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März 03/2001
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Kampf gegen Drogen

Kein Recht auf Sucht

Es waren schöne Tage in San Francisco. Damals, im Sommer 1967 im Haight Ashbury Park. Jedenfalls aus Sicht der jungen Menschen, die dort das Leben neu entdeckten - ohne die strikten Konventionen einer als verkrustet empfundenen Gesellschaft. Make love not war. Liebe statt Krieg lautete mitten im Kalten Krieg die Botschaft der Blumenkinder. Sie experimentierten. Mit Lebensformen, mit Protestvarianten, mit dem Bewusstsein. Sich wohl zu fühlen hat auch mit der Ausschüttung körpereigener Chemie zu tun. Und die ist manipulierbar. Das wissen die Menschen, seit es Menschen gibt. Welche Pilze, welche Pflanzen zum Rausch führen können, hat seit Urzeiten fasziniert. Die Faszination stand auch am Anfang dieser neuen Drogenbewegung, die bis heute nicht zum Stillstand gekommen ist.

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Es gab viele San Franciscos. Und es gab viel Faszination. Marihuana trat damals den Siegeszug um die Welt an. Heroin und Kokain, mehr als ein halbes Jahrhundert vorher als Schmerzmedizin entwickelt, kamen hinzu. Und die psychedelischen Auswirkungen von LSD schlugen sich sogar in einem Musikstil nieder. Die vorherigen Drogen-Wellen hatten zwar auch schon viele negative Begleiterscheinungen gehabt und spürbare Eindämmungsmaßnahmen nach sich gezogen - etwa das Vorgehen gegen die verlotterten Zustände in den Opiumhöllen des britischen Empires. Aber schon zu Beginn der 70er Jahre machte das Schicksal vieler berühmter Musiker der neuen Jugendbewegung grausam klar, was Drogenkonsum auch bedeutet: Tod.

Mit Erschrecken registrierten die Bürger die Wirkungen der Heroinsucht. Als ein Berliner Einzelschicksal die "Kinder vom Bahnhof Zoo" plastisch vor Augen führte, schien das Elend schon weite Teile der Jugend erfasst zu haben. Die Zahl der Drogentoten stieg. Aber man stand, verglichen mit den heutigen Zahlen, erst am Anfang der Entwicklung. 104 junge Menschen wurden 1972 Opfer der illegalen Drogen. 1985 waren es 324. Dann stieg die Kurve des Todes rasant an: 1987 auf 442, 1988 auf 670, 1989 auf 991, 1990 auf 1.491 und 1991 auf 2.125!

Dies war der letzte Anlass für die Politik, alle Anstrengungen zu bündeln, an einem "Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan" zu arbeiten, an dem Bund, Länder und Gemeinden, Verbände und Vereine mitwirkten. Schon im Untertitel zeigte sich der Grundansatz deutscher Politik: "Maßnahmen der Rauschgiftbekämpfung und der Hilfe für Gefährdete und Abhängige". Deutsche Drogenpolitik hat danach eine dreifache Ausrichtung: Repression gegen den Handel, Therapieangebote für die Süchtigen und Aufklärung zur Vorbeugung. Das Ziel, so hieß es bei der Verabschiedung des Planes am 13. Juni 1990, sei nach wie vor, "alle Voraussetzungen zu schaffen, um ein Leben ohne Drogen zu führen".

Das ist in der Praxis längst zum fernen Leitstern geworden. Schadensminimierung hat im Laufe der Jahre immer größere Bedeutung gewonnen. Früher wäre es undenkbar gewesen, dass der Staat Spritzen aushändigt, mit denen Süchtige sich ihren nächsten Schuss setzen können. Ist das nicht Förderung der Drogensucht? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wichtiger als diese Frage wurde die Notwendigkeit, eine Ausbreitung von Hepatitis und der Immunschwächekrankheit AIDS zu unterbinden, die zu einem beachtlichen Teil über infiziertes Fixerbesteck geschah.

