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Mai 3/2003
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Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe ein Anliegen ...

Eugenie Ruppert
Eugenie Ruppert.

Eugenie Ruppert leitet eines von vier Eingabereferaten des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages. Das Leben und die Sorgen, die manche mit dem Leben haben, landen jeden Tag auf ihrem Tisch.

Es mag verrückt klingen, aber in der Registratur der Unterabteilung „Petitionen und Eingaben“ ist man plötzlich mitten im Leben gelandet. Dabei ist es ruhig in dem lang gestreckten Raum voller Aktenschränke, die bis obenhin mit Hängeregistraturen gefüllt sind. Tausende Akten lagern hier, jede mit einer Nummer versehen, die je nach Wahlperiode eine unterschiedliche Farbe hat.

Jede Akte eine Sorge, ein Kummer, eine Wut, eine Frage, eine Bitte, ein Anliegen, eine Hoffnung. Eugenie Ruppert streicht mit dem Zeigefinger über eine Reihe Ordner, die ganz leise aneinander klacken. Viele Akten haben, bevor sie hier in die Registratur kamen, auf dem Schreibtisch der 54-jährigen Referatsleiterin gelegen, sind von ihr gelesen und bearbeitet oder weitergeleitet worden. Manche haben sie sehr lange beschäftigt, auch dann noch, wenn sie als Vorgang erledigt waren. Es gibt Dinge, die vergisst man nicht.

Wo ist der Anfang? 1975 wurde in das Grundgesetz aufgenommen, dass der Bundestag einen Petitionsausschuss zu bestellen habe. Da war schon längst verankert, dass jeder Mensch das Recht hat, Bitten und Beschwerden an den Bundestag zu richten. Ein Recht, das mühelos in Anspruch genommen werden kann. Es gibt keine Formvorschriften, nur eine Unterschrift gehört unter die Eingabe. Es sei, sagt Eugenie Ruppert, auch schon vorgekommen, dass eine Beschwerde auf einen Bierdeckel geschrieben wurde oder auf eine Tapetenrolle.

Eugenie Ruppert
Akten

Das sind die Geschichten, die man gern hört. Man stellt sich eine politisierende abendliche Skatrunde vor, die beschließt, sich gemeinsam mit einer Beschwerde an den Bundestag zu wenden. Und der Bundestag, namentlich sein Petitionsausschuss, kümmert sich um diese Beschwerde weil sie – Bierdeckel hin oder her – ihre Berechtigung hat.

Meist geht es etwas prosaischer zu. Menschen schreiben Briefe, erläutern ihr Anliegen, stellen eine Forderung oder nur eine Frage, äußern eine Bitte. Rund 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Unterabteilung Petitionen und Eingaben – kurz „Pet“ genannt – prüfen die Petitionen und bereiten die Angelegenheiten für die parlamentarische Beratung und Erledigung durch den Ausschuss vor. Im vergangenen Jahr kamen rund 14.000 Petitionen, das sind etwa 55 an jedem Werktag. 13.000 Nachträge von Petentinnen und Petenten – so werden die Absender der Schreiben genannt – kamen 2002 dazu, ebenso wie rund 10.000 Schreiben von Behörden, Abgeordneten sowie Berichte der Bundesregierung. Rund 300 Briefe verlassen täglich die Unterabteilung, rund 65.000 Schreiben im Jahr. Inzwischen gibt es eine elektronische Datenbank, in die alles eingegeben wird und die jederzeit abrufbar ist.

Akten
Akten

Allein die Zahlen vermitteln einen ersten Eindruck von der Spannbreite der Themen. Alles ist denkbar. Fehlende Kindergärten, Schulschließungen, Mobbing am Arbeitsplatz, Preissteigerungen, Lärmschutz, Arbeitslosengeld und Sozialhilfe, ein möglicher Krieg im Irak, Umweltverschmutzung, Zuzahlungen für Medizin, das Handeln oder Nichthandeln von Behörden, Haftbedingungen im Strafvollzug, ja manchmal sogar der unerträgliche Nachbar – in den unterschiedlichsten Situationen nehmen hier zu Lande Menschen ihr Recht wahr, sich zu beschweren und Unterstützung einzufordern.

