Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 45 / 07.11.2005
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Ulrike Schuler

Iraks Schatten in Washington

Die Bush-Regierung in der Krise
Die Regierung Bush steckt in der vielleicht schwersten Krise ihrer Amtszeit. Nachdem ein Sonderermittler gegen den Stabschef von US-Vizepräsident Richard Cheney, Lewis Libby, Anklage wegen Meineides, Falschaussage und Behinderung der Justiz im Zusammenhang mit der Enttarnung der CIA-Agentin Valerie Plame erhoben hat, ist Libby zurückgetreten. Der Politiker gilt als einer der Architekten des Irak-Krieges.

Bei den Ermittlungen geht es nicht nur um die in den USA strafbare Handlung der vorsätzlichen Enttarnung einer Agentin, sondern auch darum, ob sich Mitarbeiter des Weißen Hauses am Ehemann von Plame, Joseph Wilson, rächen wollten. Der Ex-Botschafter hatte der Behauptung, Irak habe versucht, sich im Niger waffenfähiges Uran zu beschaffen, widersprochen und der US-Regierung vorgeworfen, Fakten aufzubauschen, um den Irak-Krieg zu rechtfertigen.

Da auch gegen Bush-Chefberater Karl Rove ermittelt wird, ist die Regierung in Washington personell erheblich geschwächt und die Zustimmung der Bürger zur Amtsführung von Bush sackte auf ein Rekordtief. Bush hat eine ganze Reihe von Schlappen hinter sich: Seine Kandidatin für den Obersten Gerichtshof, Harriet Miers, zog sich zurück, sein Missmanagement beim Hurrikan "Katrina" war Anlass für heftige Kritik, und im Irak wurde kürzlich der zweitausendste gefallene US-Soldat gezählt.

Das Thema Irak-Krieg wirft auch noch auf ein anderes Mitglied der Regierung Bush immer wieder seine Schatten: Gegen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld soll neben dem ehemaligen CIA-Chef George Tenet und hochrangigen US-Militärs wegen der Folter im irakischen Gefängnis Abu Ghraib "zu gegebener Zeit" erneut von Deutschland aus Strafanzeige gestellt werden. Auch wenn im Februar eine erste Anzeige, die der Berliner Anwalt Wolfgang Kaleck im Namen der New Yorker Bürgerrechtsorganisation "Center for Constitutional Rights" (CCR) erstattete, vom Generalbundesanwalt abgelehnt wurde und ein Antrag auf Klageerzwingung ebenfalls scheiterte, soll die Akte Rumsfeld keineswegs zugeklappt werden.

Rund ein Jahr nach Einreichung der ersten Strafanzeige gebe es heute einen neuen Informationsstand: "Inzwischen sind weitere Erkenntnisse darüber veröffentlicht worden, dass die Gefangenenmisshandlungen einerseits systematisch waren und andererseits - zumindest teilweise - von oben angeordnet wurden. Es gibt eine Reihe von internen Untersuchungen, aber auch Buchveröffentlichungen und Artikel", sagt der Vorsitzende des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins, Kaleck. Im Irak würden derzeit bei den diversen Untersuchungen durch US-Stellen keine Vernehmungen der direkt betroffenen misshandelten Personen vorgenommen. "Da droht ein Beweisverlust, und die deutschen Strafverfolger müssten in die Bresche springen und die Opfer im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens vernehmen", sagt der Anwalt.

Kaleck hat nach Beratungen mit dem CCR in New York noch eine andere Möglichkeit ins Visier genommen, um zu Ermittlungen gegen Rumsfeld zu kommen. Der Anwalt will sich an einen UN-Sonderermittler wenden, um eine Untersuchung des Umgangs deutscher Justizbehörden mit dem Fall Rumsfeld zu beantragen. "Wir sind der Auffassung, dass die Bundesrepublik Deutschland ihren internationalen Verpflichtungen hinsichtlich der Strafverfolgung von Menschenrechtsverletzungen nicht nachgekommen ist. Das Verfahren ist zu Unrecht ohne Ermittlungen eingestellt worden", begründet Kaleck.

