Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 44 / 31.10.2005
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Daniela Weingärtner

Grundsätzliches weiter auf die lange Bank geschoben

Informeller EU-Gipfel in Hampton Court
Konkrete Beschlüsse wurden auf dem informellen EU-Gipfel im britischen Hampton Court am 27. Oktober nicht gefasst. Obwohl die Liste drängender Probleme lang ist, blieb die der Lösungsvorschläge kurz. Der scheidende Bundeskanzler Gerhard Schröder zeigte sich dennoch optimistisch, dass die Gemeinschaft auf dem kommenden Gipfel eine Einigung über die Finanzplanung von 2007 bis 2013 erreichen könne. Deutlich machte das Treffen vor allem eines: Es hakt in Europa - nicht nur an dieser Ecke.

Als der britische Premier Tony Blair am 26. Oktober vor dem Europaparlament in Straßburg auftrat, glich er einem Buchhalter, der die Kluft zwischen Soll und Haben mit Erklärungen zu füllen versucht. Vier Monate zuvor hatte er an gleicher Stelle in einer fulminanten Rede angekündigt, dass Europa eine Richtungsdebatte brauche und einen Neuanfang. Auf beides warten Parlamentarier und Beobachter seither vergeblich.

Als habe er sein Amt nicht zum ersten Juli sondern gerade eben erst übernommen, steckte Blair sechs Politikfelder ab, mit denen sich die Staats- und Regierungschefs auf dem informellen Gipfeltreffen in Hamp-ton Court bei London befassen sollten. Nach einer Grundsatzdebatte über "Chancen und Herausforderungen der Globalisierung" sollte für diese Bereiche ein gemeinsamer Nenner gefunden werden. Ganz oben auf der Liste steht der Bereich Forschung und Entwicklung. Ein größerer Teil des EU-Budgets soll hineinfließen, auch dieser Vorschlag ist nicht neu und wurde von Blair bereits in seiner Juni-Rede vorgestellt.

Besonderes Augenmerk will der Brite auch der Energiepolitik widmen. Der Markt müsse liberalisiert werden, um Strom billiger zu machen. Mehr Energie-effizienz sei ebenso wichtig wie die Entwicklung sauberer Technologien wie Biomasse. Doch auch die Kernenergie möchte Blair wiederbeleben - sehr zur Empörung der grünen Abgeordneten im Europaparlament. Unter den Mitgliedsstaaten, die mehrheitlich einen Ausstieg aus der Atomenergie anstreben, war darüber beim Treffen in Hampton Court ebenfalls kein Konsens zu erzielen.

Die Universitäten sollen im weltweiten Vergleich wieder konkurrenzfähig werden. Blair setzt dabei auf mehr Praxisorientierung und enge Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Einwanderungspolitik spielt ebenfalls eine Schlüsselrolle. Sie könne zwar den Geburtenrückgang in der EU nicht wettmachen aber, wenn sie kontrolliert stattfinde, zum Wirtschaftswachstum beitragen. In Hampton Court trat dieser Aspekt in den Hintergrund. Vor allem der spanische Regierungschef Zapatero bestand darauf, dass über unkontrollierte Einwanderung gesprochen wurde. Beim Schutz der europäischen Außengrenzen müssten die Lasten künftig besser verteilt werden, fordert er.

Um Arbeits- und Familienleben besser vereinbar zu machen, setzt Blair nicht auf einheitliche EU-Gesetzgebung, sondern auf die Methode der so genannten "offenen Koordinierung". Danach orientieren sich die Mitgliedsstaaten freiwillig an den Ländern, bei denen das System am besten funktioniert. In der Vergangenheit erwies sich aber nationale Beharrlichkeit stets als zählebig und das gute Beispiel konnte wenig ausrichten. Schließlich will Blair einen Globalisierungsfonds einrichten, der die Effekte von Umstrukturierungen und Modernisierungen mildern soll. Als Beispiel nennt er Umschulungsmaßnahmen nach der Schließung des Rover-Konzerns in Großbritannien. Es sei dabei nicht darum gegangen, nötige Strukturbereinigungen zu verhindern. Vielmehr sei den Menschen dabei geholfen worden, sich an die neue Situation anzupassen. Die meisten seiner Kollegen konnte der Brite nicht für diese Idee erwärmen. Er sei gegen die künstliche Lebensverlängerung unwirtschaftlicher Branchen, sagte der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen bei dem Treffen am Donnerstag. "Abschottung wird langfristig keinen Arbeitsplatz sichern." Nettozahlerländer wie Deutschland, Schweden und Holland lehnen den Fonds ab, weil sie neue finanzielle Belas- tungen auf sich zukommen sehen.