Eugenie Ruppert ist ein wenig süchtig nach Informationen und Nachrichten, denn die sagen ihr meist, was in den kommenden Tagen und Wochen alles auf ihrem Tisch landen wird. Wer also wissen will, was die Menschen beschäftigt und umtreibt, was ihnen Sorgen macht, findet im Petitionsausschuss mit seinen 25 Abgeordneten und in der zuarbeitenden Unterabteilung die kompetentesten Gesprächspartnerinnen und -partner. Sie sind mehr als ein Kummerkasten, obwohl sie auch das oft sein müssen. Sie können auch darüber berichten, wie groß das Vertrauen der Menschen in Parlament und in Regierung ist. Wer sich beschwert, vertraut darauf, dass geholfen werden kann und wird. Natürlich wollen manche auch einfach nur ihren Zorn artikulieren, schimpfen, Luft ablassen. Das ist manchmal beschwerlich, schlimm aber wäre, der Posteingangskorb bliebe leer.

Akten
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Stellt sich die Frage, wie in dieses vermeintliche Chaos Ordnung gebracht werden kann, wer für was zuständig ist. Nicht jeder weiß auf jede Frage eine Antwort. Also müssen Kompetenzen verteilt werden. „Unsere Unterabteilung besteht aus einem Ausschusssekretariat und vier Eingabereferaten“, erklärt Eugenie Ruppert. „Im Sekretariat werden die Sitzungen des Petitionsausschusses vor- und nachbereitet, vor allem aber alle Eingaben einer ersten Prüfung unterzogen, und es wird die Registratur mit den rund 200.000 Akten gepflegt. Die Aufgabenbereiche der vier Eingabenreferate entsprechen der Ressortverteilung innerhalb der Bundesregierung. Das Referat Pet 4 beispielsweise, dem ich vorstehe, ist zuständig für alle Eingaben, die das Auswärtige Amt, die Bundesministerien der Justiz, für Wirtschaft und Arbeit (hier allerdings nur der Arbeitsbereich), für Bildung und Forschung und für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung betreffen. Fällt eine Eingabe in die Zuständigkeit des Petitionsausschusses, muss zuerst geklärt werden, was der Petent erreichen will. Das ist nicht immer einfach. Manchmal müssen wir nachfragen. Auf jeden Fall aber bekommen die, die sich an uns wenden, neben der Eingangsbestätigung regelmäßig Auskunft über den Fortgang der Dinge.“

Eugenie Ruppert
Akten

Der Fortgang der Dinge kann und muss oft einige Zeit dauern. Ministerien müssen um Auskunft gebeten, die erteilten Auskünfte auf ihre Richtigkeit überprüft, in Einzelfällen Berichterstattergespräche geführt werden. Alles dient einer möglichst umfassenden Klärung des Sachverhalts. Und wie sieht das Ende aus? „Rund 15 Prozent der Petitionen lassen sich bereits im Vorfeld und mit Hilfe der eingeschalteten Behörden positiv erledigen. Ergibt die Prüfung, dass die Petition keine Aussicht auf Erfolg hat, wird dies dem Petenten mitgeteilt und – sein Einverständnis vorausgesetzt – das Verfahren abgeschlossen. Für die Petitionen, die so weit erledigt werden können, bereitet der Ausschussdienst für die parlamentarische Behandlung eine Beschlussempfehlung vor.“ Höchste Form einer solchen Empfehlung: eine Überweisung an die Regierung zur Berücksichtigung, wenn das Anliegen begründet und Abhilfe nötig ist.

Eugenie Ruppert, Juristin und seit 1996 im Ausschusssekretariat, ist eine zurückhaltende und nachdenkliche Frau, die lieber über die Arbeit redet anstatt über sich. Erst vor anderthalb Jahren kam die gebürtige Rheinland-Pfälzerin aus Bonn nach Berlin. Noch pendelt sie zwischen hier und dort, aber Ende des Jahres will sie sich in der Mitte der Stadt niederlassen. Ihr Berliner Büro verrät, dass hier jemand mit System arbeitet, ohne es zur Priorität zu erheben. Die Entdeckung dreier Reste von Zimmerpflanzen – einem ernst gemeinten Wiederbelebungsversuch in Glasvasen unterworfen – entlässt Eugenie Ruppert für einen Moment aus der Rolle der professionellen Leiterin. Sie habe, gesteht sie, vor dem letzten Urlaub vergessen, jemanden zu bitten, ihre Pflanzen zu gießen. Nun sei Wiedergutmachung angesagt, vielleicht schlüge das überlebende Grün ja neue Wurzeln. Das tut es sicher.

Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2003/bp0303/0303033
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