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Mai 05/2001
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Wie soll Erziehung honoriert werden?

von Bert Rürup

Das Pflegeversicherungsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April dieses Jahres knüpft an sein "Trümmerfrauenurteil" vom 7. Juli 1992 zur gesetzlichen Rentenversicherung an. In diesem Urteil hat das Gericht auf die für die Bestandssicherung umlagefinanzierter Systeme unabdingbaren "generativen Beiträge" in Form von Kindererziehungsleistungen hingewiesen, aber eine Honorierung bei den Rentenleistungen als eine systemadäquate Form der Berücksichtigung dieser Erziehungsleistung anerkannt. Im Pflegeversicherungsurteil dagegen wurde der Gesetzgeber zu Entlastungen während der Erziehungsphase auf der Beitragsseite verpflichtet. Aus diesem Grunde wurde vielfach aus dem Pflegeversicherungsurteil herausgelesen, dass nunmehr auch in der gesetzlichen Rentenversicherung bei den Beiträgen die Kinderzahl berücksichtigt werden müssten.

Eine solche Interpretation ist möglich, aber keineswegs geboten, denn im Pflegeversicherungsurteil wird im Kontext des "Trümmerfrauenurteils" ausgeführt, dass "aus dem Verfassungsauftrag, einen wirksamen Familienlastenausgleich zu schaffen, ... sich konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme (nicht ableiten lassen). Insoweit besteht vielmehr grundsätzlich Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers." Daher soll im Folgenden nicht die Frage des "Wie" diskutiert werden, sondern die des "Ob". Die Problematik kinderzahlabhängiger Beiträge in der gesetzlichen Rentenversicherung sei (nur) an drei Punkten festgemacht:

1.   Da jedes Kind einen potenziellen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit der umlagefinanzierten Systeme darstellt, führt eine Entlastung nur von erziehenden Mitgliedern der Sozialversicherung zu einer Diskriminierung von Beamten, Richtern, Freiberuflern, Selbstständigen, Arbeitslosen oder Sozialhilfeempfängern, die Kinder auf- und erziehen. Denn die von diesen Personengruppen geleisteten "generativen Beiträge" zur Zukunftssicherung der umlagefinanzierten Sozialsysteme unterscheiden sich in nichts von den "generativen Beiträgen" der Pflichtversicherten.

2.   Insbesondere bei Frauen begründen die kinderspezifischen Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung zunehmend einen nicht unerheblichen Teil ihrer im Durchschnitt deutlich unter denen der Männer liegenden Rentenansprüche. Würde man auf diesen Teil der Rentenanwartschaften verzichten oder sie einfrieren und stattdessen die Beiträge in der Erwerbsphase absenken oder wäre die Politik in den vergangenen 15 Jahren nicht den Weg über Leistungsverbesserungen, sondern über Beitragsentlastungen gegangen, hätte dies erhebliche geschlechtsspezifische Verteilungseffekte zur Folge. Denn Beitragsentlastungen kommen über steigende Haushaltsnettoeinkommen beiden Elternteilen zugute; ein Verzicht auf die kinderspezifischen Rentenleistungen würde aber fast ausschließlich die Mütter treffen.

3.   Wenn man akzeptiert, dass "Arbeit" und "Kapital" Produktionsfaktoren sind, die in einem begrenzten Substitutsverhältnis zueinander stehen und beitragserworbene Rentenansprüche immer Ansprüche an ein zukünftiges Sozialprodukt sind, dann folgt daraus, dass eine Gesellschaft – in Grenzen – über zwei Wege Altersvorsorge treiben kann: nämlich über die Bildung von Humankapital, d.h. vor allem durch das Aufziehen, Erziehen und Ausbilden der zukünftigen Erwerbstätigen und/oder über die Bildung von Sachkapital, zum Zwecke einer produktivitätssteigernden Kapitalintensivierung und einer Erhöhung des Produktionspotenzials. Akzeptiert man dies, dann folgt daraus weniger eine Beitragsdifferenzierung, sondern eher eine Rentendifferenzierung zu Lasten der Kinderlosen, um diese zu verstärkten Sparanstrengungen anzuregen. Im Ergebnis wird dieser Weg über die Berücksichtigung rentenanspruchsbegründeter Erziehungsleistungen von der Politik seit 1986 beschritten.

Fazit: Will man in den Sozialversicherungen auch die "generativen Beiträge" innerhalb der Systeme berücksichtigen, ist dies in der Pflegeversicherung, in der der Leistungsanspruch vorgegeben und in keiner Beziehung zur Beitragszahlung steht, nur durch kinderzahlabhängige Beiträge möglich. Für die auf den Prinzipien der Teilhabeäquivalenz und der Vorleistungsabhängigkeit der Renten basierenden Rentenversicherung sind aber Leistungsverbesserungen die systematischere und überlegenere Alternative.

Die zentralen Instrumente zur Abwicklung des Familienausgleichs bzw. der Honorierung von Erziehungsleistungen sollten nicht die Beitragsaufkommen der Sozialversicherungen sein, welche nur aus den Lohneinkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze stammen, sondern eine dem Leistungsfähigkeitsprinzip verpflichtete, alle Einkommen erfassende Einkommensteuer und das staatliche Transfersystem.


Prof. Dr. Bert Rürup

Prof. Dr. Bert Rürup.
Prof. Dr. Bert Rürup.

Jahrgang 1943, geb. in Essen. Studium der wirtschaftlichen Staatswissenschaften in Hamburg und Köln, von 1969 bis 1974 Assistent an der Uni Köln. Ab 1975 Professor für Volkswirtschaft an der Uni Essen, seit 1976 Professor an der TU Darmstadt. 1982/83 war er Consultant für die Bundesrepublik Deutschland bei der EG. Von 1991 bis 1993 als Gründungsdekan der TH Leipzig und der Uni Leipzig tätig. Zurzeit ist Rürup Mitglied und wissenschaftlicher Berater der Enquete-Kommission "Demografischer Wandel" des Bundestages, Mitglied des "Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" und Vorsitzender des "Sozialbeirates für die Rentenversicherung". Zahlreiche Veröffentlichungen u. a. zu sozialökonomischen Themen und Problemen der öffentlichen Planung und Effizienzkontrolle, zur Steuer-, Finanz-, Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2001/bp0105/0105086
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