Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 01-02 / 03.01.2005
Zur Druckversion .
Eva Haacke

Mäuse zählen, Streichliste auspacken

Wie sich die Kommunen aus ihrer schweren Finanzkrise befreien können, bleibt ein Rätsel

Die Städte und Gemeinden in Deutschland stecken in ihrer schwersten Finanzkrise seit Bestehen der Bundesrepublik. Die Einnahmen stagnieren, die Ausgaben steigen, und ein Ausweg ist nicht in Sicht. Die für vergangenes Jahr vorgesehene große Gemeindefinanzreform bleibt bisher Kosmetik, und von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) haben die Kommunen nichts zu erwarten.

Der Essener Stadtkämmerer Günter Berndmeyer lässt sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen, aber ein Blick auf die Kassenlage genügt, um ihn zu düsteren Prognosen hinzureißen: "Keine Ahnung, wie lange das noch gut gehen kann. Die Stadt gibt nur für die laufenden Kosten täglich fast eine Million Euro mehr aus, als sie einnimmt. Das wird noch ganz bitter." Essen ist mit 1,1 Milliarden Euro verschuldet, allein die Kassenkredite für die laufenden Verwaltungskosten beliefen sich für 2004 auf 800 Millionen Euro. Berndmeyer zahlt jährlich 88 Millionen Euro Zinsen an die Banken. Die Kommunalverwaltung zeigt den Stadtvätern mittlerweile die rote Karte und fordert ein Haushaltsicherungskonzept.

Wie Kämmerer Berndmeyer geht es bundesweit den meisten städtischen und kommunalen Kassenwarten. Das Prinzip heißt: Mäuse zählen und Streichlisten auspacken. Der Deutsche Städtetag erwartet für das vergangene Jahr ein Gesamtdefizit der kommunalen Haushalte von über 8,5 Milliarden Euro. Dabei sieht die Einnahmenseite der von Finanznot geplagten Städte und Gemeinden gar nicht schlecht aus: Im ersten Halbjahr 2004 stiegen die Gewerbesteuereinnahmen brutto um 12,8 Prozent, das entspricht mehr als 1,5 Milliarden Euro. Die ostdeutschen Länder haben sogar rund 27 Prozent mehr eingenommen. Bis Ende des vergangenen Jahres sollte das Gesamt-Gewerbesteueraufkommen bis zu 23 Milliarden Euro betragen. "Von leeren Kassen kann da nicht gesprochen werden", erklärt Karl Heinz Däke, der Präsident des Bundes der Steuerzahler, gegenüber "Das Parlament". "Die übrigen Einnahmen, also die kommunalen Gebühren und Schlüsselzuweisungen, sind in den ersten Monaten 2004 bundesweit um fast drei Prozent gewachsen."

Nörgelei seitens der klammen Kommunen wehrt auch Bundesfinanzminister Hans Eichel gerne mit dem Hinweis auf weitere 2,5 Milliarden Euro aus der Reform der Gewerbesteuer ab. Bislang mussten 28 Prozent der Gewerbesteuereinnahmen als so genannte Gewerbesteuerumlage an den Bund abgeführt werden. Jetzt sind es nur noch 20 Prozent. 2005 spüle dies den Kommunen über drei Milliarden Euro in die Kassen, so Eichel. Die Gewerbesteuer ist die wichtigste Einnahmequelle. Sie muss von den ansässigen Unternehmen je nach Ertrag bezahlt werden; ihre Höhe wird von den Kommunen über einen Hebesatz festgelegt. Allzu fest dürfen die Stadtväter allerdings nicht an dieser Einnahmeschraube drehen, weil ihre Kommune sonst unattraktiv werden würde.

