Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 28 - 29 / 11.07.2005
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Susanne Balthasar

Auf der Suche nach dem Gefühl

Junge deutsche Malerei liebt die Idylle und boomt bei Investoren
Martin Eder rollt die Augen woanders hin, wenn das Thema auf gegenständliche Malerei kommt. "Abstrakt oder gegenständlich, das ist doch kein Unterschied", sagt Eder, "wenn ich zum Beispiel eine Poritze male, dann ist das auch nur ein Strich." Letztlich sei die ganze Malerei doch nur ein einziges Klecksen und Stricheln. Wenn Eder kleckst und strichelt, kommen jede Menge nackte Mädchenhaut, psychotische Pudel, Katzen am Rande des Nervenzusammenbruchs und böse dräuende Himmel heraus, die mit altmeisterlichen Pinselstrichen zu einer zähen Masse in babyblau und depressionsgrau, abgestandenen Sehnsüchten, zu viel Sex und schäbiger Niedlichkeit verquirlt werden: Die Idylle zeigt sich als Alptraum.

Jeder Anflug von süßen Gefühlen wird vom Bild, so will es der Maler, umgehend mit Peinlichkeit bestraft: "Ich möchte Ekel und Dreckgefühle, das Faszinosum des Erwischt werdens und ein schlechtes Gewissen." Bei Eder ist die romantisch grundierte Gegenwart in den schaurigen Abgrund des Kitsches gefallen. Andere suchen die Idylle oder zumindest die Sehnsucht danach. Sie suchen das Gefühl. Trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb: Die figurative Malerei boomt und mit ihr die Malerei von Martin Eder.

Ölschinken über dem Sofa sind wieder schick. Auf Kunstmessen werden Höchstpreise für Farben auf Leinwänden bezahlt, der Markt hat die Malerei, die erst kürzlich das Zeitliche gesegnet zu haben schien, wieder ganz nach oben gespült. War es nicht erst in den 90er-Jahren, dass die Malerei - abstrakt oder gegenständlich - mit einem Mal reichlich alt aussah? Es war das Jahrzehnt, in dem die Welt verpixelte: Computer, Internet, neue Medien waren der Trend; flackernde Bildschirme und Videoprojektionen bewegten die Galerieräume. Bilder hießen damals "Flachware". Dann tauchte Neo Rauch auf. Der Leipziger Maler avancierte mit seinen surrealen DDR-Chiffren zum Superstar der Kunstszene. Der Erfolg seiner Bilder machte das Bedürfnis nach Figurativem sichtbar. Schließlich kamen die halbnackten Jungs von Norbert Bisky, die in einer Welt zwischen sozialistischem Realismus und der Ästhetik der 30er-Jahre herumturnten, und nach der Jahrtausendwende waren es Tim Eitels traurige Menschen in öden Landschaften. Der Boom war da. "Young German Artists" hat die Presse das Phänomen gelabelt oder "Dresden Pop" und "Leipziger Schule".

Arno Rink hört das gar nicht gern. Ihm klingt das zu sehr nach Schublade. Arno Rink ist Professor für Malerei an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, und ein Großteil der heute so erfolgreichen Maler sind bei ihm in Leipzig oder an der Hochschule in Dresden ausgebildet worden. Beide Akademien haben trotz Medienkunsthype an der Tradition der gegenständlichen Darstellung aus DDR-Zeiten festgehalten. Als Abstraktion, Pop-Art und Konzeptkunst den Westen eroberten, malten ostdeutsche Maler wie Willi Sitte, Werner Tübke oder Bernhard Heisig, der die Leipziger Malklasse 1961 gründete, weiter figurativ. Alles andere galt als dekadent. Dann kam die Wende. "Viele dachten, mit dem Staat kippt die Malerei", sagt Arno Rink. Aber sie kippte nicht. Das wurde einige Jahre belächelt, bis die Zeit reif für eine Renaissance war. Alles Ostalgie? Eher Ost-Exotismus, findet Ulrike Kremeier von dem nichtkommerziellen Kunstraum "Plattform" in Berlin: "Wie kommen Moden zu Stande? Es ist der Reiz des Neuen und der Reiz des Exotischen. Die Malerei aus der Leipziger und Dresdener Tradition hat diesen Reiz des Fremden." Zumindest für die Westler, und das ist der größte Teil der Kunstkäufer. In jedem Fall ist die Wiederbelebung der Malerei die bewährte Lektion der Geschichte, dass jede Bewegung ihre eigene Gegenbewegung hervorbringt.

