36. Sitzung
Berlin, Freitag, den 19. Mai 2006
Beginn: 8.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
(Eröffnung der Sitzung durch Präsident Dr. Norbert Lammert)
(TOP 1: Fragestunde)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 f auf:
a) Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung
Neue Impulse für Innovation und Wachstum durch Forschung und Entwicklung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ilse Aigner, Michael Kretschmer, Katherina Reiche (Potsdam), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René Röspel, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Die technologische Leistungsfähigkeit mit dem 6-Milliarden-Euro-Programm und der High-Tech-Strategie stärken
- Drucksache 16/1546 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Carsten Müller (Braunschweig), Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René Röspel, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Innovationen für Deutschland durch das 7. Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union
- Drucksache 16/1547 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ulrike Flach, Uwe Barth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Innovationen brauchen Freiheit - Für mehr Arbeit und Wohlstand
- Drucksache 16/1532 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2006
und
Stellungnahme der Bundesregierung
- Drucksache 16/1245 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
f) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zum 6-Milliarden-Euro-Programm für Forschung und Entwicklung - Neue Impulse für Innovation und Wachstum
- Drucksache 16/1400 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, dass für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung eineinviertel Stunden vorgesehen sind. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Frau Dr. Schavan.
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Deutschlands Stärken sind weltweit anerkannt. Sie liegen in seiner hohen politischen und sozialen Stabilität, seiner leistungsfähigen Infrastruktur und seiner führenden Rolle in Europa. Deutschland ist weltweit die drittgrößte Industrienation und mit seinen technologiestarken Unternehmen seit Jahren Exportweltmeister.
Aber andere holen auf. Wer den Blick auf die Investitionen für Forschung und Entwicklung bezogen auf das jeweilige Bruttoinlandsprodukt wirft, stellt fest: Japan liegt bei 3,2 Prozent, Schweden bei 4 Prozent, Israel sogar bei 4,5 Prozent. Deshalb ist die Erreichung des 3-Prozent-Ziels bis zum Ende dieser Legislaturperiode für uns so zentral wichtig im internationalen Wettbewerb.
Sie ist auch deshalb wichtig, weil die genannten Länder uns vor Augen führen, dass neue Kraft- und Wohlstandsquellen - das haben jene Länder erkannt und das gilt auch für uns - bei Forschung und Innovation zu suchen sind.
Sie sind der Schlüssel für Zukunftsfähigkeit. Sie sind die Quelle für künftigen Wohlstand. Forschung und Entwicklung sind die neuen Kraftquellen für den Fortschritt einer Gesellschaft und sie sind vor allem die zentrale Kraftquelle für die Zukunftschancen künftiger Generationen.
Das gilt auch für den internationalen Dialog. Im internationalen Gespräch erweisen sich Wissenschaft und Forschung als die zentralen Wettbewerbsfaktoren. Um also Deutschland eine starke Position in der Forschung zu sichern, um unsere Position auszubauen, bietet die Globalisierung mehr Chancen als Risiken. Deshalb rücken Wissenschaft und Forschung zunehmend auf die vorderen Plätze der internationalen Agenda. Deshalb ist unser Ziel, dass Deutschland als größte Volkswirtschaft und Wissenschaftsnation in Europa nicht nur seinen Beitrag leistet, sondern aktiv mitgestaltet.
Von den Erfolgen profitieren wir in besonderem Maße; denn die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind unsere wichtigsten Handelspartner. Wir brauchen also einen Paradigmenwechsel in der europäischen Forschungsförderung. Die Bundesregierung hat erheblich daran mitgewirkt, die Ausgaben der EU verstärkt auf Zukunftsinvestitionen auszurichten. Insbesondere die Sozial- und Strukturfonds werden herangezogen, um Forschung und Innovationen zu finanzieren. Das Gesamtbudget für das 7. Forschungsrahmenprogramm mit seiner Laufzeit bis zum Jahre 2013 wurde im Vergleich zum 6. Forschungsrahmenprogramm auch auf Initiative der Bundesregierung deutlich erhöht. Die dafür bereitgestellten Mittel liegen im Jahr 2013 um drei Viertel über denen von 2006. Das ist das Fundament für die nächsten Jahre.
Wir nehmen auch Einfluss auf die Art künftiger Forschungsförderung, auf die Strukturen künftiger Forschungsförderung in Europa. Zu Beginn unserer europäischen Ratspräsidentschaft wird der Europäische Forschungsrat eingesetzt werden. Erstmalig gibt es ein hochkarätiges Instrument zur Förderung exzellenter Pionierforschung unter Selbstverwaltung der Wissenschaft. Wer sich in Europa ein bisschen auskennt, weiß: Das ist nicht selbstverständlich. Dieser Forschungsrat etabliert nach dem Vorbild der Deutschen Forschungsgemeinschaft erstmals eine wirklich unabhängige Forschungsförderung in Europa. Das ist die Voraussetzung für europäische Exzellenzförderung in Wissenschaft und Forschung.
So greifen also die europäische und die deutsche Forschungs- und Technologiepolitik ineinander. Das Ziel dieser Bundesregierung ist es, den Aufbau des europäischen Forschungsraumes entscheidend voranzubringen.
Für einen Paradigmenwechsel in der europäischen Forschungsförderung brauchen wir darüber hinaus ein solides inhaltliches Fundament. Ein Leitthema unserer Ratspräsidentschaft lautet deshalb: Grundlagenforschung zur Stärkung von Innovationen und für mehr Wachstum und Beschäftigung. Wir suchen die bilaterale Zusammenarbeit mit interessierten Mitgliedstaaten, um unsere Pilotprojekte für die europäische Ebene reif zu machen.
So haben wir gemeinsam mit Frankreich mehrere Projekte in Hightechfeldern vereinbart. Wir führen im Zeitraum unserer Präsidentschaft eine Reihe hochkarätiger Fachkonferenzen in Deutschland durch. Sie sind Thementreiber und wissenschaftlich-technologische Aushängeschilder für Deutschland. Dies gilt zum Beispiel für die Biotechnologie, die Nanotechnologie und die Sicherheitsforschung.
Deutschland muss für Spitzenforscher aus der ganzen Welt attraktiver werden. Deutschland wird Leitmärkte und Innovationsräume für technologische Entwicklungen schaffen. Deshalb werden die Wissenschafts-, die Forschungs- und die Technologiepolitik - die Bundeskanzlerin hat dies in ihrer Regierungserklärung angesprochen - Schwerpunkte der europäischen Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2007 sein.
Wir investieren 6 Milliarden Euro zusätzlich in Schlüssel- und Querschnittstechnologien sowie in Maßnahmen, die den Forschungsstandort Deutschland stärken.
Das heißt - diese Feststellung ist nicht übertrieben -, nie hat eine Bundesregierung so viel in Forschung und Entwicklung investiert, nie hat sie sich so intensiv mit der Frage der Umsetzung, der Konkretisierung von Innovationsstrategien beschäftigt!
Allein im Jahr 2006 - und daran ist die SPD beteiligt
- sehen Sie, es ist gar nicht so schlimm - werden zusätzlich 700 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Wir gehen damit in Vorleistung, um das 3-Prozent-Ziel zu erreichen. Von diesen 3 Prozent sollen Bund und Länder 1 Prozent aufbringen. Das ist kein leicht zu erreichendes Ziel.
Zugleich ist klar: Mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit unseres Landes gibt es dazu keine Alternative. Deshalb müssen wir auch an die Adresse der Wirtschaft sagen, sie soll jetzt nicht kleinmütig sein und sich nicht schon jetzt auf Kompromisse vorbereiten. Es darf keine Kompromisse geben. Die 3 Prozent müssen erreicht werden. Dazu muss die Wirtschaft in Deutschland einen erheblichen Beitrag leisten.
Wir müssen in Menschen und Talente investieren, Brücken schlagen von der Forschung zu den Märkten der Zukunft. Deutschland soll sich deshalb wirklich von der Bildungspolitik über die Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiepolitik zu einer Talentschmiede entwickeln, junge Talente und Exzellenz in Schule und Hochschule fördern, berufliche Bildung verbessern, Integration von Migranten mit einem wirklich klar definierten Zielpaket und Zeitplan verbessern. Wir brauchen in Deutschland jeden jungen Mann und jede junge Frau, um unser Land zukunftsfähig zu machen. Allein 90 000 zusätzliche Ingenieure sind notwendig, um das 3-Prozent-Ziel zu erreichen. Geld ist das eine, Exzellenz in der Förderung von Talenten ist das andere.
Exzellenzförderung beginnt nicht erst bei der vereinbarten Exzellenzinitiative, sie beginnt bei der Begabtenförderung. Deshalb haben wir erstmals mit diesem Haushaltsjahr die hierfür zur Verfügung stehenden Mittel erhöht. Außerdem gilt: Wissenschaft und Grundlagenforschung sind die Grundpfeiler für exzellente Innovationen. Ideen gedeihen am besten in einem Klima von Freiheit, Offenheit und intellektuellem Wettbewerb. Autonomie und Wettbewerb sind deshalb die Leitbilder unserer Wissenschaftspolitik. Ich finde, wir sollten uns in den nächsten Jahren nicht so viel mit der Frage beschäftigen, wer was am besten regelt, sondern damit, wie am besten Freiraum für junge Talente, für neue Ideen in Deutschland entsteht.
Neben der Exzellenzinitiative leistet der Pakt für Forschung und Innovation einen entscheidenden Beitrag für mehr Leistung. Im Übrigen sind die Exzellenzinitiative einerseits und der Pakt für Forschung und Innovation andererseits zwei exzellente Beispiele für eine gute Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern, in der gemeinsame strategische Ziele vereinbart werden, in der die gemeinsame Bereitschaft zum Ausdruck kommt, zu investieren. Ich bin davon überzeugt: Diese beiden Initiativen sind Beispiele für die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder im Bereich von Forschungs- und Technologiepolitik auch in den nächsten Jahren.
Der Mittelzuwachs von mindestens 3 Prozent für den Pakt für Forschung und Innovation ist auch wegen der im internationalen Wettbewerb entstandenen ungewöhnlichen Dynamik wichtig. Allein in China sind im Zeitraum von 1997 bis 2004 mehr Forscher ausgebildet worden und in ihre Arbeit eingestiegen, als die Gesamtzahl aller in Deutschland tätigen Forscher ausmacht. Wir wissen aus China, Indien und anderen Regionen der Welt, dass dort eine Dynamik entsteht, die für uns eine große Herausforderung ist und jedes Gefühl der Selbstzufriedenheit verbietet.
Deshalb darf auch nicht schon jetzt damit begonnen werden, von einem Studentenberg zu sprechen. Mehr Studierende in Deutschland sind eine Chance für dieses Land, sie sind ein Glücksfall. Deshalb brauchen wir einen Hochschulpakt 2020 zwischen dem Bund und den Ländern.
Eine Politik für Wachstum und Innovation ist ein Projekt der gesamten Bundesregierung. Deshalb danke ich meinen Kolleginnen und Kollegen für die kollegiale und, wie ich finde, zukunftsweisende Arbeit. Wir alle haben in den letzten Jahren, quer durch die Fraktionen, beklagt, dass Forschungs- und Technologiepolitik zunehmend über viele Häuser verteilt worden ist, wodurch es immer schwieriger wurde, zu einer wirklich stimmigen Politik, zu einer Politik aus einem Guss, zu kommen. Mit unserer gemeinsamen Arbeit an der Hightechstrategie wird das verändert. Wir bearbeiten gemeinsam 17 verschiedene Innovationsfelder. Dadurch bietet sich seit vielen Jahren erstmals wieder die Chance, zu einer Innovationspolitik aus einem Guss zu kommen. Dafür herzlichen Dank!
Von diesen 17 Innovationsstrategien seien drei beispielhaft genannt:
Erstens. Energieforschung. Moderne Energietechnologien sind der Schlüssel zu einer nachhaltigen Energiewirtschaft. Das ist schon beim ersten Energiegipfel deutlich geworden. Die Bundesregierung wird deshalb in dieser Legislaturperiode, im Zeitraum von 2006 bis 2009, rund 2 Milliarden Euro in diesen Bereich investieren. Die Sicherung der deutschen Spitzenstellung bei modernen Energietechnologien ist nur durch gemeinsame Anstrengungen von Staat und Wirtschaft erreichbar. Bereits jetzt hat die Industrie 2 Milliarden Euro an eigenen Investitionen zugesagt.
Das mit der Wirtschaft konzipierte Fachprogramm wird das energieoptimierte Bauen voranbringen. Daneben gibt es Modellvorhaben für Niedrigenergiehäuser. Die Diffusion neuer Technologien in den Markt wird durch das CO2-Gebäudesanierungsprogramm flankiert und beschleunigt. Die Brennstoffzellentechnologie soll zu einer verlässlichen und preiswerten Alternative für die unterschiedlichsten Anwendungsfelder entwickelt werden. In dem neuen nationalen Innovationsprogramm werden die Aktivitäten der Industrie, der Wissenschaft und der Forschung von der Grundlagenforschung bis zur Markteinführung gebündelt. Wir blicken also schärfer auf die gesamte Wertschöpfungskette. Das ist im Übrigen eine Strategie, die wir auch in den europäischen Dialog einbringen werden.
Wir bauen die Forschung zu erneuerbaren Energien aus. Mit Modellvorhaben zu Offshorewindanlagen soll der Einstieg in die Multimegawattklasse unter Hochseebedingungen getestet werden.
Deutschland darf bei der Kernenergie- und Fusionsforschung den Anschluss an den internationalen wissenschaftlichen Standard nicht verlieren.
Der Ausstiegsbeschluss ist das eine. Er kann aber nicht bedeuten, dass wir jedwedes Know-how in diesem technologischen Bereich verloren gehen lassen.
Es ist deshalb richtig, dass das Bundesumweltministerium und mein Haus einen Schwerpunkt auf die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses im Bereich des Strahlenschutzes, der Kernenergiesicherheit sowie der Erforschung von Schlüsseltechnologien für die europäische Kernfusionsversuchsanlage ITER legen. Dazu gehört auch die Entwicklung einer neuen Generation von Kohle- und Gaskraftwerken. Sie sollen hocheffizient arbeiten, das heißt, die Anlageneffizienz muss sich innerhalb der kommenden 15 Jahre um 20 Prozent verbessern, sie sollen CO2-emissionsfrei werden und damit wesentliche Beiträge zum Klimaschutz leisten.
