Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 05-06 / 31.01.2005
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Susanne Kailitz

Weltpolitik und Gänsehaut

Studenten im UNO-Simulator

Wirklich vertraut scheinen die Studenten mit der diplomatischen Dienstkleidung noch nicht zu sein, als sie sich vor der georgischen Botschaft in Berlin treffen: Der Auftritt in Hemd und Jackett oder Hosenanzug ist noch recht ungewohnt. Deutlich sicherer fühlen sich die Vertreter der Chemnitzer Universität in den inhaltlichen Belangen ihrer Mission. Sie werden bei der weltgrößten Simulation der Vereinten Nationen im März in New York die Delegation aus Georgien geben und holen sich wenige Wochen vor dem Abflug in den Big Apple letzte Tipps für ihre Rolle im Planspiel.

In New York werden sich vom 22. bis 26. März 3.000 Studenten aus aller Welt treffen, um die Mechanismen der Weltpolitik in der Praxis kennen zu lernen. Sie werden versuchen, die Mitgliedstaaten und Nichtregierungsorganisationen der UNO möglichst wirklichkeitsgetreu zu vertreten - indem sie Resolutionen verfassen oder Verhandlungsstrategien entwerfen. Drei Tage sind für die Arbeit in den verschiedenen Kommissionen geplant, danach nehmen alle Delegierten an der Debatte in der Generalversammlung teil, die wirklichkeitsgetreu im UN-Hauptquartier stattfinden wird. Die Chemnitzer Universität entsendet bereits zum zweiten Mal eine Delegation nach New York. Privatdozent Wolfram Hilz ist der "Faculty Advisor" der Gruppe und vom Projekt überzeugt: "Die Studenten haben bei der Simulation die Möglichkeit, die Probleme der Weltgemeinschaft anzugehen und einen vertieften Einblick in die Arbeit der UNO zu gewinnen. Dabei können sie ihren Horizont erweitern, denn die Diskussionen finden nicht statt wie im Seminar, sondern nach den Regeln der Organisation."

Doch vor der Reise steht die Informationsbeschaffzung in Berlin an. Der erste Termin des Tages führt die Chemnitzer nach Pankow, wo Botschafterin Maja Pandshikidse die zwölfköpfige Gruppe empfängt. Im Gespräch wird schnell klar, dass die Studenten, von denen ein großer Teil Politikwissenschaft studiert, sich gründlich über das Land, das sie vertreten werden, informiert haben. Dass das Los auf Georgien gefallen ist, hat für Freude gesorgt. "Georgien stand auf der Liste von zehn Wunschländern, die wir eingereicht haben, auf Platz drei", erklärt Daniel Kämpfe. "Es ist ein Land im Umbruch - das ist für uns spannend." Die Studenten finden es reizvoll, eine Nation zu vertreten, in der nach jahrelanger Unterdrückung durch die Russen die neue Regierung unter Präsident Michail Saakaschwili konsequent einen demokratischen Weg geht und sich neben dem Kampf gegen die allgegenwärtige Korruption auch den NATO- und EU-Beitritt auf die Fahnen geschrieben hat. Zudem, so Kämpfe, sei Georgien "kulturell nicht so weit von Deutschland entfernt, als dass wir uns mental nicht in die Rolle der georgischen Delegation hineinversetzen könnten".

Georgien engagiert sich im Irak

Dennoch wird im Gespräch mit der Botschafterin schnell klar, dass die deutschen Studenten in New York Perspektivenwechsel vornehmen müssen, wie etwa in der Irakfrage: "Georgien engagiert sich im Irak, und das wird von der Bevölkerung im allgemeinen sehr positiv bewertet", so Maja Pandshikidse. Während das Verhältnis zu den Amerikanern durchweg gut sei, übe man deutliche Kritik an der UNO. "Man wirft der UNO vor, im Problem um Abchasien versagt zu haben. Sie ist nicht in der Lage, diesen Konflikt, der seit 15 Jahren andauert, zu lösen." Abchasische Separatisten fordern seit Ende der 80er-Jahre die Unabhängigkeit von Georgien und werden, so der Vorwurf der georgischen Regierung, dabei von Russland unterstützt. Im Gespräch mit den Studenten macht Maja Pandshikidse den georgischen Standpunkt klar: Man erwarte nicht, dass Deutschland seine Beziehungen zu Russland verschlechtere, um Georgien beizustehen. Dennoch solle es Russland "immer wieder daran erinnern, dass der georgische Konflikt gelöst werden" müsse. Doch nicht nur in den politischen Standpunkten wird das Rollenspiel den Studenten einen Standortwechsel abverlangen. Auch in dem, was Eingang in den öffentlichen Diskurs findet, gibt es Unterschiede zwischen ihrem Herkunftsland und dem Staat, den sie in New York vertreten werden. Über die Frage einer Studentin, welche Rolle die Diskussion um das Klonen in Georgien spielt, muss die Botschafterin lachen: "Die Bevölkerung hat momentan andere Probleme - die Leute sind einfach noch nicht bereit, eine Meinung über derartige Themen zu haben. Solche Diskussionen werden als Luxus empfunden. " Ähnliches gelte für das Thema Aids. "Die Grippe ist ein größeres Thema."

Von Pankow geht es für die Gruppe zum Werderschen Markt. Im Auswärtigen Amt gibt es ein umfassendes Briefing über die Innen- und Außenpolitik Georgiens aus deutscher Sicht. Daniel Kämpfe: "Ein Mitarbeiter des Referats Südkaukasus hat uns darüber informiert, wie man die Enwicklungen in Georgien nach der Rosenrevolution einschätzt. Ein wichtiger Aspekt für uns ist, dass Georgien zwar nun eine demokratisch legitimierte Regierung hat, diese aber auch nationalistische Tendenzen entwickelt. Bei allen Reformen bleiben die Menschenrechte gelegentlich auf der Strecke." Die Chemnitzer Studenten wissen die umfassende Betreuung zu schätzen. Für sie ist der Trip nach New York die Chance, Dinge praktisch zu erfahren, die im Seminar bislang nur theoretisch erörtert worden sind. Sie hoffen nun, dass sie für ihr Projekt so viele Sponsoren wie möglich finden.

Daniel Michulke, einer der beiden Hauptverantwortlichen der Delegation, nimmt schon zum zweiten Mal an der Simulation teil. "Bei der Veranstaltung im vergangenen Jahr hatte ich eigentlich dauernd eine Gänsehaut. Dass man dort, wo normalerweise Weltpolitik gemacht wird, mit interessanten Menschen aus aller Welt an einem solchen Projekt arbeitet, ist einfach beeindruckend. Diese Erfahrungen und Kontakte haben für mich eine ganz besondere ideelle Bedeutung." Ein Foto zeige ihn am Rednerpult des Plenar-saals. "Das ist einfach cool."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.