Die meisten Kommunalpolitiker arbeiten ehrenamtlich. In Zeiten enger finanzieller Spielräume und komplexer werdenden Sachverhalten ist es für sie unumgänglich, sich stärker auf ihrer Aufgabe vorzubereiten. Neulinge unterschätzen die Arbeit, die auf sie zukommt, sagt Wolfgang Gisevius, der Leiter der KommunalAkademie der Friedrich-Ebert Stiftung. Gleichzeitig fordert er, ehrenamtlich Tätige besser zu beraten.
Das Parlament:
Die Kommunal-Akademie der Friedrich-Ebert-Stiftung wirbt damit, Kommunalpolitikern die nötigen Kompetenzen für eine erfolgreiche politische Laufbahn zu vermitteln. Wie sehen diese aus?
Wolfgang Gisevius: Das sind einmal die Schlüsselqualifikationen, aber auch Fachkompetenzen, zum Beispiel: Wie gehe ich mit dem Haushalt um? Oder: Wie beeinflusse ich kommunale Planungen? Es geht auch um Methodenkompetenz: Projektmanagement, Zeitmanagement, Selbstorganisation und ähnliche Dinge. Und natürlich spielt auch Basiswissen im Bereich der Sozialkompetenz eine Rolle, also die Fragen: Wie gehe ich mit anderen Menschen um, wie stelle ich mich in der Öffentlichkeit dar.
Das Parlament:
Sind denn die zu ihnen kommenden Politiker sich vorher nicht bewusst, was auf sie zukommt?
Wolfgang Gisevius: Die Kommunalpolitik wendet sich ja im politischen Ehrenamt an ganz normale Bürgerinnen und Bürger, die sich in ihrer Kommune für das Umfeld einsetzen wollen. Da wäre es natürlich zuviel verlangt, dass sie schon im Voraus perfekt Bescheid wissen. In der Regel steht der Wunsch, sich zu engagieren im Vordergrund, ohne dass die Bürger genau wissen, was alles auf sie zukommt. Was die Verwaltung zum Beispiel von ihnen fordert, wie Techniken zum Lesen von Verwaltungsvorlagen. Oder auch in den vielen Fachbereichen, was es da im Einzelnen für Bestimmungen im Sozialgesetzbuch oder im Planungsrecht gibt. Das können sie natürlich nicht vorher wissen. Wie schwierig die Kommunikation mit den Bürgern ist, wissen sie oft auch nicht.
Das Parlament:
Der Druck, sich auch in fachlicher Hinsicht zu qualifizieren, ist gerade für ehrenamtliche Kommunalpolitiker enorm. Sie haben nicht die Mitarbeiter, die ihnen für einzelne Fachgebiete zuarbeiten. Da stößt selbst richtig erlerntes Zeitmanagement an Grenzen.
Wolfgang Gisevius: Dieses Dilemma kann man nicht auflösen. Wenn man berufstätige Bürger für das politische Ehrenamt gewinnen will - was ja schon schwierig ist, weil es sich die meisten nicht leisten können, neben ihrem Beruf und ihren familiären Verpflichtungen ein Ehrenamt zu übernehmen - dann brauchen sie Unterstützung. Zum Beispiel erfordern die permanent abnehmenden kommunalen Finanzmöglichkeiten heutzutage in erheblichem Maß eine andere Art von Kommunalpolitik. Den Bürgern zu erklären, warum man ein Hallenbad schließt oder eine Bibliothek, erfordert ganz andere Kompetenzen als früher, wo man sich belobigen lassen durfte, weil man wieder eine neue Bibliothek eröffnet hat. Die daraus entstehenden Zwänge - die sich in dem neuen kommunalen Finanzmanagement oder in dem neuen Steuerungsmodell auf kommunaler Ebene ausdrücken - verlangen heute sehr viel von Kommunalpolitikern.
Das Parlament:
Inwiefern haben sich mit den Herausforderungen auch die Handlungsspielräume ehrenamtlicher Kommunalpolitiker in den vergangenen Jahren verändert?
Wolfgang Gisevius: Es ist schwieriger geworden, Kommunalpolitik zu machen. Zum einen ist es komplizierter geworden, mit weniger Geld qualitativ Gutes zu bewirken. Zum anderen ist das Ganze auch viel komplexer geworden. Das bedeutet, heute gibt es kommunalpolitische Ergebnisse selten isoliert nur auf einem Gebiet, sondern in der Regel nur, wenn man verschiedene Aufgabenfelder zusammenbindet und zum Beispiel Netzwerke schafft. Das ist natürlich viel schwieriger als früher, wo man in nur einem Aufgabenfeld zu Entscheidungen kommen konnte. Heute haben eigentlich alle wesentlichen Entscheidungen Auswirkungen auf andere Fachbereiche. Diese Auswirkungen vorauszusehen, das überfordert heute oft politische Ehrenamtler.