Zweitens. Gesundheitsforschung. Die demografische Entwicklung mit einer steigenden Lebenserwartung wird eine zunehmende Herausforderung für die medizinische Forschung. Die aktuellen Debatten zur Gesundheitsreform machen deutlich, dass der Beitrag der medizinischen Forschung zu einem zukunftsfähigen Gesundheitssystem für alle an Bedeutung gewinnt.
Medizinische Forschung soll die Vorbeugung, Diagnose und Heilung von Krankheiten verbessern. Wir müssen die Forschung in diesem Bereich so optimieren - das wird der zentrale Gedanke der Innovationsstrategie im Bereich der Gesundheitsforschung sein -, dass die Ergebnisse dieser Forschung von der medizinischen und pharmazeutischen Industrie rascher genutzt werden können. Klinische Forschung wird gestärkt. An Kliniken werden Behandlungs- und Forschungszentren ausgebaut. Das ist das Herzstück der Gesundheitsforschung in den nächsten Jahren. Damit wird das Know-how in unserem Land erhalten. Denn wer hier forscht, hat auch einen hohen Anreiz, in Deutschland zu produzieren.
In ihr Gesundheitsforschungsprogramm investiert die Bundesregierung jährlich rund 150 Millionen Euro, um Krankheitsursachen zu ergründen, wirksame Behandlungsmethoden zu entwickeln, Prävention und Gesundheitsvorsorge sowie den Transfer von Forschungsergebnissen ins Gesundheitswesen zu verbessern. Damit leisten wir auch auf Forschungsebene einen wirksamen Beitrag zu einem leistungsfähigen und finanzierbaren Gesundheitswesen.
Drittens. Biotechnologie. Für den Durchbuch in der Biotechnologiebranche setzen wir ein sichtbares Signal, damit Deutschland in Europa führend wird hinsichtlich Umsatz und Beschäftigtenzahlen. Auch hier gilt: Deutschland muss Talentschmiede für wissenschaftlichen Spitzennachwuchs sein und Gründungen ausbauen. Wir müssen in unserem Land Exzellenzcluster etablieren, zum Beispiel in der Forschung mit adulten Stammzellen und in der Weißen Biotechnologie. Wir müssen den Technologietransfer beschleunigen und alle unsere Aktivitäten immer auch auf die Beseitigung von Wachstumsbremsen ausrichten.
Unser Ziel ist die Erschließung des vollen Potenzials der Biotechnologie innerhalb vieler Industriezweige: in der Pharma-, Chemie- und Lebensmittelindustrie, in der Energiewirtschaft und in der Landwirtschaft. Mit den Bio-Regios haben wir in der Clusterpolitik gute Erfahrungen gemacht. Daran werden wir anknüpfen. Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, legen wir einen besonderen Schwerpunkt auf die Herausbildung von Innovationsclustern.
Im Hinblick auf diese 17 Innovationsfelder stellt sich sofort die Frage: Wie erreichen wir - auch das muss und wird Teil des Programms sein, das wir im Sommer vorlegen -, dass es weitere Anreizsysteme für mehr Investitionen der Wirtschaft in Forschung und Innovation gibt? Es liegt eine Reihe von Vorschlägen auf dem Tisch, zum Beispiel die Einführung einer Forschungsprämie. Ich bin davon überzeugt: Wir müssen in den nächsten Wochen und Monaten darüber Entscheidungen treffen; denn auch dieser Bereich ist Voraussetzung dafür, dass das 3-Prozent-Ziel in Deutschland erreicht werden kann.
Ein gutes Beispiel für eine neue Kultur der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft sind die „Partner für Innovation“. Von deren Vorschlägen sind 16 Projekte bereits realisiert. 52 Projekte werden derzeit hinsichtlich ihrer möglichen Umsetzungen geprüft. Die Bundesregierung intensiviert diesen begonnenen Dialog weiter. Es gibt einen Dialog zum einen mit dem Rat für Innovation und Wachstum und zum anderen mit einer „Forschungsunion Wissenschaft - Wirtschaft“ beim BMBF, die am 23. Juni ihre Arbeit aufnimmt. An der Spitze stehen der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Professor Bullinger, sowie der Präsident des Stifterverbandes, Herr Dr. Oetker. Das wird den kontinuierlichen Dialog zwischen Wirtschaft und Wissenschaft fördern.
Wirksame Umsetzung von Strategien setzt voraus, von Beginn an zu gemeinsamen Strategien zwischen Wirtschaft und Wissenschaft zu kommen. Ich bin den Vertretern der Wissenschaft und der Wirtschaft sehr dankbar dafür, dass wir in den nächsten Monaten, wenn es um die Weichenstellungen auf den 17 Innovationsfeldern gehen wird, zu einem Dialog kommen. Dieser Dialog soll kein allgemeines Gespräch über das sein, was sein müsste, sondern muss in Zielvereinbarungen über Investitionen seitens der Wirtschaft münden.
Mit Blick auf Innovationshemmnisse im Bereich des Mittelstandes steigert die Bundesregierung die Fördermittel für Forschung und Entwicklung im Mittelstand überproportional. Sie erleichtert kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zu Fachprogrammen und öffnet neue Wege der Innovationsfinanzierung als neue Möglichkeiten, bisherige Innovationshemmnisse im Mittelstand abzubauen. Wir wissen, dass das Potenzial in den kleineren und mittleren innovativen Unternehmen noch nicht voll ausgeschöpft ist.
Die Grundlage jeder erfolgreichen Innovationspolitik ist eine Wirtschaftspolitik, die Wachstum und Wettbewerb verpflichtet ist. Auch deshalb sind die Reform der Unternehmensbesteuerung und die Minderung bürokratischer Lasten für den Innovationsstandort von herausragender Bedeutung. Wir rufen die Unternehmen dazu auf, den beginnenden Konjunkturaufschwung für neue Spielräume im Bereich der Investitionen für Innovationen zu nutzen.
Meine Damen und Herren, neue Wachstumsfelder werden vor allem von jungen Unternehmen erschlossen. Sie brauchen eine Anschubfinanzierung und die Bereitstellung von Wagniskapital.
Neben der Schaffung von Anreizsystemen werden in den nächsten Wochen deshalb auch Gespräche mit der Finanzwirtschaft über neue Finanzierungskonzepte zur Förderung von Forschung und mehr Investitionen in die Forschung sowie für Innovationen stattfinden.
Schließlich werden wir funktionierende internationale Regeln zum Schutz geistigen Eigentums schaffen. Deutschland gehört bei der Zahl der Patentanmeldungen international zur Spitzengruppe und ist als Exporteur von Technologiegütern in starkem Maße von Verletzungen dieser Rechte betroffen. Die Verbesserung des Schutzes und der Verwertung geistigen Eigentums hat für uns Priorität. Auch das ist eine wichtige Brücke von der Forschung in die Märkte.
Klare Impulse für den europäischen Forschungsstandort, 17 Innovationsfelder im Rahmen einer Hightechstrategie, neue Anreizsysteme für mehr Investitionen in die Forschungsförderung, neue finanzwirtschaftliche Konzepte, Verbindung deutscher und europäischer Forschungspolitik - mit diesem Paket setzt die Bundesregierung Signale dafür, dass die Innovationspolitik wirklich der rote Faden ihrer Politik ist und dass sie davon überzeugt ist, dass das der Schlüssel für wirtschaftliche Dynamik ist. Das ist im Übrigen auch die Antwort auf die Frage, welche Chancen künftige Generationen in Deutschland haben, und das ist der Motor für soziale Entwicklungen sowie die Antwort auf die Frage, wie wir die soziale Sicherheit in Deutschland gewährleisten. Das geschieht nämlich nicht mehr vorrangig über die klassische Sozialpolitik, dazu braucht es eine dynamische Innovationspolitik.
Deshalb danke ich den beiden Koalitionsfraktionen dafür, dass wir schon in den ersten Haushaltsberatungen wichtige Weichen gestellt haben, damit Deutschland einer der attraktivsten Wissenschaftsstandorte und Motor für die europäische Forschungs- und Technologiepolitik werden kann.
Ich danke Ihnen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst die Kollegin Cornelia Pieper für die FDP-Fraktion.
Cornelia Pieper (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer möchte, dass Deutschland als Forschungsstandort in der Champions League der Industrienationen mitspielt, der muss in der Tat auf Freiheit und Wettbewerb setzen.
Frau Kanzlerin, Sie haben in Ihrer ersten Regierungserklärung zu Recht gesagt, Deutschland müsse mehr Freiheit wagen und die Wachstumsbremsen müssten endlich gelöst werden. Ich frage Sie aber: Wo ist die Freiheit für die Forschung, von der Sie sprachen, in wichtigen Zukunftsfeldern geblieben? Bisher sind den großen Worten aus unserer Sicht nämlich keine Taten gefolgt. Denken Sie nur an die Grüne Wer mehr Freiheit in der Forschung will, muss auf Chancen neuer Forschungsfelder und Technologien setzen und darf eben nicht allein an deren Risiken denken.
Die Forschungs- und Technologiepolitik muss ideologiefrei auf Zukunftsfelder und Spitzentechnologien setzen. Dazu gehören natürlich die Lebenswissenschaften, die Nanotechnologie, die optischen Technologien und die Informationstechnologie. Das sind unsere Stärken in Deutschland.
Die Biotechnologie ist mit der Gentechnologie eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts. Da können wir an Fahrt gewinnen. Wir haben gesehen, dass Anfang der 90er-Jahre eine ideologische Diskussion bei der Roten Gentechnik stattgefunden hat. Dann gab es eine große Nachfrage nach gentechnisch hergestellten Medikamenten wie dem Insulin. Seitdem ist der gordische Knoten durchschlagen. Wir erwarten, dass wir uns auch bei der embryonalen Stammzellforschung bewegen. Diese Bundesregierung gibt den Stammzellforschern in Deutschland aber keine Rechtssicherheit. Stattdessen kriminalisiert sie durch deutsches Recht die Stammzellforscher im Ausland und wirbt bei den EU-Mitgliedstaaten dafür, dass die Förderprogramme in das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm nicht mehr aufgenommen werden. Das hat nichts mit Freiheit der Forschung zu tun.
Nach der Lektüre der Unterrichtung durch die Bundesregierung suchte ich natürlich nach einem klaren Signal für die grüne Biotechnologie. In der Regierungserklärung sagte Frau Merkel: Wir müssen auf die Freiheit der Entwicklungsmöglichkeiten in der Nano-, Bio- und Informationstechnologie setzen. Aber die ideologischen Scheingefechte nach grünem Muster gehen in dieser Regierungskoalition weiter. Neuerdings beteiligt sich der CSU-Generalsekretär an der Debatte. Er lehnt die Grüne Gentechnik ab mit der Begründung: Weil die ökologischen Langzeitwirkungen noch nicht erforscht seien, dürfe es keine Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen geben.
Das ist ja unglaublich. Der Mann weiß nicht, dass es dabei genau um Sicherheitsforschung geht und dass insbesondere in Bayern - wo leider durch kriminelle Handlungen Mineralöl auf einem Versuchsfeld im Landkreis Fürstenfeldbruck ausgebracht worden ist - untersucht werden sollte, welche Auswirkungen der in den Vorjahren erfolgte Anbau von gentechnisch veränderten Kartoffeln auf die Bodenqualität und auf Folgefrüchte hat. Darum geht es in der Sicherheitsforschung. Ich frage Herrn Söder: Wird eigentlich von Amts wegen ermittelt? Aus meiner Sicht ist das eine kriminelle Handlung, die dort vorgenommen worden ist, und hat wirklich nichts mit Freiheit von Forschung zu tun.
Das erinnert mich eher an provinziellen Populismus. Ich fordere die Bundeskanzlerin auf, diese plumpen Debatten zu unterbinden, die dem Forschungsstandort Deutschland schaden.
Meine Damen und Herren, der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit hat uns auf Stärken und Chancen hingewiesen. Sie, Frau Ministerin Schavan, haben zu Recht die Stärken genannt. Ich will darauf hinweisen, dass in diesem Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit auch deutlich gemacht wird, dass der Innovationsmotor in Deutschland nachlässt. Der Bericht zeigt zum Beispiel, dass die Innovationsbeteiligung von kleinen und mittleren Unternehmen dringend erhöht werden muss; das haben Sie zu Recht gesagt. Während 1999 noch 65 Prozent der KMU neue Produkte auf den Markt gebracht haben, waren es 2003 nur 59 Prozent.
Dazu gehört natürlich, Anreizsysteme zu schaffen. Die bei KfW und Hausbanken beantragten Kredite scheitern meist, weil die kleinen und mittelständischen Unternehmen keine Sicherheiten bieten können; in den neuen Bundesländern haben 80 Prozent der mittelständischen Unternehmen nur fünf bis zwanzig Beschäftigte. Wir brauchen einen Gründerboom von Wissenschaftlern mit guten Ideen. Die Tatsache, dass Deutschland bei Patentanmeldungen international Spitze und Europameister ist, die neuen Produkte jedoch überwiegend im Ausland gefertigt werden, ist eine unserer größten Wachstumsbremsen. Die muss gelöst werden. Schaffen Sie einen Innovationsfonds für Neugründungen, Frau Ministerin; das wäre eine gute Idee. Ich nehme es gerne auf, dass Sie mit der Finanzwirtschaft darüber reden. Wir werden diese Idee jedenfalls vorantreiben.
Hochschulen sind Keimzellen für Innovationen. Die Hochschulen brauchen mehr Freiheit. Die Studierenden müssen sich zukünftig ihre Hochschulen selbst aussuchen können - auch das ist Freiheit. Wer den Zentralismus im Bund nicht will, kann ihn nicht durch den Zentralismus in den Ländern ersetzen. Kapazitätsverordnungen, zentrale Vergabe von Studienplätzen - all das sind Hemmschuhe für die Autonomie und den Wettbewerb der Hochschulen. Deshalb fordern wir Liberale seit langem die grundgesetzliche Verankerung der Autonomie, damit die Freiheit von Hochschulen in diesem Land tatsächlich verwirklicht wird.
Kluge Köpfe sind unser wichtigstes Kapital. Vor allem in unseren Schulen und Hochschulen entscheidet sich die Zukunfts- und Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir uns bewusst machen, dass wir in bestimmten Branchen Nachwuchsprobleme und Fachkräftemangel haben. Wer von Ihnen auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung war, weiß, dass gerade die Luft- und Raumfahrtindustrie deutlich gemacht hat, dass Tausende von Ingenieuren fehlen. Auch darüber muss dieses Land nachdenken.
