Der richtige Weg in die Zukunft
Gespräch mit Michael Bürsch (MdB) über das bürgerschaftliche Engagement
Erschienen in: Zeitzeichen 6/2001, S. 32-35
Michael Bürsch (58) ist promovierter Jurist und seit 1997 Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion. Er ist Vorsitzender der Enquete-Kommission des Bundestages für die Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements. Als Verwaltungsfachmann hat er viele Reformprojekte im öffentlichen Dienst auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene gefördert und begleitet.
Zeitzeichen:
Herr Dr. Bürsch, Sie sind Vorsitzender der
Enquete-Kommission für die Zukunft des bürgerschaftlichen
Engagements. Was war der Anlass für die Bildung dieser
Kommission?
Michael Bürsch:
Auslöser war eine große Anfrage im Bundestag zum Thema
Ehrenamt im Jahr 1997, damals noch von der CDU / CSU /
FDP-Regierungskoalition veranlasst. Bundesregierung und Parlament
hatten den Eindruck , dass es viele Fragen, aber zu wenig Fakten
darüber gibt, unter welchen Rahmenbedingungen das
bürgerschaftliche Engagement bei uns stattfindet. Und noch
weniger Wissen darüber, was man machen kann, um das Ehrenamt
beziehungsweise das bürgerschaftliche Engagement zu
fördern. Zu Beginn der neuen Legislaturperiode ist daraufhin
eine Initiative entstanden, das Thema längerfristig anzugehen
und dafür eine Enquete-Kommission zu gründen.
Dem Begriff "Ehrenamt" haftet etwas Antiquiertes an. In der Bezeichnung der Kommission wurde er vermieden. Worin unterscheidet sich das Ehrenamt vom bürgerschaftlichen Engagement?
Michael Bürsch:
Bei der erwähnten großen Anfrage wurde ganz traditionell
von Ehrenamt gesprochen. Schon beim Einsetzungsbeschluss unterer
Kommission haben wir uns aber darauf verständigt, einen neuen
Dachbegriff zu wählen. Das Ehrenamt erfasst nämlich zum
Beispiel nicht moderne Bewegungen wie die Freiwilligenarbeit und
die Selbsthilfe, die im Gesundheitsbereich eine zunehmende Rolle
spielt. Deshalb haben wir diesen Dachbegriff geprägt. Er ist
sperrig, aber er ist bislang immer noch der beste
übergreifende Begriff, der uns eingefallen ist.
Der Bundestag ist Gesetzgeber. Warum beschäftigt er sich mit einer bürgerschaftlichen Einrichtung, die auf den ersten Blick mit dem Staat nichts zu tun hat?
Michael Bürsch:
Es gibt, wie wir schon 1997 ahnten und jetzt natürlich noch
viel genauer wissen, viele Vernetzungen, Verknüpfungen,
Verflechtungen zwischen der Politik und diesem
bürgerschaftlichen Engagement. In unserem Einsetzungsbeschluss
steht an erster Stelle, dass bürgerschaftliches Engagement
eine unabdingbare Voraussetzung für den Zusammenhalt der
Gesellschaft ist. Wir wissen darüber hinaus, dass viele
Rahmenbedingungen für das bürgerschaftliche Engagement
von gesetzlichen Regelungen abhängen. Und von daher ist es
tatsächlich eine Aufgabe des Gesetzgebers, sich alle Gesetze,
die das bürgerschaftliche Engagement betreffen, daraufhin
anzusehen, wie weit sie dafür hinderlich oder förderlich
sind und wo noch etwas zu verbessern ist.
Was haben Sie bisher herausbekommen?
Michael Bürsch:
Wir haben allein für den rechtlichen Bereich ein Gutachten von
600 Seiten. Und das ist, wie wir gerade festgestellt haben, noch
nicht erschöpfend. Es gibt viele Verknüpfungen mit
anderen Bereichen. Wir suchen Verbindungen zwischen Politik und
Wissenschaft und sehen zu, wie wir gemeinsam Lösungen finden,
die diesem Engagement zugute kommen.
Warum wurde die Enquete-Kommission gerade Ende der
Neunziger-Jahre gebildet? Privatisierung ist das große
Stichwort, Individualisierung das andere. Ist das bürgerliche
Engagement deswegen wichtiger geworden, weil die Rolle des Staates
zurückgeht?
