Bildwortmarke des Deutschen Bundestages . - Schriftzug und Bundestagsadler
English    | Français   
 |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ  |  Druckversion
 
Startseite > Blickpunkt Bundestag > Blickpunkt Bundestag - Jahresübersicht 1999 > Deutscher Bundestag - Blickpunkt Bundestag 3/99 Inhaltsverzeichnis >
April 03/1999
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

Es gab viele Bauherren

Dietmar Kansy (CDU) und Peter Conradi (SPD) haben den Umbau des Reichstagsgebäudes zum Sitz des Deutschen Bundestages als Mitglieder der Baukommission maßgeblich geprägt. Ein Rückblick im Gespräch mit dem Bonner Journalisten Axel Mörer.

Peter Conradi

Sie haben als Mitglieder der Baukommission des Ältestenrates den Umbau des Reichstagsgebäudes zum Sitz des Deutschen Bundestages intensiv begleitet. Was ist anders, wenn ein Parlament Bauherr ist?

Conradi: Daß es viele Bauherren gibt, die genau wissen, wie es gemacht werden soll. Unser Problem war es, Kompromisse zu finden.

Kansy: Außerdem müssen wir uns als Bauherr vor der Öffentlichkeit rechtfertigen. Hinsichtlich der Kosten, aber auch für die Architektur. Das muß zwar jeder private Bauherr auch. Doch wir stehen besonders unter Beobachtung der Öffentlichkeit. Das macht unsere Arbeit nicht leichter.

Der Reichstag steht als repräsentatives Bauwerk des vergangenen Jahrhunderts für den Versuch des Parlaments, Selbstbewußtsein auch baulich zu demonstrieren. War es deshalb schwer, mit dem Bauwerk umzugehen?

Kansy: Der Reichstag ist eine besondere Herausforderung: Dieses Gebäude steht praktisch als Symbolbau für die Geschichte des deutschen Parlamentarismus. In seiner ersten Phase mußte sich der Reichstag als Parlament in einer noch konstitutionellen Monarchie behaupten. Das Reichstagsgebäude ist der Ort der Emanzipation des ersten Bundesparlaments unter den damaligen Bedingungen. Am Reichstag hat Philipp Scheidemann am 9. November 1918 die demokratische Republik ausgerufen. Dort wurde sie auch verspielt und ging im Reichstagsbrand unter. Die Wiedervereinigung in der Nacht auf den 3. Oktober 1990 wurde ebenfalls am Reichstag gefeiert. Deshalb ist das Gebäude ein Symbol für die schwierige deutsche Geschichte. Wir wußten, daß wir in diesem Gebäude architektonisch ein Zeichen setzen mußten, das erkennen läßt: Wir machen einen Neuanfang in Berlin.

Dietmar Kansy

Unter welchem Leitgedanken hat der Bundestag den Umbau betrieben?

Conradi: Das äußere und innere Erscheinungsbild des Reichstages ist würdiger, steifer und Ehrfurcht heischender als der transparente Bundestag von Günther Behnisch in Bonn. Wir wollten den Reichstag in Berlin durch den Umbau offener und heller machen, die Bürger hineinholen und dem Gebäude seine drohende Schwere nehmen. Wir haben versucht, dem historischen Gebäude die Architektursprache unserer Zeit hinzuzufügen und es damit unserer Zeit anzueignen. Wir wollten nicht Altes rekonstruieren wie die Berliner Stadtschloßfetischisten. Es ging uns um einen anständigen Umgang mit dem historischen Reichstagsgebäude.

Kansy: Unser Ziel war es, ein modernes Arbeitsparlament zu bauen, weshalb auch der alte, viel zu kleine Wallot­Plenarsaal nicht in Frage kam. Zugleich wollten wir Transparenz schaffen, wie sie Peter Conradi gerade skizziert hat. Im neuen Reichstag finden sich deshalb viele Elemente der Baukultur des Bundestages in Bonn. Foster hat zum Beispiel die gläsernen Wände von Günter Behnisch aufgenommen und im Innenbereich, wo es nur ging, Glas eingebaut. Wir haben einen gläsernen Plenarsaal innerhalb des Reichstagsgebäudes. Die Besuchertribünen sind sogar noch wesentlich weiter nach vorn gezogen als in Bonn. Die Besucher haben einen Logenplatz und sitzen da, wo wirklich was los ist. Direkt hinter den Besuchertribünen gibt es eine Kette von Diskussionsräumen. Und schließlich liegt die begehbare Kuppel direkt über dem Plenarsaal.

Die Kuppel dürfte zum neuen Wahrzeichen und einer Attraktion des neuen Bundestages werden. Dabei war sie zunächst gar nicht eingeplant ...