Dass der Bund sich beim Hochschulbau aus der Verantwortung zieht, das ist Ihre Politik. Aber ich weise darauf hin, dass bei der Verteilung der Mittel für den Hochschulbau ein Schlüssel herangezogen wird, der letztendlich eine Wettbewerbsverzerrung für die nord- und ostdeutschen Bundesländer nach sich zieht. Wir wollen Wettbewerb, aber zu fairen Bedingungen. Deswegen heißt Wettbewerb für uns, dass die finanzschwachen Länder bei der Verteilung von Hochschulbaumitteln gegenüber den finanzstarken Ländern nicht benachteiligt sind; dafür müssen Sie sorgen.
Wir fordern eine Zukunftsinitiative für die neuen Bundesländer. Die Hochschulen und Universitäten in den neuen Bundesländern sind Keimzellen für innovative Cluster. Darauf müssen wir setzen. Deswegen fordern wir seit letztem Wochenende, die Solidarpaktmittel zukünftig auch für Investitionen in die Hochschulen, in den Hochschulbau und nicht nur in Beton zuzulassen. Das wäre eine wegweisende Maßnahme für die neuen Bundesländer.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin Pieper, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.
Cornelia Pieper (FDP):
Sehr verehrte Frau Ministerin, Innovationen brauchen vor allem mehr Freiheit. Das ist die Voraussetzung für dauerhaften Wohlstand und mehr Arbeit in Deutschland. Aber wer mehr Freiheit will, muss auch mehr Freiheit wagen. Sie, Frau Ministerin, stehen noch zu sehr auf der Bremse. Lösen Sie sie und wir gewinnen an Fahrt.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Burchardt für die SPD-Fraktion.
Ulla Burchardt (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Ausführungen von Frau Pieper reizen eigentlich zu einer etwas längeren Replik. Wenn Sie über Freiheit und Ideologiefreiheit reden, dann denke ich an Ihren Minister in Nordrhein-Westfalen, der gerade auf dem Altar marktliberaler Ideologie die Freiheit der Wissenschaft opfert.
Aber das ist nicht das heutige Thema. Darüber können wir sicherlich noch an anderer Stelle diskutieren.
Mit dem 6-Milliarden-Euro-Programm hält die Koalition Wort. Der Bund leistet seinen Beitrag zur Erreichung des Lissabonziels. Er geht in Vorleistung. Frau Schavan, Sie werden verstehen, dass ich noch eine Anmerkung zu Ihren Ausführungen machen muss und dazu, was diese Bundesregierung jetzt endlich leistet. Dieses Land hat leider Jahre verloren, weil dieses 6-Milliarden-Euro-Programm von der Union im Bundesrat in den letzten Jahren blockiert worden ist. Aber wir freuen uns, dass es mit Ihnen in der großen Koalition jetzt diesen Fortschritt gibt.
Wir bringen Nachhaltigkeit in das erfolgreich Begonnene: bei der Exzellenzinitiative, beim Pakt für Forschung und bei der Förderung von Schlüsseltechnologien. Wir als Sozialdemokraten sehen in der Hightechstrategie durchaus den richtigen Ansatz, privates Kapital für mehr Investitionen in Innovationen zu mobilisieren. Aber jetzt muss auch die Wirtschaft kommen.
Wir warten noch auf die sichtbaren, verbindlichen Zusagen und Zeichen, dass das auch so sein wird. Die Wirtschaft muss sich vom kurzfristigen Denken der letzten Jahre lösen. Das ist angesichts der stagnierenden F-und-E-Aufwendungen und vor allen Dingen der Reduzierung des F-und-E-Personalstamms in der Wirtschaft deutlich geworden. Das muss sich ändern.
Wir freuen uns, dass der Löwenanteil des 6-Milliarden-Euro-Programms beim Forschungsministerium liegt. Wir freuen uns auch, dass die Federführung bei Ihnen, Frau Schavan, bei der Forschungsministerin, liegt. An dieser Stelle sagen wir: Respekt.
Der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit verweist auf die Vorteile des Innovationssystems. Sie liegen in der exzellenten Forschungsinfrastruktur, in der Vernetzung, in den bestehenden Clustern und auch in der Umsetzung von Innovationen im Bereich des Exports von Technologiegütern. Das alles ist gut. Doch es ist lediglich eine Momentaufnahme. Der Film läuft weiter und bei genauem Hinsehen zeigen sich Risse im Fundament, wie der Bericht das so bildhaft darstellt. Das Bildungssystem ist das Fundament für Innovation und Wachstum. Es ist eindeutig nicht leistungsfähig genug und scheint zum Handicap für Innovation und Wachstum zu werden.
Dass Deutschland beim internationalen Innovations-Benchmark noch im Mittelfeld liegt, ist der Bildungsexpansion der 70er-Jahre zu verdanken. Doch seit anderthalb Jahrzehnten - die OECD hat es uns ins Stammbuch geschrieben - stagniert das Qualifikationsniveau der Bevölkerung ebenso wie die Bildungsausgaben. Deutschland ist vom internationalen Trend der Höherqualifizierung abgekoppelt. Um den damit verbundenen Abwärtstrend abzuwenden und eine nachhaltige Förderung von Wachstum und Innovation zu betreiben, ist das 6-Milliarden-Euro-Programm eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung.
Not tut eine Bildungsoffensive zur Sicherung des Nachwuchses des Innovationssystems. Wir als Sozialdemokraten sagen dazu: Bildung für alle, von Anfang an, ein Leben lang. Es braucht Mut zur Veränderung, konsequentes Handeln und Bereitschaft zur Kooperation.
Ich will das gerne anhand von drei Stichworten und vor aktuellem Hintergrund konkretisieren:
Mein erstes Stichwort: Die Weiterbildung muss systematisch zur vierten Säule des Bildungssystems ausgebaut werden. Das Entscheidende haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart. Wie Frau Schavan jüngst anlässlich des VDI-Jubiläums sagte, ist all das nicht neu; das ist richtig. Jetzt muss bei der Umsetzung der Vorschläge, die auf dem Tisch liegen, Tempo gemacht werden.
Wir brauchen keine neuen Gesprächskreise. Es ist zwar immer gut, miteinander zu reden, aber Innovation bedeutet, Wissen anzuwenden. Das Wissen, was zu tun ist, um eine Innovationsoffensive im Weiterbildungsbereich auf den Weg zu bringen, liegt schon auf dem Tisch. Dazu haben die Ergebnisse der Arbeit der Expertenkommission und das Forum Bildung beigetragen. Nun kommt es darauf an, dieses Wissen schneller in Anwendung zu bringen.
Wir unterstützen die Arbeiten, die im Ministerium zum Thema Bildungssparen angelaufen sind. Aber das kann nicht alles sein. Denn Talente und Begabungen gibt es nicht nur in jungen Jahren, sondern auch im Erwachsenenalter. Sie dürfen aber nicht an das materielle Einkommen gekoppelt sein, also daran, ob es sich jemand leisten kann, für seine Weiterbildung Geld zur Seite zu legen. Die Förderung der „zweiten Chance“ ist genauso notwendig.
Zweites Stichwort: das Innovationshandicap Schulsystem. Es ist für zu viele Rutschbahn und nicht Startbahn. Nahezu wöchentlich werden neue Belege dafür geliefert. Ökonomisch formuliert ist das der Engpassfaktor für das Humankapital. Länger gemeinsam lernen, das wäre die dringendste soziale Innovation. Mit den Strukturen des 19. Jahrhunderts ist angesichts des globalen Wettbewerbs allenfalls die rote Laterne, aber nun wirklich kein Spitzenplatz zu erreichen.
Frau Schavan, ich habe gelesen, dass Sie den Ländern Gespräche über eine zweite Phase des Ganztagsschulprogramms angeboten haben. Wir wären sehr interessiert, mit Ihnen darüber ins Gespräch zu kommen, wie man dieses Programm möglicherweise fortführen könnte.
Hier gibt es aber - damit bin ich bei meinem dritten Stichwort - ein kleines Problem: die anstehende Föderalismusreform mit ihrem Finanzhilfe- und Kooperationsverbot. Damit wären dem Bund jegliche Möglichkeiten genommen, zum Kitten der Risse im Innovationsfundament beizutragen. Das könnte er nur noch in informativer Hinsicht tun, zum Beispiel über das Berichtswesen und in Form von Studien und Forschung, aber nicht mehr in instrumenteller. Darauf käme es allerdings entscheidend an.
Das Urteil der Fachwelt ist erdrückend: Diese Reform gefährdet den Hochschul- und Forschungsstandort Deutschland. Der Hochschulpakt wäre total legal nicht mehr möglich, so wichtig er unserer Meinung nach auch ist.
Noch ein Satz zur Gesundheitsforschung - denn Sie, Frau Schavan, haben hier einen Schwerpunkt gesetzt -: Das Auslaufen der Hochschulbauförderung, von der zu fast 40 Prozent die Unikliniken profitieren, bedeutet, dass es in Deutschland mittelfristig zum Ende der Gesundheitsforschung kommt. Denn die Unikliniken sind die Hauptträger der Gesundheitsforschung.
Deswegen kann man an dieser Stelle aus vielerlei Gründen nur sagen, dass das Gebot der Stunde lautet: Wer wirklich Innovation und Wachstum fördern will, der muss heute Mut zu Korrekturen an der Föderalismusreform haben. Wir Sozialdemokraten streiten dafür. Mittlerweile tut das auch der erste Landesbildungsminister der Union; wir haben für Sie alle noch einen Platz an unserer Seite.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Für die Fraktion Die Linke erhält die Kollegin Petra Sitte das Wort.
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):
Danke schön, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren!
Trotz anhaltender Exporterfolge hat sich die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands auf längere Sicht nicht gut entwickelt. Die Bedingungen für eine dynamische technologische Erneuerung und einen nachhaltigen Strukturwandel in Richtung Wissenswirtschaft müssen deutlich verbessert werden.
Das sind die ersten beiden Sätze des Berichtes zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands.
Jetzt zitiere ich den Kernsatz aus der Pressemitteilung der SPD-Kollegen Tauss und Röspel dazu:
- Ja, ja, Herr Tauss. Sie erinnern mich immer an Faust I, Vers 2086: „des Basses Grundgewalt“. - In Ihrer Pressemitteilung heißt es:
Der … Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit 2006 ist zugleich ein wichtiger Beleg dafür, dass es uns in den vergangenen Jahren gelungen ist, Deutschland wieder zu einem führenden Forschungs-, Wissenschafts- und Innovationsstandort in der Welt zu machen.
- Um diesen Kernsatz überhaupt zu finden, musste man alles gelesen haben.
Ob diese Pressemitteilung einer getrübten Wahrnehmung oder einer Fehleinschätzung entspringt, sei einmal dahingestellt. Sie ist allerdings ein lehrhaftes Beispiel dafür, wie sinnvoll das Studium von Originalquellen ist. Im Falle dieses Technologieberichtes lohnt sich das Lesen ganz außerordentlich. Dieser Bericht selbst basiert nämlich auf der Arbeit von neun außeruniversitären Forschungsinstituten und er ist ein beredtes Beispiel dafür, wie wissenschaftliche Kompetenz zur Reflexion gesellschaftlicher Problemlagen eingesetzt werden kann. Bei dem Bericht handelt es sich um einen Auftrag aus der Politik. Gerade durch solche Beauftragungen aus der Politik muss sich Wissenschaft den Problemen der Gesellschaft öffnen.
Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft wertete in seiner Rede vor dem Wissenschaftlichen Rat positiv - ich zitiere -,
dass Wissenschaft und Forschung sich heute einer großen Unterstützung aus Politik und Öffentlichkeit erfreuen können.
Er wies aber zugleich auch auf die gestiegenen Erwartungen hin:
Die Gesellschaft erwartet von der Wissenschaft Lösungen oder zumindest Hilfestellungen, um angesichts der großen globalen Herausforderungen zu bestehen … Natürlich ist Wissenschaft nicht zweckfrei, sondern einem allgemeinen humanen Zweck verpflichtet.
Weiter heißt es:
Und Wissenschaft wirkt sich auf die Gesellschaft aus, weil ihre Ergebnisse Anwendung finden und damit für jeden erfahrbar werden. Wichtig ist, dass sich jeder einzelne Wissenschaftler um eine sorgfältige Arbeit bemüht. Ist das nicht der Fall, leidet - verständlicherweise - das Vertrauen in die Wissenschaft als Ganze.
So weit der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft.
Skepsis gegenüber der Wissenschaft wächst vor allem dann, wenn diese nur eindimensional nach Zielvorgaben von Politik arbeitet. Wenn beispielsweise die Menschen Sachverständige in Kommissionen wie zum Beispiel in der zu Hartz IV als Kronzeugen für nachhaltige Verschlechterungen der eigenen Lebenssituation erfahren, dann ist das ebenjener Vertrauensverlust.
In der Verantwortung der Wissenschaft steht es aber, eine Bandbreite an Handlungsalternativen aufzumachen und öffentlich zur Diskussion zu stellen. Dabei müssen jene Experten auch Sensibilität für die Zumutbarkeit und für Grenzen des gesellschaftlichen Friedens haben. Politik wiederum darf sich umgekehrt nicht hinter der Objektivität von Vorschlägen aus der Wissenschaft verstecken; denn für die Wahl des konkreten Lösungsansatzes ist immer noch sie selbst verantwortlich.
Wenn Ministerin Schavan Forschung als „Teil der intellektuellen Kultur des Landes“ bewertet, dann gehört der eben skizzierte Ansatz, nämlich Wissenschaft und Forschung in gesellschaftlicher Verantwortung zu denken, dazu - und das ist keine Ideologielastigkeit, Frau Pieper.
Wenn Sie also, wie im Antrag gefordert, sehr bald den Rat für Innovation und Wachstum einsetzen, dann doch genau mit der Zielrichtung, zu fordern, dass Wissenschaft mehrdimensional ist.
