe. Die Soldaten sind stolz auf die Ausrüstung, "Österreicher, Schweizer, Amis - keiner hat da besseres zu bieten", sagt einer. Jens Spahn ist zufrieden: "Die Soldaten haben was sie brauchen." Widersprechen mag keiner.

Erst bei den Heeresfliegern im Außenlager Toplicane wird Klartext geredet: "Brennkammer" heißt hier die Kneipe, der Oberstleutnant drückt die Türe hinter sich zu und lässt die Soldaten allein zur Aussprache mit dem Abgeordneten. Man hockt in durchgesessenen Polstergarnituren, in der Heimat wäre das gut für den Flohmarkt. Die Soldaten meckern: Der Auslandsverwendungszuschlag ist gekürzt worden; die Handyverbindungen sind teuer und laufend unterbrochen; die Feldpost dauert zu lang; wichtige Küchenanlagen seien seit Wochen ausgefallen: "Die Firma will nicht kommen, weil es denen hier zu gefährlich ist. Gleichzeitig wird uns der AVZ gekürzt, weil es hier angeblich nicht mehr gefährlich ist - da stimmt doch was nicht", schimpft einer.

Jens Spahn beschwichtigt. Er könnte sich jetzt empört geben, mit breiter Brust Briefe ankündigen an den Minister und andere Verantwortliche aus der Regierung, schließlich ist er ja Opposition - aber Spahn beschwichtigt. Die Mittel seien schließlich knapp - und das elementar Notwendige hätten die Soldaten ja wohl, oder? Knurren, dann fragt einer, wie lange die Politik noch Truppen hier zu halten gedenke - fünf bis zehn Jahre, schätzt Spahn. "Dann sorgen Sie aber bitte mal für anständige Ausrüstung, das sind doch hier alles Provisorien." Spahn bedankt sich für die offenen Worte. Aber jetzt muss er zum Flughafen.

Statt im Airbus geht es in der Transall zurück nach Deutschland. Seit mehr als 40 Jahren sind die Maschinen im Einsatz, altes, schweres Fluggerät. Den Gästen werden Ohrstöpsel verteilt, Jens Spahn gibt noch ein Interview. Wegen der Handyverträge werde er den Staatssekretär um Stellungnahme bitten. Den Auslandsverwendungszuschlag? Klar, auch das werde er ansprechen - "aber ändern kann ich da auch nichts". Bald ist Spahn heiser, die Transall zwingt ihn, so laut zu sprechen. Generell seien die Soldaten ja wenig larmoyant, das habe ihm gefallen. "Ein paar Klagen gehören zum Truppenbesuch dazu, die müssen sich ja auch jenseits der Dienstwege mal auskotzen können."


* Die Namen der so markierten Soldaten wurden aus Sicherheitsgründen von der Redaktion geändert.


Christian Thiele arbeitet als freier Journalist.


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