Conradi: ... bis die CDU/CSU auf die Idee kam, die Rekonstruktion der alten WallotKuppel zu fordern, was alle anderen Fraktionen im Bundestag abgelehnt haben. Die alte Wallot­Kuppel war von unten nicht einmal einsehbar und wurde bestenfalls von Fledermäusen bewohnt. Der Unionsvorstoß scheiterte, weil der Koalitionspartner FDP kurzerhand feststellte, die Wallot­Kuppel sei nicht Gegenstand des Koalitionsvertrages, was große Heiterkeit im Ältestenrat auslöste. Mit dem letztlich angenommenen FDP­Vorschlag einer modernisierten Kuppel habe ich mich und wohl längst die Mehrheit im Bundestag und in der Öffentlichkeit sehr angefreundet.

Womit haben sie Architekt Foster, der die Kuppel ablehnte, überzeugen können?

Conradi: Günter Behnisch hätte uns gesagt: »Macht Eure Kuppel doch alleene.« Britische Architekten gehen dagegen stärker auf den Bauherrn ein. Foster hat sich auch in anderen Fragen unseren Mehrheitsentscheidungen gebeugt, uns aber andererseits auch oft für seine Vorstellungen begeistern können. Sicher waren wir kein bequemer Bauherr und haben uns in viele Details eingemischt. Zum Beispiel hatte Foster grau als bestimmende Farbe im Plenum ausgesucht. Wir wollten dagegen im gesamten Gebäude frischere Farben und haben uns im Plenum für blaue Sessel entschieden. Auch die Nutzung der Kuppel war umstritten. Nachdem sie durchgesetzt war, wollte Foster dort ein Restaurant einrichten. Wir dagegen fanden es nicht besonders originell, daß oben in der Kuppel Kaviar gegessen wird und eine Etage drunter im Parlament Sozialgesetze gekürzt werden ...

Kansy: Zweieinhalb Jahre haben wir auch über den Bundesadler gestritten. Foster war der Auffassung, der Adler gehöre zur Innenarchitektur und deshalb zu seinem Gestaltungsbereich. Das haben wir abgelehnt und ihm klargemacht, wie wichtig die Gestaltung des Adlers ist, den die Menschen aus dem Fernsehen kennen. Die Fette Henne ist sozusagen unsere Corporate Identity.

Der Bauherr Bundestag war sich selbst lange nicht einig über die Sitzordnung. Warum wurde nur wenige Jahre, nachdem sich der Bundestag im Behnisch­Parlament für die runde Sitzordnung entschieden hatte, dieser Beschluß wieder verändert?

Kansy: Die Entscheidung für die runde Sitzordnung muß man verstehen vor dem Hintergrund der runden Tische. Alles, was rund war, stand für demokratisch. Zugleich wollten wir weg von der Aula­Atmosphäre des alten Bundestages und haben deshalb das Experiment der runden Sitzordnung gewagt. Doch diese hat sich nach unserer Ansicht als nicht besonders praktisch erwiesen. Wer nicht informiert ist, kann gar nicht mehr erkennen, wer wo sitzt. Der Bundestag ist kein runder Tisch. Hier streiten Regierung und Parlament, geht man sich auch einmal an die Knöpfe. Zudem kommt keine Atmosphäre auf, es entsteht kein Spannungsbogen ...

Conradi: ... was doch gar nicht stimmt. Das Bild, es stünden sich Parlament und Regierung gegenüber, ist doch nur die Schulbuchversion. Im Bundestag verläuft der parlamentarische Streit zwischen Mehrheit und Minderheit. In Frankreich und Großbritannien sitzt die Regierung in der ersten Reihe des Parlaments und nicht erhöht dem Parlament gegenüber wie zu Kaisers Zeiten. Das hätte auch im Reichstag besser gepaßt.

Kansy: Das ist ein Punkt, wo wir es als Baukommission vorgezogen haben, den Bundestag entscheiden lassen. Um auch architektonisch größere Spannung, zu erzielen, hat sich eine Mehrheit aus Union und FDP für zwei flache, gegenüberliegende Elipsen entschieden, die die Distanz zwischen den Verfassungsorganen sogar noch verringert.

Es wird in diesen Tagen viel von Bonner und Berliner Republik gesprochen. Die Parlamentsgebäude in beiden Städten sind von gänzlich unterschiedlicher Art: Der Bau von Günter Behnisch steht für ein zurückgenommenes, eher schlichtes Erscheinungsbild des Parlaments, während der Reichstag Selbstbewußtsein symbolisiert und fast protzig wirkt. Steht er auch für die These: Wir sind wieder wer?

