Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 47 / 21.11.2005
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Interview

Hilfe geht zu oft in schwarze Kassen

Interview mit Georges Tshionza, Bürgerrechtler im Kongo
Mehr Entwicklungshilfe für Afrika ist notwendig. Doch damit sie wirklich hilft, muss sich die Entwicklungspolitik verändern, fordert der zivilgesellschaftliche Führer Georges Tshionza aus der Demokratischen Republik Kongo. "Helft Afrika, seine Regierungssysteme zu verbessern! Das ist unser größtes Problem." Tshionza leitet in Kongos Hauptstadt Kinshasa die Organisation "Seracob", die Fortbildung für zivilgesellschaftliche Basisorganisationen anbietet. Er ist Mitglied des "Nationalen Technischen Komitees" der kongolesischen Regierung zur Ausarbeitung des Armutsbekämpfungsprogramms PRSP und zuständig für die Einbindung der Zivilgesellschaf. Er leitete die landesweiten Untersuchungen des PRSP-Teams zur Erhebung von Basisdaten und -informationen zur Armut im Kongo.

Das Parlament: Die Demokratische Republik Kongo steht an ers-ter Stelle der Empfängerländer ausländischer Hilfe in Afrika. Wird diese Hilfe korrekt eingesetzt?

Georges Tshionza: Nein. Das Geld landet über die Ministerien für Finanzen und Haushalt und die Zentralbank bei der Regierung. Über 50 Prozent des Staatshaushaltes kommt aus dem Ausland, aber die Bevölkerung spürt davon nichts. Ihre Lebensumstände werden nicht besser, die Gehälter im öffentlichen Dienst werden nicht angehoben, es entstehen kaum Arbeitsplätze oder eine Infrastruktur. Die Regierung investiert Geld in Gebäude und Flugzeuge, aber sie investiert nicht für die Bevölkerung.

Das Parlament: Liegt das an schlechtem Willen oder ist es ein strukturelles Problem?

Georges Tshionza: Es ist kein schlechter Wille, sondern mangelnde Kapazität. Im Jahr 2004 war es so, dass bis Oktober erst zehn Prozent des internationalen Armutsbekämpfungsfonds (eingesparter Schuldendienst aus Schuldenerlassprogrammen, der stattdessen vom Staat für Armutsbekämpfung ausgegeben werden soll - d. Red.) abgerufen waren. Außerdem befinden wir uns in einer politischen Übergangsphase, die droht, blockiert zu werden. Die Kriegsparteien haben gemeinsam den Krieg beendet, aber sie verwalten nicht gemeinsam den Staat. Sie haben den Staat und seine Einnahmequellen unter sich aufgeteilt. Es gibt keine zentrale Autorität, Entscheidungsprozesse verlaufen sehr schwerfällig, und unser Staatschef steht unter Kontrolle von Leuten, die ihn ausnutzen und manipulieren.

Das Parlament: Was würden Sie einer Geberregierung raten, die dem Kongo verstärkt helfen will?

Georges Tshionza: Zum einen muss es ein Partnerland sein, das nicht selber die Ressourcen des Kongo ausbeutet. Die jetzigen Partner haben oft eigene Interessen im Land. Zum zweiten muss man mit den Autoritäten im Land eine harte und deutliche Sprache sprechen. Unser größtes Problem ist eine schlechte Regierungsführung, die Macht missbraucht und korrumpiert. Die größte Hilfe, die das Ausland uns bringen kann, ist nicht Geld, sondern die Verbesserung der Regierungsführung.

Das Parlament: Müssen die Geberländer also den Regierenden im Kongo die Regierungsgewalt entziehen und es selber machen?

Georges Tshionza: Das habe ich nicht gesagt. Wir wollen bessere Kontrollmechanismen, damit es sowohl nach innen wie nach außen Transparenz gibt. Unser Parlament muss nachvollziehen können, welche Staatsausgaben wohin fließen. Im Moment ist es so, dass viel Geld von der Zentralregierung an die Provinzregierungen geht, aber spätestens dort hört die Transparenz auf. Die Provinzgouverneure nutzen das Geld als schwarze Kasse. Sie geben es ihren Freunden. Es ist eine Katastrophe.

Das Parlament: Sie haben im Kongo nationale Untersuchungen zur Armut durchgeführt, deren Ergebnisse in ein neues nationales Armutsbekämpfungsprogramm einfließen sollen. Was haben Sie festgestellt?