Die vorliegenden Anträge und die Stellungnahme der Bundesregierung sind demgegenüber ausgesprochen technologielastig. Stärker in den Mittelpunkt rücken müssten unserer Meinung nach die Forschung zum gesellschaftlichen Wandel, zum Erkennen und Verstehen sozialer Entwicklungsprozesse, das generative Verhalten der Menschen, die Alterung der Bevölkerung, Bildungs- und Kommunikationsforschung - und auch Koordination und Wirksamkeit von Fiskal- und Steuerpolitik. Schließlich soll Politik sensitiv und frühzeitig Steuerungsoptionen entwickeln und öffentlich zur Diskussion stellen. Leider laufen diese Felder in dem viele Seiten umfassenden Koalitionsantrag zum 6-Milliarden-Euro-Programm in einem Dreizeiler unter Punkt 15 - das ist deutlich unter „ferner liefen“.
Im Antrag zum 7. Forschungsrahmenprogramm der EU dagegen wird diesen Feldern ein wenig mehr Raum eingeräumt. Die EU misst diesen Feldern offensichtlich ein größeres Gewicht bei.
Lassen Sie mich an dieser Stelle gleich einem Missverständnis vorbeugen: Wir werfen Ihnen Technologielastigkeit nur deshalb vor, weil Sie nicht in vergleichbarem Umfang und Tiefgang die Förderung von Wissenschaft und Forschung in den anderen Disziplinen fordern.
Soweit es um technologische Forschung und Entwicklung geht, werden im Bericht der Bundesregierung, in der Regierungserklärung selbst und, mit einigen Abstrichen, in den vorliegenden Anträgen sowohl hinsichtlich der Systematik als auch des Inhalts die wichtigsten Problemkreise erkannt. Das war - das wissen Sie so gut wie ich - längst fällig. Im Technologiebericht ist zu lesen - Zitat -:
Die Bedingungen für eine dynamische technologische Erneuerung und einen nachhaltigen Strukturwandel in Richtung Wissenswirtschaft müssen deutlich besser werden.
Es ist auch zu lesen, dass andere Länder bei der Förderung von Bildung und Wissenschaft sowie von Forschung und Technologie seit Jahren deutlich weiter sind.
Die aufgeführten Schwerpunkte, die in diesem Bericht bzw. auch in der Regierungserklärung zum Ausdruck gekommen sind, wie die Bio- und Nanotechnologie, Informationstechnologie und Raumfahrt, scheinen uns durchaus richtig gesetzt zu sein. Es wird jedoch eine Binnendifferenzierung innerhalb dieser Felder geben müssen; denn jedes ist in der Breite nicht abzudecken und zu finanzieren
Deshalb sagen wir an dieser Stelle: Sich in diesem Zusammenhang auf die Gesundheitsforschung zu konzentrieren, halten wir für richtig. Allerdings sollte sich die Bundesregierung darauf vorbereiten, dass die Forschungsergebnisse aus den Bereichen Medizintechnik, Diagnostik und Therapie Erwartungen wecken werden, deren Erfüllung die Leistungsfähigkeit unseres gegenwärtigen Gesundheitssystems aber bei weitem übersteigen würde. Zu der Förderung der so wichtigen Gesundheitsforschung gibt es leider keinen vergleichbaren Ansatz in der Gesundheitspolitik, der darauf zielt, dass die Anwendung der Forschungsergebnisse allen zugute kommen kann, und zwar unabhängig von der Zahlungsfähigkeit des Einzelnen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung will bis 2006 eine ressortübergreifende Strategie zur nationalen Sicherheitsforschung erarbeiten. Das 7. Forschungsrahmenprogramm der EU wird erstmals den Bereich Sicherheitsforschung einschließen. Wir teilen aber ausdrücklich nicht die Position der EU-Kommission, wonach die Trennung zwischen militärischer und ziviler Forschung ein Hemmnis darstellt. Ein europäisches Programm für Sicherheitsforschung ab 2007 sollte keinesfalls dazu dienen, die ohnehin vorhandenen Grauzonen auszuweiten.
Wir nehmen daher sehr aufmerksam zur Kenntnis, was Sie in Ihren Programmen und in Ihren Anträgen geschrieben haben, nämlich mit dem Sicherheitsforschungsprogramm keine Forschung für unmittelbar militärische Zwecke zu unterstützen. Es bleibt Raum für Interpretationen; das ist mir klar. Aber wir werden am Ende sehen, wie es wirklich aussieht. Dagegen teilen wir vollständig Ihre Zielstellung, dass Forschung zur Konfliktvermeidung und zur Friedenssicherung verstärkt werden muss.
Meine Damen und Herren, alle vorliegenden Berichte und Anträge gehen auf den gravierenden Widerspruch nicht ein, dass durch den Einsatz von Wissenschaft und Forschung in den letzten Jahren auch Tausende von Arbeitsplätzen verloren gegangen sind. Diese destruktiven sozialen Wirkungen müssen ebenfalls zum Gegenstand der Untersuchung, zum Gegenstand unseres politischen Denkens und Handelns gemacht werden.
Das heißt, es geht auch darum, innovative Wege aus der Massenarbeitslosigkeit zu finden. 6 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung sind ein Anfang, aber nicht die Lösung.
Dass in diesem Zusammenhang die kleinen und mittelständischen Unternehmen ins Zentrum Ihrer Politik gerückt werden, halten wir für ausgesprochen wichtig; denn es sind vor allem diese Unternehmen, die die Masse an Ausbildungsplätzen und Arbeitsplätzen zur Verfügung stellen und über eine besondere Innovationsfähigkeit verfügen. Hier besteht ein besonderes Potenzial für die Entwicklung in Ostdeutschland, damit dort innovative und qualitativ hochwertige Arbeitsplätzen entstehen. Das ist eine Strategie gegen Niedriglohnarbeitsplätze.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):
Das mache ich gern.
Ich will abschließend noch einen Hinweis geben: Es ist dramatisch, was im Bericht zum Bereich Weiterbildung steht; dieses Thema hat schon vorhin eine Rolle gespielt.
Darauf werden wir im Rahmen der Haushaltsdebatte zurückkommen müssen.
Innovation ist kein Naturereignis, das einfach so über uns kommt. Sie ist ein Prozess, den es zu gestalten gilt, und zwar innovativ in Inhalt, in Form und natürlich in den Ergebnissen.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Ilse Aigner für die CDU/CSU-Fraktion.
Ilse Aigner (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bundesregierung hat vor ungefähr sechs Wochen den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit vorgelegt. Er kommt gleich am Anfang auf den Punkt:
Trotz anhaltender Exporterfolge hat sich die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands auf längere Sicht nicht gut entwickelt.
Von Rissen im Fundament, von geringer Neigung zu investiven Anstrengungen und zum Strukturwandel sowie von einer schlechteren Position, wenn es um Spitzentechnologie geht, ist die Rede.
Längst spielen wir nicht mehr in den Medaillenrängen. Lagen wir Ende der 80er-Jahre noch auf Platz drei, so sind wir jetzt auf Rang neun abgerutscht. So heißt die Quintessenz des Berichts: Abstieg vermeiden, Anschluss gewinnen. Noch haben wir alle Chancen. Wir dürfen nur nicht mehr so weitermachen wie bisher. Wir haben uns in den vergangenen Jahren zu sehr auf die Bewahrung des vermeintlich Erreichten konzentriert und hatten keine Antennen und Sensoren für die Signale der Zukunft. Die Signale für die Zukunft kommen aus Forschung und Entwicklung. Genau deshalb investieren wir in diesem Bereich bis 2009 zusätzlich 6 Milliarden Euro. Das ist die größte Steigerung seit der Wiedervereinigung.
Das ist unsere Zukunftsantenne.
Allerdings wirkt die beste Antenne nicht, wenn sie nicht auf die Sender ausgerichtet ist. Die Sender sind in unserem Fall die Hochschulen, die Forschungseinrichtungen und die innovative Wirtschaft. Ausrichtung, Signalbündelung und Verstärkung - genau das ist das Ziel der Hightechstrategie. „Zielgenau ausrichten“ heißt: Wir müssen uns jede Branche und jeden innovativen Bereich genau ansehen. Wir brauchen Konzepte: für die Pharmaindustrie, für die Gentechnologie, die Luft- und Raumfahrt, die Informationstechnologie usw. Unser Ziel sind schlüssige Innovationsstrategien. Zur Forschungsförderung in der Biotechnologie gehört zum Beispiel ein forschungsfreundliches Gentechnikgesetz. Damit sich neue Entwicklungen in der Informationstechnologie durchsetzen, muss eine gut ausgebaute digitale Infrastruktur vorhanden sein.
Mit unserer Antenne müssen wir uns ebenso auf neue Bereiche und Herausforderungen ausrichten. Sicherheit in einer offenen und leider auch terroristisch bedrohten Welt ist ein großes Forschungsthema. Von der Ursachenforschung bis zu den Frühwarnsystemen, von der Schadensvorbeugung bis zu den Handlungsstrategien im konkreten Krisenfall - das ist ein riesiges Forschungsgebiet. Deshalb werden wir in dieser Legislaturperiode ein stringentes und zukunftsweisendes Konzept für die Sicherheitsforschung entwickeln.
Ein weiteres lohnendes Feld ist im umfassenden Sinne auch die Alternsforschung. Gemeint ist Gesundheitsforschung mit dem Fokus auf Ältere. Gemeint sind Konzepte, die die Fähigkeiten älterer Arbeitnehmer positiv zur Geltung bringen.
Gemeint ist auch Technik, die auf Ältere zugeschnitten ist. Wer da die Nase vorn hat, wird den demografischen Wandel nicht nur leichter bewältigen, sondern hat auch einen Fuß im Markt der Zukunft.
Wesentlich an einer guten Antenne sind aber auch die Verstärkerelemente; denn sie machen mehr aus einem Signal. Wir müssen mehr aus unseren Forschungsergebnissen machen. Unsere Grundlagenforschung ist sehr gut und liefert viele Ergebnisse.
Aus ihnen müssen aber auch Innovationen werden. Noch klafft eine Lücke in unserem Fördersystem. Zwischen dem Forschungsergebnis und der vermarktbaren Entwicklung fehlt uns ein Stück. Die Entwicklung von Prototypen oder die Phase I der Medikamentenentwicklung bezahlt niemand. Schlimmer noch: Manchmal kümmert sich auch niemand darum. Wir wollen das ändern.
Ich freue mich, dass die Forschung selbst die Initiative ergreift und Ideen entwickelt. So hat die Max-Planck-Gesellschaft das Modell eines Innovationsfonds vorgestellt. Um Hightechgründungen zu realisieren, brauche ich nicht nur Ideen, sondern auch Geld. Um Geld zu bekommen, brauche ich Ideen, die schon ein Stück weiter sind als die Grundlagenforschung. Genau hier besteht eine Lücke; diese soll der Innovationsfonds schließen. Ich finde, wir sollten diesen Vorschlag intensiv prüfen.
Wir brauchen neuen Schwung für die Forschung im Mittelstand. Das Rückgrat unserer Wirtschaft muss wieder die Speerspitze der Innovation sein. Unsere europäischen Wettbewerber setzen auf viele verschiedene Instrumente. Der Plan „Innovation“ in Frankreich setzt auf Sonderkonditionen im Steuerrecht. Die Niederländer geben kleinen und mittleren Unternehmen Innovationsgutscheine; sie können diese Gutscheine bei Forschungseinrichtungen direkt einlösen. Für Deutschland fordern der BDI und andere seit langem eine Forschungsprämie. Forschungseinrichtungen und Hochschulen sollen sie erhalten, wenn sie mit Unternehmen zusammenarbeiten und dementsprechend Drittmittel einwerben.
Der Charme all dieser Vorschläge und Modelle ist, dass sie auf Freiheit und Wettbewerb, auf Unternehmertum und Zusammenarbeit setzen. Gleichwohl gibt es auch Risiken. Zum Beispiel könnte es zu Mitnahmeeffekten oder - noch schlimmer - zu Wettbewerbsverzerrungen kommen. Deshalb müssen wir genau hinsehen. Ich bin dafür, dass wir Schritt für Schritt vorgehen und mit Pilotprojekten und Modellvorhaben anfangen, das allerdings schnell. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.
Die Antenne steht. Wir sind gerade dabei, sie zielgenau auszurichten. Das 6-Milliarden-Euro-Programm und die Hightechstrategie sind sehr starke Signale. Nun müssen wir auch die Adressaten auf Empfang stellen. Ich appelliere deshalb an die Wirtschaft, die Wissenschaft und die Bundesländer, die Signale nicht nur aufzunehmen, sondern mit eigenem Engagement zu verstärken. Wenn wir unsere Kräfte bündeln, können wir erfolgreich sein. Wir können vielleicht mit gemeinsamer Kraftanstrengung ein sehr kleines Eingangssignal in ein klangvolles und kraftvolles Zukunftskonzert für Deutschland verwandeln.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun die Kollegin Krista Sager für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass unser geschätzter ehemaliger Koalitionspartner nun in der großen Koalition eine neue Regierungsheimat gefunden hat, hat immerhin die kleine angenehme Nebenwirkung, dass die große Koalition in ihrem Antrag eingestehen muss, dass unter Rot-Grün in der Forschungspolitik sehr viel gemacht wurde, um die Defizite aus den 90er-Jahren ansatzweise auszugleichen und Versäumtes nachzuholen.
- Genau darauf sind wir stolz. - Dass dem so ist, sieht man daran, dass das 6-Milliarden-Euro-Programm nur 2,8 Milliarden Euro für neue Maßnahmen vorsieht. Ansonsten werden die Programme und Initiativen der Vorgängerregierung fortgesetzt.
Wir sind in der Nanoforschung in der Tat weitergekommen. In der Medizintechnik sind wir sogar Spitze. Aber es ist auch richtig: Jede Atempause bedeutet einen massiven Rückschritt, weil die internationale Dynamik in Forschung und Entwicklung enorm zugenommen hat. In anderen Ländern wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Umso wichtiger ist es daher, dass die jetzige Regierung an dem 3-Prozent-Ziel der Lissabonstrategie festhält und es weiterverfolgt. Aber wenn wir dieses Ziel erreichen wollen, dann müssen wir sowohl auf der EU-Ebene als auch auf der nationalen Ebene uns noch konsequenter von alten Subventionen in überholte Strukturen verabschieden.
Das wird uns nicht erspart bleiben, wenn wir mehr Ressourcen für Forschung und Entwicklung freisetzen wollen. Umweltschädliche Subventionen können wir uns dann erst recht nicht mehr leisten. Das alte Spiel „Die eine Volkspartei klammert sich an die Eigenheimzulage und die andere Volkspartei klammert sich an die Steinkohleförderung“ werden wir in Zukunft nicht mehr spielen können.
