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April 03/1999
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KUNST FÜR DAS REICHSTAGSGEBÄUDE

VON ANDREAS KAERNBACH

Georg Baselitz: "Friedrichs Frau am Abgrund" (1998, 485 x 395 cm)
Georg Baselitz: "Friedrichs Frau am Abgrund" (1998, 485 x 395 cm)

Wenn das Reichstagsgebäude als Plenargebäude des Deutschen Bundestages seiner Bestimmung übergeben ist, kann der Besucher des Deutschen Bundestages nicht nur dessen von Sir Norman Foster entworfene Architektur bewundern, sondern auch eine Reihe von Kunstwerken, die in­ und ausländische Künstler und Künstlerinnen für das Parlamentsgebäude geschaffen haben. Für diese Kunst­am­Bau­Werke stand ein bestimmter Prozentsatz der Bausumme zur Verfügung. Bei der Entwicklung des Kunstkonzeptes, das alle drei Parlamentsbauten, Reichstagsgebäude, Paul­Löbe­/Marie­Elisabeth­Lüders­Haus sowie das Jakob­Kaiser­Haus, übergreifen sollte, ließ sich der Kunstbeirat des Deutschen Bundestages von Kunstsachverständigen in Abstimmung mit den Architekten und der Bundesbaugesellschaft Berlin mbH beraten.

Entsprechend diesem Kunstkonzept sollten für die Ausgestaltung des Reichstagsgebäudes, des Gebäudes von historisch und politisch bedeutendem Rang, Werke international anerkannter Künstlerpersönlichkeiten berücksichtigt werden, darunter, als Referenz an den ehemaligen Vier­Mächte­Status von Berlin, Werke von Künstlern aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Rußland. Zu Entwürfen aufgefordert wurden insbesondere Künstler, die bereit waren, sich mit diesem Ort und seiner Geschichte produktiv auseinanderzusetzen. Im Bereich des Jakob­Kaiser­Hauses und des Paul­Löbe­/Marie­Elisabeth­Lüders­Hauses hingegen sind als Ergebnis der Kunstwettbewerbe und der Vergabeverfahren überwiegend jüngere Künstlerinnen und Künstler beauftragt worden.

In der Westeingangshalle des Reichstagsgebäudes wird der Besucher von Arbeiten von Sigmar Polke und Gerhard Richter, empfangen. Beide Künstler standen vor der schwierigen Aufgabe, jeweils über 30 mhohe Wände auszugestalten. Gerhard Richter hat ein Farbkunstwerk von 21 m Höhe und 3 m Breite in den Farben Schwarz­Rot­Gold entworfen. Die Farben werden auf die Rückseite großer Glastafeln aufgetragen und erinnern – nicht ohne Hintersinn – an die Farben der deutschen Bundesflagge. Aber sowohl das hochrechteckige Format als auch die spiegelnden Glasflächen machen deutlich, daß es sich nicht um die Abbildung einer Flagge handelt, sondern um ein autonomes Farbkunstwerk. So ist es Gerhard Richter gelungen, mit sparsamen künstlerischen Mitteln eine zurückhaltende und gerade dadurch überzeugende künstlerische Gestaltung zu finden. Die großen homogenen Farbfelder sind harmonisch auf die Ausmaße der Wandfläche abgestimmt und bieten so in der riesigen Halle dem Auge des Betrachters einen optischen Ruhepunkt und zugleich geistigen Raum für vielfältige Assoziationen und Reflexionen.

Sigmar Polke hingegen installiert an der gegenüberliegenden Wand der Westeingangshalle Leuchtkästen mit heiterironischen Bildzitaten aus Politik und Geschichte, so u.a. mit einer Darstellung des "Hammelsprungs" oder mit einer verfremdeten Ansicht der Germania des Niederwalddenkmals bei Rüdesheim. Seine Arbeit verdichtet historisch­politische Aussagen auf mehreren Leuchtkästen an der großen Wandfläche in zweifacher Hinsicht: Einmal nehmen die Leuchtfelder einen relativ kleinen Raum ein. Zum anderen wird in ihnen durch eine in der Wirkung der Holographie vergleichbare Technik – die der Vorliebe Sigmar Polkes zum Experimentieren mit ungewohnten Maltechniken entspricht – die optische Täuschung hervorgerufen, daß sich die einzelnen Bildmotive bewegen und übereinander verschieben, vergleichsweise den historischen Erinnerungen, die sich bei Menschen im Laufe eines Lebens oder im Laufe von Generationen gedanklich überlagern. Auf diese Weise bezieht Polke auch formal eine Gegenposition zu der ruhigen, eher statisch wirkenden Arbeit von Gerhard Richter.

