Online-Konferenz
EU-Aussschuss
Michael Roth, SPD
Transkript der Online-Konferenz zum Thema "Europa geht uns alle an!"
Name | Frage | Antwort |
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Lutz | Arbeitnehmer in Deutschland bekommen im Verhältnis zu ihren polnischen Nachbarn ein hohes Einkommen. Muss jetzt nicht damit gerechnet werden, dass das Lohnniveau in Grenznähe zu Polen sinkt und damit im Vergleich zu Deutschland noch weiter abfällt? | Bestimmt bestehen in unmittelbarer Grenznähe Probleme mit dem doch erheblichen Lohngefälle. Aber in der mittelfristigen Perspektive werden die Löhne in den Beitrittsländern steigen und sich unserem Niveau annähern. Es gelten ja jetzt alle Standards in den Beitrittsländern! Schon in den vergangenen Jahren sind die Löhne zum Teil erheblich gestiegen. Einen Wettbewerb um die niedrigsten Löhne werden wir sowieso nicht gewinnen können. Wir müssen einen Wettbewerb führen um die am besten ausgebildeten Arbeitnehmer, um qualitativ hochwertige Produkte und gute wirtschaftliche, politische und soziale Rahmenbedingungen. |
Martina | Gibt es wirklich soviele Sonderregelungen für die neuen EU-Beitrittsländer? Und wenn, wieviele? | Die Beitrittsländer müssen tausende von Gesetzen übernehmen. Das ist eine immense Herausforderung. In einigen wenigen Ausnahmefällen bestehen Übergangsfristen. Selbstverständlich bestehen auch seitens einiger Mitgliedstaaten Sorgen. So wird die Arbeitnehmerfreizügigkeit für die neuen Unionsbürger noch nicht in allen Mitgliedstaaten gelten. Auch Deutschland wird im Hinblick auf den Arbeitsmarkt erst einmal die Freizügigkeit begrenzen. Ich bin aber sehr optimistisch, dass die Befürchtungen für den deutschen Arbeitsmarkt nicht eintreten werden, so dass schon in wenigen Jahren die Freizügigkeit auch für unsere Nachbarn beispielsweise aus Tschechien, Polen und Ungarn gilt. |
Thorsten | Hallo Herr Roth Haben Sie schon alle neuen EU-Länder besucht? Welche? | Du meine Güte, das ist ja kaum zu schaffen. In meiner Fraktion haben wir eine "Patensystem" entwickelt. Gezielt kümmern sich Kolleginnen und Kollegen jeweils um ein Land. So bin ich für Ungarn zuständig, habe gute Kontakte entwickeln können und besuche das Land auch regelmäßig. Das ist aus meiner Sicht sinnvoller, als nur kurze Stippvisiten zu absolvieren. In Polen und Tschechien war ich aber auch schon. |
Ivon | Wie soll die Abwanderung der Industrie in die Billiglohnländer Europas Ihrer Meinung nach verhindert werden? | Wir werden nicht in einen Wettlauf um die niedrigsten Löhne eintreten dürfen! Wir müssen die Qualität unserer Produkte verbessern und endlich mehr für Bildung tun. Dank des Beitritts bestehen jetzt auch bei unseren östlichen Nachbarn verbindliche soziale, ökologische und ökonomische Standards. Das ist ein Stück mehr Fairness. Darüber hinaus brauchen wir einheitliche Regeln bei der Besteuerung von Unternehmen in der EU. |
Tillmann Miltzow | Kommentar:"Die osteuropäischen Länder wurden vor allen Dingen deswegen jetzt aufgenommen, weil schon sehr gute Erfahrungen mit Portugal und Spanien gesammelt wurden, was die wirtschaftliche Entwicklung angeht und weil im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands diesen Ländern versprochen wurde, dass ihnen Europa offen steht, wenn sie sich demokratisieren." Ich habe aber auch eine Frage: "In der EU-Verfassung steht, dass die Eu-Mitgliedsstaaten dazu angehalten werden sollen, zu rüsten! Sollte dieser Absatz nicht gestrichen werden??" | Europa muss Friedensmacht werden. Die EU hat einen sehr weit gefassten Sicherheitsbegriff vereinbart, der vor allem auf Krisenprävention, auf gemeinsame Entwicklungszusammenarbeit, auf diplomatische und politische Initiativen setzt. Aber in letzter Konsequenz können wir leider noch nicht auf Militär verzichten. Und eine europäische Rüstungsagentur, die geplant ist, strebt eine engere Koordination der nationalen Rüstungsaktivitäten vor. Wir wollen dadurch Geld sparen und uns nicht in Gänze von der amerikanischen Rüstungsindustrie abhängig machen. |
