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Juni 06/2000
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Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin"

Eine Arbeit mit vielen Fragezeichen

Sollen Gruselfilme Wirklichkeit werden? Wünscht sich wirklich jemand lebende Wesen mit vier menschlichen Nieren und zwölf menschlichen Augen, die man ihnen herausschneidet, so wie sie gerade gebraucht werden? Die Antwort scheint eindeutig. Aber umgekehrt gefragt: Wollen wir "unheilbar" kranken Menschen die Hoffnung nehmen, vielleicht doch geheilt werden zu können? Und wenn die Forschung entdeckt, wie Leiden gelindert oder gar ganz vermieden werden kann - wer will das dann ernsthaft verbieten? Wir ahnen: Es geht um Medizin, um Genforschung. Und wir ahnen, dass diese beiden Gegensätze zwei Seiten derselben Medaille werden könnten. Doch die Forschung ist längst weiter: Die Gegensätze liegen so dicht nebeneinander, dass glänzendes Licht und tiefe Schatten schon auf derselben Seite dieser Medaille angesiedelt sind. Wer will sagen, was richtig ist? Elf Frauen und fünfzehn Männer gehen an diese brisante Aufgabe: Die Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" hat ihre Arbeit aufgenommen.

Genforschung: Gegensätze liegen dicht beieinander.
Genforschung: Gegensätze liegen dicht beieinander.

Es steht ganz oben in unserer Verfassung: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Ein einfacher Satz, ein zwingendes Gebot für das staatliche Handeln. Aber ein Satz voller Fragezeichen. Wo beginnt, wo endet "Mensch"? Ist ein wachsendes Gewebe aus menschlichen Zellen ein "Mensch"? Wo beginnt, wo endet "Würde"? Ist es ein individuelles, unbegrenztes, klar bestimmbares Recht des Einzelnen gegen den Rest der Welt, oder handelt es sich um ein gemeinschaftliches Versprechen aller für alle mit dem Ziel, menschenwürdige Verhältnisse für den Einzelnen zu schaffen? Wo beginnt, wo endet "unantastbar"? Ist es "schon" die Entnahme von Blutproben bei Behinderten, die sich selbst nicht dazu äußern können, oder ist es "erst" die Bestimmung von Merkmalen Ungeborener, um Unerwünschtes vor der Geburt abtreiben zu können?

Schon im Grundsätzlichen hat die Enquete-Kommission somit ein höchst schwieriges Terrain zu betreten. Mindes-tens so schwer wiegen die praktischen Fragen. Denn im Unterschied zu anderen Kommissionen, die vor allem langfristige Entwicklungen und Perspektiven in den Blick nehmen, um dafür mittelfristige Handlungsempfehlungen abzuleiten, wird von dieser Enquete erwartet, auch die aktuelle Gesetzgebung zu begleiten. Aber auch der Schlussbericht soll bereits in weniger als zwei Jahren vorliegen. Dabei ist seit der Vorgänger-Enquete über Chancen und Risiken der Gentechnik eine derart große Stofffülle entstanden, dass allein deren Bearbeitung schon für eine weitere Enquet in der nächsten Wahlperiode reichen dürfte.

Im Grunde, so der Vizevorsitzende der Kommission, Hubert Hüppe (CDU/CSU), müsste man diese Enquete ständig einrichten. Nur indem sich die 13 fachkundigen Abgeordneten und genauso viele ausgewiesene wissenschaftliche Experten kontinuierlich mit den Auswirkungen des Forschens beschäftigten, könne die Politik mit den Fortschritten der Medizin mithalten. Dabei gehe es um grundsätzliche Fragen wie dem Ausmaß der Schutzbedürfnisse genauso wie um Richtungsentscheidungen: Finger weg von der gesamten umstrittenen Stammzellenforschung oder nur Verbot von menschlichen Klonen? Die zunehmende Globalisierung führe zu weiterem Klärungsbedarf: Selbst wenn wir den "Verbrauch" von Embryonen in Deutschland verbieten - gilt das dann auch für den Import von Stammzellen aus im Ausland getöteten Embryonen? Nicht nur Hüppe weist auf den Zwiespalt hin, in den jeder Einzelne bei diesen Themen gerät.

Für die Kommissionsvorsitzende Margot von Renesse (SPD) gibt es die Widersprüchlichkeiten seit Menschengedenken. Alles, was Menschen wissen und können, sei sowohl nützlich wie schädlich zu verwenden. Schon mit dem Faustkeil habe sich der Mensch Nahrung besorgen, aber auch seinem Nächsten den Schädel spalten können. Sollte man den Faustkeil deshalb verbieten?

Der "Faustkeil" heißt heute "Biopatent". Es geht um manipulierte Gen-Anordnungen - und um Interpretationen, die sich schon in der Sprache ausdrücken: Greifen wir in die Schöpfung ein, oder korrigieren wir deren Fehler? Wenn der Kampf gegen die Behinderung auch mit gentechnischen Mitteln aufgenommen wird, gerät er dann irgendwann unversehens zu einem Kampf gegen den Behinderten? "Der Mensch wird immer forschen", sagt Renesse. "Die Frage ist: Wo bauen wir Dämme ein, die auch halten?"

Gregor Mayntz




Internet

Weitere Informationen über die Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" sind abzurufen im Internet:
www.bundestag.de/gremien/medi/index.html

Allgemeine Informationen über die Arbeit von Enquete-Kommissionen:
www.bundestag.de/aktuell/bp/2000/bp0001/0001014.html




Infos

Außerdem hat der Bundestag in seiner Reihe "Stichwort" eine Broschüre über Enquete-Kommissionen herausgegeben. Sie kann angefordert werden beim Deutschen Bundestag, Referat Öffentlichkeitsarbeit, Telefon 030/227-27453 oder Telefax 030/227-26506.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2000/bp0006/0006062
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