Wir können uns auch nicht erlauben, dass der Bund seine Anstrengungen im Bereich Forschung und Entwicklung erhöht, während die Länder und die Wirtschaft ihre Anstrengungen reduzieren. Frau Bundesministerin, Sie sind jetzt wirklich gefordert, mit den Ländern verbindliche Vereinbarungen über deren Beitrag zum staatlichen Anteil zu treffen. Die Bundeskanzlerin ist - ich verweise auf den bei ihr angesiedelten Rat für Innovation und Wachstum - ebenfalls gefordert, verbindliche Vereinbarungen mit der Wirtschaft zu treffen, durch die verhindert wird, dass diese ihre Forschungs- und Entwicklungstätigkeit verringert oder ins Ausland verlagert und dann die privaten Hände für Leistungen der öffentlichen Hand aufhält.
So kommen wir dem 3-Prozent-Ziel nicht näher.
Wenn wir die Rahmenbedingungen für Innovationen verbessern wollen, dann müssen wir hier - Frau Burchardt hat es zu Recht getan - leider auch wieder über die Föderalismusreform sprechen.
Uns bleiben nur wenige Wochen, um eine falsche Weichenstellung zu verhindern.
Frau Bundesministerin, wenn Sie glauben, Sie könnten als Innovationsministerin glänzen, sich aber als Bildungsministerin verabschieden, indem Sie sich über die Föderalismusreform selber kaltstellen, dann irren Sie sich.
Kein Land der Welt kann bei Forschung und Innovation dauerhaft in der ersten Liga spielen und bei Bildung dauerhaft schlecht sein. Diese Rechnung wird nicht aufgehen. Innovation beginnt nun einmal in den Köpfen.
Die neuesten Ergebnisse über die schlechten Bildungschancen von jungen Menschen mit Migrationshintergrund sind wirklich alarmierend. Diese jungen Menschen könnten einen Beitrag zu unserer Wohlstandsentwicklung leisten. Perspektivisch werden sie aber Kosten für unsere Sozialsysteme verursachen, weil sie in und an unserem Bildungssystem scheitern. Angesichts dessen darf sich der Bund kein Kooperationsverbot auferlegen. Das geht einfach nicht.
Das ist eine Vergeudung von menschlichen und finanziellen Ressourcen. Das ist schlichtweg nicht verantwortlich.
Angesichts des demografischen Wandels können wir es auch nicht zulassen, dass die Länder und die Hochschulen Studienplätze abbauen, obwohl wir mehr Studienbewerber bekommen, und dass der Bund sagt: Na ja, mal sehen, wie es geht. - Sie denken jetzt darüber nach, wie Sie im Rahmen des Hochschulpaktes den Murks, den Sie geplant haben, umgehen können. Dazu sage ich: Dann lassen Sie den Murks lieber gleich und sorgen Sie dafür, dass der Bund hier weiterhin eine aktive Rolle spielt.
Auch was die Finanzierungsregelung bei der Auflösung der Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“ angeht, gilt: Wenn Sie es mit der regionalen Clusterbildung - gerade in den neuen Bundesländern - ernst meinen, dann werden Sie nicht so, wie geplant, vorgehen können. Wir brauchen nämlich eine leistungsfähige wissenschaftliche Infrastruktur. Frau Burchardt hat Recht: Es gibt keinen Bereich, dessen Zukunft so unsicher ist wie den der klinischen Forschung. Dennoch haben Sie diesen Bereich gerade zu einer Art Leuchtturm erklärt.
Wenn Sie das wirklich so sehen, dann müssen Sie die Zukunft dieses Bereichs sichern.
Innovation braucht Leitbilder für Gesellschaft, Wissenschaft, Forschung und Unternehmen. Ein zentrales Leitbild für Innovation ist die Unabhängigkeit von endlichen Ressourcen. Ziel muss Ressourceneffizienz, Ressourceneinsparung, die Abkehr vom Öl und die Zuwendung zu regenerativen Energien und zu nachwachsenden Rohstoffen sein. Ein solches Leitbild kann in der Tat einen großen innovativen Schub im Baubereich, im Verkehrsbereich, im Energiebereich, im Bereich der industriellen Produktion, im Bereich der Logistik und im Bereich der Materialforschung bringen. Auf diesen globalen Märkten der Zukunft haben wir wirklich große Chancen.
Für uns als Grüne ist es völlig unstrittig, dass die Nanotechnologie und die Weiße Biotechnologie in geschlossenen Systemen einen sehr großen Beitrag zur Materialeffizienz leisten können. Wer zu diesem Beitrag Ja sagt, der muss aber auch die notwendige Begleitforschung bejahen, die frühzeitig Risiken aufdeckt und für Akzeptanz und Sicherheit sorgt. Auch da nehme ich Sie in die Pflicht.
Ich finde es richtig, dass Sie das Innovationspotenzial kleiner und mittlerer Unternehmen stärker einbeziehen wollen. Dabei haben Sie uns an Ihrer Seite. Aber dann hören Sie bitte auf, ständig aus ideologischen Motiven gerade die kleinen und mittleren Unternehmen zu verunsichern, die in innovative Unternehmensgründungen investiert haben und Arbeitsplätze in den Bereichen regenerative Energien, nachwachsende Rohstoffe, aber auch im Bereich der Biokraftstoffe geschaffen haben. Diese Unternehmen brauchen Planungssicherheit.
Frau Ministerin, Sie können sich darauf verlassen, dass wir Sie gegen jeden Angriff unterstützen werden, wenn Sie bei Ihrer Position in den bioethischen Fragen - zum Beispiel hinsichtlich der embryonalen Stammzellenforschung - bleiben. Aber wenn Sie da im guten Sinne konservativ sind und für den Lebensschutz eintreten, dann verträgt sich das nicht damit, dass Sie zukünftigen Generationen die strahlende Fracht einer Rolle rückwärts in der Atomtechnik aufbürden wollen. Das passt nicht zusammen.
Es ist uns nicht entgangen, dass Sie die Atomtechnologie gewissermaßen von hinten durch die kalte Küche über die Atomforschung im Energiebereich wieder hoffähig machen wollen. Das ist und bleibt ein Irrweg.
Das zeigt sich auch an Ihrem Haushalt, der schon jetzt bis 2007 mit Kosten von über einer halben Milliarde Euro für den notwendigen Rückbau von Kernforschungsanlagen belastet ist. Dieses Geld hätten wir gut für Zukunftsentwicklungen gebrauchen können.
Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung in Ihre Richtung, Frau Pieper. Bei der Grünen Gentechnik stehen Risiken und der geringe ökonomische Nutzen in keinem Verhältnis. Gerade im Heimatland unserer Bundesministerin haben die Landwirte zu Recht gegen eine weitere Liberalisierung protestiert. Aber wenn Sie als Vertreterin einer freiheitlichen Partei von der Bundeskanzlerin verlangen, dass die Diskussion unterbunden werden soll, bringen Sie damit eine Form von Basta-Liberalismus zum Ausdruck, den ich bei einer freiheitlichen Partei geradezu sensationell finde.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun die Kollegin Ute Berg für die SPD-Fraktion.
Ute Berg (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Geht ein deutscher Techniker mit ein paar Konservendosen in den Urwald, kommt er mit einer Lokomotive heraus.
Das hat Felix Wankel, der Erfinder des Wankelmotors, einmal gesagt, um die Kreativität deutscher Ingenieure zu beschreiben. Deutsche Erfinder sind nach wie vor Spitze und als Kooperationspartner weltweiß heiß begehrt. Das unterstreicht auch der neue Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands.
Deutschland ist unter den großen Volkswirtschaften hinter Japan das patentintensivste Land weltweit. 12 Prozent aller weltmarktrelevanten Patente stammen von Erfindern aus Deutschland. Deutsche Produkte sind weltweit gefragt. Nicht zuletzt deshalb wurde Deutschland letztes Jahr zum dritten Mal hintereinander Exportweltmeister. Allerdings hat das hier - das ist sehr bedauerlich - in den letzten Jahren weder zu einem starken Wirtschaftswachstum noch zu einem spürbaren Abbau der hohen Arbeitslosigkeit geführt. Wie kommt das? Bei genauerer Betrachtung der Lage stellt man fest, dass wir auf dem Gebiet der hochwertigen Gebrauchstechnologie mit dem Automobilbau und dem Maschinenbau an der Spitze sehr stark sind. Bei Spitzentechnologien hingegen - Biotechnologie, Luft- und Raumfahrt, Computer und Elektronik - müssen wir noch deutlich stärker werden. Gerade diese Branchen haben überdurchschnittliche Wachstumschancen. Weil sie stark expandieren, schaffen sie auch neue Beschäftigung. Deutschland muss daher die Potenziale, die die Spitzentechnologien bieten, noch stärker nutzen. Gleiches gilt für den Bereich der wissensintensiven Dienstleistungen, also der Dienstleistungen, die vor allem Informationen und Wissen verarbeiten und damit zu neuen Produkten führen und neue Märkte erschließen.
Die Spannbreite reicht hierbei von der intelligenten Benutzerführung im Internet bis zu neuartigen Verfahren des Lernens.
Für die Erschließung dieser neuen Wachstumsfelder muss der Staat aber Anreize geben. Es ist deshalb gut, dass die Bundesregierung in den nächsten Jahren 6 Milliarden Euro zusätzlich in Forschung und Entwicklung investiert.
Es ist auch gut, dass sie einen Schwerpunkt darauf legt, die Innovationskraft der kleinen und mittleren Unternehmen zu stärken;
denn diese Unternehmen beteiligen sich laut Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit zunehmend an der Spitzenforschung und bei wissensintensiven Dienstleistungen.
Wie wichtig der innovative Mittelstand insgesamt für den Standort Deutschland ist, wird daran deutlich, dass rund 95 Prozent der innovativen Unternehmen weniger als 500 Beschäftigte haben, also zum Mittelstand gehören. Die bewährten Programme des Wirtschaftsministeriums - Frau Sager wies schon darauf hin -, zum Beispiel Pro Inno, die Industrielle Gemeinschaftsforschung und Inno-Net, stärken gezielt Vernetzungen und Kooperationen zwischen diesen Unternehmen und Wissenschaft und Forschung. Sie werden natürlich weitergeführt.
Bei kleinen und jungen Unternehmen bestehen häufig auch Defizite im systematischen Management von Innovationen. Hier muss auf vielfältige Weise geholfen werden, zum Beispiel durch Innovationscoaches, die aus anwendungsorientierten Forschungseinrichtungen in Unternehmen gehen und dort maßgeschneiderte innovative technologische Konzepte entwickeln und damit Akzeptanz für Neues schaffen.
Umgekehrt sollten Wissenschaftler, die in der Industrie tätig sind, verstärkt in Forschungseinrichtungen gehen. Aufgrund ihrer Kenntnis des Marktes ist es für sie nämlich leichter, Ergebnisse der Grundlagenforschung zu marktreifen Produkten und letztlich zur Erschließung von Märkten zu bringen. Das ist für unsere Volkswirtschaft immens wichtig. Forschungsergebnisse werden bei uns zu selten zu einem Reifegrad gebracht, an den die Industrie dann nahtlos anknüpfen kann, um daraus neue und innovative Produkte für die Menschen zu machen.
Die Garching Innovation GmbH, eine Einrichtung der Max-Planck-Gesellschaft für den Technologietransfer, hat die Situation kürzlich wie folgt umschrieben: Es ist oft so, als würde man für viel Geld ein neues Auto entwickeln und am Ende feststellen, dass das Geld für die Räder nicht mehr reicht, und nun versuchen, es ohne Räder zu verkaufen. - Das funktioniert natürlich nicht besonders gut.
Ein wesentliches Handicap für innovative risikobereite Unternehmer und Wissenschaftler ist die Schwäche des Wagniskapitalmarkts.
Die Mehrheit der forschenden Unternehmen in Deutschland klagt über Probleme bei der Kreditbeschaffung. Das gilt in besonderem Maße für Existenzgründer. Daher werden das Programm „Exist“ weitergeführt, der Hightechgründerfonds ausgebaut und weitere Möglichkeiten geschaffen, etwa über Beteiligungskapital oder langfristige günstige Darlehen, innovative Unternehmen zu stützen.
Abschließend noch eine Bemerkung zur Rolle der Regierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen. Wir werden daran gemessen werden, ob es uns gelingt, die 6 Milliarden Euro auch tatsächlich für Forschung und Entwicklung zu mobilisieren und die Hightechinitiative zum Erfolg zu führen. Lippenbekenntnisse reichen nicht.
„Es ist nicht genug, zu wollen, man muss es auch tun“, hat schon Goethe einmal gesagt. Lassen Sie uns also gemeinsam dafür sorgen, dass es auch wirklich getan wird!
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat das Wort die Kollegin Ulrike Flach für die FDP-Fraktion.
Ulrike Flach (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Gleich zu Beginn: Die FDP hat nie etwas gegen Hightechstrategien gehabt, weder in der Vergangenheit bei dem Masterplan von Herrn Clement noch jetzt bei dem schavanschen Strategieansatz. Aber man muss sehr deutlich und klar sagen: Diese Strategie ist bisher nur in den kleinsten Anfängen zu erkennen, Frau Schavan. Das ist unser Problem.
Wir haben schon bei der letzten Rede hier feststellen müssen, was es eigentlich heißt, wenn in einem Ministerium etwas umgesetzt wird. So haben wir voll Erstaunen feststellen müssen, dass die Leuchtturmprojekte, die Sie uns hier vorstellen - wie Biotechnologie, Gesundheit und Medizin, System Erde, Mikrosystemtechnik -, genau die Projekte waren, an denen Herr Eichel im letzten Jahr gespart hat. Das ist nicht das, was wir unter Hightechstrategie verstehen, Frau Schavan.
Damals gab es die Sparbüchse 2005, jetzt gibt es die Nachfolgesparbüchse 2006. Schon aus haushalterischen Gründen - da sind wir völlig der Meinung unserer Haushälterkollegen von der SPD und der CDU/CSU - werden Sie die Exzellenzinitiative in diesem Jahr nicht auf den Weg bringen können. Die globale Minderausgabe erfasst genau dieses Topprojekt Ihrer Initiative.
- Ich sage doch: Sie werden sie schon aus haushalterischen Gründen nicht umsetzen können. Das heißt doch in der Praxis - Herr Riesenhuber weiß das genauso gut wie ich -, dass das Projekt gar nicht ans Laufen kommt.