Herr Maier | EU-Erweiterung schön und gut! Aber wie sieht es mit der finanziellen Unterstützung der neuen Bundesländern aus? Muß Deutschland nicht erst einmal an sich selbst denken? | Die neuen Länder, aber auch westdeutsche Regionen erhielten und erhalten Milliardenbeiträge für Infrastruktur, soziale und Beschäftigungsprojekte. Wir profitieren eben auch von der EU. Darüberhinaus brauchen wir als Exportweltmeister neue Absatzmärkte. Geht es unseren Partnerländern gut, finden sie wirtschaftlich und sozial Anschluss, profitieren auch wir davon. |
Ingo Schwarz | Wie soll Europa eine gemeinsame Verfassung bekommen, wenn die Länder schon in der Außenpolitk zerstritten sind (siehe Irakkrieg)? | Gerade mit einer Verfassung wollen wir die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der EU verbessern. Die EU muss aus ihren Fehlern lernen. Die Verfassung sieht neue Strukturen und Entscheidungsprozesse, aber auch einen EU-Außenminister vor. Das wird uns helfen, endlich wirksamer und geschlossener auftreten zu können. |
Daniela Petrides | Sehr geehrter Herr Roth, Angenommen einige Länder werden die EU-Verfassung nicht ratifizieren. Glauben Sie, dass diese Länder aus der EU ausscheiden werden und halten Sie diesbezüglich eine Austrittsoption für sinnvoll? | Ich kann nur hoffen, dass alle Mitgliedstaaten an Bord bleiben. Rein juristisch gesehen gilt bei einer nicht in allen Mitgliedstaaten erfolgten Ratifizierung der Vertrag von Nizza weiter. Der ist aber nur bedingt tauglich, die EU handlungsfähiger und demokratischer zu machen. Daher muss es für Staaten, die partout nicht mitmachen wollen, auch die Möglichkeit eines Austritts geben. Aber ich bin optimistisch, dass wir das Verfassungsprojekt zum Erfolg führen werden. |
Tillmann Miltzow | Sie sind im Ausschuss für europäische Angelegenheiten, welche Aufgabe hat dieser Ausschuss?? | Ich gehöre seit 1998 dem Ausschuss für die Angelegenheiten der EU - so sein offizieller Titel - als Vollmitglied an. Ich bin stellv. Sprecher der SPD-Fraktion in diesem Ausschuss und insbesondere für das europäische Verfassungsprojekt zuständig. Der Ausschuss verfügt über vielfältige Aufgaben. U. a. erarbeitet er Positionen zu allen zentralen Europafragen, er kontrolliert die Regierung, vor allem deren Aktivitäten in den Ministerräten, und er begleitet Gesetzgebungsverfahren, die im Zusammenhang mit der EU stehen. |
Hase | Warum werden sie am Freitag den Antrag der FDP auf Volksabstimmung über die EU-Verfassung ablehen? | Weil ich dafür eintrete, erst einmal die Basis für mehr direkte Demokratie im Grundgesetz zu legen. Ich wäre für ein EU-weites Referendum über eine Verfassung. Aber dafür gibt es noch keine Rechtsgrundlage. |
Daniela Petrides | Sehr geehrter Herr Roth, im Vorfeld der Erweiterung der Europäischen Union wurden die Ängste der Bevölkerung der Mitgliedstaaten geschürt und teilweise damit Politik betrieben. Wie sehen Sie in Zukunft die Chancen für die Entwicklung einer europäischen Identität über die nationalstaatliche Identität hinaus? | Was die geschürten Ängste anbelangt, dann fragen Sie mal den Kollegen von der CSU. Aber Sie haben völlig recht, wir brauchen eine stärkere europäische Identität. Die kann man nicht verordnen, die muss wachsen. Die Europäische Verfassung wird uns dabei helfen zu verdeutlichen: Wir sind nicht nur ein gemeinsamer Markt, wir sind eine Wertegemeinschaft. |