Für die Südeingangshalle wiederum greift Georg Baselitz in großformatigen Leinwandgemälden Motive des Malers der Romantik, Caspar David Friedrich, auf. Auch in diesen Bildern hat er, wie er es seit Ende der sechziger Jahre zu tun pflegt, seine Motive auf den Kopf gestellt, um die formale Gestaltung der Komposition in den Vordergrund zu stellen. Als Vorlage haben ihm Holzschnitte nach Caspar David Friedrichs Motiven "Frau am Abgrund" und "Schlafender Knabe" gedient, die er in einer leichten und transparenten Malweise seiner künstlerischen Ausdrucksweise anverwandelt hat. Das jeweilige Motiv wiederholt sich vielfach in einer bordürenartigen Einfassung der Mittelfigur. Diese wird magentafarben hinterfangen und dadurch schwerpunktartig hervorgehoben. Die gleichsam im Wesenlosen schwebenden Mittelfiguren ebenso wie die nur in Grau­ und Schwarztönen gehaltenen Rahmenfiguren erwecken im Betrachter eine melancholische Gestimmtheit.

Carlfriedrich Claus, ein in der ehemaligen DDR in die innere Emigration gedrängter Künstler, wird mit seinem "Aurora­Experimentalraum" vertreten sein. Der Künstler hatte noch kurz vor seinem Tod die Installation seiner Arbeiten bestimmen können. Er verstand sich selbst als überzeugten Kommunisten. Aber im Gegensatz zum dogmatischen Schulmarxismus beharrte er so entschieden auf einem mystisch verstandenen utopischen Charakter der Ideologie, daß er sich die Gegnerschaft des SED­Regimes zuzog. Mit dem Aurora­Raum, der das Morgendämmern der Utopie verkünden soll, will er seiner Sehnsucht "nach der Aufhebung des Entfremdetseins von sich selbst, von der Welt und von den anderen Menschen" Ausdruck verleihen.

Carlfriedrich Claus hat seine vom Mystizismus, von der jüdischen Mystik der Kabbala und von marxistischer Philiosophie geprägten Gedankengänge auf Pergament oder Glastafeln sowohl auf deren Front­ als auch auf deren Rückfläche notiert. Diese Schriftzüge verengen, überschneiden sich fortlaufend zu Schriftgestalten, eigenen ästhetischen Gestaltungen also, denen sowohl Schrift­ als auch Bildcharakter eigen ist. Auf Bildtafeln übertragen, ragen diese symbolhaften Zeichen, erwachsen aus träumerischem Grübeln und poetischem Philosophieren, in den Raum. So hat Carlfriedrich Claus einen ganz eigenen und sich jeder kunsthistorischen Einordnung entziehenden Weg zwischen Poesie, Philosophie, Mystik und Schriftkunst gefunden.

Gerhard Richter hat in der Westeingangshalle des Reichstagsgebäudes über eine Höhe von 21 Meter Glasflächen bearbeitet, die die deutschen Farben Schwarz, Rot, Gold leicht verfremdet wiedergeben.
Gerhard Richter hat in der Westeingangshalle des Reichstagsgebäudes über eine Höhe von 21 Meter Glasflächen bearbeitet, die die deutschen Farben Schwarz, Rot, Gold leicht verfremdet wiedergeben.

Im Gegensatz zu der umfassenden Weltschau von Carlfriedrich Claus wendet sich die amerikanische Künstlerin Jenny Holzer ­ in bewußter Beschränkung – der Geschichte des Reichstagsgebäudes zu. Sie läßt in der Nordeingangshalle auf einer Stele digitale Leuchtschriftbänder mit Reden von Reichstags­ und Bundestagsabgeordneten ablaufen. In der Kuppel schließlich informiert eine Ausstellung über die Geschichte des Parlamentarismus, soweit sie sich im Reichstagsgebäude abgespielt hat. In der Ausstellung werden bisher wenig bekannte Fotos des berühmten Bildchronisten der Weimarer Republik, Erich Salomon, zu sehen sein, die – nicht gestellt – einen Eindruck von der alltäglichen parlamentarischen Arbeit im Reichstag der zwanziger Jahre vermitteln.

Weitere 25 Künstler, darunter Katharina Sieverding mit der Gedenkstätte für die verfolgten Reichstagsabgeordneten, werden mit ihren Kunstwerken im Reichstagsgebäude einen lebendigen Querschnitt durch die aktuelle deutsche und internationale Kunstszene zeigen. Entsprechende Aufträge erhielten Christian Boltanski, Hans Haacke, Ulrich Rückriem, Bernhard Heisig, Grischa Bruskin, Markus Lüpertz, Günther Uecker, Anselm Kiefer, Gotthard Graubner, Georg Karl Pfahler, Emil Schumacher, Rupprecht Geiger, Rosemarie Trockel und Hanne Darboven. Von weiteren Künstlern erfolgten Ankäufe. Ein solch umfassendes und durchdachtes Kunstkonzept stellt ein beeindruckendes Bekenntnis des Parlaments zur Kunst dar. Beide Bereiche, die Kunst und die Politik, nehmen auf diese Weise die Chance wahr zu einem geistig inspirierenden Dialog.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9903/9903082
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