Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 45 / 07.11.2005
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Felix Lee

Bis zu 16 Prozent in den Hochburgen im Osten

Bei der Bundestagswahl 2005 erzielte die NPD ihr bestes Ergebnis seit 1969
Vor einem Jahr auf dem NPD-Parteitag im thüringischen Leinefelde: In einem Nebenzimmer der Stadthalle saßen die Parteistrategen von NPD und DVU und klamüserten aus, welcher nächste Schritt nun ansteht. Im Blick hatten sie die Bundestagswahl 2006. Doch nicht um die "Erstürmung des Reichstags" ging es ihnen - zeitgleich zur Parlamentswahl war ursprünglich auch die Wahl in Mecklenburg-Vorpommern angesetzt. Einen provokanten Bundestagswahlkampf wollten die NPD-Strategen deshalb führen, damit beim Einzug in den Schweriner Landtag nichts schief geht.

Nun muss die NPD ihren Landtagswahlkampf im nordöstlichen Bundesland ohne das Getöse einer Bundestagswahl bestreiten. Und doch: Ganz so ungünstig hat sich der Wind mit der vorgezogenen Bundestagswahl nicht gedreht, wie sie zunächst befürchtet hatte.

Da ist zum einen das Gesamtergebnis: 1,6 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen konnte die rechtsextreme Partei bundesweit für sich verbuchen - zwar weit entfernt, um von einem Einzug in den Bundestag auch nur zu träumen. Trotzdem können sich die Parteikader über das Ergebnis glücklich schätzen. Nicht nur, dass sie vor ihrer Klientel prahlen können, ihr bestes Ergebnis seit 1969 eingefahren zu haben. Zu den bisherigen Staatsgeldern von rund 1,5 Millionen Euro pro Jahr fließen nun eine weitere halbe Million Euro an Wahlkampfkostenerstattung in die Parteikasse. Was aber viel schwerer wiegt: Anders als beim Aufschrei vor einem Jahr, als in Sachsen 9,2 Prozent der Stimmen an die NPD gingen, glaubt der Großteil der demokratischen Kräfte nun, sich beruhigt zurücklehnen zu können.

Da sind zum anderen die Ergebnisse in bestimmten Regionen. So blieb die NPD in allen westdeutschen Ländern zwar unter zwei Prozent, ihr Spitzenergebnis bekam sie im Saarland mit 1,8 Prozent, in Nord-rhein-Westfalen spielte sie überhaupt keine Rolle. Höher fielen die Ergebnisse im Osten aus: Mecklenburg-Vorpommern 3,5 Prozent, Thüringen 3,7 Prozent und in Sachsen 4,9 Prozent. Auch diese Werte sind an sich noch nicht Besorgnis erregend. Erst der Blick auf einzelne Regionen zeigt, welcher Strategie die NPD folgte. Sächsische Schweiz: 7,1 Prozent, davon 14,4 allein in Reinhardtdsdorf-Schöna, wo der NPD-Landtagsabgeordnete Uwe Leichsenring kandidierte; im vorpommerschen Neuenkirchen erhielt die NPD gar 16,3 Prozent. Während im Westen ganze Landstriche von NPD-Plakaten verschont blieben, waren in ausgewählten Regionen im Osten die Rechtsextremisten umso erfolgreicher. In einigen dieser Hochburgen gab es sogar mehr Erststimmen als Zweitstimmen - ein sehr unübliches Wahlverhalten, gelten die Erststimmen an Kleinparteien als verschenkt. So wählten in der Sächsischen Schweiz 7,8 Prozent den Direktkandidaten, auf die Zweitstimmen entfielen 7,1 Prozent. Ähnlich im Weimarer Land (5,1 zu 4,4) und im benachbarten Triptis (5,0 zu 4,6).

Anscheinend wurde die NPD in einigen Orten nicht nur aus programmatischen Gründen gewählt, sondern mit einem konkreten Gesicht verbunden, interpretiert der Politologe Hajo Funke von der Freien Universität Berlin das Resultat. "Die Ergebnisse deuten auf eine erhebliche Verwurzelung der Partei im politischen Alltag hin", so der Politologe. Das zeige, dass die NPD nicht nur bei den rechten Jugendszenen etabliert ist, sondern längst auch regionale Anerkennung erworben hat. Funke spricht von einem "Biedermanngesicht".

Und genau darum geht es den Rechtsextremisten. Anders als noch vor wenigen Jahren kämpft die NPD inzwischen nicht mehr so sehr um Parlamentsposten oder mehr Entscheidungsmacht in parlamentarischen Gremien. "Die NPD ist eine systemoppositionelle Partei und lehnt den Parlamentarismus ab", sagt der Magdeburger Rechtsextremismusexperte David Begrich. Das unterscheide sie auch von anderen Parteien. Der Parteivorsitzende Udo Voigt selbst bezeichnet seine Strategie als "Kampf um die Straßen, Köpfe und Herzen".