In dem "nationalen Plan" wurde sowohl die Einschätzung von Sucht als Krankheit als auch der Vorrang von Therapie gegenüber Strafe festgeschrieben. Ohne die Droge zu akzeptieren, akzeptierte die Drogenpolitik, dass das Vorgehen gegen die Sucht breit gefächert sein muss. Als Faustformel gilt, dass ein Drittel der abhängig gewordenen Menschen die Sucht innerhalb der eigenen vier Wände hält und unbemerkt auch den Ausstieg alleine schafft. Ein weiteres Drittel fällt auf, ist aber mit Hilfe von außen in der Lage, die schlimmen Erfahrungen dauerhaft hinter sich zu bringen. Das letzte Drittel macht die meisten Sorgen, wird auch mit größter Unterstützung immer wieder rückfällig. Manche schaffen es nie.

Aber immer und immer wieder muss es versucht werden. Denn nach der Erkenntnis, dass jede Sucht ihre eigene Geschichte hat, jeder Weg in die Abhängigkeit hinein von individuellen Umständen bestimmt wurde, so muss auch der Weg zurück in die Drogenfreiheit individuell gegangen werden. Für manche ist der brutale Ausstieg mit heftigen, aber kurzen Entzugsschmerzen geeignet, andere hoffen, einen "Turbo-Entzug" mit Hilfe von Medikamenten hinzubekommen. Andere lassen sich die Ersatzdroge Methadon verschreiben, die dem Körper vorgaukelt, Heroin genommen zu haben, so dass die Entzugserscheinungen ausbleiben. Aber auch der "Flash" im Kopf bleibt aus. Weil Süchtige zumeist jedoch nicht nur physisch abhängig sind, sondern auch psychisch die Wirkung suchen, schafft den Ausstieg mit langsam sinkenden Methadon-Dosierungen nur, wer die Ersatzdroge als Krücke ansieht, die eigene Schritte nicht ersetzt. Deshalb ist Methadon kein Wundermittel. Wie vorsichtig auch damit umgegangen werden muss, ergibt sich aus jüngsten Statistiken, wonach bereits 250 der jährlichen Drogentodesfälle Methadon-Patienten betreffen.

Die Entwicklung seit Beginn der 90er Jahre zeigte aber, dass gemeinsame Bemühungen nicht wirkungslos sein müssen. Die Zahl der Toten sank zunächst kontinuierlich, blieb aber auf hohem Niveau: 1.674 Menschen starben 1998 an der Folge ihres Drogenkonsums. Auf der Seite der Vorbeugung freuten sich die Mitarbeiter der Drogenprophylaxe über eine sich wandelnde Einstellung junger Leute. 1973 erklärten 39 Prozent der 14- bis 25-Jährigen, sie würden auf keinen Fall Rauschmittel probieren. 1990 erteilten bereits 61 Prozent den Drogen eine klare Absage - Tendenz weiter steigend. Auf der anderen Seite rechneten 1973 noch 17 Prozent dieser Altersgruppen damit, vielleicht Drogen zu nehmen. 1990 waren es nur noch fünf Prozent - Tendenz weiter fallend. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unterstützte diese Einstellungsänderung mit einem möglichst frühen Ansatz: "Kinder stark machen", schon vor Beginn der "gefährlichen Jahre" ihre Lebenskompetenz stärken und ihnen vermitteln, daß man auch "nein" sagen kann. Auch in anderen Ländern wurde versucht, mit Image-Kampagnen die Verführung zu minimieren.

Ein aufgeklärter Umgang zumindest mit weichen Drogen ergab sich 1994 aus dem viel beachteten "Haschisch-Beschluss" des Bundesverfassungsgerichtes. Aus dem allgemeinen so genannten "Übermaßverbot" leitete das höchste deutsche Gericht ab, dass geringere Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz nicht die ganze Härte der Strafverfolgung auslösen. Die Staatsanwaltschaft könne Strafverfahren insbesondere dann einstellen, wenn Erwachsene geringe Mengen von Haschisch besitzen, das sie zum gelegentlichen Eigenkonsum nutzen, ohne dabei Jugendliche zusehen zu lassen - so lange sie also keinen anderen gefährden.

