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Juli 02/1998
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Abschied mit Wehmut II

Bekannte Gesichter verlassen das Parlament

In rund zwölf Wochen wird der 14. Deutsche Bundestag gewählt und so ist jetzt für eine ganze Reihe Abgeordnete die Zeit des Abschiednehmens gekommen. Für viele von ihnen, die nach oft langen Jahren der Parlamentszugehörigkeit ihre letzte Rede vor dem Deutschen Bundestag gehalten haben, ist es ein Abschied mit Wehmut.
"Blickpunkt Bundestag" erinnert auch in dieser Ausgabe an einige von ihnen, die stellvertretend stehen für all die, die nun neuen Gesichtern Platz machen.

Dregger

Der erhebendste Moment war die Nachricht von der Öffnung der Berliner Mauer, die uns 1989 - ich war zu der Zeit Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion - in den Abendstunden in Bonn erreichte sowie die spontane Reaktion darauf im Parlament: Wir haben uns alle erhoben und dann gemeinsam die deutsche Nationalhymne 'Einigkeit und Recht und Freiheit' angestimmt." Das antwortete Alfred Dregger auf die Frage von Blickpunkt Bundestag nach dem spannendsten Moment in seiner seit 1972 andauernden Zugehörigkeit zum Bundestag. Nach der Bundestagswahl am 27. September heißt es auch für den ehemaligen Bürgermeister von Fulda und promovierten Juristen Dregger (77), vom Parlament Abschied zu nehmen. Er hat die parlamentarische Arbeit in Bonn wie andere ausscheidende Politiker mitgeprägt, zuletzt als Ehrenvorsitzender der CDU/CSU, der bei kaum einer Debatte fehlte.
Was kann ein einzelner Abgeordneter im Bundestag politisch erreichen? Alfred Dregger sagte zum Blickpunkt Bundestag: "Er kann wichtige Zukunftsentscheidungen beeinflussen. Eine solche Entscheidung, an der ich maßgeblich mitgewirkt habe, war die Beseitigung der atomaren Rohrartillerie beider Seiten - einschließlich der der französischen Hades. Diese Waffensysteme waren für uns Deutsche deshalb so besonders unangenehm, weil sie von Deutschland nach Deutschland gerichtet waren und wegen der kurzen Reichweite zum großen Teil nur Deutschland getroffen hätten." Dem geborenen Westfalen, der seine Heimat in Hessen fand, war nie mit irgendwelchen journalistischen Schablonen beizukommen, auch wenn es dazu reichlich Versuche gab. Zu Beginn seines politischen Lebens waren es Männer wie Ludwig Erhard und Konrad Adenauer, die ihn beeindruckten. In seiner Erinnerung mag ihm als schönste politische Zeit die in Fulda einfallen. Dort konnte er gestalten - mit einer sicheren absoluten Mehrheit der CDU. Ob er in seiner Zeit als Abgeordneter Freunde auch in den anderen Fraktionen gefunden habe? Dregger: " Wirkliche Freunde hat man nur wenige. Wichtig war und ist mir, daß ich auch mit Kolleginnen und Kollegen anderer Fraktionen einen anständigen und respektvollen Umfang gepflegt habe und pflege."

Markante Köpfe

Genscher
Lambsdorff

Auch aus den anderen Fraktionen verabschieden sich markante politische Köpfe aus dem Parlament, in dem sie ebenso wie in einer Bundesregierung ihre deutlichen Spuren hinterlassen werden. Dazu gehören aus den Reihen der FDP natürlich Hans-Dietrich Genscher (70) und Otto Graf Lamsdorff (70), beide Ehrenvorsitzende ihrer Partei. Der ehemalige Innen- und langjährige Außenminister und der frühere Wirtschaftsminister, beide einst Parteivorsitzende, gehören zusammen mit Alfred Dregger und dem früheren CDU-Minister Gerhard Stoltenberg sicher zu den bekanntesten Abgeordneten, die den Bundestag nach 33 beziehungsweise 26 Jahren verlassen. Dem Mann mit dem gelben Pulli, Hans-Dietrich Genscher aus Halle, wurde während seiner Amtszeit als Außenminister nachgesagt, er fliege derart viel in der Welt herum, daß er sich in der Luft schon einmal selbst begegnet sei. Genscher war dabei, als im Kaukasus bei Michael Gorbatschow die deutsche Einheit festgeklopft wurde. Zu den dramatischsten und bewegendsten Momenten in seinem politischen Leben zählt er jene abendliche Stunde, in der er am 30. September 1989 den DDR-Bürgern in der völlig überfüllten deutschen Botschaft in Prag die Ausreise in die Bundesrepublik mitteilte. Wie für Alfred Dregger und sicher die meisten Abgeordneten des Bundestages zählt auch Genscher der Fall der Mauer zu den spannendsten und schönsten Augenblicken seines politischen Lebens.
Das gilt auch für Otto Graf Lambsdorff, der stets als "Mark(t)graf" bezeichnet wurde. Er schrieb im September 1982 den berühmt gewordenen Wendebrief an den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, mit dem das Ende der sozial-liberalen Koalition eingeläutet wurde. Lambsdorff gehört zu jenen Politikern, denen in den Medien Ecken und Kanten zugebilligt werden. In seiner Abschiedsrede vor dem Deutschen Bundestag meinte er lapidar: "Ich weiß, ich habe in den Jahren bei manchen Mitgliedern des Hauses heftigen Verdruß erregt. Das war meine Absicht."