Der Berliner Politikwissenschaftler und EU-Experte Andreas Maurer hält einen derartigen Fonds ebenfalls für das falsche Signal: "Damit schießt sich die Kommission doch ein Eigentor. Einerseits wollen sie die neuen Herausforderungen offensiv angehen. Und dann lassen sie sich mit dem neuen Fonds auf die französische Logik ein, dass Globalisierung doch eine schlimme Sache ist."

Die EU-Kommission legte in Hampton Court ein 15-seitiges Positionspapier vor. Darin sind die bekannten Probleme in der EU wie Arbeitslosigkeit, Überalterung, geringes Wachstum, dazu die technologische Revolution in Asien mit ihrem Drohpotential für die europäische Wirtschaft noch einmal ausführlich zusammengefasst. Die Liste der Lösungsvorschläge fällt wesentlich kürzer aus. Neben dem Globalisierungsfonds setzt die Kommission vor allem auf weitere Marktöffnung, zum Beispiel für Telekommunikation, Energie, Finanzdienstleistungen und allgemeine Dienstleistungen.

Tony Blair bekam in Straßburg schon einen Vorgeschmack darauf, was ihn erwartet, wenn er die Debatte um die Dienstleistungsrichtlinie wieder neu lostritt. Die Abgeordneten aus dem linken Lager reagierten mit Pfiffen und Buhrufen. Ihre Kollegen aus den konservativen Fraktionen schwiegen unbehaglich, denn auch sie stoßen mit der so genannten "Bolkestein-Richtline" zu Hause in den Wahlkreisen auf Ablehnung.

Beifall fand dagegen der Vorschlag, die Bürokratie auf europäischer Ebene weiter abzubauen. Vergangene Woche hatte Günter Verheugen einen Plan vorgelegt, wie er in den kommenden drei Jahren 220 Gesetzestexte vereinfachen, zusammenfassen oder ganz streichen will. Insgesamt sollen 15.000 Seiten Text gründlich überarbeitet, benutzerfreundlicher und lesbarer gemacht werden. Auch hier ist der Politologe Andreas Maurer aber skeptisch: "Das hat es in den 90er-Jahren schon mal gegeben. Damals hatten sich unter anderem Großbritannien, Frankreich und Deutschland beteiligt. Die überbordende EU-Gesetzgebung ist doch ohnehin ein Mythos. Es gibt weniger als 200 Rechtsakte pro Jahr, die Hälfte davon sind Routine wie technische Standards oder neue Quoten in der Agrarpolitik." Für den Dezembergipfel, kurz vor Ende der Britischen Präsidentschaft, hat Tony Blair statt Orientierungsdebatten handfeste Ergebnisse versprochen. Er will die im Juni am britischen Widerstand gescheiterte Finanzplanung für die Jahre 2007 bis 2013 zum Abschluss bringen. Im Juni hatten sich die Briten vor allem den Unmut der neuen Mitgliedsländer zugezogen, deren Strukturhilfen ohne Finanzplanung blockiert wären. Er fühle sich den Neulingen als Ratspräsident besonders verpflichtet, erklärte Blair letzte Woche in Straßburg. "Aber die Chancen steigen, wenn wir uns vorher über die Richtung einig sind."

Dieses Ziel wurde vergangene Woche in Hampton Court nicht erreicht. Stattdessen flackerte der Streit über Handelskommissar Mandelsons Mandat bei der Welthandelsrunde wieder auf. Frankreichs Präsident Jacques Chirac drohte mit einem Veto, wenn die Kommission weitere Zugeständnisse bei den Agrarsubventionen anbieten sollte. Kommissionspräsident Barroso lobte dennoch die freundschaftliche Atmosphäre des Treffens. Für den Dezembergipfel setzte er allerdings deutliche Maßstäbe: "Der richtige Rahmen für eine Einigung über den EU-Haushalt ist nun gesetzt. Der Erfolg des Dezember-Gipfels wird daran gemessen werden, ob die britische Präsidentschaft einen Kompromiss erreichen kann."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.