Weitere Einnahmequellen sind die laufenden Zuweisungen von Bund und Ländern - sie betragen für 2004 etwa 38 Milliarden Euro - sowie Investitionszuweisungen in Höhe von 8,6 Milliarden Euro. Die Einnahmen aus Gebühren ärgern zwar die Bürger - 2004 werden es etwa 16 Milliarden Euro sein -, sie dürfen im Stadtsäckel aber nicht als Gewinn verbucht werden, sondern dienen lediglich der Kostendeckung der Verwaltung. Trotzdem versuchen viele Städte immer wieder, erhöhte Abfall- oder Stadtreinigungsgebühren und Kita-Kosten in bare Münze für den Stadthaushalt zu verwandeln. "Das heißt bei uns neuerdings griechische Buchhaltung", erklärt ein Stadtkämmerer aus Rheinland-Pfalz. Die Tricks: Fantasievoll werden immer neue Kostenpositionen zur Begründung der Gebührenerhöhungen herangezogen. Zudem neigen die Kämmerer dazu, etwa bei einer Müllverbrennungsanlage nicht die reine Abschreibung bei den Kosten mit ein zu berechnen, sondern den aktuellen Wiederbeschaffungswert - der natürlich jedes Jahr steigt.

Tatsächlich müssen Städte und Gemeinden jährlich beträchtliche Ausgaben stemmen: In den alten und neuen Ländern belaufen sich die Gesamtausgaben 2004 voraussichtlich auf 152,5 Milliarden Euro. Den Löwenanteil davon machen Personalkosten (knapp 41 Milliarden Euro) und Sachaufwand für die Verwaltung (29 Milliarden Euro) aus. Das kommunale Finanzierungsdefizit erklärt der Deutsche Städtetag vor allem durch die um rund acht Prozent gestiegenen Ausgaben für soziale Leistungen (alte Länder: 27,6 Milliarden Euro, neue Länder: 4,5 Milliarden Euro). Weitere große Ausgabeposten sind der Schuldendienst mit bundesweit über fünf Milliarden Euro für Zinsen im Jahr 2004 sowie schließlich die für die Zukunft zentralen Sachinvestitionen (alte Länder: 16,5 Milliarden Euro, neue Länder: fünf Milliarden Euro). Ein Preis der Finanzkrise und des Sparzwangs: Die kommunalen Investitionen sind von 2002 auf 2003 um 9,3 Prozent gesunken. Das sind 38 Prozent oder zwölf Milliarden Euro weniger für Investitionen als noch 1992.

Trotz solcher Sparmaßnahmen sind die Städte mehr denn je gezwungen, laufende Ausgaben und Sozialtransfers mit Kassenkrediten zudecken: Sie stiegen seit 2003 um über fünf Milliarden Euro auf 16,25 Milliarden Euro. "Die Kassenkredite dienen eigentlich nur zur Überbrückung kurzfristiger Finanzierungsengpässe", erklärt Volker Bestlein, Sprecher des Deutschen Städtetages, "mittlerweile sind sie Dauerzustand."

Ende 2003 sollte eine Gemeindefinanzreform die Kommunalfinanzen auf sichereren Boden stellen. Finanzminister Eichel wollte, dass künftig auch Freiberufler Gewerbesteuer zahlen, diese aber mit der Einkommensteuer verrechnen können. Außerdem sollte die Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer auf Mieten, Pachten und Zinserträge ausgedehnt werden, mit dem Ziel, mehr Geld in die Kommunalkassen zu spülen. Das Ergebnis wäre eine wirtschaftlich problematische Substanzsteuer gewesen. Trotzdem sprachen sich hunderte Bürgermeister und der Deutsche Städtetag dafür aus. Doch das Modell scheiterte im Vermittlungsausschuss an der Union. Dort einigte man sich nur auf eine Art Nothilfeprogramm: 2,5 Milliarden Euro für die Kommunen durch die Senkung der Gewerbesteuerumlage zu Lasten des Bundes.

