V. Das Dritte Reich
2. Die Ideologie der Volksgemeinschaft
Die von den Nationalsozialisten praktizierte Gleichschaltung bezieht sich nicht nur auf die politische Struktur des Reiches. Sie bezieht sich zugleich auf die gesamte Gesellschaft, die im Sinne einer vorgeblich egalitären, dabei jedoch dezidiert rassistischen Volksgemeinschaftsideologie neu formiert werden soll. Massenorganisationen wie die Hitlerjugend und der Reichsarbeitsdienst, aber auch die organisierte Freizeitbewegung "Kraft durch Freude" und die Sammel- und Spendenaktion "Winterhilfswerk" sollen soziale Unterschiede nivellieren, wobei sie jedoch in erster Linie das Ziel verfolgen, die Menschen aus gewachsenen privaten und gesellschaftlichen Bindungen zu lösen und dem umfassenden ideologischen Zugriff des Regimes auszusetzen.
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Sprachband am Brandenburger Tor für die Feiern zum 1. Mai 1936 |
Von Anfang an sind die Grenzen der nationalsozialistischen "Volksgemeinschaft" scharf umrissen. Nur wer sich uneingeschränkt zum NS-Staat bekennt und nach rassischen Kriterien als Deutscher zu betrachten ist, kann ihr angehören. In diesem Sinne heißt es im ersten der "Nürnberger Gesetze" von 1935, dem "Reichsbürgergesetz": "Reichsbürger ist nur der Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes, der durch sein Verhalten beweist, daß er gewillt und geeignet ist, in Treue dem Deutschen Reich und Volk zu dienen." Jeder andere ist gewissermaßen ein "natürlicher" Feind der Volksgemeinschaft und als solcher den Konsequenzen des nationalsozialistischen Terrorsystems ausgeliefert.
Zentrales Instrument zur Verbreitung der Volksgemeinschaftsideologie ist das von Joseph Goebbels geführte Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Es steuert die Berichterstattung in den Massenmedien, zensiert Filme, Theateraufführungen und Druckerzeugnisse und sucht die "Volksgenossen" durch die Förderung einer scheinbar unpolitischen Unterhaltung von der in vieler Hinsicht verbrecherischen Politik des Regimes und den Zumutungen ihres durchorganisierten Alltags abzulenken. Goebbels ist es aber auch, der die durch das militärische Fiasko von Stalingrad schockierte Bevölkerung am 18. Februar 1943 zum totalen Kriegseinsatz aufruft und den frenetischen Jubel der im Berliner Sportpalast versammelten Claque als Einverständnis der "Volksgemeinschaft" mit der schonungslosen Fortsetzung des Krieges auslegt.