Hase | Okay. Aber warum stimmen sie denn gegen den Antrag der FDP. Er wäre doch immerhin ein Schritt in die richtige Richtung. | Ich will keine Pauschalurteile gegenüber FDP-Kollegen fällen. Aber momentan gehören diejenigen Politiker, die ein Referendum fordern, eher zu den Verfassungsgegnern. Die wollen das Projekt zu Fall bringen. Ich denke nur mal an die Debatte in den Partnerländern, die über plebiszitäre Elemente in ihrer Verfassung verfügen. Wenn wir über die EU-Verfassung abstimmen, dann geht das nur gemeinsam - oder eben gar nicht. |
Leonore Noack | Ist das mit dem Beitritt der Türkei wirklich eine so gute Idee? Mir leuchtet ein, dass es wichtig ist, die innertürkischen Reformen durch eine Beitrittsperspektive zu unterstützen, glaube aber,dass es zunächst vorrangig darum darum gehen muss, dass die EU mit ihren 25, bald 27 Mitgliedern erst einmal zusammen wächst. Ansonsten verkommt sie zu einer reinen Freihandelszone. Wenn es wirklich eine Gemeinschaft der Staaten und Bürger werden soll, braucht das doch sehr viel Zeit. | Seit 1963 verfügt die Türkei über eine Beitrittsperspektive. Seit einigen Jahren hat sich die Türkei mit Riesenschritten der EU angenähert. Wir sollten der Türkei eine faire Chance geben. Die Verhandlungen werden viele Jahre in Anspruch nehmen. Aber wenn alle Kriterien (Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, soziale und ökonómische Wettbewerbsfähigkeit)erfüllt sind, sollte man sie willkommen heißen. Aber auch die EU muss liefern. Sie muss sich so erneuern, dass sie auch mit einer noch größeren Anzahl von Mitgliedern handlungsfähig bleibt. So, liebe Chatter, das ist wohl meine letzte Antwort. Ich bedanke mich für das große Interesse und hoffe, einigen Chattern weiter geholfen zu haben. Europa braucht viele Freundinnen und Freunde. Bleiben Sie am Ball! Einen schönen Abend noch. |
Daniela Petrides | Sehr geehrter Herr Roth, glauben Sie, dass die Bundesregierung im Vorfeld der EU-Erweiterung alles unternommen hat, um die immer noch bestehenden Ängste der Bevölkerung, wie beispielsweise drohenden Arbeitslosigkeit, abzubauen und die kursierenden Märchen vom bösen Osten zu entkräften? Ich bin der Meinung, dass die durch die Erweiterung entstandenen Vorteile nicht genügend in den Vordergrund gestellt wurden. | Ganz zum Schluss, Frau Petrides: Die Politik sollte offen und fair über Chancen und Risiken sprechen. Aber da sind auch die Medien gefragt, zivilgesellschaftliche Organisationen, Gewerkschaften und Unternehmen. Die Bundesregierung hat sich bemüht, ein realistisches Bild zu zeichnen und wir haben insbesondere den mittelosteuropäischen Nachbarn konkret geholfen, alle Beitrittshürden zu überwinden. |
Bernd Bauer | Hallo Herr Roth, ich finde, dass die Aufnahme so vieler neuer Mitglieder, die nur unterstützt werden müssen, zu schnell geht. Warum wird die Erweiterung der EU nicht langsamer betrieben. Deutschland kann doch nicht alles finanzieren. | Sicher bräuchten wir jetzt nach der großen Erweiterungsrunde erst einmal Zeit zum Durchatmen. Aber im Hinblick auf die drängenden Probleme müssen wir das tempo halten. Gerade die mittelosteuropäischen Staaten haben einen Anspruch darauf, so schnell wie irgend möglich Teil der EU zu werden. Aber jetzt müssen wir eben auch die inneren Reformen beschleunigen. Ohne mehr Demokratie und Handlunsfähigkeit wird die EU nicht mehr größer werden können. |