Schauen Sie sich die Leuchttürme doch bitte schön einmal an! Als wir vor zwei Tagen in Ihrem Ministerium nachgefragt haben, hat man uns gesagt, die Leitungsebene habe noch über keinen dieser Leuchttürme abschließend entschieden. Was ist das für eine Strategie, meine Damen und Herren? Da fehlt einfach ein Ansatz, an dem man erkennen könnte, dass hier das Jahr 2006 zielführend angegangen wird und wir zu dem Ergebnis kommen, das wir alle wollen, nämlich zu Innovation in diesem Lande.
Zweiter Punkt: die eigenständige Handschrift. Sie haben mir im Haushaltsausschuss gesagt, Sie wollten das nicht mehr hören. Sie werden es sich aber anhören müssen, Frau Schavan. Sie setzen Programme von Edelgard Bulmahn in diesem Jahr um, nicht mehr und nicht weniger.
Sie setzen nur überall ein kleines Hütchen drauf. Aber das muss man Ihnen lassen: Sie haben eine deutlich prosaischere Art als Edelgard Bulmahn.
Die Programme werden jetzt nicht mehr mit Anglizismen benannt, sondern mit wunderschönen Bezeichnungen wie - das ist mein Lieblingsprogramm -: „Nano geht in die Produktion“. Ich finde, das hört sich eher nach einem DDR-Spielfilm an als nach einem neuen Innovationsansatz.
Neu ist - danach werden Sie sich fragen lassen müssen, Frau Schavan - zum Beispiel der Ansatz, den Sie in der Hightechstrategie vortragen, dass der Bund sich offensichtlich - ich bitte um Aufklärung, wenn es nicht so ist - finanziell am Bau eines Demonstrationskraftwerkes und an Offshoretestfields beteiligen möchte. Da möchte ich schon wissen - ich vermute, Kollege Hagemann ebenfalls -: Was versteckt sich dahinter? Erstens ist das ein merkwürdiger ökonomischer Ansatz und zweitens ist es ein merkwürdiger finanzieller Ansatz. Da brauchen wir schon Aufklärung.
Abschließend: Sie sind hier heute angetreten, um uns zu sagen, dass Sie die Federführung für die Hightechstrategie haben. Wir haben, Frau Bulmahn
- Entschuldigung, Frau Schavan; man sieht, das mit den Hüten ist offensichtlich wahr -, Herrn Glos gefragt, was er denn davon hält. Herr Glos hat uns auch geantwortet; er ist ja ein höflicher Mensch. Er hat mir klipp und klar mündlich gesagt, die Koordinierungsaufgaben blieben im Wirtschaftsministerium; wenn sich das nicht bewähren sollte, könne man darüber ja noch einmal nachdenken. Schriftlich hat er uns mitgeteilt, die F-u-E-Vorhaben der Bundesregierung würden unter der - man achte auf das Wort - redaktionellen Federführung des BMBF abgestimmt und gebündelt dargestellt.
Frau Sager, ich vermute, auch Sie werden sich erinnern: Ähnliche Probleme hatte Frau Bulmahn in der letzten Legislaturperiode. Das ist nichts Neues, Frau Schavan; das ist ganz offensichtlich das Gleiche, was Frau Bulmahn erlebt hat. Die Abstimmung ist eben nicht so, wie sie sein sollte. Ich setze sehr darauf, dass wir in den nächsten Monaten etwas Besseres sehen als im Augenblick.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun der Kollege Professor Dr. Heinz Riesenhuber für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Flach, ich bewundere es, mit welch fröhlicher Leidenschaft Sie an die Sache herangehen. Aber etwas mehr Muße, bitte! Frau Schavan ist gerade gestartet. Sie hat einige Punkte geregelt, die überzeugend sind; ich gehe gleich darauf ein. Sie aber gehen mit dem Glauben heran, es habe sich nichts geändert. Stattdessen gibt es Schwung und Begeisterung. Selbst unter der Regierung unseres hoch verehrten Koalitionspartners, der SPD, ist trotz deren hervorragender Leistung
nicht alles vollkommen gewesen. Die Grünen, Frau Sager, haben mitregiert. Das war natürlich eine echte Schwierigkeit für unsere Freunde von der SPD. Deshalb war die Situation für den Mittelstand nicht ganz so begeisternd, wie Sie es dargestellt haben.
Frau Flach, die globale Minderausgabe ist so angelegt - das ist vom Haushaltsausschuss sorgfältig überprüft worden -, dass die Exzellenzinitiative innerhalb der vorgesehenen Zeitpläne trotz der geplanten Einschränkungen ohne finanzielle Behinderung durchgeführt werden kann.
Ich muss mich überhaupt im Namen des Ressorts Forschung mit besonderer Herzlichkeit für die konstruktive Einstellung des Haushaltsausschusses und des Finanzministers bedanken. Die vorfristige Freigabe der Mittel für 2006 ist eine ausgezeichnete Sache. Wir bedanken uns dafür; denn wir brauchen diese Mittel.
Frau Berg hat davon gesprochen, dass die Gelder trotz der globalen Minderausgabe so fließen sollten, wie dies festgelegt worden ist. Auch da bauen wir auf die freundschaftliche Hilfe des Haushaltsauschusses, darauf, dass der gesamte vorgesehene Betrag wirklich für Forschung ausgegeben wird. 6 Milliarden Euro wurden versprochen; 6 Milliarden Euro müssen es sein. Herr Finanzminister, Sie schauen her zu mir: Danke für Ihre zustimmende Begrüßung! Sie werden daran mitarbeiten, dass wir das Geld wirklich so erhalten, wie wir es benötigen. - Die Regierung - wir vertrauen auf den Finanzminister - hat 6 Milliarden Euro versprochen. Die werden wir auch bekommen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege Riesenhuber, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flach?
Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU):
Frau Kollegin, herzlich willkommen.
Ulrike Flach (FDP):
Herr Riesenhuber, Sie werden mir sicherlich zustimmen, dass eine globale Minderausgabe natürlich erst einmal erwirtschaftet werden muss. Wenn wir uns anschauen, was im Augenblick im zuständigen Ministerium geschieht, dann kommt man zu dem Ergebnis - Sie werden mir zustimmen müssen; ich frage Sie ausdrücklich danach -: Derzeit muss erst einmal der alte Teil der Projekte abgearbeitet werden. Die Mittel, die wir für die Exzellenzinitiative brauchen, benötigen wir nämlich im Augenblick nicht; sie ist ja noch nicht gestartet. Deswegen ist dieses Geld erst einmal herausgenommen worden. Sie werden ja wohl nicht unterstellen, dass irgendjemand die für die Forschung vorgesehenen 6 Milliarden Euro nicht einstellen will. Aber die für dieses Jahr vorgesehenen Mittel werden nicht abfließen.
Das ist meine Aussage.
Da sieht die Sache so aus: Sie sagen, die Hightechstrategie integriert nicht nur die unterschiedlichen Forschungsbereiche, sondern umfasst auch die Normen und Standards, die Infrastruktur, die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Es ist eine Strategie, die die unterschiedlichen Elemente, vom Patentwesen bis zur innovativen öffentlichen Beschaffung, integriert. Das ist ziemlich anspruchsvoll.
Der Wirtschaftsminister sitzt hier in Gestalt des Kollegen Schauerte.
- Ich finde es toll, dass er hier ist. Ich bin dankbar und glücklich. Es ist immer eine Belebung. - Das Wirtschaftsministerium verfolgt eine anspruchsvolle Strategie. Wir haben die Ressorts, die einzelnen Fachabteilungen und Unterabteilungen mit Forschungsreferaten angereichert. Das ist anspruchsvoller, als wenn wir nur einen „Forschungsblock“ gemacht hätten. Die Integration innerhalb der Bundesregierung ist genau Ausdruck dieser integrierten Strategie. Frau Schavan, in einer idealen Welt hätten wir für Forschung ein eigenes Ministerium, zu dem vielleicht auch noch das Bundespatentamt und die Bundesanstalt für Geowissenschaften sowie noch viele andere Einrichtungen gehören könnten.
Das ist in der Weisheit dieser großen Koalition, die wir alle respektieren, bewundern und tragen, anders entschieden worden.
Jetzt ist eine kraftvolle Koordination hin zu einer einzigen integrierten Strategie notwendig, die so mitreißend ist, dass sich das ganze deutsche Volk freut.
An einigen Stellen werden durchaus neue Fragen auftauchen. Ich finde es ausgezeichnet, dass Sie die Forschungsprämie mit einem erheblichen Maß an Sympathie angesprochen haben. Dieses Instrument verbindet die kleinen und mittleren Unternehmen sowie die wissenschaftlichen Institutionen zum Nutzen beider, ist unbürokratisch und schnell und kann Dynamik entfalten. Ob wir es nur auf kleine und mittlere Unternehmen oder auch auf größere anwenden, darüber muss man noch sprechen. Das Prinzip ist prima.
Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesregierung mutig genug ist, auch einmal eine Diskussion über die Tax-Credits zu führen. Das heißt, dass mehr als 100 Prozent der Forschungskosten abgeschrieben werden können, wobei durchaus zwischen großen und kleinen Unternehmen unterschieden werden muss. Diese Differenzierung gibt es auch in anderen Ländern. Wir haben hier ein schnelles und unbürokratisches Instrument, das auch die Mehrzahl der OECD-Länder nutzt. Es wäre reizvoll, hierüber zu reden, wobei in diesem Moment der Herr Finanzminister seine Akten liest, was ich verstehe.
Trotzdem kann man die Sachdiskussion hier doch mit Fröhlichkeit angehen.
Wir müssen noch einige neue Gebiete angehen, so etwa die Alternsforschung, die vor 15 Jahren schon einmal ein Thema war - Sie sind noch nicht so alt, als dass Sie das hier am eigenen Leib hätten erfahren können -,
dann aber ein bisschen versackt ist. Wir müssen uns auch mit der klinischen Forschung befassen. Für jede Universität sind in den Haushalten der Länder viele Dutzende Millionen eingestellt und trotzdem ist die Forschung rudimentär. Wenn alles für klinische Forschung ausgegeben würde, was in den Länderhaushalten eingestellt ist, würden wir das NIH in den USA mit Fröhlichkeit überholen. Wir müssen die Frage angehen, was wir mit der Sicherheitsforschung als einer integrierten Querschnittstechnologie machen können. Wir müssen noch einmal die sinkende Zahl der Unternehmensgründungen angehen. Wir haben Fonds der Bundesregierung, die stärker sind als in irgendeinem anderen Land: EIF/ERP, den Hightechgründerfonds. Ich kann noch mehr aufzählen.
Der Punkt ist nicht, dass wir im Gespräch mit dem Finanzminister einige Fragen zum Verlustvortrag kleiner und mittlerer Unternehmen stellen. Das ist auch wichtig. Wichtiger aber ist eine andere Frage: Wo können wir ansetzen? Die Zahl der Unternehmensgründungen im Hightechbereich in Deutschland war im vergangenen Jahr rückläufig. Das können wir uns nicht leisten. Auf diesem Gebiet haben wir den schnellsten und engagiertesten Transfer: Wenn jemand ein Unternehmen gründet, kämpft er für seinen eigenen Kopf und sein eigenes Geld. Der feste Glaube, dass die 38-Stunden-Woche das Höchste in der Welt sei, relativiert sich dann sehr schnell.
Es hat mir gefallen, dass Sie beiläufig - dieses Wort wird eine ziemlich zentrale Rolle einnehmen - vom Wettbewerb gesprochen haben. Im Kern wird es darum gehen, ob wir den Wettbewerb so organisieren können, dass sich jeder seinen eigenen Erfolg zuschreiben kann und Lust an der eigenen Leistung hat.
Frau Sager, Sie haben einige skeptische Bemerkungen zu den Ländern und zur Föderalismusreform gemacht. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt, wenn jedes Land für das verantwortlich ist, was in seiner Schul- und Hochschulpolitik passiert, wenn die Länder miteinander konkurrieren und wenn jedes Land zeigen muss, wie gut es ist. Schauen wir einmal, was dabei herauskommt, wenn die Länder gefordert sind, in eigener und voller Verantwortung zu zeigen, wie ihre Systeme funktionieren.
Möglicherweise entwickelt sich dadurch eine größere Dynamik, als dies bei unklaren Kompetenzen, langsamen Entscheidungen, einem vermuteten Zentralismus und einer übergeordneten Präponderanz der Weisheit der Bundesregierung möglich ist. Dann haben wir eine andere Situation. Glauben Sie an den Wettbewerb und die Begeisterung der Menschen dafür!
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, ich muss Ihren Redeeifer leider etwas bremsen. Ihre Redezeit ist überschritten.
Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU):
Also gehe ich jetzt beiläufig in die Schlussrunde.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Sie müssen zum Schluss kommen.
Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU):
Frau Präsidentin, das tue ich wirklich.
Große Koalitionen stehen gelegentlich in dem Verdacht einer gewissen Trägheit.
Es ist nun an uns, dieses zu widerlegen. Wer, wenn nicht wir? Wann, wenn nicht jetzt? Wo, wenn nicht in der Technologie und in der Forschung? Lassen Sie uns die neuen Kräfte fröhlich entfalten!
Wir haben Frau Schavan als Forschungsministerin und Michael Glos als Wirtschaftsminister. Das ist schon großartig!
Wir haben die riesengroße Zahl der kreativen Köpfe der zwei größten Fraktionen dieses Parlaments - das ist ein Reichtum - zur Verfügung.
Freunde, das muss uns doch befeuern, zu einem ansteckenden Unternehmensgeist, zu einer Freude an der gemeinsamen Gestaltung der Wissensgesellschaft in Deutschland und einer kraftvollen Gestaltung der Zukunft!
Wir hoffen, dass uns die Opposition, zur Linken und zur Rechten, mit Liebe, Verständnis und konstruktiven Beiträgen begleitet.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat das Wort der Kollege Klaus Hagemann für die SPD-Fraktion.
Klaus Hagemann (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Riesenhuber, Sie sprachen von der Kreativität der Frau Ministerin und des Herrn Glos. Der Vollständigkeit halber muss man natürlich auch die Kreativität unseres Finanzministers erwähnen, der es ermöglicht, dass wir dieses Programm, von dem wir die ganze Zeit reden, auch realisieren und finanzieren können.