Michael Bürsch:
Ich würde es etwas anders sehen. Ich war immer ein Gegner des
schlanken Staates. Nach dem Modell schlanker Staat wird auf Gedeih
und Verderb privatisiert, während der Staat nur noch
Kernaufgaben wahrnimmt. Das hat Maggie Thatcher in England 16 Jahre
praktiziert. Und die schlimmen Folgen sind noch zu besichtigen.
Auch bei uns hat es dieses Modell einmal als Zielvorstellung
gegeben, doch wir sind wieder davon abgekommen. Jetzt ist etwas an
die Stelle getreten, was vorläufig noch die Bezeichnung
"aktivierender Staat" trägt. Sie beschreibt die Aufgabe, die
der Staat haben soll. Der Staat schafft die Rahmenbedingungen
gesellschaftlicher Aufgaben im Bildungsbereich, im sozialen und
kulturellen Bereich. Aber wie das umgesetzt und ergänzt wird,
ist Aufgabe und durchaus auch Anspruch der Bürger und
Bürgerinnen. Für diese neue Aufgabenteilung zwischen
aktivierendem Staat und aktiver Bürgerschaft gibt es nach
meinem Eindruck einerseits noch zu wenig Bewusstsein, andererseits
auch noch zu viele Hemmnisse, die wir von politischer Seite
beseitigen sollten.
Das Familienministerium hat bereits eine Studie dazu verfasst. Darin wird festgestellt, dass es eine große Anzahl und Vielfalt von ehrenamtlicher Tätigkeit in der deutschen Bevölkerung gibt. Wo sehen Sie Ergänzungs- oder Nachholbedarf?
Michael Bürsch:
Diese umfängliche Studie kommt zunächst zu einem
beruhigenden Ergebnis: 22 Millionen Menschen sind in Deutschland
auf verschiedenen Gebieten - bei der Feuerwehr, im sozialen
Bereich, in der Kultur, in der Hospizbewegung oder
Patientenselbsthilfe tätig. Diese Feststellung könnte
dazu führen, dass sich alle, die sich überhaupt
darüber Gedanken machen, zurücklehnen und sagen: Dann ist
doch alles in Ordnung. Das stimmt aber so nicht. Denn wenn man die
Studie genau liest, findet man darin zum Beispiel auch die
beunruhigende Beobachtung, dass in vielen Bereichen
bürgerschaftlichen Engagements Nachwuchssorgen bestehen.
Insofern ist diese Studie auch eine ganz ergiebige Quelle
dafür, was wir anders machen müssen. Dort finden sich
auch Hinweise darauf, dass sich zwar junge Menschen durchaus bereit
finden, solche Aufgaben zu übernehmen, aber deren Motivation
ist eine andere als bei vielen, die das schon viele Jahre
machen.
Worin unterscheidet sie sich von denen der Älteren?
Michael Bürsch:
Die Motivation geht bei immer mehr Menschen - und nicht nur jungen
– dahin, Orientierung am Gemeinwohl mit eigenen Interessen zu
verbinden. Ich halte es auch für vollkommen legitim, mit einem
bürgerschaftlichen Engagement das Interesse zu verbinden, sich
selber weiterzubilden und Eigenverantwortung zu übernehmen.
Außerdem nimmt die Bereitschaft ab, ein Ehrenamt für
dreißig, vierzig Jahre oder gar lebenslang zu
übernehmen. Statt dessen richtet sich die Orientierung auf
kurzfristige Projekte, was wiederum mit dem Berufsleben zu tun hat;
dort wird immer mehr Flexibilität und Mobilität verlangt
. Auf diese veränderten Motive und Beweggründe
müssen die Rahmenbedingungen Rücksicht nehmen.
Was kann denn der Gesetzgeber tun, wie kann der auf diese veränderte Motivation gerade in der jüngeren Generation eingehen?
Michael Bürsch:
Es gibt auf der einen Seite eine große Zahl von rechtlichen
Rahmenbedingungen, die für das bürgerschaftliche
Engagement große Bedeutung haben. Das sind Fragen der
Haftung, der Unfallversicherung, der Freistellung, der Steuern und
Sozialabgaben, des Personenbeförderungsgesetzes und manches
andere. Diese rechtlichen Rahmenbedingungen behindern offenbar in
nicht wenigen Fällen das bürgerschaftliche Engagement.
