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November 04/1998
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Zeitzeichen

Aus den Reden der Alterspräsidenten

F. Gebhard

Der 70jährige Bundestagsabgeordnete Fred Gebhardt (PDS) hielt als Alterspräsident des 14. Deutschen Bundestages die Begrüßungsrede. Gebhardt, der bis zu seinem 70. Geburtstag SPD-Mitglied war und der bei der Bundestagswahl für die PDS kandidierte, widmete seine Reden den Themen soziale Gerechtigkeit, Bürgerrechte und Arbeitslosigkeit. Damit eröffnete schon zum zweitenmal nach 1994 ein Vertreter der PDS die konstituierende Sitzung des Bundestages. Mit seiner Eröffnungsrede setzte der Alterspräsident Gebhardt eine lange Tradition fort.
Begonnen hatte alles am 7. September 1949. Alterspräsident Paul Löbe fragte die Abgeordneten: "Ich bin geboren am 14. Dezember 1875. Ich frage, ob sich ein Mitglied im Haus befindet, das zu einem früheren Termin geboren ist." Dieser Frage folgte bisher 14mal eine kleine rhetorische Pause. Da sich niemand meldete, war Löbe als Alterspräsident festgestellt.
Er gehörte zu den 29 von damals 410 Abgeordneten, die schon dem Reichstag angehörten. Und so erinnerte er natürlich an die letzte Sitzung des Reichstages in der Berliner Kroll-Oper, wo durch Hitlers Ermächtigungsgesetz die Weimarer Demokratie ausgelöscht wurde.

1949: Paul Löbe fordert politische Stabilität und wirtschaflichen Aufschwung

Löbe

Der Sozialdemokrat Löbe drückte die Erwartung der Menschen an den neuen Parlamentarismus aus: "Daß wir eine stabile Regierung, eine gesunde Wirtschaft, eine neue soziale Ordnung in einem gesicherten Privatleben aufrichten, unser Vaterland einer neuen Blüte und neuem Wohlstand entgegenführen."

1953: Marie-Elisabeth Lüders beschwört den Ost-West-Konflikt

Lüders

Vier Jahre später: Alterspräsidentin des Zweiten Deutschen Bundestages war Marie-Elisabeth Lüders (FDP). Schon damals wäre Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) eigentlich an der Reihe gewesen. Aber er verzichtete auf dieses Recht, wie übrigens auch noch 1957 und 1961. Lüders' Rede war von dem voll entflammten Kalten Krieg geprägt. Neun Tage vor der Konstituierung am 6. Oktober war der Regierende Bürger-meister Berlins, Ernst Reuter, gestorben. Für die FDP-Politikerin war der Ost-West-Konflikt der "Weltkampf der Geister zwischen Licht und Finsternis". Frau Lüders appellierte - wie damals üblich - an die Medien, die Arbeit des Bundestages fair zu begleiten.

1957: Konstituierende Sitzung in der Berliner Kongreßhalle mahnt Ende des Provisoriums Bonn an

1957 wurde die konstituierende Sitzung wiederum von Frau Lüders geleitet - in der Berliner Kongreßhalle. Ihr Schlüsselsatz: "Das ist ein erster und, so glauben wir, entscheidender Schritt aus einem achtjährigen Provisorium zurück in die angestammte Heimat der deutschen Volksvertretung." Die Alterspräsidentin konnte auf acht durchaus erfolgreiche Jahre des Parlaments zurückblicken. Erstmals schnitt sie die Frage an, aus welchen Quellen die Parteien das Geld für ihre Arbeit erhalten sollten.

1961: Robert Pferdmenges Rede steht im Zeichen des Mauerbaus

R. Pferdmenges

Das Jahr des Mauerbaus 1961: Robert Pferdmenges (CDU/CSU) stellte dieses Datum in den Mittelpunkt seiner Rede. "In tiefernster Zeit tritt der neue Bundestag zusammen." Die ganze Menschheit bange um ihre Zukunft. "Der Grat, auf dem wir zwischen Krieg und Frieden wandeln, ist schmal." Der Mauerbau sei eine Untat, die die Menschheit nicht hinnehmen könne.

1965: Konrad Adenauer sieht Deutschland schweren Zeiten entgegengehen

K. Adenauer

1965 war, zwei Jahre nach seinem Rücktritt, Konrad Adenauer Alterspräsident. Er hielt die wohl kürzeste Rede, deren Kern aus drei Sätzen bestand: "Sie wissen, daß nach Artikel 38 des Grundgesetzes jeder Abgeordnete Vertreter des ganzen Volkes ist. Wir werden aller menschlichen Voraussicht nach während der nächsten vier Jahre schweren Zeiten entgegengehen. Ich hoffe und bin davon überzeugt, daß sich dann alle Mitglieder dieses Hauses dieser Gemeinsamkeit ihrer Verpflichtungen bewußt sind."