Außerdem stellte sich zu Beginn des vergangenen Jahres bei der im Hartz IV-Gesetz geplanten Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe heraus, dass es nicht zu der versprochenen Entlastung der Gemeinden um 2,5 Milliarden Euro kommen würde. Weil die Regierung auf die Reform des Arbeitsmarkts noch eine des Wohngeldes drauf gesattelt hatte, sahen sich die Gemeinden Mehrkosten in Milliardenhöhe gegenüber. Wirtschaftsminister Clement musste nachbessern: Per Revisionsklausel stellt der Bund nun einen "zeitnahen und kassenwirksamen Ausgleich" im Falle "unerwarteter Mehrbelastungen durch Hartz IV" in Aussicht. "Möglich war das nur, weil der Bund die Städte zur Umsetzung seiner Arbeitsmarktreformen dringend braucht", erklärt ein Vertreter des Deutschen Landkreistages "diesen Kuhhandel".

Politischer "Kuhhandel" um Finanzen

Jedenfalls kann von einer echten Gemeindefinanzreform keine Rede sein. Alle Bemühungen dazu scheinen auf Eis gelegt. Der Deutsche Städtetag sieht Reformbedarf, klammert sich prinzipiell aber noch an der unsicheren Haupteinnahmequelle der Städte, der Gewerbesteuer, fest. Die Union sei über lediglich kurzfristige "Übergangslösungen" nicht hinausgekommen, so die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth, selbst CDU-Mitglied. Und die Bundesregierung mag das Thema nach dem Scheitern im Vermittlungsausschuss nicht so schnell wieder auf die Tagesordnung bringen.

Derweil dringt der Bund der Steuerzahler auf Abschaffung der Gewerbesteuer: "Auf der Einnahmeseite muss die konjunkturanfällige und steuersystematisch bedenkliche Gewerbesteuer vollständig abgeschafft werden", erklärt Steuerzahler-Präsident Däke. "Sie ist durch eine höhere Beteiligung an der Umsatzsteuer und durch Hebesatzrechte auf die Einkommen- und Körperschaftsanteile der Kommunen zu ersetzen." Dies seien verlässlichere Einkommensquellen, sie vergrößerten die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland. Auf der Ausgabenseite fordert Däke "strenge Ausgabendisziplin, Einsparungen bei den Verwaltungskosten" und "verstärkt Privatisierungserlöse zum Abbau des kommunalen Schuldenbergs".

Viele andere Möglichkeiten, um der Finanzmisere zu entkommen, haben die Kommunen bisher nicht. Was die Finanzausstattung angeht, bleiben sie Bittsteller bei Bund und Ländern. Ernsthafte Personaleinsparungen sind angesichts der beschlossenen Arbeitsmarktreformen mit neuen kommunalen Aufgaben mittelfristig eher unwahrscheinlich. Was bleibt, sind sinkende Investitionen, Schließung von Schwimmbädern, Schulen, Theatern, Bürgerdiensten - nichts davon macht Städte wirtschaftlich attraktiv. Einige setzen auf den Verkauf von Tafelsilber, aber hier gilt: wie gewonnen, so zerronnen. In der Regel fließen solche Erlöse zwar direkt in die Schuldentilgung, reichen aber bei weitem nicht zu einer echten Entlastung.

An die Erschließung mancher neuer Sparvarianten trauen sich viele Stadtväter nicht heran - Bedenken sind dabei durchaus berechtigt. Eine Form sind die so genannten "Public-Private-Partnerships (PPP): Darüber lassen sich etwa Immobilienprojekte mit der Unterstützung privater Investoren realisieren. Das kann erfolgreich klappen. Allerdings muss dafür das Risiko von Anfang an zwischen den Partnern geteilt werden und darf nicht als Bürgschaft oder Risikoübernahme bei der Stadt hängen bleiben. In jedem Fall wird es den Städten und Gemeinden in Deutschland nur gelingen, durch eine Mischung aus harten Einsparungen und sinnvollen Investitionen wieder auf einen grünen Zweig zu kommen - und auch das nur in Kombination mit einer echten Gemeindefinanzreform.

Eva Haacke ist Korrespondentin im Berliner Büro der "WirtschaftsWoche".


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.