Gleichzeitig unterstützten die Verfassungsrichter die deutsche Drogenpolitik unter Einschluss der Strafverfolgung und erteilten der Auffassung, aus den Persönlichkeitsrechten ergebe sich ein geschützter individueller Raum, also auch ein "Recht auf Rausch", eine klare Absage: "Absolut geschützt und damit der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen ist allerdings nur ein Kernbereich privater Lebensgestaltung. Dazu kann der Umgang mit Drogen, insbesondere auch das Sichberauschen, aufgrund seiner vielfältigen sozialen Aus- und Wechselwirkungen nicht gerechnet werden", stellte das Verfassungsgericht fest und fasste zusammen: "Ein Recht auf Rausch gibt es mithin nicht."

Aber das Konsumverhalten änderte sich. Und Ende des Jahrzehntes stieg auch die Zahl der Opfer wieder. Auf 1.812 im Jahr 1999 und 2.023 im vergangenen Jahr. Den "klassischen" Heroinsüchtigen gibt es kaum mehr. Schon sehr früh experimentieren Süchtige mit verschiedenen Drogen, deren Wirkung sie oft nicht genau abschätzen können.

Die Verbrecherkartelle im Hintergrund sind einfallsreich. Schließlich geht es um einen illegalen Markt, der auf 500 bis 1.000 Milliarden Dollar jährlich geschätzt wird - bei einer weltweiten Konsumentenzahl von etwa 40 Millionen - mit stark steigenden Zahlen insbesondere in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion.

Ein immer höherer Anteil wird bei Crack vermutet. Diese aufbereitete Kokainform macht nicht nur schneller abhängig, sondern in höherem Maße auch aggressiv - mit allen Konsequenzen für die Therapie. Ende der 90er Jahre wurde bei abnehmendem Heroinkonsum der Anstieg aufputschender Mittel unübersehbar. Vor allem so genannte "Designerdrogen" kamen unter harmlos klingenden Namen daher. Schnell stieg die Zahl der Ecstasykonsumenten auf über eine halbe Million, und bald gab es auch die ersten Ecstasy-Todesopfer.

Der lange Zeit trotzdem eher sorglose Umgang mit den kleinen Pillen zeigte starke Parallelen zur fehlenden Auseinandersetzung mit den vom Umfang der Bedrohung und der Betroffenheit her wesentlich verheerender wirkenden Alltagsdrogen. Denn während alljährlich die Zahl der "klassischen" Drogentoten eine neue Diskussion über Erfolg oder Scheitern der Politik in Bund und Ländern auslöst, werden die Todesopfer von Alkohol- und Nikotinabhängigkeit selten zur Kenntnis genommen. Dabei liegen sie um ein Vielfaches höher. Genaue Daten werden nicht erfasst, aber Schätzungen gehen davon aus, dass jedes Jahr in Deutschland rund 100.000 Menschen an den Folgen des Rauchens sterben, darunter - nach ebenfalls umstrittenen Erhebungen - sogar 300 Nichtraucher, die aber in der Umgebung von starken Rauchern zu "Passivrauchern" wurden. Auf 40.000 wird die Zahl der jährlichen Alkohol-Todesopfer geschätzt.

Diese hohe Zahl von Opfern, zu der noch weit verbreitete Krankheiten hinzu kommen, hängt mit der Dimension des Konsums zusammen. Während die Zahl der "klassischen" Drogenabhängigen auf 120.000 bis 160.000 geschätzt wird, sind dies bei den Alkoholabhängigen etwa zwei Millionen und bei den schwer Nikotinsüchtigen rund sechs Millionen. Es gilt die Faustformel: Je leichter ein Suchtmittel verfügbar ist, desto höher ist auch das Ausmaß der Abhängigkeiten.

Rund 18 Millionen Deutsche rauchen regelmäßig. Ihr Anteil ist seit den 80er Jahren ständig zurückgegangen. Zwischen 1980 und 1997 sank die Raucherquote bei Männern von 61 auf 46 Prozent, bei Frauen von 54 auf 34 Prozent. Bei den Jugendlichen zeigt sich in den letzten Jahren jedoch ein gegenläufiger Trend. Der Anteil der Raucher hat bei den 12- bis 17-Jährigen um fünf Prozent zugenommen, besonders junge Frauen greifen häufiger zum Glimmstängel.