1969: William Born fordert Widerlegung rechtsextremer Propaganda

W. Born

1969: Der Berliner Alterspräsident William Born (FDP) legte ein Bekenntnis zu seiner Heimatstadt ab. Er sei der vierte Berliner als Alterspräsident; später sollte Willy Brandt hinzukommen. Die Wahl war von dem knappen Scheitern der rechtsextremen NPD an der Fünf-Prozent-Hürde geprägt. Der Liberale forderte, daß die tägliche Arbeit die "Propaganda des Extremen" widerlegen solle. Er machte sich indirekt zum Sprecher der damals gewählten sozialliberalen Koalition, als er "Versöhnungund Ausgleich auch mit den Völkern im Osten verlangte".

1972 Ludwig Erhard thematisiert die Einheit Deutschlands und die wirtschaftliche Lage

L. Erhard

1972, nach vorgezogener Bundestagswahl, hieß der Alterspräsident Ludwig Erhard. Die deutsche Einheit stand im Mittelpunkt auch seiner Rede: "Deutschland wird nicht in Gesichtslosigkeit versinken und sich auch nicht in Buchstaben wie etwa BRD und DDR zergliedern oder auflösen lassen."
Vier Jahre später, die wirtschaftliche Lage steht im Vordergrund: Wiederum war Erhard Alterspräsident. Der "Vater des Wirtschaftswunders" sah sein Lebenswerk in Gefahr. Die Inflation stieg. Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit könne nicht gewonnen werden, wenn er nicht zugleich als Kampf gegen die Inflation geführt würde.

1980: Herbert Wehner ist erster Alterspräsident des 20. Jahrhunderts

H. Wehner

1980, die Stunde des SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner, des ersten im 20. Jahrhundert geborenen Alters-präsidenten. Er erinnerte an diesem Tag an frühere Alterspräsidenten-Ansprachen und entschuldigte sich am Ende für die Länge seiner Rede. "Wem das Herz voll ist, dem geht der Mund über."
1983, 1987 und 1990: Der Alterspräsident hieß dreimal Willy Brandt. Die Grünen waren zu Beginn der 80er Jahre erstmals in den Bundestag eingezogen, weswegen der damalige SPD-Vorsitzende in seiner ersten Rede Aspekte der politischen Kultur ansprach. Kuriosum am 29. März 1983: Die Grünen beantragten eine Aussprache zu Brandts Rede. Das Ansinnen wurde abgelehnt.
Vier Jahre später: Die politische Rede eines Alterspräsidenten. Brandt spann einen Bogen von der internationalen Lage bis hin zur deutschen Einheit. Er verlangte im Verhältnis beider deutscher Staaten eine "Verantwortungsgemeinschaft". Auch der Begriff Europäisches Haus tauchte hier erstmals auf. Und Brandt setzte sich mit den damals absehbaren Reformprozessen in der Sowjetunion auseinander.

1990: Nach 12 Jahren Alterspräsidentschaft erfüllt sich für Willy Brandt ein Lebenswerk

W. Brandt

20. Dezember 1990: Der Bundestag tagt im wiedervereinten Deutschland im Berliner Reichstagsgebäude. Die große Freude über die deutsche Einheit solle Anlaß zur Selbstprüfung sein, mahnte Brandt. Sein Appell an die Ostdeutschen: "Möge das Gefühl, auf der falschen Seite der Geschichte gestanden zu haben, sich nicht in Mutlosigkeit oder gar Aggression entladen." Angesichts der historischen Situation betonte er, daß der Bundestag in der Tradition der Nationalversammlungen von 1848 und von Weimar 1919 stehe. Der Prozeß des staatlichen Zusammenwachsens sei erst abgeschlossen, wenn man nicht mehr weiß, wer "die neuen und wer die alten Bundesbürger sind".

1994: Stefan Heym fordert gegenseitige Toleranz und gegenseitiges Verständnis

S. Heym

Vier Jahre später kam erstmals ein Abgeordneter der in den ostdeutschen Bundesländern entstandenen PDS zu Wort: Der Schriftsteller Stefan Heym. Er verwies darauf, daß das vereinigte Deutschland in der Welt "eine Bedeutung erlangt habe, der voll zu entsprechen wir erst noch lernen müssen." Er fragte, ob es nicht auch Erfahrungen aus der ehemaligen DDR gebe, die vom Westen übernommen werden sollten. Für diese Debatte sei "gegenseitige Toleranz und gegenseitiges Verständnis unserer unterschiedlichen Gedanken vonnöten." Heym: "Die Menschen erwarten, daß wir uns als Wichtigstes mit der Herstellung akzeptabler, sozial gerechter Verhältnisse beschäftigen." Dies sei Aufgabe einer "Koalition der Vernunft, die eine Koalition der Vernünftigen voraussetzt."

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9804/9804038
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