Bildwortmarke des Deutschen Bundestages . - Schriftzug und Bundestagsadler
English    | Français   
 |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ  |  Druckversion
 
Startseite > Blickpunkt Bundestag > Blickpunkt Bundestag - Jahresübersicht 2002 > Blickpunkt Bundestag November 9/2002 >
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

Sonderthema Bundestagsgremien

Koalitionsverhandlungen

Wie eine Regierung entsteht

Koalitionsverhandlungen sind die Verlängerung der Wahlprogramme in den Bundestag hinein. Denn in diesen Verhandlungen versuchen zwei oder mehr Parteien, aus den im Wahlkampf bekundeten Absichten gemeinsame Anliegen zu machen, die sie im neu gewählten Bundestag auf den Weg bringen wollen. Deshalb steht ein Ringen um die Sachpolitik an. Erstes Ziel ist jedoch, im Bundestag eine Kanzlermehrheit zu Stande zu bringen.

Mehrheiten bei der Kanzlerwahl

Der erste Blick aller Parteiführer nach einer Wahl gilt der Zahl der Bundestagsmandate und der Frage, wer mit wem rechnerisch zusammen die Kanzlermehrheit zu Stande bringen könnte. Das ist in Parlamenten mit vier oder fünf Fraktionen durchaus eine spannende Angelegenheit. Aber auch in Drei-Fraktionen-Bundestagen gab es schon Überraschungen. So war es in der Wahlnacht 1969, als Kanzler Kurt-Georg Kiesinger (CDU) in dem Bewusstsein schlafen ging, eine Koalition (1) mit der FDP eingehen zu können, und mit der Nachricht geweckt wurde, dass SPD und FDP an CDU/CSU als stärkster Fraktion vorbei die Regierung stellen würden.

(1) Koalition
Koalition bedeutet Vereinigung oder Bündnis. Das Wort stammt vom lateinischen ?coalescere?, was so viel bedeutet wie zusammenwachsen, verschmelzen, sich einigen.

Mit entscheidend ist auch die Einschätzung, wie stabil eine Verbindung sein kann. So hatte die SPD-Führung in der Wahlnacht des Jahres 1998 zunächst Vorbehalte, angesichts von nur acht Stimmen Mehrheit eine Koalition mit dem bis dahin nie mitregierenden Bündnis 90/Die Grünen zu wagen. Erst als im weiteren Verlauf der Auszählungen klar wurde, dass 13 Überhangmandate eine Mehrheit von 21 Stimmen möglich machten, einigten sich die beiden Parteien auf Koalitionsverhandlungen.

Aber knapp waren die Mehrheiten in der Geschichte der Bundesrepublik schon einige Male, wie der Überblick über das Stimmenverhältnis von Regierung zu Opposition (2) jeweils zum Zeitpunkt einer neuen Kanzlerwahl (3) im Bundestag zeigt.

(2) Oppositionsführer
Im verfassungsrechtlichen Sinne gibt es das Amt des Oppositionsführers nicht. Das Gegenüber von Bundeskanzler auf der einen Seite und dem Chef oder der Chefin der größten Oppositionsfraktion auf der anderen Seite ergibt sich vielmehr aus der parlamentarischen Praxis. Die parlamentarische Minderheit übernimmt die Oppositionsrolle, verfügt ebenfalls über eine inhaltlich-programmatische Alternative und auch über eine Personifizierung dieser Herausforderung: den Oppositionsführer ? diesmal: die Oppositionsführerin.

(3) Kanzlerwahl
Das Grundgesetz verlangt eine stabile Demokratie. Mehrheiten im Parlament sollen sich nicht zufällig ergeben. Deshalb wird für die wichtige Entscheidung der Regierungsbildung im Bundestag nicht nur eine einfache Mehrheit (der gerade anwesenden Abgeordneten) verlangt, sondern eine Mehrheit der Mitglieder des Bundestages. Ein Kanzler ist nur dann gewählt, wenn mehr als die Hälfte aller Abgeordneten in geheimer Wahl hinter ihm stehen.

Koalitionsverhandlungen, wie sie inzwischen zu den selbstverständlichen Abläufen nach einer Bundestagswahl gehören, kannten die ersten Bundestage nicht. Die erste Koalition aus Union, FDP und DP verständigte sich 1949 per Briefwechsel über ? vermutlich ? inhaltlich-politische Fragen, veröffentlichte diese Kommunikation aber nie.

Erst 1961 handelten Union und FDP ein regelrechtes Koalitionsabkommen aus, das jedoch nur in einer nicht autorisierten Fassung an die Öffentlichkeit gelangte.

Die 1965er Koalition aus CDU/CSU und FDP verständigte sich noch einmal auf Koalitionsabsprachen, die jedoch erneut nicht veröffentlicht wurden. Und auch der Übergang zur ersten und einzigen Großen Koalition geschah ohne detaillierten Koalitionsvertrag. Jedoch wurden die ?Leitsätze der SPD für die Koalitionsverhandlungen im Herbst 1966? Teil der Regierungserklärung des Kanzlers Kurt-Georg Kiesinger (CDU).

Mit der sozialliberalen Koalition begann 1969 die Prozedur umfangreicher Verhandlungen, die in eine detaillierte Koalitionsvereinbarung mit konkreten Absichten auf vielen Handlungsfeldern mündeten und danach auch veröffentlicht wurden.

