Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 22 / 30.05.2005
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Alfons Frese

Angriff der Arbeitgeber auf den "Irrtum der Geschichte"

Die Modernisierung der Mitbestimmung heißt Beschneidung
Sie meinen es doch nur gut, die Arbeitgeber. Sie wollen "das deutsche Mitbestimmungssystem mit seinem weltweit höchsten gesetzlichen Gesamt- und Einzelmitbestimmungsniveau aus seiner Isolation befreien". Doch wenn sich die deutsche Mitbestimmung auf internationales Niveau begibt, dann werden die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer kräftig beschnitten. Und zwar im Aufsichtsrat der Aktiengesellschaften die "Arbeitnehmerbank" und auf der betrieblichen Ebene die Stellung der Betriebsräte.

Die Ausgangslage für den Angriff der Arbeitgeber ist günstig. Rückenwind kommt von der EU, die mit der europäischen Aktiengesellschaft und der Fusionsrichtlinie Maßstäbe auch für die Mitbestimmung setzt. Der Gegner ist so schwach wie lange nicht mehr: Die Gewerkschaften verlieren Jahr für Jahr Hunderttausende Mitglieder und müssen sich in allen möglichen Branchen gegen Angriffe auf die tariflichen Standards wehren. Und so schoss im vergangenen Herbst der damalige Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Michael Rogowski, schweres Geschütz ab. Als "Irrtum der Geschichte" qualifizierte Rogowski die deutsche Mitbestimmung. Kurz darauf legte der BDI gemeinsam mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) einen Bericht zur Modernisierung der Mitbestimmung vor. Ziel der Studie: "Deutschland als Standort attraktiver machen." Das entscheidende Instrument dazu: Unternehmen und Arbeitnehmervertreter sollten Art und Umfang der Mitbestimmung innerhalb eines gesetzlichen Rahmens künftig frei vereinbaren können. "Die große Vielfalt unterschiedlicher Unternehmen erfordert unterschiedliche Partizipationsformen", sagt Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt und spricht von "mehr partnerschaftlicher Verantwortung". Für den DGB führt das zur Abschaffung der paritätischen Mitbestimmung im Aufsichtsrat, was wiederum einer "Restauration altmodischer Machtverhältnisse" gleichkomme. Die Bewertung der Vorschläge der Kommission Mitbestimmung durch den DGB-Vorstand ist entsprechend deutlich: "Unter dem Deck-mantel von Reformen betreiben BDA und BDI die Demontage sowohl der betrieblichen Mitbestimmung wie auch der Unternehmensmitbestimmung und sogar der Tarifautonomie." Einvernehmen besteht zwischen den Sozialpartner immerhin in der Einschätzung, dass die Mitbestimmung vor dem Hintergrund der Globalisierung "weiterentwickelt werden muss". Aber wie?

Ein Kenner der Materie soll es richten. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat Kurt Biedenkopf (CDU) mit der Leitung einer Regierungskommission zur Mitbestimmungsreform berufen, damit "das bewährte System der deutschen Mitbestimmung bewahrt und in Europa gesichert werden kann", wie ein Regierungssprecher den Auftrag formuliert. Acht Experten, jeweils drei Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter sowie zwei Wissenschaftler, sollen den früheren sächsischen Ministerpräsidenten unterstützen. Biedenkopf befasste sich bereits Ende der 60er Jahre im Auftrag des damaligen Bundeskanzlers Kurt Georg Kiesinger mit dem Thema. Von seiner Expertise floss einiges in das Mitbestimmungsgesetz von 1976 ein. In rund 760 deutschen Kapitalgesellschaften wird das Gesetz angewendet - zum Nachteil des Standorts Deutschland, wie etwa der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle meint, "weil ausländische Investoren auch deshalb einen Bogen um Deutschland machen". Jürgen Schrempp, Vorstandsvorsitzender der Daimler-Chrysler AG, widerspricht. "Wer behauptet, dass die Mitbestimmung schädlich für Investitionen in Deutschland sei, liegt falsch." Schließlich behalte ja das Kapital nach wie vor das letzte Wort: Wenn es zu einem Patt im Aufsichtsrat kommt, hat der Aufsichtsratsvorsitzende, den die Kapitalseite stellt, die entscheidende Doppelstimme.