Georges Tshionza: Wir haben nach Untersuchungen in 470 Gemeinden im ganzen Land elf Grundprobleme identifiziert, die die Menschen immer wieder nennen. Korrumpierbare, undemokratische Regierungsführung ist dabei eines der wichtigsten, von dessen Lösung 80 Prozent des Restes abhängt. Die anderen Probleme sind: Zerfall der Verkehrswege, Ernährungsunsicherheit, Unsicherheit an Leib, Leben und Eigentum überhaupt. Hinzu kommen Arbeitslosigkeit, Menschenrechtsverletzungen, starker Rückgang der kommerziellen Agrarproduktion, sehr niedrige Haushaltseinkommen und die Marginalisierung benachteiligter Gruppen wie Kinder, Flüchtlinge, HIV-Infizierte. Aber eine schlechte Regierungsführung ist der Hauptgrund für diese Probleme. Das heißt: Die Geber müssen besser kontrollieren, wo ihre Hilfe ankommt.

Das Parlament: Ist das ein spezifisches kongolesisches Problem oder gilt das für Afrika insgesamt?

Georges Tshionza: Es ist kein spezifisch kongolesisches Problem. Hilfe für Afrika ist gut, und Afrikas Schulden müssen erlassen werden. Die Gegenleistung muss aber gutes Managament und Einsatz der Hilfe zur Armutsbekämpfung sein. Bisher gibt es in Afrika noch nicht viel Veränderung. Überall gibt es eine Nomenklatura, die an der Macht klebt, die Wahlen fälscht, die die Bürger korrumpiert und einschüchtert. Helft Afrika, seine Regierungssysteme zu verbessern! Das ist unser größtes Problem. Es ist nicht normal, dass Leute, die Steuern für den Staat eintreiben müssen, selber nicht bezahlt werden. Man muss verhindern, dass Gelder aus Schuldenerlassprogrammen nur den Mächtigen nützen.

Das Parlament: Es gibt ja dafür die HIPC-Programme, wonach Gelder aus dem Schuldenerlass in Armutsbekämpfungsprogramme fließen müssen, deren Inhalt von Gebern und Empfängern gemeinsam ausgearbeitet wird. Kann das etwas bringen oder ist das ein rein technokratischer Ansatz?

Georges Tshionza: Es besteht die Gefahr, dass das ein rein technokratischer Ansatz wird. Die Idee ist gut, aber man braucht dafür vier Partner, nicht zwei - nicht nur die Regierungen von Geber- und Empfängerländern, sondern im Empfängerland auch Privatsektor und Zivilgesellschaft. Im Kongo haben wir dafür ein HIPC-Komitee. Es hat sich nur einmal getroffen. HIPC-Gelder fließen in die Bürobauten von Ministerien, aber niemand kontrolliert den Mittelabfluss. Jetzt will die Regierung mit HIPC-Geldern die Gehälter im öffentlichen Dienst zahlen. Es muss dafür Kontrollen geben. Sonst wird auch das eine schwarze Kasse, aus der sich die Regierenden bedienen.

Das Parlament: Gibt es Länder in Afrika, wo das besser funktioniert?

Georges Tshionza: Es gibt kein Land, wo die Zivilgesellschaft wirklich an der Kontrolle der Verwendung von HIPC-Geldern beteiligt ist. In Kamerun wird sie nicht an den Entscheidungsprozessen beteiligt, sondern sie kriegt daraus selber Geld und macht damit was sie will. In Ruanda realisiert die Regierung mit den HIPC-Geldern Entwicklungsprojekte, aber die Zivilgesellschaft hat überhaupt nichts zu sagen. Bei uns ist das Besondere, dass die sozialen Bereiche davon gar nichts haben. Das Geld geht in die staatlichen Verwaltungsapparate, die unter Kontrolle der einstigen Kriegsparteien stehen.

Das Parlament: Haben Sie den Eindruck, dass die unterschiedlichen Geber eine harmonisierte Politik gegenüber dem Kongo fahren?

Georges Tshionza: Nein, überhaupt nicht. Es gibt zwar multilaterale Strukturen zur Harmonisierung bei der Weltbank und beim UN-Entwicklungsprogramm UNDP. Aber diese beiden sind wiederum völlig unterschiedlich. Die Weltbank interveniert direkt auf Minis-terialebene oder bei der Zentralbank, das UNDP integriert systematischer die verschiedenen kongolesischen Akteure. Aber am schlimmsten sind die bilateralen Geber. Sie sind Klientelisten. Jeder Akteur im Kongo sucht die Gunst des einen oder anderen bilateralen Partners, jeder bilaterale Geber sucht nach Partnern für sich allein, deren Schwächen er ausnutzen kann.


Das Interview führte Dominic Johnson


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.