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März 2/2003
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Europa braucht moderne Symbole

von Brigitte Sauzay

Brigitte Sauzay
Brigitte Sauzay.

Am 22. Januar 2003 feierten Deutschland und Frankreich den 40. Jahrestag des Élysée-Vertrages. Anlässlich dieses Jahrestages fand zum ersten Mal eine gemeinsame Sitzung beider Kabinette im Palais de l'Élysée in Paris und des Deutschen Bundestages und der französischen Assemblée Nationale in Versailles statt.
Wie nur wenige Orte in Europa macht Versailles uns bewusst, welche Strecke wir in den deutsch-französischen Beziehungen und in den Beziehungen der europäischen Nationen insgesamt zurückgelegt haben. Versailles, das in der Geschichte – 1871 und 1919 – zuallererst Symbol der Erhebung des einen über den anderen, ja der Demütigung des anderen wurde, ist heute für Deutsche und Franzosen ein Ort der Verbundenheit.

Damit ist der Blick wieder frei geworden auf den ganzen Reichtum, der die Geschichte unserer beiden Völker auszeichnet. Versailles ist ein Ort, an dem die Kultur Europas mit der Prachtentfaltung des Sonnenkönigs Ludwigs XIV. ihren Höhepunkt erreichte. Und Versailles war bereits zu seinen Lebzeiten ein Ort der Begegnung zwischen unseren beiden Kulturen – denken Sie nur an die Briefe der Schwägerin des Sonnenkönigs, Liselotte von der Pfalz, die uns das höfische Leben in Versailles auf ironische und manchmal bittere Weise beschrieb.

Versailles ist aber auch der Höhepunkt des Absolutismus, gegen den die französischen Philosophen des 18. Jahrhunderts den Kontrapunkt der Aufklärung setzten. Im „Jeu de Paume“ – dem Saal fürs Ballspiel – in Versailles wurden die Menschenrechte während der französischen Revolution verkündet. An diese gemeinsame Tradition der Aufklärung knüpfen wir heute, während eine europäische Verfassung im Entstehen begriffen ist, als europäische Wertegemeinschaft an.

Darin zeigt sich der zukunftsweisende Charakter eines Symbols wie der gemeinsamen Sitzung beider Parlamente an einem historischen Ort wie Versailles. Europas Zukunft kann nur dann Gestalt annehmen, wenn sie eine konsequente Demokratisierung beinhaltet – und das Herzstück der Demokratie ist das Parlament – und wenn es uns gelingt, Europa als Lebenswelt für die Bürger Wirklichkeit werden zu lassen.

Insofern brauchen wir heute moderne, in die Zukunft gerichtete Symbole, die die entstehende Identität für den Bürger greifbar machen. Nur so werden die Bürger sich langfristig in Europa zu Hause fühlen. Der Euro ist aus dem Zusammenschluss unserer Währungen entstanden, hat aber darüber hinaus eine starke Symbolkraft entwickelt. Die wirtschaftliche Union Europas, die für Politiker, Unternehmer und Ökonomen längst selbstverständlich ist, wird so für alle Bürger konkrete Alltagsrealität. Die Verfassung wird ein weiteres Symbol für Europas Einheit bilden.

Darüber hinaus brauchen wir jedoch weitere Schritte, die das politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Zusammenwachsen unserer Staaten markieren. Deutschland und Frankreich spielen hier eine Vorreiterrolle. Wesentlich scheint mir insbesondere die Entwicklung einer europäischen Öffentlichkeit mit grenzüberschreitenden Kommunikationskanälen für öffentliche Debatten. Die Medien spielen dabei naturgemäß eine Schlüsselrolle. Wir brauchen deshalb eine verstärkte grenzüberschreitende Berichterstattung, eine europäische Zeitung und europäische Quizrunden, Talkshows, Presseclubs und Diskussionsrunden in den Medien. Aber sie allein können ein Europa des politischen und intellektuellen Dialogs und der grenzüberschreitenden Kommunikation nicht schaffen. Nötig sind dazu unter anderem europäische Parteien mit transnationalen Listen und transnationalen politischen Identifikationsfiguren. Die Symbole der Zukunft werden also beispielsweise gleiche Wahlplakate in verschiedenen europäischen Ländern und zeitgleich ausgestrahlte „Elefantenrunden“ für Europawahlen sein.

Deutschland und Frankreich, die in der Vergangenheit durch ihre Kriege Europas Zerrissenheit verursachten, werden nunmehr – da die Aussöhnung unserer beiden Länder abgeschlossen ist – eine neue politische Semantik für die europäische Demokratie entwickeln. Drückten unsere Symbole bislang die Bewältigung der Vergangenheit aus, so müssen die Symbole von morgen die Bewältigung der Zukunft zum Ausdruck bringen.



Brigitte Sauzay, geboren 1947 in Toulon, wurde 1998 als Kanzlerberaterin für deutsch-französische Beziehungen ins Kanzleramt berufen. Sie studierte in Nizza und Freiburg im Breisgau sowie an der Ecole d?Interprètes in Paris und begleitete von 1970 bis 1979 als Dolmetscherin die deutsch-französischen Gipfeltreffen. 1979 trat sie ins französische Außenministerium ein. Mit dem Historiker Rudolf von Thadden gründete sie 1993 das Berlin-Brandenburgische Institut für deutsch-französische Zusammenarbeit in Europa e. V. in Genshagen bei Berlin.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2003/bp0302/0302003a
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