Dazu passt, dass die Erfolge der NPD eigentlich in eine Zeit fallen, in der Parteien in der rechtsextremen Szene bundesweit an Bedeutung verloren hatten. Trotz des Stimmenzuwachses bei den Wahlen in Sachsen, Brandenburg und auch im Saarland und Schleswig-Holstein hatte weder die NPD noch die DVU genügend Personal, flächendeckend die Wahlkämpfe zu stemmen. Die Republikaner spielen bereits seit mehreren Jahren so gut wie keine nennenswerte Rolle mehr. Die NPD ging bei den Wahlen in Brandenburg vor einem Jahr auch nur deswegen die "Volksfront" mit der DVU ein, weil es ihr in der Mark schlicht an Kandidaten fehlte. In Sachsen war es andersherum. Erst nach und nach erkannten die Führungskader sowohl der NPD als auch der DVU: Was die rechtsextremen Parteien aus der Not geboren zusammengeschweißt hat, entpuppte sich als erfolgreiche Strategie.

Von den drei Parteien bleibt vor allem die NPD der Nutznießer. Sie hatte sich mit der "Auschwitz-Lüge" insbesondere in den vergangenen Jahren programmatisch als erstes gegenüber extremen Nationalisten geöffnet. Sie war es, der es gelang, den Unmut gegen Hartz IV und den Sozialreformen nationalsozialistisch zu interpretieren und mit fremdenfeindlichen Forderungen wie die Ausgliederung aller Ausländer aus dem Sozialversicherungswesen auch Protestwähler an sich zu binden, die ihre Stimme genauso der Linkspartei.PDS geben würden. Seitdem die NPD-Strategen den Schulterschluss mit militanten Kameradschaften üben, verstehen sie sich nicht mehr nur als parlamentarischer Arm einer rechten Bewegung, sondern als Speerspitze. "Die NPD-Führung ist gewillt, endgültig den Weg zu einer Volksbewegung einzuschlagen, bei der die Organisationsform in der Frage nationaler Fundamentalopposition eine untergeordnete Rolle spielt", heißt es in einer Stellungnahme des NPD-Präsidiums. "Es kommt nicht so darauf an, die Deutschen in eine Partei zu integrieren, sondern diese zunächst einmal grundsätzlich für den Kampf um unser Volk zu gewinnen." Weg vom Parlamentarismus, hin zur Bewegung mit dem Ziel einer nationalen Revolution - so beschreibt Begrich die Entwicklung der NPD. Nicht die Mitgliederzahl, die Stimmenanzahl oder das Parteiprogramm sind bedeutend, sondern ob es ihnen gelingt, Identitätsbedürfnisse ganzer Bevölkerungsschichten zu bedienen.

Um ein stabiles Stammklientel aufzubauen, bediene sich die NPD in Sachsen inzwischen ähnlicher Mittel wie es die PDS im Osten Anfang der 90er-Jahre erfolgreich getan hat, sagt Begrich. Sie mache Arbeit im vorpolitischen Raum. Es hindere die anderen Parteien zwar nicht, das Gleiche zu tun. Doch hätten alle anderen Parteien das Problem, bloß als Dependancen der West-Parteien wahrgenommen zu werden.

Doch ob die Strategie der NPD bis zu den Landtagswahlen in einem Jahr tatsächlich auch auf Mecklenburg-Vorpommern übertragbar ist, ist keineswegs gesichert. Derzeit zumindest hat sie im nordöstlichen Bundesland noch das Problem, dass es ihr an Anhängern fehlt. In Sachsen ist sie gut bestückt - hat sie doch in den vergangenen zwei Jahren bundesweit auch ihr gesamtes Personal ins südöstliche Bundesland zusammengezogen.

In Mecklenburg-Vorpommern sieht es trotz rechtem Wählerpotenzial und einer großen Kameradschaftsszene hingegen dünn aus. Viele Neonazis sind skeptisch gegenüber der "Volksfront". Wie der "Informationsdienst gegen Rechtsextremismus" (idgr.de) berichtet, hatte Christian Worch aus Hamburg, einer der einflussreichsten Wortführer in der Kameradschaftsszene in Norddeutschland, eine vertragliche Vereinbarung gefordert. Demnach sollte die NPD 20 Prozent ihrer Wahlkampfkostenerstattung an die Kameradschaften abtreten. Die Partei soll tatsächlich dazu bereit gewesen sein. Zu der Vereinbarung kam es dann aber aus formalen Grünen nicht. Die Neonazis wollten angeblich den anvisierten Betrag bar ausgezahlt haben, während die NPD eine Abwicklung per Sachleistungen bevorzugte.

Rechtsextremismusexperte Begrich glaubt, dass die NPD es nur dann über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen wird, wenn es ihr gelingt, im Wahlkampf ein kampagnenfähiges Thema für sich zu besetzen. Vor einem Jahr war es Hartz IV. Inzwischen funkt ihnen jedoch die Linkspartei dazwischen.


Der Autor ist Redakteur der "tageszeitung" (taz).


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