Und der Bürokratieaufwand ist zu hoch. Es geht also um
Verfahrens- und Verwaltungsvereinfachung. Auf der anderen Seite
gibt es gesellschaftspolitische Orientierungsprobleme. Wenn
nämlich das bürgerschaftliche Engagement eine
Voraussetzung für den Zusammenhalt der Gesellschaft ist, dann
hat das mit dem Bewusstsein zu tun, welches wir damit
verbinden.
Was meinen Sie in diesem Falle mit Bewusstsein?
Michael Bürsch:
Vielleicht sollte man lieber von bestimmten Trends sprechen. So ist
der Trend unverkennbar, weniger miteinander Karten zu spielen,
weniger miteinander zu singen, weniger miteinander Theater zu
spielen. Vor achtzig Jahren sind die Pfadfinder gegründet
worden als ein für junge Menschen attraktives Angebot, etwas
zusammen zu unternehmen. Aber wenn der Trend oder die Neigung, bei
den Pfadfindern mitzumachen, geringer wird, müssen wir
gemeinsam neue Formen von Bindungen finden. Das ist eine
gesellschaftspolitische Aufgabe, an der sich auch der Bundestag
beteiligen kann.
Was kann denn der Bundestag jenseits der Gesetzgebung tun, um die neuen Formen des bürgerschaftlichen Engagements zu fördern?
Michael Bürsch:
Nach meinem Verständnis haben die Verfassungsorgane Bundestag,
Bundespräsident und Bundesregierung die Aufgabe, Impulse zu
geben, damit sich solche Initiativen aus der Gesellschaft heraus
entwickeln. Man kann natürlich auch sagen, die Gesellschaft
wird das schon irgendwie richten. Aber wir können als
Gesetzgeber durchaus Bewusstsein schaffen für
Neugründungen von Vereinigungen, von Möglichkeiten, sich
miteinander zu betätigen, um so "soziales Kapital" zu
bilden.
Sie haben die Gesetzeslage und das Problem der Bürokratie angesprochen, die beide möglicherweise für ein bürgerliches Engagement hinderlich sein können. Können Sie dafür Beispiele nennen?
Michael Bürsch:
Es geht mir um eine Zweiteilung: auf der einen Seite gibt es sehr
praktische Fragen, die uns von den vielen bürgerschaftlich
Engagierten, ihren Verbänden und Trägern, vorgetragen
werden, zum Beispiel die Freistellung von Arbeitnehmern bei
deutschen Unternehmen oder die Tatsache, dass viele nicht
zureichend von Haftung freigestellt sind. Feuerwehrleute fragen,
bis zu welcher Höhe ihre Aufwandsentschädigung steuer-
und sozialabgabenfrei zu stellen ist. Aber daneben geht es darum,
dieses bürgerschaftliche Engagement auch als eine
gesellschaftliche Bewegung zu fördern. Und da kommt es zum
Beispiel entscheidend darauf an, dass mehr Mitbestimmung
möglich ist. Da gilt es, wie Willy Brandt das mal genannt hat,
mehr Demokratie zu wagen. Wir stellen fest, dass bei vielen
Verbänden, die es in der Form und in der Zahl auch nur in
Deutschland so gibt, dieses Problem noch nicht hinreichend gesehen
wird. Die Menschen, die sich engagieren, wollen nicht
Befehlsempfänger sein. Sie wollen auch darüber
entscheiden dürfen, was gemacht wird und wie es gemacht wird
.
In diesem Zusammenhang wird auch von finanziellen Zuwendungen gesprochen. Wird damit nicht das Ehrenamt zum Nebenjob?
Michael Bürsch:
Die Definition zum bürgerschaftlichen Engagement in unserem
Einsetzungsbeschluss enthält drei Elemente:
Bürgerschaftliches Engagement zeichnet sich aus durch
Unentgeltlichkeit, durch Freiwilligkeit und durch
Gemeinwohlorientierung. Wir setzen an beim Verständnis der
Unentgeltlichkeit und haben, was die Rahmenbedingungen angeht, vier
Kategorien entwickelt, in denen wir Antworten finden wollen auf
praktische Fragen. Erstens brauchen die bürgerschaftlich
Engagierten Schutz, Schutz in Form von Unfallversicherung,
Haftungsfreistellung, Schutz auch in gesundheitlicher Hinsicht,
dass die Vorschriften über Gesundheitsschutz auch für die
bürgerschaftlich Engagierten gelten müssen. Zweitens geht
es um den Nachteilsausgleich. Ein bürgerschaftlich Engagierter
soll nicht noch zuzahlen, wenn er sich für die Gesellschaft
engagiert. Es sollte sichergestellt werden, dass die Betreffenden
die Fahrtkosten, Telefonkosten und Ähnliches erstattet
bekommen. Drittens soll das bürgerschaftliche Engagement
gefördert werden. In dem Bereich geht es zum Beispiel um
Bürokratieabbau und Verringerung des Verwaltungsaufwands.
