Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 30 - 31 / 25.07.2005
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"Das ist kein Linksruck"

Interview mit Steffi Lemke
Für durch und durch glaubwürdig hält die politische Geschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen, Steffi Lemke, das Wahlprogramm ihrer Partei. Im Gegensatz zu den Forderungen von PDS und WASG seien die sozialen Veränderungen, die die Grünen anstrebten, finanzierbar, sagt die 37-Jährige und lehnt eine Koalition von Rot-Grün und Linkspartei kategorisch ab.

Das Parlament: War der vergangene Bundesparteitag der Grünen für Sie ein guter oder ein schlechter?

Steffi Lemke: Es war ein sehr erfolgreicher Parteitag. Wir haben mit nur einer Gegenstimme ein Programm verabschiedet, in dem wir unsere Kernforderungen für ökologische Modernisierung und solidarische Verantwortung niedergeschrieben haben. Der Parteitag hat gezeigt, dass wir kämpfen wollen und kämpfen werden.

Das Parlament: Was wäre ein schlechter Parteitag gewesen?

Steffi Lemke: Wenn unsere Partei das Programm nicht geschlossen mitgetragen hätte oder wenn wir ein Programm verabschiedet hätten, das Wolkenkuckucksheime verspricht, die in keiner Weise gegenfinanziert sind. Was zum Beispiel PDS und WASG in ihrem Programm an schlichtweg nicht finanzierbaren Versprechen aufgeschrieben haben, halte ich für ein verantwortungsloses Wahlprogramm.

Das Parlament: Wie wollen die Grünen die von ihnen geforderten Verbesserungen in Sozial- und Bildungspolitik gegenfinanzieren?

Steffi Lemke: Wir schlagen einen Mix vor: auf der einen Seite Subventionsabbau - wie beispielsweise die Eigenheimzulage - auf der anderen Seite Vorschläge, nach denen starke Schultern mehr schultern sollen, um Investitionen für Bildung, Forschung und Kinderbetreuung zu ermöglichen. Beispielsweise halten wir die Absenkung des Spitzensteuersatzes, den die Union durchgesetzt hat, für den falschen Weg. Wir wollen unsere Forderungen nicht durch Neuverschuldung oder die Erhöhung von Verbrauchssteuern wie der Mehrwertsteuer finanzieren, sondern den Spitzensteuersatz auf 45 Prozent setzen. Bei der Einkommenssteuer und der Körperschaftssteuer wollen wir Ausnahmetatbestände abschaffen. Als dritte Säule schlagen wir vor, über die Erbschaftssteuer die Ein-nahmebasis zu verbessern.

Das Parlament: Ähnliche Forderungen wie die Heraufsetzung des Spitzensteuersatzes und höhere Erbschaftssteuern stellt auch die PDS.

Steffi Lemke: Die Forderungen der PDS bedeuten, dass man das Geld, das man einnimmt, fünf- bis sechsmal wieder ausgibt. Ein Beispiel ist die gesetzlich garantierte Mindestrente von 800 Euro für alle. Die wäre nur durch eine massive Neuverschuldung finanzierbar, die zu Lasten der jüngeren Generation ginge.

Das Parlament: Ist dasWahlprogramm der Grünen ein Linksruck oder eine zarte Linksverschiebung?

Steffi Lemke: Das ist kein Linksruck. Wir treten mit einem klaren sozialpolitischen Profil an, verlieren aber im Gegensatz zu anderen Parteien weder Ökologie noch Demografie, weder Globalisierung noch Staatsfinanzen aus den Augen. Es ist ein sehr realistisches Programm, das klare Prioritäten in der Sozialpolitik, für Kinderbetreuung und für Bildung setzt. Wir können mit diesem Programm sowohl Regierungsverantwortung übernehmen als auch aus der Opposition heraus Politik gestalten.

Das Parlament: Für einen Außenstehenden war es merkwürdig, dass etliche grüne Spitzenfrauen aufgeboten wurden, um gegen die Aufstellung einer Spitzenkandidatin neben Joschka Fischer zu reden. Ist den Grünen die Frauenquote nicht mehr wichtig?

Steffi Lemke: Ich habe die Debatte als ein deutliches Zeichen unserer Partei verstanden, dass ihr Frauenpolitik und die Doppelspitze wichtig sind. Sonst hätten wir nicht auf einem Bundesparteitag eine solche Diskussion gehabt. Aber die Partei hat dann auch in Gänze abgewogen, dass die enorme Popularität und die Medienwirksamkeit von Joschka Fischer in einem Wahlkampf auch eine Legitimation dafür sind, ihn als alleinigen Spitzenkandidaten ins Rennen zu schicken.

Das Parlament: Aber hätte denn eine Spitzenkandidatin die Popularität Fischers beeinträchtigt?