Für Arno Rink ist die moderne Rückwendung zur Malerei folgerichtig: "Eine Installation im Wohnzimmer ist auf Dauer unsinnlich." Zu technisch, zu konzeptionell, zu theoretisch, zu wenig heimelig, mit anderen Worten: zu wenig Gefühl. Bilder, die Sprache des Unterbewusstseins und der Träume, taugen eher als Seelenfutter. In Zeiten der Unsicherheit halten sich die Augen gern am Bewährten fest. "Vielleicht ist das wertkonservativ", räumt Arno Rink ein, "aber es ist nicht restaurativ." Denn: Der malerischer Blick richtet sich auf die Realität der Gegenwart, in dem sich vergangene Epochen wie Surrealismus und Expressionismus mit fotografischer Präzision der modernen Vereinzelung, ein bisschen Pop, ein bisschen Tristesse neu mischen. Dass das nicht ausreicht, glaubt Ulrike Kremeier, die selbst Kunsttheorie an einer Leipziger Malklasse unterrichtet. Zu genau würden die klassischen Sujets aufgenommen. "Ich sehe da keine Weiterentwicklung im kritischen Sinne." Aus Rinks Perspektive dagegen hat sich viel verändert: Das explizite politische Dogma des Sozialismus hat "eine Hinwendung zu Ich-Thematiken" abgelöst. Besonders gern wird der Stand der Romantik, oder was davon noch übrig ist, verhandelt.

Was das über die Welt sagt, erklärt der Katalog der Ausstellung "Wunschwelten" in der Frankfurter "Schirn": "Übersättigt vom medialen Bombardement aus schlechten Nachrichten, Kriegsberichten und verheerenden Nachrichten des Terrors, aufgerieben als Individuum in Zeiten des Turbokapitalismus und frustriert als Wähler inmitten undifferenzierbarer Parteiprogramme ohne Zukunftsperspektive, beginnt eine Suche nach Orten der Sicherheit und der Zuflucht - oder zumindest nach den Bildern, die diese suggerieren können." Martina Weinhart, Kuratorin der Ausstellung, ist fündig geworden: In den Ateliers junger, meist US-amerikanischer oder angelsächsischer Künstler hat sie die Exponate gefunden, die nun in der "Schirn" die zeitgenössischen Möglichkeiten von Caspar David Friedrichs Ansätzen ausloten. Die Sehnsucht nach den Wunschwelten und die Rückwendung ins Ich scheint ein globales Phänomen zu sein. Und gibt der Kritik der reinen Nostalgie zusätzlich Feuer: Statt diskursiver Standortbestimmung mit Theorieanteil wird eine neue Innerlichkeit propagiert. "Wenn man den Begriff politisch im Sinne von Agitprop versteht, dann sind die Bilder unpolitisch", räumt Arno Rink ein, "wenn man sie als Spiegelbild einer Gesellschaft sieht, in der die politische Haltung weitest gehend abgeschafft ist, dann nicht."

Am Ende spiegelt der Erfolg noch eine ganz andere gesellschaftliche Realität wieder: die Gesetze des Marktes. Und die bestimmen zurzeit die US-Amerikaner, die 60 Prozent des Kunstmarktes beherrschen. Die exorbitanten Preise, die derzeit für Malerei bezahlt werden, treiben amerikanische Privatsammler in die Höhe. Geld ist genug da, die Regierung Bush hat es möglich gemacht. Statt schöngeistiger Sammler sind es nun die neuen Reichen, die die Regeln festlegen. Und die bestimmt nicht notwendigerweise das Kunstverständnis, sondern die Rendite. Arrivierte Maler sind über Jahre ausverkauft, der Hunger der finanzstarken Investoren speist sich an Neulingen: Wer heute kommt, könnte morgen da sein, beste Bedingungen also für eine steilen Gewinnzuwachs - wenn die Rechnung aufgeht. Das Ölbild als Aktie. Ist da eine Blase entstanden?

"Sicher, natürlich", sagt Arno Rink, "der Boom wird nicht ewig anhalten, da werden sich dann Einzelpersönlichkeiten rausbilden." Zumindest wird sich irgendwann gezeigt haben, was Mode ist, und wer die Mode überlebt. Denn auf dem Höhepunkt des Malereibooms zeichnet sich wie immer schon der nächste Trend ab. "Das ist die Bildhauerei", ist sich Ulrike Kremeier sicher. "Das Objekt ist im Kommen."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.