Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 04 / 24.01.2005
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Thilo Castner

Familiensaga mit Höhen und Tiefen

Die Weizsäckers in der jüngsten Geschichte

Wenige Familien in Deutschland dürften die Geschichte der Nation im 20. Jahrhundert so stark beeinflusst haben wie die Weizsäckers, die über Generationen hinweg bemüht waren, dem Land an hervorgehobener Stelle zu dienen. Ulrich Völklein belegt dies beeindruckend an Hand der Lebensläufe von Ernst von Weizsäcker, Staatssekretär und ranghöchster Diplomat unter Hitler, sowie seiner Söhne Carl Friedrich und Richard, der eine Kernphysiker, der andere Politiker und zehn Jahre lang an der Spitze der Bundesrepublik.

Der Aufstieg zu hohen Staatsmännern gelang der Familie bereits im 19. Jahrhundert. Carl Heinrich Weizsäcker schaffte es zum Rektor der Universität Tübingen, verbunden mit dem ständigen Sitz in der Abgeordnetenkammer. Einer seiner Söhne, Karl Hugo, 1906 zum Ministerpräsidenten Württembergs ernannt, hatte den persönlichen Adelstitel erworben und lebte, obrigkeitsorientiert und nationalbewusst, mit sich und seiner Zeit im Einvernehmen, was dem Enkel Ernst sowie den Urenkeln Carl Friedrich und Richard nicht vergönnt war.

Diese hatten sich mit dem verbrecherischen NS-System auseinanderzusetzen, dem Widerstand zu leisten ihnen nur bedingt gelang. Vor allem Ernst von Weizsäcker verfing sich in den Netzen der Naziherrschaft. Dem bereits während der Weimarer Republik äußerst erfolgreichen Diplomaten bot Ribbentrop 1938 den Posten des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt an. Trotz einiger Bedenken nahm von Weizsäcker an, trat der NSDAP und der SS bei und blieb im Dienst, auch als er über die Eroberungspläne und Massenmorde Hitlers in vollem Umfang unterrichtet war.

Er wollte, wie er in Zusammenhang mit der Verurteilung in Nürnberg später zu seinen Rechtfertigung ausführte, in seiner Position das Schlimmste verhindern. Völklein attestiert ihm, dass er kein Nazi war, aber eben auch kein Widerstandskämpfer. Die von Hitler angestrebte Einverleibung Österreichs, des tschechischen Sudetenlandes und vielleicht auch dessen Politik gegenüber Dänemark und Belgien entsprachen durchaus Weizsäckers Vorstellungen.

"Den Garaus machen"

1941 fand er in einer Denkschrift den Gedanken verlockend, der Sowjetunion "den Garaus zu machen" und "dem kommunistischen System den Todesstoß zu geben". Ribbentrops Stellvertreter verabscheute die rassistische NS-Ideologie, ihre Brutalität und Gewalttätigkeit, sah aber keine Veranlassung, sich abseits zu halten oder die Seiten zu wechseln. Völkleins überzeugendes Fazit: "Er machte mit, widerwillig oder nicht, er fügte sich trotz Widerspruchs und Widerstands und wurde damit Bestandteil des Herrschafts-und Unterdrückungsapparats, den er verachtete."

Auch sein Sohn Carl Friedrich erlag anfangs den Versprechungen der NS-Propaganda. Mit der "Machtergreifung" glaubte er, den Anbruch einer neuen Zeit ohne Klassenhass und Zukunftsangst zu erkennen. Er war mit Hahn und Heisenberg an der Entwicklung einer "Uranmaschine" maßgeblich beteiligt. Er fühlte sich später nicht frei von Schuld. Die "eigene Verstrickung wahrhaftig anzunehmen, um die Geister der Vergangenheit" vertreiben zu können, wurde für ihn zur moralischen Verpflichtung. Sein Engagement gegen die atomare Aufrüstung der Bundeswehr unter Adenauer, sein vehementes Eintreten für die Ostpolitik Willy Brandts sowie seine friedenspolitischen Bemühungen am Starnberger Institut machten ihn zu einer der weithin respektierten Persönlichkeiten der Nachkriegszeit.

Hinsichtlich ethischer Grundsätze stand ihm sein Bruder Richard in nichts nach. Als mehrfach wegen Tapferkeit dekorierter Offizier im Russlandfeldzug hatte der "Nachkömmling" die unvorstellbaren Verbrechen der Nazis aus nächster Nähe miterlebt. Er war in die Attentatspläne gegen Hitler voll eingeweiht und entging dem Fallbeil nur mit Glück. Im "Wilhelmstraßen"-Prozess stand er seinem Vater als Verteidiger zur Seite, die Verurteilung des Vaters zunächst zu sieben, dann zu fünf Jahren Freiheitsentzug empfand er als groteskes Fehlurteil.

Zur Politik stieß Richard von Weizsäcker erst nach mehrjähriger Tätigkeit in einer Reihe renommierter Unternehmen. Seine spätere CDU-Mitgliedschaft hinderte ihn nicht daran, den Parteien und ihren Repräsentanten wiederholt Machtversessenheit und - vergessenheit vorzuwerfen. Mit Helmut Kohl verband ihn wenig. Als Präsident des Evangelischen Kirchentags sowie als Regierender Bürgermeister von Berlin und insbesondere als Präsident der Bundesrepublik lagen ihm, wie Völklein zu Recht betont, "Gerechtigkeit, Versöhnung, Aufrichtigkeit, Solidarität, Wahrhaftigkeit gegenüber der Geschichte und den Menschen" besonders am Herzen. Die Verstrickungen der eigenen Familie hatten ihn sensibilisiert, ideologischen Heilslehren gegenüber misstrauisch zu sein, begangene Fehler ehrlich zu bekennen und Macht ohne moralische Prinzipien strikt abzulehnen.

Ulrich Völklein

Die Weizsäckers. Macht und Moral.

Porträts einer deutschen Familie

Droemer Verlag, München 2004; 448 S., 22,90 Euro


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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