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Nr. 47 / 21.11.2005
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Rüdiger Köhn

Maschinenbau hält das Schild "Made in Germany" hoch

Die wichtigste Exportbranche kämpft gegen internationale Konkurrenz
Thomas Keidel liebt die unverhohlene Ansprache. Der Geschäftsführende Gesellschafter der Göttinger Mahr Holding ruft seine Kollegen aus dem Maschinen- und Anlagenbau offen auf, in ihren Unternehmen Bündnisse für Arbeit mit den Arbeitnehmern zu schließen. Keidel ist bewusst, dass sich Vereinbarungen auf betrieblicher Ebene rechtlich in einer Grauzone bewegen: "Ich weiß, dass solche Bündnisse eigentlich illegal sind." Schließlich widersprechen sie den Tarifverträgen, die zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften geschlossen worden sind. Doch der Chef von Mahr setzt auf "Legalisierung durch Praxis". Am Ende seien schließlich Arbeitsplätze gesichert. "Den möchte ich sehen, der sich dagegen wehrt und eine Arbeitsplatzverlagerung in Kauf nimmt", spielt er auf den Widerstand der Gewerkschaften an.

Die Göttinger Carl Mahr Holding ist typisch für den deutschen Maschinenbau. Sie ist als Hersteller unter anderem von Messgeräten für die Automobilindustrie, die optische Industrie oder für die Forschung einer der größten Anbieter weltweit, obwohl sie lediglich 140 Millionen Euro Umsatz im Jahr erzielt. Sie ist mit einem Exportanteil von mehr als 60 Prozent vorrangig auf internationalen Märkten tätig. Mahr ist ein inhabergeführtes Familienunternehmen. Und es arbeitet in einem zyklischen Geschäft mit Aufs und Abs im Mehrjahresrhythmus. Schon deshalb sieht Keidel die Notwendigkeit, sich mit den Mitarbeitern auf flexible Engagements zu einigen. Mahr hatte 2003 die Wochenarbeitszeit von 35 auf 32 Stunden ohne Lohnausgleich gesenkt, was zu Gehaltseinbußen von durchschnittlich acht Prozent geführt hat. Dafür gibt es im Gegenzug Arbeitsplatzgarantien bis Mitte 2006.

Weniger typisch für die Branche: Mahr gehört mit seinen 1.500 Mitarbeitern schon zu den größeren Arbeitgebern im Maschinenbau, 900 Beschäftigte arbeiten in Deutschland. Die Gesamtbranche indes ist geprägt durch viele Kleinstfirmen (weniger als 20 Mitarbeiter) sowie zahlreiche kleine und mittelständische Unternehmen, die selten mehr als 200 Beschäftigte haben und an den deutschen Standort gebunden sind.

Wegen dieser kleinteiligen Struktur hat mittlerweile jeder Zweite der 3.000 Mitglieder im Verband des Deutschen Maschinen- und Anlagebau (VDMA) gehandelt und mit den Betriebsräten unter Umgehung der Tarifverträge Vereinbarungen getroffen. Angesichts dieser Grauzonen-Manöver ist die Legalisierung der Bündnisse für Arbeit eines der Hauptanliegen des VDMA. Der Dachverband hat auf politischer Ebene für Akzeptanz geworben. Doch die Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD haben dieses Thema vorerst ad acta gelegt.

"Wir setzen die Bündnisse in der Praxis um und bleiben Vorreiter", sagte VDMA-Präsident Dieter Brucklacher jüngst trotzig in Berlin. "Wir warten nicht auf die Politik", legte er nach. Adressiert ist das an die neue schwarz-rote Bundesregierung, weniger die Gewerkschaft, die allerdings wegen der drohenden Verluste ihrer Einflussmöglichkeiten heftig dagegen vorgeht und den verbalen Vorstoß von Mahr-Chef Keitel scharf kritisierte.

Die Stimmung ist in Deutschlands wichtigster Exportbranche angeschlagen. Dabei ist sie so erfolgreich wie selten zuvor - erfolgreicher als die Automobilindustrie, die international gerne mit BMW, Audi, Porsche oder Mercedes brilliert. Dabei ist es der Maschinenbau mit einem Exportanteil von 72 Prozent, der das Aushängeschild "Made in Germany" auf den Auslandsmärkten am höchsten hält.

Grund zum Klagen hat die Branche nicht. Die Produktion soll um vier Prozent auf 144 Milliarden Euro auf einen neuen Rekord steigen. Im nächsten Jahr erwartet der Verband noch einmal ein Wachstum von zwei Prozent. Damit wird er im dritten Jahr in Folge Zuwächse verzeichnen. Davon träumen andere Industriebranchen wie der Automobilbau. Die Auftragsbücher sind prall gefüllt. Die Produktionskapazitäten der Unternehmen sind mit durchschnittlich 88 Prozent optimal ausgelastet.

Den Boom jedoch verdankt die Branche nicht dem Inlandsgeschäft, das mangels Perspektiven partout nicht anspringen will und im Investitionsstau feststeckt. Die Aufträge für die Produktion in Deutschland kommen aus dem Ausland - vor allem aus den Vereinigten Staaten als Hauptexportmarkt, gefolgt von Frankreich, China, Italien und Großbritannien.

Nach Angaben des VDMA sind deutsche Anbieter in 21 der insgesamt 31 Fachzweige des Verbandes Marktführer, insbesondere in der Antriebstechnik, der Druck- und Papiertechnik, der Fördertechnik, den Nahrungsmittel- und Verpack-ungsmaschinen sowie der Landtechnik. Im Jahr 2004 war Deutschland drittgrößter Maschinenbauproduzent der Welt mit einem Anteil von 15 Prozent, hinter den Vereinigten Staaten (23 Prozent) und Japan (18 Prozent) - mit dem sich die Deutschen in diesem Jahr um Platz zwei streiten. Auf Rang vier folgt mit großem, aber wegen des rasanten Wachstums nicht beruhigendem Abstand China (sieben Prozent).