Für rund 800.000 Menschen kann zudem der Medikamentenmissbrauch zu einem Drogenproblem werden. Pillen mit psychoaktiver Wirkung (Schmerz-, Schlaf-, Beruhigungs-, Anregungs-, Abführmittel) sind schwer zu erfassen. Vor allem Frauen sind betroffen. In einer Befragung, wer ein- oder mehrmals pro Woche diese Mittel nimmt, räumten 11,5 Prozent der Männer und 19,5 Prozent der Frauen einen Konsum ein. Bei den 50- bis 59-jährigen Frauen steigt der Anteil auf 28,3 Prozent an.

Nach wie vor ist es schwierig, genaue Zahlen zu ermitteln. Das Ausmaß der Nikotin- und Alkoholabhängigkeit lässt sich zumeist nur durch Befragungen erahnen, die Konsumenten illegaler Drogen kommen in die Statistiken, wenn sie erstmals Polizeibeamten auffallen. Das zeigt ein großes Dunkelfeld hinter den Statistiken. Auch die Zahl der Todesopfer ist von unterschiedlichen Erfassungsmethoden abhängig. Es ist aber davon auszugehen, dass allein durch Autounfälle unter Alkoholeinfluss fast genauso viele Menschen sterben wie durch illegale Drogen. Daraus ergibt sich, dass Sucht-Vorbeugung und Drogenpolitik einen weit umspannenden Ansatz haben müssen, wenn sie den tatsächlichen Gefahrenpotenzialen gerecht werden wollen.

Gregor Mayntz


Internet

Weitere Informationen zum Thema auf der Homepage des Bundesgesundheitsministeriums:
www.bmgesundheit.de
dort unter "Themen" "Drogen und Sucht" anklicken.

Informationen gibt es außerdem bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unter:
www.bzga.de


Hansjörg Schäfer, SPD
Hansjörg Schäfer, SPD hansjoerg.schaefer@bundestag.de

Hilfe statt Strafe

Sucht ist Krankheit. Und Kranken kann mit dem Strafrecht nicht geholfen werden. Dieser Einsicht entstammt die Stoßrichtung der Drogen- und Suchtpolitik der rot-grünen Regierungsmehrheit. Das Prinzip Hilfe statt Strafe wird konsequent umgesetzt und zeigt sich am deutlichsten in der Verlegung der Zuständigkeit vom Innen- zum Gesundheitsressort. Gleichwohl gilt für Dealer illegaler Drogen: Die volle Härte des Strafrechts soll sie treffen. Aufklärung, Prävention und Hilfe für Abhängige sind die Hauptinstrumente, mit denen wir der Sucht beikommen wollen. Das gilt insbesondere für die legalen harten Drogen Alkohol und Nikotin, die statistisch mit Abstand den größten Schaden an den Menschen anrichten.

Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz, die Einschränkung der Tabakwerbung, die Gewährleistung, dass in Gaststätten ein nicht-alkoholisches Getränk tatsächlich billiger ist als beispielsweise ein Bier und verstärkte Aufklärung an Schulen sind nur einige Stichworte, was die Prävention angeht. Suchtkranken werden mit einem leichteren und schnelleren Zugang zu Therapien und Substitutionsprogrammen Wege aus der Verelendung geboten. Drogenkonsumräume verbessern die Hygiene und helfen, Ansteckungen mit HIV und Hepatitis zu vermeiden. Langfristig muss ein differenzierterer Umgang mit Cannabis angedacht werden. Die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes, gelegentlichen Konsum und den Besitz zum Eigengebrauch nicht zu bestrafen, gibt die Richtung vor. Der große therapeutische Nutzen von Cannabis bei Krebs, multipler Sklerose und vielen anderen schweren Krankheiten wird anerkannt und demnächst in die medizinische Praxis einfließen können.