Leider kann ich als Haushälter die Situation nicht in solch lyrischen Breiten, wie Sie es eben getan haben - Kompliment, Herr Riesenhuber -, besprechen.
In dem schon öfter genannten Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit heißt es - ich zitiere -:
Deutschlands Wirtschaft zählt zu den forschungsintensivsten in der Welt, hat aber das FuE-Wachstumstempo der wichtigsten Konkurrenten nicht immer halten können.
Ich glaube, dass dies der Schlüsselsatz ist. In Zahlen ausgedrückt heißt das, dass ein Anteil von FuE am Bruttoinlandsprodukt von zweieinhalb Prozent nicht ausreicht, um Forschung und Entwicklung zu finanzieren. Wir brauchen 3 Prozent. Diese Erhöhung hat - Frau Flach, Sie haben völlig Recht - auch die Vorgängerregierung angestrebt. Deswegen wurden in den zurückliegenden Legislaturperioden immer mehr Mittel für Forschung und Entwicklung zur Verfügung gestellt. Ein Hinweis an den geschätzten Koalitionspartner: Hätten wir die Mittelumschichtung von der Eigenheimzulage zum Bereich Forschung und Bildung schon vor drei Jahren vorgenommen, hätten wir heute mehr Mittel zur Verfügung.
6 Milliarden Euro mehr in vier Jahren - das ist der richtige Weg. Für dieses Jahr sind das, auf Einzelpläne verteilt, 700 Millionen Euro. Als Haushälter stelle ich fest, dass der Bund in diesem Jahr insgesamt 7,2 Milliarden Euro für die Förderung von Forschung und Entwicklung ausgeben wird. Die Planung sieht eine Steigerung auf 8,1 Milliarden Euro bis zum Jahre 2009 vor. Dieses sehr ehrgeizige Ziel ist aus Sicht des Haushälters eine große Herausforderung. Ich danke dem Finanzminister für seinen Beitrag dazu, dass wir diesen Weg gehen können.
Eigentlich stehen Haushaltskonsolidierung und Einsparungen im Mittelpunkt. Aber im Bereich Forschung und Entwicklung legen wir in diesem Jahr - ich sage es noch einmal - 700 Millionen Euro obendrauf. Das zeigt, wie wichtig für die Koalition dieser Bereich ist. Investitionen in die Zukunft - das ist der richtige Weg, den wir hier gehen müssen.
Wir erwarten natürlich auch, dass sich die Wirtschaft verstärkt engagiert. Das wurde schon mehrfach deutlich gesagt. Wir investieren viel Geld. Die 7 Milliarden Euro müssen natürlich zu einem gesellschaftlichen Return of Invest führen. Arbeitsplätze in vielen Bereichen müssen geschaffen werden, Produkte müssen hier entwickelt und auf den Markt gebracht werden. Auch neue Märkte müssen erschlossen werden. Diese Punkte sind sicherlich von großer Bedeutung.
Dazu gehört natürlich auch, dass ein Wissens- und Technologietransfer erfolgen muss.
Die SPD-Fraktion steht hinter diesem Programm. Wir haben aber einige Forderungen, Frau Ministerin Schavan, an die Bundesregierung; wir haben sie im Haushaltsausschuss deutlich angesprochen. Es sollte kein Flickenteppich von Projekten gefördert werden, vielmehr sollte das Geld gezielt in wichtige Projekte fließen. Es soll ein zwischen den Ministerien abgestimmtes Konzept vorgelegt werden; dabei sollte man sich nicht nur auf redaktionelle Punkte beschränken, Frau Flach. Vielmehr soll im Rahmen eines abgestimmten Programms ein roter Faden erarbeitet werden. Sie haben das im Haushaltsausschuss deutlich gemacht.
Unsere Bitte, die ich an dieser Stelle wiederhole, ist: Der Haushaltsausschuss und damit das Parlament sollten einbezogen werden. Wir sind hier schon auf einem guten Wege, was die Koordinierung betrifft.
Wir sollten auch eine Konzentration der Mittel vornehmen, sehr geehrte Frau Ministerin. Clusterbildung ist der Fachausdruck, über den hier schon gesprochen wurde. Die bereitgestellten Mittel sollten schnell abfließen; denn wir wissen, dass öffentliche Mittel eine Hebelwirkung haben. 1 Euro, der staatlicherseits investiert wird, bringt 1 Euro zusätzlich an Investitionen seitens der Wirtschaft. Wir haben deswegen dazu beigetragen, dass trotz vorläufiger Haushaltsführung die Mittel für den Einzelplan 09, Wirtschaft, und für den Einzelplan 30, Forschung und Bildung, freigegeben worden sind.
Wichtig ist, dass sich die Wirtschaft jetzt an die Zusagen hält. Die Frau Bundeskanzlerin hat gestern im Haushaltsausschuss zugesagt - ich bedanke mich dafür -, dass sie mit der deutschen Wirtschaft auf der Konferenz, die nächste Woche stattfindet, über diese Forderung spricht. Es sollte darauf hingewiesen werden, dass die Investitionen seitens der Wirtschaft rückläufig sind. Hier muss die Entwicklung umgedreht werden: Es müssen mehr Mittel seitens der Wirtschaft und - das sei hier ebenfalls erwähnt - auch seitens der Länder aufgebracht werden.
Die deutsche Wirtschaft sollte sich ein Beispiel an der Wirtschaft in anderen Ländern nehmen und entsprechend handeln.
Wir haben in der letzten Legislaturperiode große Schritte nach vorne gemacht. Wir werden mit diesem Programm in Höhe von 6 Milliarden Euro einen weiteren Schritt tun. Wir sind auf dem richtigen Weg und ich hoffe, dass die Maßnahmen entsprechend umgesetzt werden und dass Produkte, die hier entwickelt wurden, auf den Markt kommen.
Es darf nicht noch einmal so sein, wie beim MP3-Player geschehen: Die Technologie wurde von der Fraunhofer-Gesellschaft, mit staatlichen Mitteln gefördert, entwickelt. Aber es fand sich kein deutsches Unternehmen, das diese Entwicklung in marktfähige Produkte umgesetzt hätte. Jetzt werden diese Geräte in den USA gebaut. Die Fraunhofer-Gesellschaft bekommt zwar Lizenzgebühren; aber die Arbeitsplätze sind in den USA geschaffen worden. Das ist nicht der richtige Weg. Wir müssen gemeinsam vorgehen, um hier zu Veränderungen zu kommen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Carsten Müller das Wort.
Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Forschung, Innovation und Bildung - das sind die Themen unserer Zeit. Wir wollen bei der Jugend und beim Nachwuchs wieder Begeisterung dafür wecken und es ist an uns, die notwendigen Voraussetzungen und Perspektiven zu schaffen; denn die Nachwuchsausbildung spielt hierbei die entscheidende Rolle.
Exzellenz ist das maßgebliche Kriterium für Lehre und Wissenschaft. International ist dieses Bewusstsein schon lange vorhanden. Deswegen ist auch die Exzellenzinitiative der Bundesregierung genau richtig. Die Förderung technologischer Innovationen ist eine entscheidende Grundlage für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit und gleichzeitig Markenzeichen dieser großen Koalition. Initiativen für leistungsfähige europäische Programme müssen wie beim 7. Forschungsrahmenprogramm wieder häufiger aus Deutschland kommen; denn nur so gelingt es uns, unsere Interessen auf die Tagesordnung der EU zu setzen und die Bürger in Deutschland und in Europa hinter unserer Politik zu versammeln.
Deutschland braucht Europa, um gemeinsam ein Gegengewicht zu konkurrierenden Wirtschaftsregionen zu bilden. Europa braucht allerdings auch ein starkes und innovatives Deutschland. Es kann nicht sein, dass wir als wirtschaftsstärkste Nation in vielen Bereichen noch hinterherhinken. Wir müssen wieder zum Motor der EU werden. Geht es Deutschland gut, läuft es auch in der EU gut.
Ein Beispiel für die Initiative der neuen Regierungskoalition ist das 6-Milliarden-Euro-Programm für die Forschungsförderung. Hiermit kommen wir dem 3-Prozent-Ziel der Lissabonstrategie einen großen Schritt näher. In diesem Zusammenhang sehe ich auch die flankierenden Anträge der Koalitionsfraktionen zur technologischen Leistungsfähigkeit und zum 7. Forschungsrahmenprogramm.
Innovation und Forschung werden in Deutschland leider noch zu häufig ideologisch betrachtet. Hierbei denke ich an den Bereich der Kernforschung. Deutsche Unternehmen, Institutionen, Universitäten und Forschungseinrichtungen waren beispielsweise bei der Sicherheitsforschung weltweit führend. Heute sind dies andere Nationen. Unsere Spitzenposition wurde leichtfertig verspielt.
Unser Ziel muss es sein, wieder zur Spitzengruppe aufzuschließen. Das Motto „Deutschland - Land der Ideen“ muss allgemeine Geltung haben.
Meine Damen und Herren, der Bereich der Energieforschung ist beispielhaft für die Entwicklung der deutschen Position in den letzten Jahren. Das führte beispielsweise auch die Kollegin Künast am letzten Donnerstag hier im Plenum aus. Ich zitiere:
Die EU will weltweit zu einer der wettbewerbsfähigsten Regionen werden. Aber im Energiebereich sind wir davon meilenweit entfernt. Überall auf der Welt dreht sich alles um Energie. In Russland, China, Indien oder auch in Südamerika hat man entweder die entsprechenden Rohstoffe oder sichert sie sich mit Verträgen auf Jahrzehnte hinaus.
In diesem Punkt hat Frau Künast Recht. Leider sieht dies bei uns tatsächlich anders aus. Die Fraktion, für die Frau Künast spricht, ist hierfür ganz wesentlich mitverantwortlich. Bündnis 90/Die Grünen waren Reiseführer auf dem energiepolitischen Irrweg der vergangenen Jahre.
Ich finde es übrigens sehr interessant, dass alle von Frau Künast angeführten Staaten die friedliche Kernenergie nutzen.
Auf dem Irrweg befanden sich die Grünen lange Zeit übrigens auch beim Thema nachwachsende Rohstoffe. Dazu haben wir heute einiges gehört. Noch im Jahre 1995 hielt Ihre heutige Sprecherin für Verbraucherschutz und Agrarpolitik, Frau Kollegin Höfken, die Förderung nachwachsender Rohstoffe für einen strukturellen Missgriff. Das muss man sich heute einmal vorstellen! Von einer langfristigen Strategie, die diese Bezeichnung auch nur annähernd verdient, kann bei Bündnis 90/Die Grünen leider keine Rede sein.
Unbestritten ist, dass ein gesunder Energiemix notwendig ist. Erneuerbare Energien sind dabei unverzichtbar.
Deswegen freut es mich auch, dass die EU dieses Thema im 7. Forschungsrahmenprogramm aufgenommen hat und sich im Übrigen auch eindeutig zur Unterstützung der Fusionsforschung bekennt.
Eine weitere große Chance der Forschung und Innovation sind die Potenziale der Nanotechnologie. Gerade in diesem Jahr gestatten Sie mir einen Vergleich bezüglich dieser faszinierenden Technologie: Man muss sich einmal vorstellen, dass das Größenverhältnis eines Nanoteilchens zu einem Fußball genau das gleiche ist wie das Größenverhältnis dieses Fußballs zu unserem Planeten Erde.
Wir können an diesem Beispiel erahnen, welche Potenziale dort schlummern. Die unermesslichen Möglichkeiten dieser Technologie müssen wir anwendungsorientiert erforschen. Hier liegen riesige Potenziale für unsere Forscher und für unsere Wirtschaft. Auch die Nanotechnologie wird im 7. Forschungsrahmenprogramm prominent herausgestellt.
Zukunftsweisende Forschungsbereiche sind unser Kapital. Wir müssen sie auf nationaler Ebene flankierend zum 7. Forschungsrahmenprogramm vorantreiben. Diese Aufforderung richtet sich insbesondere auch an die Privatwirtschaft. Wir werden das Lissabonziel nur dann erreichen, wenn öffentliche Hand und private Hand hier gemeinsam tätig werden.
Die Union legt besonderen Wert auf die Freisetzung innovativer Kräfte bei kleinen und mittelständischen Unternehmen. Wir brauchen eine neue Aufbruchstimmung in diesem Land; denn nur wenn es uns gelingt, eine solche Aufbruchstimmung zu transportieren, dann gelingt es uns, Forschungs- und Technologieförderung in Arbeitsplätze umzusetzen.
Meine Damen und Herren, Forschung und Innovation sind unsere Zukunft. Wir müssen alles daransetzen, die besten Voraussetzungen hierfür zu schaffen. Diesem Ziel fühlt sich die große Koalition verpflichtet.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat das Wort der Kollege René Röspel für die SPD-Fraktion.
René Röspel (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute zwei Anträge der Regierungskoalition, einen Antrag der Fraktion der FDP sowie den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2006.
Seit 1984 gibt es Forschungsrahmenprogramme auf der europäischen Ebene, die - das haben wir schon gehört - unter anderem dazu dienen, Forschung in Europa koordiniert zu fördern und neue Technologien zu entwickeln. Das 7. Forschungsrahmenprogramm ist mit einem Budget von wahrscheinlich etwa 50 Milliarden Euro bis 2013 das bisher größte seiner Art. Damit kommt die EU dem in der Lissabonstrategie festgelegten Ziel näher, den Anteil der Aufwendungen für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt auf 3 Prozent zu erhöhen. Das ist ein Ziel, das wir mit unserem Antrag ausdrücklich unterstützen, genauso wie zum Beispiel das Vorhaben, einen europäischen Forschungsrat einzurichten, der etwa der Deutschen Forschungsgemeinschaft entspricht und der Geld für ausgewählte Forschungsprojekte bewilligen kann, die nach dem Exzellenzprinzip ausgewählt werden. Mit dem 7. Forschungsrahmenprogramm macht Europa einen Schritt mehr zur Wissensgesellschaft.
Wie aber sieht die Situation in Deutschland aus? Dazu gibt der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit, der von unabhängigen Instituten erarbeitet worden ist, in der Tat einiges an Auskunft. Der erste Satz lautet - Frau Sitte, auch Sie haben ihn zitiert -:
Trotz anhaltender Exporterfolge hat sich die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands auf längere Sicht nicht gut entwickelt.
