Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 22 / 30.05.2005
Zur Druckversion .
Ulrike Baureithel

Der Leichtlohn ist weg, die Ungerechtigkeit bleibt

Noch immer haben weibliche Berufe einen geringeren Wert als männliche
Der Kampf gegen die sogenannten Leichtlohngruppen in den 60er- und 70er-Jahren war eine der ersten betrieblichen Auseinandersetzungen nach dem Krieg, an denen Frauen sich organisiert für ihre eigenen Belange einsetzten. Entstanden waren die unteren Lohngruppen, nachdem Mitte der 50er-Jahre das Bundesarbeitsgericht die "Lohnabschlagsklausel" für Frauen als mit dem Gleichheitsgebot des Grundgesetzes nicht vereinbar erklärte. Dennoch dauerte es in manchen Branchen Jahrzehnte, bis die Leichtlohngruppen aus deutschen Tarifverträgen wieder verschwanden.

Ab 1975 erhielten die Frauen auch seitens der EU mit einer entsprechenden Richtlinie Rückendeckung. Die Amsterdamer Verträge von 1999 und der Europäische Gerichtshof stärkten diese noch einmal: Männer und Frauen erhalten für gleiche Leistung gleichen Lohn, und Frauen dürfen qua Geschlecht nicht niedriger entlohnt werden. Doch wie kommt es dann, dass Frauen weltweit immer noch 65 Prozent der insgesamt geleisteten Arbeit verrichten, aber nur über zehn Prozent des Einkommens und ein Prozent des Eigentums verfügen? Warum verdienen in der Europäischen Union voll beschäftigte Frauen sowohl in der Industrie als auch im Dienstleistungssektor im Durchschnitt nur drei Viertel so viel wie ihre männlichen Kollegen, weibliche Angestellte in Deutschland sogar um die 30 Prozent? Warum nehmen die Einkommen der Frauen mit zunehmendem Lebensalter kontinuierlich ab?

Hier setzt das sogenannte Gender Mainstreaming an. Anders als in den früheren Gewerkschaftskämpfen sollen Frauen nicht im Betrieb gegen Diskriminierung angehen. Vielmehr sind die Entscheidungsträger aller Hierarchien aufgerufen, mit Blick auf das Gleichheitsgebot schon im Vorfeld ihre Maßnahmen auf geschlechtsspezifische Auswirkungen hin zu überprüfen. Top down nennt sich das im Fachjargon, die Revolution kommt sozusagen von oben und hat geradezu administrativen Charakter. In jedem Bereich werden Prüfkriterien entwickelt, die helfen sollen, "gender-korrekte" Entscheidungen zu treffen, in Seminaren werden die Verantwortlichen auf die Gender-Perspektive hin "trainiert". Doch bevor etwas entschieden und verändert werden kann, bedarf es einer Analyse, die über das dürre Zahlenmaterial hinausgeht. Zwar sprechen die Daten eine eindeutige Sprache, doch sie erklären den katastrophalen gender gap - die geschlechtsspezifische Diskrepanz bei den Einkommen zum Beispiel - nicht, es sei denn, man ginge davon aus, dass Frauen per se schlechter ausgebildet und qualifiziert sind als Männer. Sind sie nicht, wie der Blick auf die Schulkarrieren zeigt: Da überrunden die Schülerinnen leistungsmäßig ihre Mitschüler und haben, was die Bildungsabschlüsse betrifft, in den letzten Jahren gut aufgeholt und gleichgezogen.

Dennoch ist es nach wie vor so, dass es einen geschlechtsspezifischen Zugang zum Beruf gibt und die Berufslandschaft geschlechtsspezifisch segmentiert ist: Es gibt noch immer sogenannte "Frauen-" und "Männerberufe" (mit jeweiligen Ausnahmen) und in den "Frauenberufen" lässt sich weniger Einkommen erzielen als in den von Männern dominierten. Den Streit, ob der Beruf das Ansehen macht oder die "Berufenen", haben feministische Berufsforscherinnen mittlerweile geklärt: Der Status einer Profession steigt oder sinkt je nachdem, ob ihn mehrheitlich Frauen oder Männer ausüben, unabhängig vom Inhalt der Tätigkeit. Nicht "weibliche" Berufe machen das Ansehen, sondern die Frauen, die einen bestimmten Beruf ergreifen. Die Pioniere der Chemie oder der Informatik beispielsweise waren weiblich; als sich das Terrain dann als zukunfts- und karriereträchtig erwies, wurde es von Männern erobert. Mit der männlichen Übernahme stieg auch das Prestige des jeweiligen Berufs; so wie der Beruf der Sekretärin heute keineswegs mehr an das Ansehen erinnert, den ein Sekretär im 19. Jahrhundert noch hatte. Deshalb warnen die Forscherinnen auch davor, die "weiblichen" Aspekte eines Berufs nur aufwerten zu wollen. Das "doing gender" ist so allgegenwärtig, dass selbst dort, wo Männer einen Frauenberuf oder Frauen einen Männerberuf ergreifen, diese bemüht sind, sich im beruflichen Alltagsverhalten als "Männer" und "Frauen" auszuweisen. Und wo sich vereinzelt Männer in Frauenberufen finden, besetzen sie in aller Regel die oberen Hierarchien.