Hubert Hüppe, CDU/CSU
Hubert Hüppe, CDU/CSU hubert.hueppe@bundestag.de

Gegen Denkverbote

Der traurige Rekord von 2.023 Drogentoten im letzten Jahr zeigt, dass Drogen und Sucht weiterhin große und zunehmende Probleme in unserer Gesellschaft darstellen. Eine völlig drogenfreie Gesellschaft wird zwar immer nur Wunschtraum bleiben; trotzdem müssen wir Drogenfreiheit als Ziel im Auge behalten und alle Kräfte aufbieten, diesem Ziel so nahe wie möglich zu kommen. Suchtverhalten beginnt nicht erst bei illegalen Drogen, allein 2,7 Millionen Menschen sind auf Grund ihres Alkoholkonsums behandlungsbedürftig.

Legalität und leichte Zugänglichkeit der legalen Drogen Alkohol und Nikotin haben zu gesellschaftlicher Etablierung, hohem Konsum und teilweise hochproblematischen Konsummustern geführt. Daher sollte nicht die Legalisierung weiterer Stoffe, sondern die Einschränkung der legalen Suchtstoffe erwogen werden. Alkohol und Nikotin spielen die Schlüsselrolle bei jeder Suchtentstehung. Daher ist die konsequente Durchsetzung des Jugendschutzes geboten. Aus der Sucht gibt es viele, manchmal auch langwierige Wege, wie z.B. Methadon. Konzepte, die die Sucht nur erträglicher machen sollen, ohne ihr entgegenzuwirken, geben den Drogenkranken im Kern auf.

An der Kostenträgerschaft dürfen keine Behandlungen scheitern. Daher sollte ein Fonds geschaffen werden, in den alle Kostenträger einzahlen und aus dem bis zur endgültigen Klärung der Zuständigkeit die Therapie vorfinanziert wird. Die Nachsorge muss mit einem besonderen Schwerpunkt bei Arbeitsplatzsuche und Verschuldungsproblemen besser gefördert werden, "Sucht" muss immer wieder neu diskutiert werden. Es gibt keine Denkverbote bezüglich möglicherweise hilfreichen neuen Wegen, doch muss sich jede Maßnahme daran messen lassen, wie sie Süchtigen hilft, der Freiheit von Drogen und dem Schutz der Allgemeinheit dient.

Christa Nickels, Bündnis 90/Die Grünen
Christa Nickels, Bündnis 90/Die Grünen christa.nickels@bundestag.de

Sucht ist Krankheit

Drogen- und Suchtpolitik ist kein Randthema. Nein, es zielt in die Mitte unserer Gesellschaft! Mehr als 100.000 Menschen sterben jährlich bei uns an den Folgen ihrer Nikotinsucht, statistisch gesehen etwa 300 Opfer pro Tag. Das ist so, als würde allein in Deutschland täglich ein voll besetzter Jumbo-Jet abstürzen. 40.000 Menschen sterben an ihrer Alkoholsucht. Tausende Kinder kommen - bedingt durch den Alkoholkonsum der Mutter - von einer Alkoholembryopathie für ihr ganzes Leben gezeichnet auf die Welt. Mehr als 8 Millionen Angehörige von Alkoholabhängigen, darunter fast 2 Millionen Kinder, haben unter den Folgen der Sucht ihrer nächsten Angehörigen oft lebenslang zu leiden. 1,5 Millionen Menschen sind medikamentenabhängig, darunter erschreckend viele Kinder, deren Eltern ihnen den Weg in diese Sucht bahnen, weil sie glauben, ohne Pillen könnten ihre Kinder nicht die notwendigen Leistungen erbringen.

Sucht ist Krankheit und ein Massenphänomen, verbunden mit vielfachem persönlichem, seelischem und körperlichem Leid, aber auch mit schwerwiegenden negativen Folgen für die gesamte Gesellschaft. Es gibt keinen Königsweg in der Drogen- und Suchtkrankenhilfe. So verschieden die Wege sind, die Menschen ins Suchtverhalten abgleiten lassen, so verschieden und passgenau müssen auch die Zugänge zur Treppe der Hilfe sein. Deshalb brauchen wir unbedingt eine große gesamtgesellschaftliche Koalition der Vernunft, um jene Strukturen zu verändern, die Wege in die Sucht bahnen, und um die Kräfte und Ressourcen für die notwendige Hilfe zu mobilisieren.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, F.D.P.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, F.D.P. sabine.leutheusser-schnarrenberger@bundestag.de

150.000 Tote jährlich

Nach seriösen Schätzungen kostet in Deutschland der Konsum legaler und illegaler Drogen jährlich etwa 150.000 Menschen das Leben. Zwar verbirgt sich in dieser seit Jahren konstant schlimmen Bilanz "nur" eine Zahl von etwa 2.000 Opfern illegaler, "harter" Drogen, doch sollte deren letztjähriger Anstieg um über elf Prozent als besondere Aufforderung verstanden werden, in den Bemühungen zur Eindämmung des Drogenkonsums und zur Vermeidung seiner tödlichen Folgen nicht nachzulassen.