Mit Erlaubnis der Präsidentin werde ich noch ein paar weitere Zitate bringen; denn auch auf diese Zitate kommt es an:
Wissenschaft und Forschung haben in Deutschland eine hohe Qualität. ...
Die Ausgaben für Forschung und experimentelle Entwicklung wurden von der Wirtschaft in Deutschland nicht kräftig genug erhöht ...
Der Anteil von innovierenden Unternehmen hat wieder zugenommen. ...
Deutschlands Industrie zeigt auf den Exportgütermärkten eine außerordentlich hohe Präsenz. Ausschlaggebend ist
- man höre -
eine hohe Qualität der Produkte zu wettbewerbsfähigen Preisen. ...
Notwendig ist ein schnellerer Strukturwandel hin zu Spitzentechnologien und wissensintensiven Dienstleistungen. ...
Die Umsetzung von FuE-Ergebnissen in breite technologische Anwendungen funktioniert gut. Deutschland ist unter den großen Volkswirtschaften hinter Japan das patentintensivste Land ...
Deutschlands Wirtschaft zählt zu den forschungsintensivsten in der Welt ...
Das ist eine Reihe von Zitaten aus ebendiesem Bericht. Sie zeigen, glaube ich, sehr gut auf: Es gibt einige Punkte, in denen wir gut sind, und es gibt einige Punkte, in denen wir mindestens Defizite haben oder schlecht sind. Dieser Bericht zeigt auch auf: Wir können nicht nur eine Antwort liefern, sondern wir müssen ganz viele unterschiedliche Antworten auf das, was uns der Bericht zeigt, geben. Genau das tun wir mit abgestimmten Maßnahmen und mit einer abgestimmten Strategie. Das hat Herr Riesenhuber viel besser erläutert, als ich das hier könnte.
Wir machen auf nationaler Ebene, was wir auch auf europäischer Ebene unterstützen: Wir koordinieren Forschung; wir bündeln die Initiativen nicht über einzelne Länder - wie in der EU -, sondern über die unterschiedlichen Ministerien. Vor allem investieren wir in die Menschen und in Forschung und Entwicklung zusätzliche 6 Milliarden Euro im Zeitraum von 2006 bis 2009. Wir setzen damit einen Kurs fort, der 1998 mit SPD-Forschungsministerin Edelgard Bulmahn begonnen wurde. Aber dazu hat Klaus Hagemann als Haushaltspolitiker schon eine Menge gesagt.
Zusätzliche 6 Milliarden Euro werden also in den nächsten drei Jahren in Deutschland investiert, und zwar in moderne Informations- und Kommunikationstechnologien, in Gesundheitsforschung und Medizintechnik, ein Bereich, in dem wir mit nur zwei anderen Ländern weltweit führend sind. Wir wollen Volkskrankheiten wie Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erforschen, aber auch so genannte vernachlässigte Krankheiten wie Malaria und Tuberkulose, von denen wir hier glauben, dass sie uns nicht berühren. In vielen anderen Teilen der Welt werden sie immer bedeutender und stellen ein immer größeres Problem dar.
Wir wollen stärker in die Energieforschung einsteigen. Das ist in der Tat aus meiner Sicht der zentrale Motor für die Schaffung von Arbeitsplätzen, für Klimaschutz und für Innovationen. Wir wollen moderne Kraftwerkstechnologien, das moderne Null-Emissions-Kraftwerk, die Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie fördern. Wir wollen noch stärker in effiziente Energienutzung und - das haben wir mit dem damaligen grünen Koalitionspartner begonnen - in erneuerbare Energien investieren.
Union und SDP haben sich auf gemeinsame Anträge zur Forschungspolitik geeinigt. Ich will offen bekennen: Das war in einigen Punkten nicht einfach; es gibt Meinungsunterschiede und das wird sicherlich weiterhin so bleiben. Diese Positionen müssen wir auch benennen, Herr Müller. Ich glaube, das gehört dazu.
Der erste Punkt. Bei der Agrogentechnik, bei der so genannten Grünen Gentechnik bleiben wir dabei, dass das Vorsorge- und Nachhaltigkeitsprinzip angewandt werden muss. Wir erleben gerade eine sehr interessante Entwicklung in Bayern. CSU-Generalsekretär Söder hat offenbar erkannt, dass es auch in Bayern Landwirte gibt, die den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen skeptisch sehen. Wir werden uns anschauen, was bei dieser Diskussion herauskommt.
Der zweite Punkt, der uns viel Mühe bei der Beratung der Anträge gemacht hat, betraf Fragen der Sicherheitsforschung. Sicherheitsforschung bedeutet für Sozialdemokraten eben nicht die Reduzierung der Politik auf Militär, Soldaten, Terrorismus und Kriminalität; vielmehr ist sie für uns ein viel weiterer Begriff, und zwar im Sinne des UN-Begriffs der Human Security, bei dem es um das Sicherheitsbedürfnis von Menschen geht, den Schutz vor Naturkatastrophen, aber auch die tägliche Sicherheit. Ich glaube, dass wir uns in dieser Frage in den nächsten Debatten annähern werden. Das ist keine Frage.
Der dritte Punkt. Es existieren sehr große Unterschiede - das hat auch Herr Müller gerade angesprochen - zwischen CDU/CSU und SPD in der Frage der Nutzung der Atomkraft. Die SPD hält am Ausstieg aus der Atomenergie fest. Bei der Erforschung der Kernfusion bleibt es bei der Einhaltung der bestehenden internationalen Verträge. Für die Sozialdemokraten ist die Kernfusion eine Forschungsoption, also ein interessantes Forschungsgebiet, aber keine Lösung der Energiefragen der künftigen Jahre.
Wir haben in den letzten anderthalb Stunden eine eigentlich ideologiefreie Debatte über Technik geführt. Das fand ich sehr gut, weil es unserem Ziel dient. Es gab eine Ausnahme: Frau Pieper, Sie haben - ich habe es wie üblich mitgezählt - in Ihrer Rede dreimal den Begriff „Ideologie“ benutzt, im Antrag der FDP steht mindestens fünfmal „Ideologie“.
Immer, wenn der FDP die Argumente ausgehen, machen Sie den Vorwurf - das ist Ihre Methode -: Jeder, der nicht die Position der FDP teilt, ist offenbar Ideologe.
Wer den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen kritisch sieht, ist ideologieverdächtig und wer die Atomenergie beenden möchte, ebenfalls.
Nun möchte ich das an einem anderen Beispiel klar machen. Oben auf der Besuchertribüne sitzen etwa hundert junge Menschen. Das ist die zukünftige Generation, die in unserem Land irgendwann Verantwortung tragen wird. Der Spruch ist vielleicht abgenutzt, aber ich sage es trotzdem: Sie sind die Zukunft unseres Landes. Denen wollen wir eine lebenswerte Umwelt und Welt hinterlassen. Wir produzieren aber jeden Tag Hunderte Tonnen radioaktiven Mülls. Plutonium - das ist einer der giftigsten chemischen Stoffe, die die Menschheit kennt - hat eine Halbwertszeit von 24 000 Jahren. Nach 24 000 Jahren strahlt 1 Kilogramm Plutonium - 1 Kilogramm reicht übrigens aus, um 1 Million Menschen zu vergiften und tödlich zu verstrahlen - immer noch so stark wie ein halbes Kilogramm Plutonium. Ist das Ideologie? Nein. Das ist Physik. Herr Barth, Sie können das bestätigen.
Die Kinder dieser Jugendlichen dort oben und deren Kindeskinder und Kindeskindeskinder werden diesen Atommüll zeit ihres Lebens als bittere Hinterlassenschaft unserer Generation haben und damit nicht umgehen können, weil es noch keine Lösung gibt.
Ist es Ideologie, wenn wir als SPD - die Grünen tun das übrigens auch - sagen, dass wir jede Tonne Atommüll, die heute anfällt, vermeiden und so schnell wie möglich raus aus der Kernkraft und rein in die erneuerbaren Energien wollen?
Ich finde, das ist verantwortungsvoller und nachhaltiger Umgang mit unserer Umwelt und den uns nachfolgenden Generationen.
Wenn man in 20 oder 30 Jahren von Windkraftwerken die Nase voll hat, kann man sie einfach abbauen und den Stahl verschrotten. Dann ist von ihnen nichts mehr zu sehen und zu spüren. Das ist also unproblematisch. Bei der Atomenergie geht das nicht. Deswegen sagen wir: Wir müssen so schnell wie möglich raus aus der Atomenergie.
Im Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands ist uns ein wesentlicher Kritikpunkt ins Stammbuch geschrieben worden: Was Bildung und Ausbildung angeht, gibt es Risse im Fundament. Wer also über technologische Leistungsfähigkeit redet, darf ihre Grundvoraussetzungen nicht vergessen; das ist unsere Überzeugung.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
René Röspel (SPD):
Ich komme zum Schluss und halte mich noch kürzer als Herr Riesenhuber.
Wir brauchen ein Bildungssystem, das leistungsfähig ist, in dem jeder die Chance hat, unabhängig vom Geldbeutel seiner Eltern zu studieren und sich Bildung anzueignen, in dem niemand vergessen wird und in dem kein Talent ungenutzt bleibt. Auch auf diese Erfordernisse haben wir im Antrag der Koalition reagiert. Wir wollen eine Bildungsoffensive zur Sicherung des Nachwuchses starten. Hier müssen alle an einem Strang ziehen: die Wirtschaft, die Bundesländer und der Bund. In den nächsten Wochen werden wir sehen, inwieweit das in Zukunft möglich ist.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Als letzter Redner in dieser Debatte hat nun der Kollege Axel Fischer für die Unionsfraktion das Wort.
Axel E. Fischer (Karlruhe-Land) (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Vor wenigen Tagen hat die Deutsche Bank Research festgestellt, dass Deutschland, was das Wohlstandsniveau angeht, innerhalb Europas zurückfällt. Derzeit belegen wir Rang 11 von 15. Wenn sich nichts ändert, werden wir im europäischen Vergleich des Wohlstandsniveaus im Jahr 2020 wohl Drittletzter sein. Ich glaube, wir sind uns einig, dass das nicht so kommen darf. Wenn wir nicht handeln, dann wird es aber so kommen. Natürlich kann man sich, wenn es bergab geht, wie auf einem Fahrrad gemütlich zurücklehnen - das Fahrrad rollt ja von selbst - und die Beine hochlegen.
Sitzt man aber auf dem Fahrrad und es geht bergauf, dann muss man in die Pedale treten und etwas tun. Das hat die Bundesregierung vor.
Wir wollen in die Riege der Länder zurück, in denen Wohlstand herrscht, und uns zum Wohlstand unserer Gesellschaft bekennen. Das ist unser Ziel. Das heißt, dass wir besser sein müssen als bisher und dass wir in unserer Gesellschaft wieder klar zum Ausdruck bringen müssen, dass wirtschaftliches Wachstum etwas Positives ist. Wir wollen in wirtschaftlicher Hinsicht vorankommen. Wir wollen, dass es durch Technik zu Innovationen kommt und dass dadurch neue Arbeitsplätze bei uns geschaffen werden. Das ist unser Ziel; denn wir brauchen in unserem Land Arbeitsplätze.
Dazu sind wir - das geht gar nicht anders - auf eine technikfreundliche Stimmung in der Gesellschaft angewiesen. Wir müssen der Technik positiv und aufgeschlossen gegenüberstehen. Wir müssen mehr über die Chancen der Technik, die wir ergreifen wollen, diskutieren, statt endlose Debatten über ihre Risiken zu führen, die uns nur aufhalten und verhindern, dass wir in unserem Land vorankommen.
Das will ich Ihnen anhand eines Beispiels vor Augen führen: Eine ältere Dame, die in ihrem Leben noch nie Aufzug gefahren ist, steht vor einem Aufzug. Ein amerikanischer Unternehmer möchte sie in den Aufzug begleiten. Sie fragt ihn, ob das nicht vielleicht gefährlich ist. Dann erklärt er der Dame, dass eigentlich nichts passieren kann und dass man von ganz oben, aus dem 20. Stockwerk, einen wunderbaren Ausblick über die Stadt hat, dass sie von dort sehen kann, wo sie wohnt und wo der Wald ist, und dass das wirklich ein schönes Erlebnis ist.
Stellen Sie sich einmal vor, diese Dame würde einen Deutschen fragen, ob es gefährlich ist, mit dem Aufzug zu fahren. Er würde ihr vermutlich sagen, dass der Aufzug stecken bleiben könnte, dass die Seile reißen könnten und dass der Alarmknopf nicht funktioniert könnte. So ist heutzutage die Stimmung in unserem Land. Davon müssen wir weg. Insbesondere an die Mitte und an die linke Seite dieses Hauses gerichtet sage ich: Wir brauchen ein Bekenntnis zur Technik und wir müssen wirtschaftlich vorankommen wollen; das ist entscheidend.
Dafür brauchen wir - Frau Pieper hat das zu Recht gesagt - Freiheit und Wettbewerb in der Forschung.
Hierfür tut die Bundesregierung etwas. Frau Schavan hat das 6-Milliarden-Euro-Programm vorgestellt. Für kleine und mittlere Unternehmen bietet es die Chance - darauf hat auch Herr Riesenhuber hingewiesen -, aus den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung wirtschaftliche Erfolge zu erzielen und die Forschungsergebnisse in neue Produkte umzusetzen.
Das sichert Arbeitsplätze bei uns im Land.
Forschung heißt Fortschritt. „Made in Germany“ hieß es einmal - da wollen wir wieder hin. Mit ihrer Hightechstrategie macht diese Bundesregierung die ersten Schritte in die richtige Richtung.
Frau Kollegin Sager, das möchte ich Ihnen schon noch sagen: Wenn Sie hier erklären, dass im Wesentlichen das fortgeführt wurde, was unter Rot-Grün auf den Weg gebracht worden sei, wie können Sie sich dann unheimlich darüber aufregen - auch, was die Lautstärke Ihrer Stimme angeht -, was alles falsch sei?
Ich stelle fest, dass die Bundesregierung doch einiges anders gemacht hat, als es in sieben Jahren Rot-Grün gemacht worden ist; ich glaube, das ist auch besser so. Wir sind auf dem richtigen Weg und ich bitte um Ihre Unterstützung dafür.
Danke sehr.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/1546, 16/1547, 16/1532, 16/1245 und 16/1400 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 36. Sitzung - wird am
Montag, den 22. Mai 2006,
an dieser Stelle veröffentlicht.]