Platz für Jüngere

Stoltenberg

Ein weiterer ehemaliger Minister, der dem Bundestag Adieu sagt, ist Gerhard Stoltenberg (69) von der CDU. Er hielt am 18. Juni in der Debatte über den EU-Gipfel von Cardiff seine letzte Rede im Plenum und hörte danach aus allen Fraktionen respektvolle Dankesworte für sein politisches Lebenswerk. Auch der ehemalige Forschungs-, Finanz- und Verteidigungsminister, der auch Ministerpräsident in Schleswig-Holstein war, will jüngeren Politikern Platz machen. Von den vielen Eindrücken, die auf einen Politiker einstürzen, wird der stets als der "kühle Klare aus dem Norden" charakterisierte Stoltenberg einen sicher nicht vergessen. Im Mai 1991 besuchte er als Verteidigungsminister im Lager Yakmal an der türkisch-irakischen Grenze die damals dort lagernden kurdischen Flüchtlinge. Als er aus dem Hubschrauber stieg, empfingen ihn unzählige Kinder mit dem Stakkato-Ruf "Jäss, jäss Schörmäni". Da war der angeblich so Kühle erkennbar gerührt. Angesichts des Elends sagte Stoltenberg danach: "Es war ein Schock."

Warnke

Minister für die CDU/CSU war Jürgen Warnke (66), zuerst für wirtschaftliche Zusammenarbeit, dann für Verkehr. Er stammt aus Berlin, hat aber seinen Wahlkreis im bayerischen Hof. Der promovierte Rechtsanwalt gilt als Politiker, der immer hart arbeitet, nüchtern analysiert und sich schnell in neue Aufgabengebiete einarbeitet. Als Verkehrsminister verfügte der einstige Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Keramischen Industrie über den viertgrößten Etat im Bundeshaushalt.

Duve
Voigt
Rappe

Freimut Duve (61), Karsten D. Voigt (57) und Hermann Rappe (68) gehören aus den Reihen der Sozialdemokraten beispielhaft zu den Abgeordneten, die nicht mehr für den Bundestag kandidieren. Duve wurde in Würzburg geboren, wuchs aber in Hamburg auf. Er vertritt den Wahlkreis Hamburg-Mitte. Der Lektor gehört zu den Abgeordneten, die sich neben der Politik der Literatur widmen und selbst Bücher herausgegeben haben.
Herausgeber, aber in einem ganz anderen Sinn, war auch der SPD-Abgeordnete Dietrich Sperling (65) aus Königstein in Hessen. Auch er kandidiert nicht wieder. Sperling wird in die Geschichte des Bundestages als einer jener Abgeordneter eingehen, die den Phantom-Abgeordneten Jacob Mierscheid ins "Leben" gerufen haben.
Karsten D. Voigt, ehemaliger Volkshochschuldirektor, war im Plenum eine der bestimmenden außenpolitischen Stimmen seiner Fraktion. Auf außenpolitischem Parkett machte er sich auch als Präsident der Nordatlantischen Versammlung einen politischen Namen. Voigt verfügt über exzellente politische Kontakte nach Nordamerika. In Kopenhagen verblüffte er dereinst als Skandinavistik-Student seine dänischen Freunde, als sie eines Tages entdeckten, daß ihm auch deshalb so viel daran lag, sie stets um Mitternacht zum Zug zu begleiten, weil er dann am Bahnhof die frischen Zeitungen des nächsten Tages bekommen konnte.
Hermann Rappe empfand es nie als Abstempelung, wenn er von den Medien als eher konservativer Sozialdemokrat bezeichnet wurde. Viele Jahre war er Vorsitzender der IG Chemie-Papier-Keramik, ein überzeugter Gewerkschafter der alten Schule. Rappe gehört dem Bundestag seit 1972 an.

Häfner

Zu den begabtesten Rednern in den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen gehört sicherlich der Bayer Gerald Häfner (41), der seit 1994 und davor schon einmal von 1987 bis 1990 im Bundestag sitzt. Der Waldorflehrer verabschiedete sich in der Debatte über den Schlußbericht der Enquete-Kommission SED-Unrecht am 17. Juni von seinen Kolleginnen und Kollegen. Häfner gehört zu den Gründungsmitgliedern der Grünen. Auch sein Fraktionskollege Gerd Poppe wird dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören. Nach acht Jahren Mitgliedschaft im Parlament verläßt der frühere DDR-Bürgerrechtler, der zuletzt außenpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen war, die Bonner Bühne.

Ein besonderes Erlebnis

Enkelmann

Ein besonderes Erlebnis am Rande des parlamentarischen Geschehens im Plenum wird der PDS-Abgeordneten Dagmar Enkelmann (42) aus Bernau bei Berlin im Gedächtnis bleiben. Gefragt, an welcher Bonner Anekdote sie sich erinnert, erzählt sie eine Begebenheit mit dem im Dezember 1996 verstorbenen Vizepräsidenten des Bundestages, Hans-Klein (CDU/CSU). Als eine Besuchergruppe aus Bernau auf der Tribüne saß, rief Klein Dagmar Enkelmann zu sich. Als sie ihn fragte, welches Problem es gäbe, sagte er ihr, ihre Besucher sollten einen Eindruck davon bekommen, welch wichtige Rolle sie im Parlament spiele und sogar der amtierende Präsident ihren Rat suche.

Bereicherung des parlamentarischen Lebens

Die wenigen hier genannten Abgeordneten stehen stellvertretend für all jene, die ebenfalls aus dem Bundestag ausscheiden. Darunter sind ebenfalls viele, die sich im Parlament bundesweit einen Namen gemacht haben. Zu ihnen zählen, wiederum stellvertretend genannt, der Vorsitzende des Rechtsausschusses Horst Eylmann (CDU/CSU), der Architekt Peter Conradi (SPD), der ehemalige parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Horst Waffenschmidt (CDU/CSU), und der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Fraktion Wolfgang Weng. Alle waren auf ihre Weise eine besondere Bereicherung des parlamentarischen Lebens.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9802/9802092
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