Schließlich sind neue Anreize zu schaffen. Hier geht es auch
um finanzielle Förderung – beispielsweise durch
Maßnahmen der Qualifikation und Weiterbildung.
Das könnte aber unter Umständen zu Problemen mit den Arbeitsämtern führen. Es gibt schon genug Arbeitslose, denen auf diese Weise freie Stellen vorenthalten werden.
Michael Bürsch:
Das ist so nicht richtig. Es ist eher umgekehrt so, dass die
Organisation bürgerschaftlichen Engagements zusätzliche
Stellen schaffen kann. Ich habe vor einigen Wochen bei einem Besuch
in New York ein solches Beispiel erlebt. Dort gibt es eine
Bewegung, die es inzwischen auch in Deutschland gibt, die sich
Tafel nennt. Dreihundert solcher Tafeln sammeln auch bei uns noch
genießbare Lebensmittel bei Restaurants und Einkaufsketten
und verteilen sie an Bedürftige. In New York sind zur
Organisation dieser ehrenamtlichen Arbeit inzwischen 87
hauptamtliche Stellen entstanden, 37 Kraftfahrer und 50 Menschen,
die diese ganze Arbeit von vielen tausend Ehrenamtlichen
organisieren helfen.
Besteht nicht aber doch die Gefahr, dass man sich zum Beispiel bei der Hausbetreuung eines kranken Menschen aus Kostengründen lieber auf die Nachbarschaftshilfe verlässt, anstatt den professionellen Pflegedienst zu engagieren?
Michael Bürsch:
Nein, das darf nicht so sein, und das wird nicht so sein. Das
bürgerschaftliche Engagement darf auf keine Fall
Ausfallbürge sein für eine Aufgabenwahrnehmung, die der
Staat wegen der Haushaltsnot nicht mehr wahrnehmen will. Insofern
kann bei Ihrem Beispiel keine Rede davon sein, dass die
Nachbarschaftshilfe diejenige Hilfe, die der Staat oder die
Gemeinde anbieten muss, ersetzen kann. Das bürgerschaftliche
Engagement kann nur eine Ergänzung zu dem sein, was der Staat
nicht in gleicher Qualität oder Intensität anbieten
kann.
Wir haben gerade das internationale Jahr der Freiwilligen. Es werden vermutlich auch in anderen Ländern Kommissionen tätig sein und Studien anfertigen. Wie verfolgen Sie das, und was kann man daraus lernen?
Michael Bürsch:
Wir verfolgen das, was in anderen Ländern gemacht wird, sehr
intensiv. Wir haben auch vergleichende Studien anfertigen lassen
und beispielweise Besuche in die USA unternommen, um das
bürgerschaftliches Engagement von Unternehmen kennen zu
lernen. Das ist bei uns noch ein wenig bearbeitetes Feld.
Handelt sich dabei um eine Form von Sponsoring?
Michael Bürsch:
Nein, da geht es um etwas anderes. Die Amerikaner und
Engländer sprechen von corporate citizenship. Das
bedeutet, dass Unternehmen sich wie Bürger auch für das
gesellschaftliche Wohl verantwortlich fühlen. In Deutschland
haben wir im wesentlichen das Sponsoring von Unternehmen für
Kultur, in soziale Projekte und Ähnlichem. Aber das ist
eigentlich nur ein Aspekt aus dem gesamten Themenfeld
bürgerschaftlichen Engagements von Unternehmen. Es gibt in
anderen Ländern viele Projekte, die partnerschaftlich von der
Wirtschaft mit entsprechenden Trägern unternommen werden.