Die Unternehmen brillieren auf den Auslandsmärkten nicht mit Massenware, sondern zumeist mit Hochtechnologie-Produkten. Doch der Erfolg geht am deutschen Arbeitsmarkt vorbei. Neue Arbeitsplätze werden kaum geschaffen. Die Auftragsspitzen werden durch Zeit- und Leiharbeiter aufgefangen, nicht durch Festangestellte. Statt der ursprünglich für dieses Jahr geplanten 7.000 Neueinstellungen beschäftigte der Maschinenbau zur Jahresmitte mit knapp 860.000 Mitarbeiter sogar im Saldo 7.000 Mitarbeiter weniger als noch vor einem Jahr. Zwar ist die Branche nach wie vor größter industrieller Arbeitgeber in Deutschland vor der Elektrotechnik (807.000 Beschäftigte) und dem Automobilbau (773.000 Beschäftigte). Doch in der Beschäftigung schrumpft sie. Seit 2001 gingen mehr als 40.000 Arbeitsplätze verloren.

So paradox es klingt, gerade die starke Präsenz auf den internationalen Märkten treibt so manche Sorgenfalte auf die Stirn der Maschinenbauer. Das Geschäft in Deutschland, das früher oftmals Schwächen auf Auslandsmärkten kompensierte, fällt seit Jahren weg. Die Abhängigkeit vom Export steigt unaufhaltsam. Der erbitterte Wettbewerb auf den Weltmärkten schlägt so mit aller Härte durch. Der starke Euro hat die Konkurrenzsituation für die Deutschen erschwert. Die Preise für Rohstoffe wie Öl sowie für Rohmaterialien wie Stahl sind explodiert. Anbieter aus den aufstrebenden Märkten, die angesichts niedriger Löhne Kostenvorteile haben, dringen vor. Der Marktführer Deutschland kämpft zunehmend gegen die unaufhaltsame Verdrängung.

China ist der größte Herausforderer. Angebote von dort sind in der Regel weder in Qualität noch in Technologie mit denen westlicher Angebote zu vergleichen - noch nicht. Die Chinesen bieten meist Standard- und Massenprodukte an, da sie nicht über die Technologien verfügen, die den Deutschen zu ihrer Marktstellung verhelfen. Doch auch die technologischen Abstände werden in den kommenden Jahren geringer. Zum einen, weil die Chinesen unaufhaltsam Fortschritte in der Forschung und Entwicklung machen; zum anderen, weil sie Technologien aus westlichen Industrien kopieren. Deutsche Maschinenbauer sagen es drastischer: klauen.

Durchschnittlich verdienen die Firmen des Maschinenbaus nach Steuern nicht gerade üppige 2,5 Prozent ihres Umsatzes. Die Struktur der Branche lässt internationale Ausweichmöglichkeiten, wie sie deutsche Großkonzerne mit ihrer weltweiten Präsenz verfolgen, nicht zu. Der Anteil der Personalkosten ist im Maschinenbau mit 36 Prozent an den Gesamtkosten besonders hoch. In der Automobilindustrie beträgt er bestenfalls 15 Prozent. Dementsprechend stark schlagen die im internationalen Vergleich hohen Arbeitskosten in Deutschland durch. Eine Produktionsstunde kostet den Messgeräte-Hersteller Mahr hierzulande 32 Euro, in den USA 22 Euro, in Tschechien aber nur 15 Euro und in China gar zehn Euro.

Vor diesem Hintergrund sind die Forderungen nach der Liberalisierung der Tarifverträge zu sehen, die die Gewerkschaften auf den Plan rufen. Der weltgrößte Getränke- und Verpackungsmaschinenhersteller Krones aus Neutraubling sucht einen Mittelweg, indem er übertarifliche Leistungen zur Disposition stellt. "Wir haben eine variable Vergütung von 20 Prozent eingeführt, ohne einen Klassenkampf mit den Gewerkschaften losgetreten zu haben", sagt Krones-Finanzchef Hans-Jürgen Thaus. "Wir brauchen mehr Freiheit und Individualität vor Ort", fordert auch Thaus, stellt aber Tarifverträge grundsätzlich nicht in Frage. "Sie müssen die Rahmenbedingungen festlegen."

Starre Strukturen jedenfalls können seltsame Blüten treiben. Das schwäbische Unternehmen Kelch, eine traditionsreiche Werkzeugmaschinenfabrik mit einst 290 Beschäftigten, suchte wegen ihrer Probleme ein betriebliches Bündnis. Die Mitarbeiter willigten in einen Abbau von 25 Arbeitsplätzen und einer Verlängerung der Arbeitszeit auf 40 Stunden ein - nicht so die IG Metall. Kelch ging in die Insolvenz. Der Insolvenzverwalter verkaufte Kelch an ein chinesisches Staatsunternehmen, das günstig einen guten Markennamen, Zugang zur Technologie und zu einem neuen Markt erhielt. Von den verbliebenen 209 Arbeitsplätzen wurden noch einmal 31 Stellen abgebaut. Und die 40-Stunden-Woche wurde eingeführt. Es sind solche schizophrenen Vorfälle, die Thomas Keidel zu seinem unverhohlenen Aufruf veranlassen.


Rüdiger Köhn ist Redakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".


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