Conradi: Nein, der neu gestaltete Reichstag steht nicht für diese Art von Selbstbewußtsein. In Berlin wird Politik sicher kühler, preußischer und protestantischer sein als in Bonn, was sich auch im Parlamentsgebäude widerspiegelt. Die rheinische Republik mit ihrer Leichtigkeit des Seins, ihrer Heiterkeit und Toleranz hat Maßstäbe gesetzt. Ich hoffe, daß davon auch ein wenig in das Reichstagsgebäude einzieht.

Während des Umbaus sind historische Spuren wie die Kritzeleien russischer Soldaten auf den Wänden zutage getreten. War es unumstritten, diese Zeitdokumente zu erhalten?

Conradi: In diesem Punkt waren wir uns einig. Diese Sätze und Sprüche sind Teil der deutschen Geschichte. Die russische Botschaft hat uns die Sprüche übersetzt. Es war keine unanständige Äußerung dabei. Erst heute wird gemault, es seien zu viele Sprüche erhalten worden. Ich denke, diese Wandsprüche treten etwas in den Hintergrund, wenn erst Bilder im neuen Reichstag hängen.

Das Verhältnis zur Berliner Baubehörde war nicht ungetrübt. Wo lagen Differenzen?

Conradi: Die meisten Probleme gab es bei den anderen Bauwettbewerben des Bundestages. Beim Reichstagsgebäude gab es einige Berliner Taktlosigkeiten, zum Beispiel als der Bausenator verkündete, was der Umbau kosten werde. Es hat einige Zeit gebraucht, um Berlin klarzumachen, daß Bundestag und Regierung bestimmte Ansprüche haben. Der Berliner Senat geht in die Knie, wenn es Geld gibt. Dann macht Berlin alles, wie man am Potsdamer Platz sehen kann.

Im Reichstag wird ökologisch mit Rapsöl geheizt, Temperaturunterschiede zwischen Sommer und Winter werden durch Wasserreservoirs genutzt, um Heiz­ und Kühlenergie zu sparen. Es scheint, als zöge der Bundestag in ein Ökohaus. Ist dies auch ein Symbol für die größere Verantwortung, die die jetzige Generation für die kommenden Generationen trägt?

Conradi: Wir wollten zeigen, daß man auch einen Altbau auf ökologisch vernünftige Weise umbauen kann. Hier liegen die größten Energiereserven. Und wir beweisen das am Beispiel des Hauses, in dem das Parlament seinen Sitz hat. Das ist mehr als Symbolik.

Sie haben nun gemeinsam viele Jahre den Umbau des Reichstages begleitet. Sind Sie zufrieden?

Kansy: Der frühere Berliner Kultursenator Adolf Arndt hat in den 60er gesagt, die Demokratie sei immer noch nicht in der Lage, sich als Bauherr ernst zu nehmen. Beim Reichstag ist uns das wohl überzeugend gelungen. Wir wollten nicht wie bei Kaiser Wilhelm mit imperialer Geste bauen. Aber wir wollten uns als Verfassungsorgan auch nicht verstecken. Ich sehe die große Gefahr, daß die Republik nicht begriffen hat, daß sie sich baulich darstellen muß, wenn sie dauerhaft sein will. Wir bewundern heute imperiale Bauten der Kaiser und Könige, leisten uns aber gleichzeitig Miesmacherdebatten, wonach Parlamentsbauten billig zu sein haben. Gerade so, als ob soziale Gerechtigkeit etwas mit dem Preis von Parlamentsbauten zu tun hätte. Der Bundestag ist keine Übergangslösung, sondern soll wahr­ und ernstgenommen werden. Nach der anfänglichen Kritik habe ich heute den Eindruck, daß sich mehr und mehr Menschen mit dem Reichstag identifizieren. Unser Anspruch war zu zeigen: Hier ist das Herz der Republik. Wenn uns das gelungen ist, dann bin ich zufrieden.

Conradi: Wir haben in Berlin einen Imponierbau des 19. Jahrhunderts vorgefunden, der sich nicht einfach in eine Parlamentswerkstatt à la Behnisch umbauen ließ. Behnisch war das Abendleuchten der alten westdeutschen Republik, deren Qualitäten Offenheit und Leichtigkeit sich im Bonner Bundestag widerspiegeln. Das ließ sich in Berlin nicht wiederholen. Politik und Land haben sich geändert. Doch es ist uns gelungen, diesen historischen Bau dank der nüchternen Vorgehensweise des Architekten Norman Foster so umzugestalten, daß er die neue Heimat des Bundestages werden kann. Auch ich möchte Adolf Arndt zitieren, der gesagt hat: Eine Demokratie ist nur so viel wert, wie sich ihre Menschen wert sind, daß ihnen ihr öffentliches Bauen wert ist.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9903/9903018
Seitenanfang
Druckversion