Aus Europa kommt Druck auf das deutsche System. Seit einigen Monaten ist die Regelung über die Europäische Aktiengesellschaft in Kraft. Danach richtet sich die Stärke der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat nach dem Ergebnis einer Verhandlung zwischen der Unternehmensleitung und Arbeitnehmervertretern. Scheitern die Verhandlungen, greift bei deutscher Beteiligung im Rahmen einer Fusion die paritätische deutsche Mitbestimmung - sofern mindes-tens ein Viertel der Belegschaft in Deutschland arbeitet. Wird eine Holding oder eine Tochtergesellschaft gegründet, müssen mindestens 50 Prozent der Arbeitnehmer deutsch sein, damit es weiterhin gleichberechtigt zugeht. Ansonsten stellen die Arbeitnehmervertreter bei Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten ein Drittel der Aufsichtsräte. Das alles betrifft Unternehmen mit einer dualistischen Führung, also mit einem Vorstand und einem Aufsichtsrat. Wird die Firma monistisch geführt, also allein durch einen Verwaltungsrat, gibt es für die Arbeitnehmer lediglich einen Konsultationsrat als Beteiligungsorgan.

Für die EU-Fusionsrichtlinie, an die derzeit in Brüssel letzte Hand angelegt wird, gilt im Prinzip die Drittelparität, sofern in den Verhandlungen keine andere Lösung herausspringt. Bis spätestens 2008 muss die Fusionsrichtlinie in nationales Recht umgesetzt werden - und genau in diesem Kontext streben die Arbeitgeber die Veränderung der deutschen Mitbestimmung nach europäischem Vorbild an: Weg von der paritätischen Besetzung des Aufsichtsrats, hin zur Drittelparität. Welche Bündnispartner sie dafür finden werden, ist offen. Die FDP hat sich als einzige deutlich in Sinne der Arbeitgeber positioniert. Die Union hält sich bei der Mitbestimmung über den Aufsichtsrat bedeckt, will aber die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes von 2001 rückgängig machen. Die Forderung von Arbeitgeberseite, künftig keine Gewerkschaftsvertreter mehr im Aufsichtsrat zuzulassen, weist der arbeitsmarktpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karl-Josef Laumann, zurück. "Ich halte nichts davon, wenn im Aufsichtsrat nur noch Mitarbeiter eines Unternehmens und keine Gewerkschaftsvertreter mehr sitzen dürfen."

Ulrich Jürgens, Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin, hat die Aufsichtsratsarbeit untersucht und kommt zu dem Ergebnis, dass in einem Aufsichtsrat, "der den neuen Herausforderungen an die Kontroll- und Beratungsaufgabe gerecht werden will, alle Wissensarten hinreichend präsent sein müssen": das "interne Organisationswissen" der Arbeitnehmer, das politische und fachliche, branchenübergreifende Wissen der Gewerkschaftsvertreter und schließlich das Fachwissen der leitenden Angestellten. Da die Wirtschaftsabläufe sich beschleunigen, sind auch schnellere Entscheidungen erforderlich, was wiederum eine kompetente und zielführende Kooperation im Aufsichtsrat erfordert. Aber, so hat jedenfalls Jürgens festgestellt, bei der Kooperation und Koordination "gibt es Nachholbedarf". Es fehle in den Aufsichtsratssitzungen "eine ausgeprägte Diskussionskultur".

Das fällt indes nicht mehr groß ins Gewicht, wenn die Arbeitnehmervertreter eh nur noch am Katzentisch sitzen. Aber ist das gut für die Unternehmen und den Standort Deutschland? Wolfgang Streeck, Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln, hat Zweifel. "Für die Belegschaften war die Mitbestimmung auf Unternehmensebene der sichtbarste Ausdruck dafür, dass sie, zumindest als organisierte Gruppe, nunmehr mit denen, die über ihre Arbeitsplätze und damit über ihr Leben entschieden, auf gleicher Augenhöhe sprechen konnten." Streeck bewertet die Einschränkung der Mitbestimmung als eine Botschaft an die Beschäftigten, dass man ihnen und ihren gewählten Vertretern nicht mehr zutraut, kompetent über das Schicksal ihres Unternehmens mitzuentscheiden: "In einer Zeit, in der es mehr denn je darauf ankommt, dass Belegschaften sich mit ihrem Unternehmen identifizieren, könnte eine solche Botschaft fatale Folgen haben."


Alfons Frese ist Redakteur beim "Tagesspiegel" in Berlin.


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