Daniela Sahne | Hallo Herr Roth, ich finde, dass der Unterschied zwischen Arm und Reich in Europa immer größer wird. Die einen essen Trüffel und andere billige Gen-Lebensmittel...wie wollen Sie die sozialen Unterschiede, die ja jetzt wieder in der Schule anfangen, ausgleichen und was tun Sie als Politiker eigentlich konkret für den sozialen Ausgleich ? | Ich teile ihre Sorge. Daher müssen wir deutlicher machen: Die EU ist nicht nur ein freier Markt. Sie beruht auf gemeinsamen Werten und besitzt eine starke soziale Dimension. Dies kann man auch alles im vom Konvent erarbeiteten Verfassungsentwurf nachlesen. Der muss jetzt von der Regierungskonferenz endlich beschlossen werden! Solidarität ist ein zentraler Grundsatz der EU. Aber die EU kann und sollte nicht alles regeln. Um mehr sozialer Gerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen, sind alle politischen Ebenen gefragt - vor allem die Mitgliedstaaten. Aber nur mit der EU können wir die Chancen und Risiken der Globalisierung demokratisch gestalten. |
kathrin | bonjour Herr Roth ich wohne derzeit in Frankreich, bin aber Deutsche. Wird die SPD künftig etwas für die doppelte Staatsbürgerschaft tun ? | Wir haben schon vor Jahren eine Menge getan. Leider haben wir uns nicht mit all unseren Vorstellungen zur Reform des Staatsbürgerschaftsrechtes durchsetzen können. Wir brauchten auch im Bundesrat eine Mehrheit, daher mussten wir schmerzhafte Kompromisse eingehen. Ich finde das französische Modell besser als das deutsche. Aber eine weitere Staatsbürgerschaft haben sie garantiert: Sie sind Unionsbürgerin! Sie dürfen innerhalb der EU nicht nur in ihrem Heimatland an Kommunal- und Europawahlen teilnehmen. |
Henriette Kramer | Eine Frage zur sogenannten Subsidiaritätskontrolle, wie sie im Entwurf der Europäischen Verfassung vorgesehen ist. Wird es sich hierbei Ihrer Auffassung nach um ein effektives Instrument handeln? Gibt es z.B. hierzu schon genügend konkrete Rechtsprechung, sodass das vorgesehene Klagerecht vor dem EUGH wirklich zu einem wirksamen Instrument gegen Verletzungen des Grundsatzes der Subsidiarität werden kann? | Wir diskutieren momentan sehr intensiv, welche Konsequenzen sich aus den neuen Kompetenzen für die nationalen Parlamente ergeben. Der Bundestag muss europatauglicher werden und darf nicht zu einem Blockadeinstrument gegen Europa verkommen. Die Subsidiaritätskontrolle sollte eher politisch und nicht juristisch bewertet werden. Ich erhoffe mir aber eine sorgfältigere und umfassendere Kontrolle von EU-Rechtsakten durch den Bundestag. |
Peter Ullmann | Warum gibt es zur EU-Verfassung keinen Volksentscheid? | Das Grundgesetz sieht von Beginne an keine Volksabstimmungen vor. Rotgrün will mehr direkte Demokratie in unserer Verfassung. Bislang sind wir da an der CDU gescheitert. Für die europäische Verfassung wünschte ich mir keine nationalen Plebiszite, sondern ein gemeinsames Referendum aller Unionsbürger. Das lässt sich aber leider noch nicht umsetzen. |
Tillmann Miltzow | Können Sie ein examplarisches Beispiel nennen, welche Gesetze der Ausschuss begleitet hat? War der Ausschuss den Federführend?? | Wir sind kein Gesetzgebungsausschuss. Aus guten Gründen liegt die Federführung stets bei den Fachausschüssen. Aber da, wo die Gesetze auch über eine europapol. Dimension verfügen, werden wir um Stellungnahme gebeten. Es gibt einige wenige Ausnahmen. So beruhen die Beitritte auf einem Ratifikationsgesetz, da waren wir federführend. |
Quelle:
http://www.bundestag.de/live/forum_archiv/konferenzen/2004/europa/roth_transkript