Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 33-34 / 09.08.2004
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Eva Wunderer

Warum immer mehr Ehen in Scheidung enden

Mit Toleranz im Gepäck für die wichtigste Entdeckungsreise des Menschen

Die Ehe ist "der Versuch, zu zweit wenigstens halb so glücklich zu werden, wie man allein gewesen ist". So die ernüchternde Beschreibung des irischen Schriftstellers Oscar Wilde - und die Statistik scheint ihm Recht zu geben. Die Zahl der Eheschließungen fällt seit Jahrzehnten, die der Scheidungen steigt.

Rund ein Drittel der heute in Deutschland geschlossenen Ehen wird voraussichtlich in Trennung und Scheidung enden. Soziologen gehen davon aus, dass der Anteil derjenigen Bundesbürger, die niemals in ihrem Leben heiraten, in Zukunft 40 Prozent und mehr erreichen wird. Als Grund wird der soziale und historische Wandel angeführt: Frauen sind stärker am Erwerbsleben beteiligt und damit unabhängiger von ihren Männern, uneheliche Kinder sind kein Makel mehr, zusammenleben können Mann und Frau problemlos auch ohne Trauschein, wobei es schwieriger wird, einen gemeinsamen Wohnsitz zu finden, da gerade von jungen Erwerbstätigen Mobilität und Flexibilität verlangt werden. Und: Es gibt immer weniger Kinder, was sich unmittelbar auf die Eheschließung auswirkt, denn diese, so die These der Familiensoziologin Rosemarie Nave-Herz, ist kindorientiert. Geheiratet wird demnach, wenn ein Kinderwunsch vorhanden, das Kind bereits unterwegs oder gar schon geboren ist.

Freilich gibt es noch andere Gründe für eine Heirat: den Wunsch nach Sicherheit und Geborgenheit, das Gefühl, erst dann ein richtiges Familienleben zu führen und Steuervorteile. Für mehr als

90 Prozent junger Ehepaare ist schlicht und ergreifend ihre gegenseitige Liebe der Grund, die Ringe zu tauschen. Doch die Ehe erscheint weniger notwendig, manchem fast antiquiert - und ein Garant für eine sichere, stabile Zukunft zu zweit ist sie längst nicht mehr. Die steigenden Scheidungszahlen führen Soziologen unter anderem auch auf die zunehmende Erwerbstätigkeit der Frauen zurück, die es ihnen ermöglicht, nach einer Trennung ihren Lebensunterhalt zu sichern. Dadurch senkt sich die Trennungsbarriere. Ein ähnlicher Kreislauf zeigt sich bei den Investitionen in die Ehe: Wird wenig investiert, um den Verlust im Falle einer Scheidung zu minimieren, fällt diese leichter.

Scheidungen gehören gerade in Großstädten fast schon zum normalen Beziehungsalltag. Die Chancen, danach wieder einen Partner zu finden, stehen nicht schlecht - schließlich gibt es genügend andere Geschiedene. Diskutiert wird ferner eine Art "Vererbung" des Scheidungsrisikos: So haben junge Menschen, die aus Scheidungsfamilien stammen, beispielsweise weniger Vertrauen in die Zukunft ihrer eigenen Ehe. Die Bereitschaft, eine langjährige Beziehung oder auch eine Ehe aufzulösen, steigt - nicht umsonst spricht man vorsorglich nur mehr vom Lebensabschnittsgefährten.