Steffi Lemke: Fakt ist, dass wir einen kurzen, dynamischen, zugespitzten Wahlkampf haben und die Medien sich auf einige wenige Themen und Personen konzentrieren werden. Wir haben immer wieder die Erfahrung gemacht, dass eine Doppelspitze für die Medienöffentlichkeit durchaus auch ein Problem darstellt, weil es schwierig ist, sie ausgewogen zu präsentieren.

Das Parlament: Wie glaubwürdig ist das grüne Wahlprogramm für Wählerinnen und Wähler nach den Ergebnissen der rot-grünen Regierungspolitik?

Steffi Lemke: Unser Programm ist durch und durch glaubwürdig.Wir haben dargelegt, was wir an Erfolgen in den letzten sieben Jahren erreicht haben, und wir haben auch gesagt, wo wir etwas nicht erreicht oder Fehler gemacht haben. Wir haben in dem Programm dargestellt, was wir bei Hartz IV ändern wollen: die Zumutbarkeitsregelungen, die Zuverdienstmöglichkeiten, die Anrechnung des Partnereinkommens und den Schutz der Altersvorsorgeaufwendungen. Das sind vier Punkte, die die Union im Bundesrat durchgesetzt hat. Wir sind doch nicht unglaubwürdig, wenn wir Fehler beheben wollen. Ich werde mir nicht die Vorschläge der Union anheften lassen.

Das Parlament: Im Wahlprogramm steht, die Grünen hätten den Fehler gemacht, die Arbeits-, Wirtschafts- und Sozialpolitik zu sehr der SPD überlassen zu haben. Gab es nicht auch in der grünen Fraktion neoliberale Strömungen, die für eine bestimmte Politik mitverantwortlich sind?

Steffi Lemke: Wir haben als Fraktion einen sehr starken Akzent auf die Haushaltskonsolidierung gesetzt und gesagt, dass unser Sozialversicherungssystem im Angesicht von Globalisierung und demografischem Wandel nicht mehr so weiter funktionieren kann wie in den 70er- und 80er-Jahren der alten Bundesrepublik. Das war richtig. Sowohl die Bürgerversicherung als auch die soziale Grundsicherung sind Konzepte, die die Grünen entwickelt haben. Wir haben uns ein klares arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitisches Profil erarbeitet, aber wir haben das nicht stark genug heraus gestellt. Das hatte auch damit zu tun, dass mehrere Reformprojekte auf einmal angepackt werden mussten.

Das Parlament: Wie ist die Stimmung bei den Grünen nach dem Coup von Gerhard Schröder, über eine misslungene Vertrauensfrage zu Neuwahlen zu kommen?

Steffi Lemke: Viele waren zornig, aber jetzt wollen unsere Mitglieder für unsere grünen Ziele und Konzepte Wahlkampf machen, weil sie sehen, dass unter einer schwarz-gelben Regierung die ökologische Modernisierung, die Menschen- und Bürgerrechte und die Stellung der Frau in der Gesellschaft auf der Strecke bleiben.

Das Parlament: Allerdings ist es ein merkwürdiger Umgang mit der Verfasssung, ein Misstrauensvotum hinzubiegen, nachdem kurz vorher noch mehrheitlich Beschlüsse gefasst wurden. Der Grüne Werner Schulz hat das angesprochen - ist er die letzte ehrliche Haut bei den Grünen?

Steffi Lemke: Werner Schulz hat eine Klage angekündigt. Das ist sein Recht als Abgeordneter. Der Umgang mit diesem Misstrauensvotum ist durchaus eine schwierige Frage, und es liegt am Bundespräsidenten und eventuell am Bundesverfassungsgericht, sie letztendlich zu beantworten. Ich sehe auf der anderen Seite, dass die Bürgerinnen und Bürger jetzt eine Bundestagswahl und eine klare Entscheidung wollen, und das ist für mich als Politikerin auch im Verhältnis zur SPD relevant.

Das Parlament: Könnten Sie sich auch ein Dreierbündnis aus Rot-Grün und Linkspartei vorstellen, um weiter an der Regierung zu bleiben?

Steffi Lemke: Ich kann mir nicht vorstellen, wie man mit PDS und WASG regieren sollte. Das Bündnis lässt Ökologie, Globalisierung und Demografie völlig links liegen. Und es trägt nichts zur wirtschaftlichen Erneuerung bei, sondern will nur verteilen. Auch die Äußerungen von Herrn Lafontaine, mit denen er versucht, durch Rechtspopulismus nach Wählerstimmen zu fischen, halte ich in der jetzigen Situation, in der die NPD in Sachsen gerade in den Landtag eingezogen ist, für brandgefährlich. PDS und WASG sind daher aus meiner Sicht nicht politikfähig.

Das Parlament: Also wäre für Sie eine solche Koalition völlig ausgeschlossen?

Steffi Lemke: Ja.


Das Interview führte Ulrike Schuler


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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