Die Handhabe, auf die Kaleck setzt, ist das Völkerstrafgesetzbuch, mit dem Straftaten geahndet werden können, auch wenn sie im Ausland begangen wurden: "Es geht um Kriegsverbrechen gegen Personen nach Paragraf 8 des Völkerstrafgesetzbuches." Wer im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt "eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person grausam oder unmenschlich behandelt, indem er ihr erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, insbesondere sie foltert oder verstümmelt" werde mit einer Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft, heißt es im Gesetz. Und: Militärische Befehlshaber und zivile Vorgesetzte, die ihre Untergebene nicht daran hindern, Kriegsverbrechen zu begehen, sollen genauso wie die Täter bestraft werden (Paragraf 4). "Kriegsverbrecher sollten sich in Zukunft nirgendwo mehr sicher fühlen können", kommentiert Kaleck.

Deutschland hat mit dem seit 2002 geltenden Völkerstrafrecht eine im Vergleich zu anderen Nationen relativ umfassende Gesetzgebung - ein Grund für die Anzeige in der Bundesrepublik. Zudem gebe es einen territorialen Bezug, da vier der namhaft gemachten zehn Beschuldigten in Deutschland stationiert seien, und damit gebe es eine besondere Verpflichtung für die Bundesrepublik, Ermittlungen einzuleiten, ist der Berliner Anwalt überzeugt.

Viel skeptischer sieht das der Völkerrechtler Alexander Lorz. Der Professor der Universität Düsseldorf hatte schon der ersten Anzeige gegen Rumsfeld keine Aussicht auf juristischen Erfolg ausgerechnet und hält den Vorstoß für "eine reine PR-Aktion". "Daran wird auch eine neue Anzeige nichts ändern", sagt Lorz und äußert den Verdacht, dass die Aktion von Kaleck und CCR nur als Mittel zum Zweck genutzt würde, um ein Medienecho zu bewirken.

Auch die Bundesanwaltschaft gab sich nicht überzeugt von Kalecks Argumentation, als sie es ablehnte, Ermittlungen einzuleiten. Die Verpflichtung zur Verfolgung von Straftaten nach Völkerstrafgesetzbuch sei in abgestufter Weise geregelt und ein Drittstaat wie Deutschland müsse nur aktiv werden, wenn die Strafverfolgung durch vorrangig zuständige Staaten oder einen internationalen Gerichtshof nicht gewährleistet werde, heißt es in der Begründung von Bundesanwalt Kay Nehm. "Hier bestehen keine Anhaltspunkte, dass die Behörden und Gerichte der Vereinigten Staaten von Amerika wegen der in der Strafanzeige geschilderten Übergriffe von strafrechtlichen Maßnahmen Abstand genommen hätten oder Abstand nehmen würden", schreibt die Bundesanwaltschaft.

Schließlich würden bereits mehrere Verfahren gegen Tatbeteiligte wegen der Vorgänge in Abu Ghraib durchgeführt. Zu einer neuen Anzeige und ihren Chancen wollte die Bundesanwaltschaft keine Stellung beziehen. Man warte erstmal ab, bis die Anzeige ins Haus komme, hieß es aus Karlsruhe.

Die Bundesanwaltschaft habe ihre Entscheidung vom Februar 2005, kein Strafverfahren einzuleiten, ausschließlich auf das Argument gestützt, dass in den USA zu dem "Komplex Abu Ghraib" Ermittlungen stattfänden, kritisiert Kaleck: "Das ist insofern richtig, als dass gegen ein gutes Dutzend niedrigrangiger Soldaten tatsächlich Militärgerichtsverfahren eingeleitet und mittlerweile bis auf eins abgeschlossen worden sind. Aber rechtlich ist die Einstellung falsch, weil es darum geht, die Verantwortlichkeit der zivilen und militärischen Vorgesetzten aufzuklären. Genau das wird in den USA nicht getan."

Eine Sicht, die verschiedene Menschenrechtsorganisationen teilen. "Ein paar niedrigrangige US-Soldaten sind strafrechtlich verfolgt und bestraft worden, aber was ist mit der Rolle der höheren Ränge, einschließlich beispielsweise dem US-Verteidigungsminister?", fragte Irene Khan, Generalsekretärin von Amnesty International, im April dieses Jahres.

Da Kaleck auch für die Zukunft nicht erwartet, dass die USA anfangen, die obersten Vorgesetzten der an Folter beteiligten US-Soldaten strafrechtlich zu verfolgen, macht für ihn eine erneute Anzeige Sinn: "Sobald für alle Beobachter eindeutig ist, dass die Ermittlungen in den USA nur auf niedrigrangige Soldaten beschränkt sind, ist der Weg frei für Ermittlungen in Deutschland. Wir gehen davon aus, dass das in den nächsten vier bis zwölf Monaten der Fall sein wird."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.