Und dennoch schritten im Jahr 2003 knapp 383.000 Paare in Deutschland vor den Traualtar. Warum? Macht Liebe blind? Nun, zumindest gibt es tatsächlich so etwas wie die "rosarote Brille", und in der Regel wirkt sie sich positiv auf die Partnerschaft aus - gerade zu deren Beginn. So überschätzen in ihrer Beziehung glückliche Frauen und Männer ihren Partner, stellen ihn positiver dar als er sich selbst. Zugleich unterschätzen sie das Risiko, dass die eigene Partnerschaft in Trennung und Scheidung enden wird, systematisch, obwohl ihnen die entsprechenden Statistiken geläufig sind. Dabei sind die Partner durchaus anspruchsvoll. In einem Forschungsprojekt "Was hält Ehen zusammen" an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität wurden im Jahr 2001 663 Ehepaare befragt, die damals im Schnitt bereits 27 Jahre verheiratet waren. Es zeigte sich, dass glückliche Partner viel voneinander fordern, was Gemeinsamkeit, Gleichberechtigung und Investition in die Beziehung angeht, sich dann aber auch entsprechend engagieren und unterstützen. Hohe Ansprüche sind also keineswegs Gift für die Beziehung. Jedoch lässt sich auch bei noch so gutem Willen und Einsatz nicht alles erreichen und verändern. So nannten die Befragten Toleranz und Akzeptanz als wichtigste "Zutat" ihres "Ehe-Erfolgsrezepts" (genannt von 32 Prozent der Befragten). Vertrauen, Offenheit, Ehrlichkeit folgten an zweiter (30 Prozent), Liebe und Zuneigung an dritter Stelle (28 Prozent). Wichtig waren den Ehepartnern zudem konstruktive Konfliktlösung und Kommunikation (25 Prozent), gemeinsame Interessen, Hobbys und Freunde (20 Prozent) sowie Solidarität und gegenseitige Unterstützung (19 Prozent). Die lebenslange Verantwortung für Kinder und Enkelkinder nannten 14 Prozent der Befragten als wichtige "Zutat" ihres "Ehe-Rezeptes". In der Tat wirken sich Kinder insgesamt stabilisierend auf die Ehe aus, die Ehezufriedenheit von Partnern mit Kindern fällt allerdings in vielen Phasen des familiären Lebenslaufs eher geringer aus als derjenigen von kinderlosen Paaren.

Natürlich muss eine Krise nicht gleich zur Trennung führen. Sie kann auch als Herausforderung verstanden werden, sich noch einmal zusammenzutun und gemeinsam für die Zukunft der Partnerschaft und der Familie zu kämpfen. Dabei spielen grundsätzliche Überzeugungen über das Wesen, die Natur von Beziehungen eine wichtige Rolle, denn wer Beziehung als Schicksal sieht - unter dem Motto: Zwei Partner finden sich und passen zueinander oder eben nicht - wird wenig Hoffnung auf Veränderung haben. Wichtig für dauerhaftes Beziehungsglück ist, daran zu glauben, dass Partnerschaften wachsen und reifen können, gerade auch an Herausforderungen und Krisen. In der Befragung im Forschungsprojekt "Was hält Ehen zusammen?" stellten sich diejenigen Langzeitehepaare als am zufriedensten heraus, die sowohl an das Schicksal als auch an das Wachstum von Beziehungen glaubten, also der Meinung waren, eine gewisse "Passung" müsse schon von Anfang an vorhanden sein, die Partnerschaft könne sich aber weiterhin verändern und anpassen. Ein romantisches Beziehungsideal wird sich demnach vor allem dann negativ auswirken, wenn es für sich steht, wenn nach der "Liebe auf den ersten Blick" wenig Chancen für eine gemeinsame Entwicklung gesehen werden. Dann liegt bei Schwierigkeiten der Weg aus dieser in die nächste Partnerschaft, zum nächsten vermeintlich besser passenden Partner nahe.

Gegenseitige Unterstützung

Ausschlaggebend dafür, ob eine Ehe hält oder nicht, ist neben der Art, in und über die Beziehung zu denken, freilich auch das Verhalten in dieser. Dass konstruktive Kommunikations- und Konfliktlösefertigkeiten sowie gegenseitige Unterstützung in Stresssituationen eine wichtige Rolle spielen, ist hinreichend belegt und bildet die Basis verbreiteter Präventionsprogramme, die auf das (Ehe-)Leben zu zweit vorbereiten wollen. Zentral ist, wie die Forschung des amerikanischen Paarforschers John Gottman ergab, vor allem das Verhältnis positiver und negativer Verhaltensweisen in einer Partnerschaft. Soll die Beziehung von Dauer sein, darf dieses Verhältnis den Wert 5:1 nicht wesentlich unterschreiten. Das bedeutet: Ein negatives Ereignis muss also mit fünf positiven aufgewogen werden.

Die hohe Zufriedenheit vieler langjährig verheirateter Paare zeigt, dass die Ehe kein Auslaufmodell sein muss, vielmehr nach wie vor ein Modell mit (lebens)langer Laufzeit sein kann. Mit Wertschätzung, Komplimenten und aufmerksamen Gesten, mit konstruktiver Konfliktlösung, gegenseitiger Unterstützung, dem Glauben an das Wachstum der Beziehung und einer gehörigen Portion Toleranz im Gepäck können sich Paare also auch heutzutage guten Mutes aufmachen in die Ehe, jene, so der dänische Theologe und Philosoph Sören Kierkegaard, "wichtigste Entdeckungsreise, die der Mensch unternehmen kann".

Dr. Eva Wunderer ist Diplompsychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Forschungsprojekt "Was hält Ehen zusammen" an der Ludwig-Maximilians-Universität München.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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