Einrichtungen für Bedürftige zu bauen, die der Staat
nicht oder so nicht schaffen kann. Unternehmen in England, in
Holland und anderen Ländern, geben ihren Mitarbeitern und
Mitarbeiterinnen einen Tag im Monat frei, damit sie sich an
entsprechender Stelle engagieren können. Das geht sogar so
weit, dass eine Art Wettbewerb zwischen den Unternehmen
stattfindet, welches denn am stärksten oder am besten das
bürgerschaftliche Engagement fördert. Der Bundeskanzler
will seine Funktion nutzen, um bei Unternehmen für dieses
bürgerschaftliche Engagement zu werben.
Die Kirchen haben durch ihre synodalen Strukturen und ihre Laienbewegungen - Evangelischer Kirchentag, Zentralkomitee der Deutschen Katholiken - viel Erfahrung mit dem Ehrenamt. Welchen Nutzen kann die Gesellschaft heute noch daraus ziehen, wo die Wirkung der Kirchen in der Öffentlichkeit merklich nachlässt?
Michael Bürsch:
Ich glaube, dass in der Förderung von bürgerschaftlichem
Engagement in den Kirchen und durch die Kirchen sogar eine
große Chance für die Kirchen steckt, wieder als
gesellschaftliche Kraft in Erscheinung zu treten. Im Blick auf die
Demokratisierung des Ehrenamts und der stärkeren
Mitbeteiligung und Eigenverantwortung kann die Kirche wirklich
Vorreiter und Vorbild sein.
Gibt es nicht auch in den Kirchen, in Diakonie oder Caritas, Reibungsflächen zwischen Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen?
Michael Bürsch:
Das ist offensichtlich so. Auch bei der Kirche entscheidet bislang
überwiegend das Hauptamt, was gemacht wird. Das Miteinander
auf gleicher Augenhöhe zwischen Hauptamt und Ehrenamt ist ein
Novum, das wahrscheinlich auch in der Unternehmenskultur dieser
großen Verbände, Vereinigungen und selbst in den Kirchen
erst Fuß fassen muss.
Für die Kirchen ist das Ehrenamt immer ein Ausdruck christlicher Nächstenliebe gewesen. Jetzt greift die Enquete-Kommission das Motiv des persönlichem Vorteils auf und ermuntert auch, es nach außen zu zeigen. Geraten dabei nicht unterschiedliche Motivationsstränge miteinander in Konflikt?
Michael Bürsch:
Warum sollten die Kirchen diese Anregung nicht aufnehmen? Das
könnte dem Umgang der Kirche mit bürgerschaftlichem
Engagement neue Impulse geben. Auch die Kirchen können diesen
Menschen, die sich bei ihnen engagieren, verstärkt Fort- und
Weiterbildung anbieten und ihnen im Rahmen ihrer Qualifikation
für jeweilige Aufgaben auch mehr Verantwortung
übertragen.
Was hat Sie selbst dazu bewogen, den Vorsitz in der Kommission zu übernehmen und sich so engagiert mit der Frage des bürgerschaftlichen Engagements auseinander zu setzen?
Michael Bürsch:
Meine persönliche Überzeugung ist, dass es sich bei
diesem Thema um die wichtigste Frage der nächsten zehn Jahre
handelt. Ich glaube, dass sich über das bürgerschaftliche
Engagement und das neue Verhältnis von Staat, Gesellschaft und
einzelnen Menschen, die sich engagieren wollen, entscheidet, wie
sich unser Staat weiter entwickelt. Insofern ist das für mich
die spannendste politische Aufgabe, die man im Moment wahrnehmen
kann. Zielsetzung ist letztlich nichts geringeres als ein neuer
Gesellschaftsvertrag.
Was meinen Sie damit?
Michael Bürsch:
Eine neue Verständigung darüber, welche Aufgaben der
Staat abgeben kann, ohne sich mit Hinweis auf das
bürgerschaftliche Engagement von sozialen Aufgaben zu
entlasten. Und wo auf der anderen Seite die Aufgabe der
Gesellschaft liegt, wie deren Aufgabenerledigung entsprechend
erleichtert und besser als bisher organisiert und gefördert
werden kann. Darin liegt für mich der richtige Weg in die
Zukunft: Eine aktive Bürgergesellschaft, deren Engagement vom
Staat unterstützt wird.
Mit Dr. Michael Bürsch sprachen Götz Planer-Friedrich
und Jürgen Wandel am 5. April in Berlin.