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Dezember 11/1999
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ANHÖRUNG ZU NICHTSTAATLICHER VERFOLGUNG

Experten: Schutz der Opfer vorrangig - Deutschland isoliert sich

(mr) Die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) aus dem Jahre 1951 zielt vorrangig auf den Schutz der Flüchtlinge ab, unabhängig davon, ob sie Opfer staatlicher oder nichtstaatlicher Verfolgung sind. Das betonten die Experten von amnesty international (ai) und vom Hohen Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) am 29. November in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu nichtstaatlicher Verfolgung.

Der Vertreter des UNHCR Deutschland, Jean Noel Wetterwald, hob hervor, Deutschland habe sich mit der immer weiter gehenden Ausgrenzung der nichtstaatlichen Verfolgung aus dem Schutzbereich der Genfer Flüchtlingskonvention zunehmend von der Praxis der Mehrheit der Vertragsstaaten isoliert. Bei einer an völkerrechtlichen Interpretationskriterien ausgerichteten Auslegung des Flüchtlingsbegriffs sei nicht der Urheber der Verfolgung entscheidend, sondern die Möglichkeit, staatlichen Schutz in Anspruch nehmen zu können. Das Bundesverwaltungsgericht habe allerdings in den vergangenen Jahren eine Rechtsprechung entwickelt, die Opfer nichtstaatlicher Verfolgung, insbesondere wenn sie aus Kriegs­ oder Krisengebieten geflohen sind, weitgehend vom internationalen Schutz nach den Vorschriften der GFK ausschließe. Deshalb sei es nötig, so Wetterwald, dass Deutschland seine Anerkennungspraxis bei nichtstaatlicher Verfolgung an die internationalen Standards anpasst. Ein möglicher Schritt sei die Änderung des Asylverfahrensgesetzes.

Urteile im Konsens

Auf die Frage aus den Reihen der Union, wie es zu dieser Rechtsprechungspraxis in der Bundesrepublik entgegen der in anderen EU­Staaten kommen konnte, erklärte der UNHCR, die Rechtsprechung in Deutschland habe sich im Laufe der Jahre "klar festgelegt" und sich damit "im Konsens mit dem politischen Umfeld der damaligen Regierung" befunden. Zu der Frage der SPD, inwieweit staatliche von nichtstaatlicher Verfolgung überhaupt klar getrennt werden könne, legte der UNHCR­Vertreter dar, eine Differenzierung sei äußerst schwierig. Erachte man den Flüchtlingsschutz als vorrangig, sei eine Differenzierung aber auch nicht ausschlaggebend. Auch Professor Christian Tomuschat von der Humboldt Universität Berlin erklärte, die deutsche Rechtsprechung gebe sich "einer Illusion hin", wenn sie glaube, diese Trennung vollziehen zu können. Tomuschat plädierte deshalb dafür, die "Fixierung" auf staatliche Verfolgung aufzugeben.

Ob es möglich sei, die Rechtsprechung durch innerstaatliche Gesetzgebung zu verändern, beurteilte er eher skeptisch. Die deutschen Richter betrachteten die GFK als Völkerrecht, dessen Auslegung nicht durch innerstaatliche Gesetzgebung beeinflusst werden könne.

Opfer schützen

Die ai­Vertreterin, Stephanie Farrior, und die unabhängige Expertin der UN­Menschenrechtskommission für Somalia, Mona Rishmawi, setzten sich ebenfalls für die Vorrangigkeit des Schutzes der Opfer ein, egal, wer der Verfolger sei. Oft verweigere der Staat den Schutz bei Personen, die als weniger schutzwürdig gelten. Dies könne aus rassistischen Gründen erfolgen oder weil die Personen Frauen sind. Rishmawi und Farrior waren sich darin einig, dass die Genfer Flüchtlingskonvention auch Schutz vor geschlechtsspezifischer Verfolgung biete. In diesem Zusammenhang verwiesen die Sachverständigen zudem auf das GFK­Gebot der "Nichtzurückweisung" von Personen, deren Leben und körperliche Unversehrtheit im Heimatstaat gefährdet ist. Auf Nachfrage des Ausschusses erläuterte Farrior, es wäre nicht gut, den Status des Verfolgers in der GFK festzuschreiben. Die Flüchtlingskonvention sei "gut ausgearbeitet und durchdacht".

Im Gegensatz zu seinen Vorrednern sah Georg Dusch, Präsident des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, keine "Schutzlücke" in der Bundesrepublik für Opfer nichtstaatlicher Verfolgung. In seiner Stellungnahme legte er dar, eine Erweiterung der Flüchtlingsanerkennung auf nichtstaatliche Verfolgung sei "nicht angezeigt", da das deutsche Asylrecht "den völkerrechtlichen Anforderungen genügt". Den abgelehnten Asylbewerbern könne durch das Ausländergesetz Abschiebungsschutz auch in Länder mit nichtstaatlicher Verfolgung gewährt werden, wenn mit der Rückkehr in den Herkunftsstaat eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder der Gesundheit verbunden wäre. Das Asylrecht, so der Experte weiter, solle vor den Gefahren schützen, die aus einem "bestimmt gearteten Einsatz verfolgender Staatsgewalt" erwachsen sei. Eine Verfolgung sei daher dann eine politische, wenn sie "dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielte Rechtsverletzung anfügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen".

Zu dem Unvermögen eines Staates, Schutz zu gewähren, führte er aus, übersteige die Schutzgewährung die Kräfte eines konkreten Staates, zum Beispiel weil die staatliche Organisation zusammengebrochen ist, so scheide eine asylrechtliche Verantwortlichkeit aus. Das Asylrecht des Grundgesetzes gewähre keinen Schutz vor den Folgen anarchischer Zustände oder der Auflösung der Staatsgewalt.

Ausgang strittig

Professor Kai Heilbronner von der Universität Konstanz teilte diese Auffassung. Das Bundesverwaltungsgericht lege "zu Recht" die Entstehungsgeschichte, Ziel und Zweck der Genfer Flüchtlingskonvention anders aus als der UNHCR. Die Entstehungsgeschichte der GFK spreche für ein Erfordernis der Staatlichkeit oder staatlichen Zurechenbarkeit der Verfolgung. Heilbronner räumte allerdings ein, die Auslegung anhand von Wortlaut und Entstehungsgeschichte biete "freilich kein eindeutiges Bild". Die Frage der Urheberschaft von Verfolgungsmaßnahmen sei nicht diskutiert worden. Im Übrigen bedeute die Nichtanwendbarkeit der Konvention auf Fälle privater Verfolgung keine Schutzlosigkeit. Nach dem deutschen Ausländergesetz könne schließlich von der Abschiebung eines Ausländers in einen Staat, in dem eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben und Freiheit drohe, abgesehen werden.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9911/9911041
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