Anders als die Bezeichnung suggeriert, ist jeder dieser Verträge jedoch kein Rechtstatbestand, der notariell beurkundet und wie Verträge im Bürgerlichen oder Öffentlichen Recht eingeklagt werden könnte. Es handelt sich vielmehr um eine politische Selbstverpflichtung beider Seiten, die vor allem symbolischen Charakter hat, auch wenn sie durch die Billigung der Vereinbarungen durch Parteitagsbeschlüsse eine stark parteipolitisch bindende Wirkung erhält. Zudem stehen Koalitionsverträge zumeist unter spezifischen Vorbehalten. Das betrifft zum Beispiel gesetzliche Vorhaben, die die Zustimmung des Bundesrates finden müssen ? worüber eine auf die Mehrheit im Bundestag gerichtete Koalition natürlich nur begrenzten Einfluss hat. Oder die Fülle an Ausgabenplänen steht unter einem Finanzierungsvorbehalt: Was die Koalition beschließen will, muss natürlich auch bezahlt werden können ? und die Entwicklung der Steuereinnahmen und Finanzierungsmöglichkeiten lässt sich auf vier Jahre im Voraus nur schwer einschätzen.

Insofern geht es in allen Koalitionsverhandlungen, die strikt nicht öffentlich stattfinden, immer dann besonders zäh voran, wenn ein Partner eines seiner Anliegen unbedingt verwirklicht sehen will und Vorbehalte so weit wie möglich zurückdrängen will. Derartige Kernforderungen deutlich zu machen, dazu dient meistens eine erste Runde der Koalitionsverhandlungen, an denen sich traditionell gleich viele Delegationsmitglieder jeder Partei gegenüber sitzen, völlig unabhängig davon, wie viele Bundestagssitze sie in diese Verhandlungen ?einbringen?.

Nachdem die wichtigsten Ziele auf diese Weise identifiziert sind, werden für alle Politikbereiche Arbeitsgruppen oder Unterkommissionen eingerichtet, damit sich das ?Plenum? der wichtigsten Verhandler darauf beschränken kann, unstrittige Details abzuhaken, und sich ansonsten auf Streit- und Schwerpunkte konzentrieren kann.

Handelt es sich um die beabsichtigte Wiederauflage einer Koalition, greifen die Verhandlungsteilnehmer, darunter dann auch amtierende Minister, zudem auf den Sachverstand ihrer Ministerien zurück. Schließlich sind sie daran interessiert, manche Projekte, die bislang möglicherweise nur in den Schubladen von Referenten lagen, nun praktische Politik werden zu lassen. Bei Parteien, die sich anschicken, neu die Regierung im Bund zu bilden, dienen von Parteifreunden geführte Ministerien in den Bundesländern oft als Daten- und Konzept-Lieferanten. Oft genug ist das Ergebnis aber auch nur eine generelle Richtungsangabe, der erst bei der Ausformulierung von Gesetzentwürfen im Laufe der Wahlperiode konkrete Ziele folgen müssen.

Die spannendste Frage aber lautet: Wer wird was? Doch von Ausnahmen abgesehen, schieben die Verhandler die Antwort darauf stets an den Schluss. Zumindest offiziell. Im Zusammenhang mit den Fachthemen sprechen sie zwar schon an, mit welchen Strukturen die Umsetzung des Programms am besten gelingen kann, welche Abteilungen und Referate in welchen Ministerien angesiedelt sein sollen. Doch die personelle Zusammensetzung und die organisatorische Aufteilung der Regierung hängt letztlich auch mit einer Gesamteinschätzung des Verhandlungsertrages zusammen: Welcher Partner hat sich in wichtigen Sachfragen weniger oder mehr durchgesetzt und sollte daher eher Zugriff auf sein Wunschressort erhalten? Nicht zuletzt hat auch das Stimmengewicht, das die Partner in die Verbindung einbringen, Auswirkungen darauf, wie viele und welche Ministerien jeder besetzen kann. Es versteht sich jedoch unter Zwei-Parteien-Koalitionen, dass der größere den Kanzler stellt und der kleinere den Vizekanzler.

Die letzte Entscheidung über die Spitzenbesetzung liegt natürlich beim Bundeskanzler (4), der mit den Personen anschließend zu regieren hat. Ihm obliegt es auch, nach seiner eigenen Wahl, Ernennung und Vereidigung, die Liste der Kabinettsmitglieder dem Bundespräsidenten zur Ernennung vorzuschlagen. In der Regel mischt sich der eine Koalitionspartner jedoch nicht in die Personalüberlegungen des anderen ein.

(4) Bundeskanzler
Der Bundeskanzler hat die wichtigste Aufgabe innerhalb der Exekutive: Ihm ist laut Grundgesetz die so genannte Richtlinienkompetenz übertragen. Wörtlich heißt es in der Verfassung: ?Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung.? Letztlich hat er allein sich für die Arbeit der Bundesregierung zu verantworten. Deshalb werden die Mitglieder der Bundesregierung nicht einzeln gewählt, sondern auf Vorschlag des Kanzlers vom Bundespräsidenten ernannt. Die herausragende Rolle des Kanzlers für die Republik kommt auch in den verfassungsrechtlichen Vorkehrungen für den Verteidigungsfall zum Ausdruck: Wird Deutschland angegriffen, geht die Befehls- und Kommandogewalt über die Bundeswehr auf den Bundeskanzler über.

Die Koalitionsvereinbarung im Internet:
www.bundesregierung.de

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2002/bp0209/0211006d
Seitenanfang
Druckversion