Das statistisch "typische" Opfer des Konsums harter Drogen ist knapp 40 Jahre alt. Ein Mensch, der regelmäßig bereits ein leidvolles Leben als Abhängiger hinter sich hat. Er stirbt in der Regel an einer Überdosis und, anders als das Klischee nahe legt, "im privaten Raum", in der eigenen Wohnung oder in der seiner oft auch drogenabhängigen Leidensgenossen.

Sehr viele Todesfälle, so sagt die Drogenmedizin, wären zu verhindern, wenn von den häufig anwesenden Personen die meist unspezifischen Symptome des Sterbenden richtig, also als lebensbedrohlich begriffen und Soforthilfemaßnahmen veranlasst würden. Das dazu notwendige Wissen in der "Szene" zu verbreiten, scheint ein sinnvoller Ansatzpunkt zu sein. Weitere Bausteine einer rationalen Drogenbekämpfungsstrategie sind die allgemeine Aufklärung, die Ausweitung therapeutischer Angebote und die kontrollierte Substitution sowie die kontrollierte Verabreichung harter Drogen an Schwerstabhängige. Einer Strategie, die sich nicht - wie leider immer noch gefordert wird - vorrangig am Strafrecht, sondern an der Erkenntnis orientiert, dass drogenabhängige Menschen keine kriminellen, sondern sehr kranke, hilfsbedürftige Menschen sind.


Ulla Jelpke, PDS
Ulla Jelpke, PDS ulla.jelpke@bundestag.de

Werbeverbot für Drogen

Ende 1999 hat die PDS-Fraktion einen Antrag eingebracht, in dem sie die Entkriminalisierung des Gebrauchs bislang illegaler Rauschmittel, die Legalisierung von Cannabisprodukten und die ärztlich kontrollierte Abgabe so genannter harter Drogen fordert (Drucksache 14/1695).

Neben der Entkriminalisierung des zum persönlichen Konsum dienenden Besitzes und Erwerbs von Drogen fordert die PDS ein Werbeverbot für Alkohol, Tabak und andere Rauschmittel sowie einen Ausbau der Therapieeinrichtungen für Drogenabhängige. Drogenkonsum ist kein strafrechtliches, sondern ein medizinisches Problem. Die herrschende Drogenpolitik produziert noch immer in erheblichem Maße die Probleme, die sie zu bekämpfen vorgibt. Statt auf Therapie für Drogenkranke setzt sie auf Repression und hält damit einen verhängnisvollen Kreislauf von Illegalisierung, Kriminalisierung und Abhängigkeit aufrecht. Gleichzeitig kann für die größten Drogen, für Alkohol und Tabak, weiter frei geworben werden. Etwa 42.000 Menschen sterben nach Schätzungen von Fachleuten jährlich direkt oder indirekt an den Folgen von Alkoholkonsum, das sind über 20mal so viel wie an Heroin, Kokain und anderen "illegalen" Drogen.

Zu einer wirklichen Korrektur der alten, gescheiterten Drogenpolitik ist auch die jetzige Regierung nicht bereit. Während Länder wie die Niederlande von der Repression gegen Drogenkranke schon lange Abschied genommen haben oder wie die Schweiz Abschied nehmen, gibt es hier zu Lande noch nicht einmal in allen Bundesländern Fixerstuben, weil die CDU/CSU diese ablehnt. Gemeinsam mit MedizinerInnen, WissenschaftlerInnen, JuristInnen und auch PolizeibeamtInnen fordern wir weiter eine Entkriminalisierung der Drogenpolitik.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2001/bp0103/0103072
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