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August Extra/2000
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grußwort

Wolfgang Thierse:

"Herzlich willkommen zu den Tagen der Ein- und Ausblicke"

Seit einem Jahr arbeiten die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in Berlin. Seither haben rund drei Millionen Menschen das Reichstagsgebäude besucht, viele von ihnen haben als Gäste eine Sitzung des Parlaments erlebt. Das Interesse an dem zentralen Ort unserer parlamentarischen Demokratie und an der Tätigkeit der Abgeordneten hat in einer Art und Weise zugenommen, die alle Erwartungen übertroffen hat. Die Tage der "Ein- und Ausblicke" sollen auch in diesem Jahr eine Möglichkeit anbieten, das Haus zu erleben, in dem der Deutsche Bundestag berät und entscheidet. Zu diesen Tagen der "Ein- und Ausblicke" möchte ich Sie herzlich willkommen heißen.

Dabei ist es erst zehn Jahre her, dass die nach der friedlichen Revolution in der DDR im Frühjahr 1990 frei gewählte Volkskammer den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland beschlossen hat. Mit der gesamtdeutschen Bundestagswahl wenige Monate danach, am 2. Dezember 1990, war ein wesentlicher Schritt zur Vollendung der Einheit Deutschlands getan. Von nun an gab es für die Menschen in Ost und West ein gemeinsames Parlament als Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzungen und Entscheidungen.

Wolfgang Thierse

Dass nach der Wahl zum 14. Deutschen Bundestag ein ehemaliger Bürger der DDR das Amt des Bundestagspräsidenten übertragen bekommen hat, hat für mich eine historische Bedeutung. Dies war ein Akt demokratischer Normalisierung und ein weiterer Schritt zum Zusammenwachsen Deutschlands. Auch wenn der Weg zu der von allen gewünschten Vollendung der Einheit noch immer mit manchen Problemen verbunden ist, in der parlamentarischen Arbeit des Bundestages, in der sich diese Probleme häufig niederschlagen, werden trotz unterschiedlicher politischer Auffassungen in Einzelfragen von keiner Seite die gemeinsamen Grundlagen und Wesenselemente unserer parlamentarischen Demokratie in Frage gestellt.

Meine persönlichen Erinnerungen gehen noch weiter zurück: Ich lebe seit vielen Jahren im Bezirk Prenzlauer Berg, mitten in Berlin. Als die DDR noch existierte und die vom SED-Regime gebaute Mauer den Weg in den Westen der Stadt versperrte, waren meine Gedanken oft drüben. Das Reichstagsgebäude war für mich unerreichbar und nur aus der Ferne zu sehen. Vielen anderen ging es wie mir. Die Hoffnung auf Freiheit und eine demokratische Gesellschaft musste so lange unerfüllt bleiben, wie diese Grenze ihren unmenschlichen Charakter behielt.

Dass diese Mauer fiel und damit die Jahrzehnte lange Teilung Deutschlands überwunden wurde, ist zunächst Millionen Menschen in der DDR zu verdanken, die gegen die kommunistische Diktatur aufstanden und mutig ihren Willen zu Freiheit, Menschenrechten und Demokratie durchsetzten. Für die Demokratie in Deutschland ist dies eine Phase, auf die wir mit Stolz schauen können.

Nur wenige Meter neben dem Reichstagsgebäude verlief 28 Jahre lang die Mauer, die Ost und West voneinander trennte. Der Bundestag wird in einem seiner neu entstehenden Gebäudekomplexe auf der östlichen Seite der Spree die Erinnerung an die Mauer und die Opfer wach halten, die ihr Leben verloren, weil sie frei sein wollten.

Auch andere Ereignisse und Abschnitte der deutschen Geschichte sollen an diesem Ort präsent bleiben. Dazu gehört die Arbeit des Reichstages während der Weimarer Republik, aber auch die Zerstörung der Demokratie durch die Nationalsozialisten, die Besetzung des Gebäudes durch russische Truppen als Symbol des Sieges über Hitler-Deutschland ebenso wie die Bekundung des Willens der Deutschen zu einer freiheitlichen Ordnung und zur Einheit in den Jahren nach 1945.

Ich wünsche Ihnen einen anregenden Besuch und eindrucksvolle Ein- und Ausblicke im Deutschen Bundestag.

Wolfgang Thierse

Präsident des Deutschen Bundestages

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2000/bpextra/extr003
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