Doch was ist dafür verantwortlich, dass die weibliche Berufstätige und damit ihre Tätigkeiten einen geringeren Wert haben als die der Männer? Liegt es daran, dass sie überwiegend in sogenannten "Assistenzberufen" tätig sind und Männern zuarbeiten? Oder dass sie als die unsichereren Arbeitskräfte angesehen werden, unkalkulierbar, weil sie "ganz selbstverständlich" Kinder und/oder alte Menschen zu versorgen haben? Oder ist es nicht vielmehr auch umgekehrt: Die Tatsache, dass Frauen - unentgeltlich - soziale Dienstleistungen erbringen, legt nahe, ihnen solche Leistungen auch im Beruf abzuverlangen und entsprechend schlecht zu vergüten.

Die Analyse von Tarifverträgen ist hierfür aufschlussreich. Bei der Bewertung von Arbeitsplätzen, die vorwiegend Frauen einnehmen, werden ganz andere Kriterien und Gewichtungen angelegt als in männerdominierten Bereichen. Noch immer ist das, was als "schwere Arbeit" gilt und entsprechend Zulagen einbringt an der männlichen Muskelkraft und nicht an der weiblichen Ausdauerleistung orientiert.

Auch das Kriterium "Verantwortung" hat eine geschlechtsspezifische Komponente, indem es vor allem auf Arbeitsplätze in der oberen Hierarchieebene, die eher von Männern besetzt werden, angewandt wird. Oft wird "Verantwortung" auch an bestimmte formale Qualifikationen (zum Beispiel ein akademischer Abschluss) gebunden, sodass ganze Berufsgruppen (zum Beispiel Erzieherinnen) von vornherein herausfallen. Auch soziale Qualifikationen bleiben systematisch unterbewertet. Mit dem von den Schweizer Wissenschaftlern Katz und Baitsch entwickelten analytischen Bewertungssystem (ABAKABA) liegt mittlerweile ein Instrument vor, das den emotionalen und psycho-sozialen Aspekten eines Berufes mehr Gewicht einräumt als den körperlichen Belastungen und technischen Fähigkeiten. Würde es angewandt, müssten sogenannte Frauentätigkeiten fast durchweg neu eingruppiert werden.

Bei der Neubewertung der Arbeit und überhaupt des Normalarbeitsverhältnisses - in dem Sinne, dass Männer und Frauen gleich an der Berufs- und Familienarbeit beteiligt sind, ohne dass sich dabei für eine Seite Nachteile ergeben - sind keineswegs nur die Tarifpartner, sondern es sind auch andere Akteure wie der Gesetzgeber oder die Gerichte gefragt. Tätigkeitsbewertung, Arbeitszeit- und Lohnpolitik, Qualifizierungsmaßnahmen, die Gestaltung von Berufsbildern - all dies wären Felder, in denen die Gender-Perspektive in den Mainstream einfließen müsste. Wie wenig dies beispielsweise der Gesetzgeber berücksichtigt, offenbarte sich bei der Einführung der Altersteilzeit, die ursprünglich nur von Vollzeitbeschäftigten beansprucht werden konnte und weibliche Teilzeitbeschäftigte erheblich diskriminierte. Es bedurfte der massiven Intervention von Gewerkschafterinnen und anderen Lobbyistinnen, dass dies im Tarifvertrag nachträglich korrigiert werden konnte.

Als Strategie kann sich das Gender Mainstreaming allerdings nicht mit der Analyse der Verhältnisse und dem Appell an die Entscheidungsträger begnügen - und schon gar nicht darf es konkrete Frauenfördermaßnahmen ersetzen. Gerade dort, wo es um die Verteilung von knappen Mitteln geht wie im Arbeitsleben, ist aber genau dies zu befürchten: Es ist kein Zufall, dass das Gender Mainstreaming die Quoten-Diskussion in den Hintergrund gedrängt hat. Und es könnte sein, dass auch in diesem Fall Männer den Stab umdrehen, um vom Gender Mainstreaming zu profitieren. Denn dass sich Gender Mainstreaming im Sinne der Nutzung weiblicher "Humanressourcen" ganz gut in die neoliberale Unternehmensphilosophie einpassen lässt, haben Konzerne wie etwa die Deutsche Telekom schon erkannt. Die dortige Beauftragte für "Chancengleichheit und Diversity", Sylvia Stange, unterstreicht, dass dem Unternehmen aus der "speziellen KundInnenorientierung" der Mitarbeiterinnen "wirtschaftliche Vorteile" erwachsen. "Diversity", so ihr Resümee, würde "als Business Case auch vom Management akzeptiert". Die Kombatantinnen gegen die Leichtlohngruppen wussten noch, wofür und gegen wen sie kämpfen. Im globalen Gender Mainstreaming gehen die Orientierungen gelegentlich verloren.


Ulrike Baureithel ist Redakteurin der Wochenzeitung "Freitag".


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.