Das Parlament:
Immer mehr sehr junge Menschen strömen heutzutage in die Politik, manchmal ohne Berufserfahrung. Kann ein so junger Mensch den Herausforderungen in der Kommunalpolitik überhaupt gerecht werden?
Wolfgang Gisevius: Berufserfahrungen sind sehr wichtig, aber alles hat wie immer zwei Seiten. Das Positive, was junge Menschen in solche politischen Ehrenämter hineintragen, ist ganz einfach eine Freude an der Gestaltung und die unverkrampfte Suche nach Alternativen. Sie haben noch nicht resigniert, wie das bei vielen älteren Kollegen der Fall ist. Viele Räte sind überaltert, weil leider die mittleren Jahrgänge fehlen oder zu schwach vertreten sind. Man merkt ganz einfach, dass die jungen Leute eine andere Lebenssicht haben. Diese neue Online-Generation, die geht viel ungezwungener an manche Probleme heran.
Das Parlament:
Kommunalpolitik wird oft als "Ehrenamt ohne Ehre" beschrieben. Muss da nicht ein Umdenken stattfinden?
Wolfgang Gisevius: Es ist teilweise wirklich eine Zumutung, dass Leute, die sich für solche politischen Ehrenämter zur Verfügung stellen, sich auch noch beschimpfen lassen müssen. Oft begegnen sie auch dem Vorurteil, zu viel Geld zu bekommen. Da müsste mehr Aufklärungsarbeit stattfinden.
Das Parlament:
Die Finanzmisere der Kommunen und die geringe gesellschaftliche Anerkennung ehrenamtlicher Tätigkeit sind nicht gerade Motivationen für einen Kommunalpolitiker. Warum tun sie es trotzdem?
Wolfgang Gisevius: Die Probleme verschwinden ja nicht. Wenn sich ein junger Mensch im Bildungsbereich einsetzen will, weil dies seine Kinder berührt, dann ist das auch heute noch eine ganz starke Motivation. Hier sind ja die Probleme vielleicht eher noch gewachsen. Es gibt viele Gründe, sich einzuschalten. Nicht nur, wenn der Kanaldeckel vor der Tür klappert. Es sind vielfach grundsätzliche Herausforderungen, wie das soziale Zusammenleben in der Stadt gestaltet werden soll oder wie Verkehrsplanung erfolgen müsste. Diese übergeordneten Überlegungen spielen eine wichtige Rolle. Hinzu kommt, dass die Engagierten, die in die Kommunalpolitik gehen, in der Regel den Wertehintergrund einer Partei haben, den sie durch ihr Engagement verteidigen wollen.
Das Parlament:
Wie können denn die Parteien die ehrenamtlichen Politiker wirksam unterstützen?
Wolfgang Gisevius: Da ist natürlich noch viel zu tun. Die Parteien versuchen es durch Bildungsarbeit, aber eigentlich müssten sie viel stärker neue Formen nutzen. In Form von Datenbanken zum Beispiel, die sie den ehrenamtlichen Politikern zu Verfügung stellen. In Form von Beratungsangeboten, Coachings, aber auch Hotlines oder Internet-Wissenspools, die den Aktiven ganz schnell Informationen zur Verfügung zu stellen und sie damit unterstützen.
Das Parlament:
Es wird ja auch immer wieder diskutiert, ob man diese ehrenamtliche Tätigkeit nicht finanziell entschädigt.
Wolfgang Gisevius: Ich plädiere, bei allen Schwierigkeiten, dafür, es beim Ehrenamt zu belassen. Aber dieses Ehrenamt muss besser unterstützt werden. Das Ehrenamt müsste besser beraten werden, aber nicht einfach mehr Geld in die Hand bekommen. Eine Bezahlung könnte Menschen anlocken, die eigentlich nicht gemeint sind für die Kommunalpolitik, die dann des Geldes wegen kommen, aber nicht wegen des sozialen Zusammenlebens in der Stadt.
Das Parlament:
Ist die Politik nicht in einem Dilemma, wenn sie einerseits längere Arbeitszeiten fordert und andererseits auf Menschen angewiesen ist, die sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich engagieren?
Wolfgang Gisevius: Also, die SPD fordert das nicht und ich denke auch, dass das insgesamt ein Druck ist, der in die falsche Richtung geht. Denn bei dieser Form von längerer Arbeitszeit und schärferem Arbeitsdruck geht natürlich vieles kaputt, was wir an sozialem Kitt brauchen.
Das Interview führte Claudia Heine