Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 44 / 31.10.2005
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Mirko Heinemann

Einfach die Meinung gesagt

Eine typische Politikerkarriere
Demokratische Errungenschaften der westlichen Welt wie Wahlen und Mitbestimmung bringen Jugendlichen mit Migrationshintergrund wenig, wenn sie sie nicht selbst anwenden können. Sie erhöhen eher den Frust und tragen zum Rückzug in die eigene Community bei. Nur eine Integration, die die Chancen der tatsächlichen politischen Beteilung jenseits von Wahlen erhöht, kann die Zuspitzung von Konflikten verhindern, sagt der Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer.

Die zierliche Frau mit den roten Haaren wirkt neben Lothar Bisky wie seine Tochter. Als der Vorsitzende der Linkspartei seiner Stellvertreterin das Wort erteilt, umfasst Katja Kipping mit beiden Händen das Rednerpult und schaut konzentriert ins Publikum. Sie formuliert geschliffene Sätze, ihre Stimme ist fest, der Tonfall sachlich, beinahe kühl. Als ihre Rede auf den politischen Gegner kommt, verzieht sich ihr Mund zu einem ironischen Lächeln.

Die 27-Jährige hat einen steilen politischen Aufstieg bewältigt, sie ist so etwas wie ein politischer Shooting-Star. Die Dresdnerin war Landtagsabgeordnete in Sachsen, sie ist Vorsitzende der sächsischen PDS und stellvertretende Bundesvorsitzende der Linksartei. Seit September sie Abgeordnete im Bundestag.

Das erste politische Engagement galt ihrer Schule. Kurz nach der Wende in der DDR übernahm sie das Amt der Klassensprecherin. Trotz ihres jungen Alters von damals zwölf Jahren kann man sagen, dass hier eine Art Weichenstellung für ihren Aufstieg erfolgte. Als beinahe klassisch gilt unter Politikern der Einstieg über das schulische Engagement, und selbst gestandene Staatsmänner scheuen sich nicht, bei Fragen nach den ersten politischen Erfahrungen auf ihr Amt als Klassensprecher zu verweisen. Altkanzler Helmut Kohl (CDU) machte daraus nie einen Hehl, und SPD-Chef Franz Müntefering fasste seinen politischen Lebenslauf einmal so zusammen: "Klassensprecher, Pfarrjugendführer, Generalsekretär der SPD."

Auch für Katja Kipping war frühes Engagement einfach logisch. "Ich habe meine Meinung kundgetan, wollte mich immer einbringen. Und, wie es so ist: Wer sich einbringt, wird auch vorgeschlagen." Aus der Klassensprecherin wurde bald eine Schülersprecherin - mit ausgeprägten politischen Ansichten: "Je älter ich wurde, desto klarer wurde mein Empfinden, dass der Kapitalismus nicht die letzte Antwort auf die Fragen der Geschichte ist."

Doch zunächst wollte Katja Kipping ihre Schule verändern. Schulbesuch sollte mehr sein als die Vermittlung von Lerninhalten: "Ich wollte mehr Freizeitgestaltung an der Schule. Ich wollte, dass es Projekttage gab, dass Klassenfahrten stattfanden." Als in Dresden über eine stadtnahe Autobahn diskutiert wurde, initiierte sie eine Abstimmung von 16- bis 18-jährigen Schülern. Nur knapp sei sie damals einem Schulverweis entgangen.

Nach der Schule begann Kipping ein Studium der Slawistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaft an der Technischen Universität Dresden. Dort beteiligte sie sich Ende 1997 an Studentenprotesten zur Verbesserung der Studienbedingungen. Auch hier wäre es logisch gewesen, sich im Studentenrat der Hochschule zu engagieren - das aber kam für Katja Kipping nicht infrage. Die Haltung des Gremiums während der Studentenproteste sei ihr zu staatstragend gewesen. "Ich wollte ja eine grundlegende Veränderung des Staates."

Keine leichte Entscheidung

Stattdessen fällte sie aus Enttäuschung über die abflauenden Studentenproteste die Entscheidung, in die PDS einzutreten. Keine leichte Entscheidung. "Ich hatte Ressentiments, die ja nicht ganz unbegründet sind. Zum Beispiel, dass Parteien Filter für Macht sind, oder dass es dort hierarchische Strukturen gibt." Nicht so viel Kopfzerbrechen hat ihr offenbar bereitet, dass sie ausgerechnet der Nachfolgeorganisation der SED beitrat. Als Schülersprecherin und Umweltaktivistin sei sie immer wieder auf die PDS gestoßen. "Als es darum ging, das Straßenbahnensystem zu erhalten, hat die PDS ein Bürgerbegehren durchgepowert. Dieses Streiten für Umweltziele in Verbindung mit der direkten Demokratie, obwohl man in der Opposition war - das fand ich interessant."

Die Erfahrungen der älteren PDS-Mitglieder wolle sie "nicht als Belastung, sondern als Bereicherung sehen", sagt sie. Der hohe Altersdurchschnitt blende aus, "dass wir in den Großstädten und an den Hochschulen sehr viele Jugendgruppen haben". Wie auch immer: Für die PDS in Sachsen war die talentierte, junge Frau ein Glücksfall.

Ein Jahr nach ihrem Parteieintritt amtierte sie bereits als Stadträtin in Dresden - da war sie gerade 21 Jahre alt. Nach der Wahl in den Sächsischen Landtag im September 1999 wurde Katja Kipping verkehrspolitische Sprecherin, Schatzmeisterin der PDS-Fraktion und Sprecherin des Fahrgastbeirates der DB Regio Sachsen. Seit 2003 ist sie Stellvertretende Bundesvorsitzende der PDS, im gleichen Jahr schloss sie ihr Studium ab. Im September 2004 wurde sie erneut in den sächsischen Landtag gewählt.

Den Gang durch die Institutionen hat die junge Frau souverän gemeistert. Anfangs habe sie öfter die Erfahrung machen müssen, abfällig behandelt oder unterschätzt zu werden. "Junge, gut aussehende Frau, na ja. Da gibt es noch die klassischen Wahrnehmungsmuster." Inzwischen hat Katja Kipping die Linkspartei Sachsens geprägt wie niemand anders. So stark, dass mancher beinahe Angst hat vor dem Einfluss, den die junge Frau in den vergangenen Jahren entwickelt hat.

Nun ist sie in Berlin angekommen, in der Bundespolitik. Auf die junge Bundestagsabgeordnete warten neue Herausforderungen.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.