Hat das wiederholt angekündigte "pazifische Jahrhundert" bereits begonnen? Welche Rolle haben ehrgeizige Regierungen in Ostasien für ihre ungestüm wachsenden Millionenstädte vorgesehen? Das vorliegende Büchlein des Architekturjournalisten und -publizisten Ulf Meyer versucht, einen Eindruck zu vermitteln, wie sich die dramatischen Veränderungen auf die traditionellen Lebensformen der dort lebenden Menschen auswirken. Bevorstehende Großereignisse wie die im Frühjahr beginnende Weltausstellung in Aichi (Nagoya), die Olympiade in Peking (2008) und die Weltausstellung in Shanghai (2010) lenken unsere Aufmerksamkeit verstärkt auf die rapide zunehmende Verstädterung und den anhaltenden Boom in Ostasien.
Die Hälfte der zehn Beiträge handelt von den wichtigsten Städten Festlandchinas. Die chinesische Hauptstadt präsentierte sich nach dem Willen ihrer Machthaber in den vergangenen Jahren als ein zu Stein und Glas gewordenes Zeugnis der angestrebten Rückkehr als "big player" der Weltwirtschaft und -politik. Während sich in der Innenstadt und ausgewählten Stadtvierteln "Mall-Hotel-Büro-Hybride" konzentrieren und ganze Häuserzeilen neuen und breiteren Autostraßen weichen müssen, werden in der Peripherie Satellitenstädte aus dem Boden gestampft, um den Anforderungen der Urbanisierung gerecht zu werden.
Im Gegensatz zu Peking war Shanghai schon immer ein Zentrum der Avantgarde. Der Autor kritisiert das brandneue Stadtviertel Pudong, das für Chinas wirtschaftspolitisches Image von zentraler Bedeutung ist, als das "geplante Modell einer völlig ungeplanten Stadt". Den erst teilweise fertiggestellten riesigen Industriepark am Rande Suzhous nennt Meyer eine "Modellstadt der neuen Gründerzeit", die die Fehler des "modernen Instant-Städtebaus" wiederholt.
Da Immobilien in China nur auf Zeit gepachtet werden können, entstehen in der Regel keine hochwertigen Gebäude. Der geografische Raummangel der Riesenstadt Chongqing an den steilen Ufern des Yangtse-Flusses erforderte schon früh eine Ausdehnung in die Höhe; die Gebäude sind einheitlich ideen- und geschmacklos. Aus Shenzhen, dem früheren Dorf an der Grenze zu Hongkong, zauberte die chinesische Regierung in den 80er-Jahren binnen kürzester Zeit eine Millionenstadt, in die Immigranten aus allen Landesteilen strömen. Als Entwicklungsmodell der chinesischen Öffnung und Modernisierung ist sie großzügig angelegt; trotz verschiedener Anstrengungen drückt ihr der Autor das Prädikat "geschichts-, gesichts- und kulturlos" auf.
Die Phase einer ungeplanten Ausdehnung hat Taipeh bereits hinter sich. Ende 2004 wurde dort das höchste Gebäude der Welt (508 Meter) eingeweiht. Die Planungsgeschichte des von einem taiwanesischen Architekten entworfenen Hochhauses kann als politische Demonstration Taiwans interpretiert werden.
Der Beitrag zu Tokyo betont die zentrale Rolle der Bahngesellschaften als "Motoren der städtebaulichen Entwicklung" für die Planung, Erschließung, Infrastruktur und Vermarktung. Die großen Knotenpunkte des hervorragend funktionierenden Nahverkehrsnetzes bilden die pulsierenden Zentren des neuesten "lifestyle" und der ausufernden Konsumlust. Die allgegenwärtige Erdbebengefahr trägt nicht nur zur minderen Bauqualität, sondern auch zu einer schier unglaublichen Schnelllebigkeit bei.
In Thailands Hauptstadt Bangkok kommt der Bau von U-Bahnen wegen des weichen Bodens und des hohen Grundwasserspiegels nur schleppend voran. Die Stadt ist geprägt von Dauerstaus und hoher Konzentration von Lärm und Abgasen. Dennoch übt sie eine ungebrochene Anziehungskraft auf Landflüchtige aus. Die anhaltend hektische Bautätigkeit lässt aus Mangel an Stadtplanung "identitätslose Schluchten" entstehen.
Der unkontrollierte Zustrom der Landbevölkerung nach Jakarta, den bunten Schmelztiegel des indonesischen Vielvölkerstaates, ließ die Stadt ähnlich planlos wuchern. Viele große Bauprojekte mussten mit dem Verfall der Grundstückspreise seit Mitte der 90er-Jahre eingestellt werden. Putrajaya, die neue Hauptstadt Malaysias, ist trotz ihrer perfekten Infrastruktur eine "fast menschenleere Fantasia-Stadt" mit homogenen Wohnvierteln für Regierungsbeamte. Die Verlegung des Regierungssitzes hatte der ehemalige Premier Mahathir beschlossen, um die Politik dem Einfluss der chinesischstämmigen Minderheit zu entziehen.
Das Büchlein verfügt über ein ideenvolles Layout. Jeder der kurzen, anschaulichen und gut lesbaren Reportagen sind Bildtafeln vorangestellt; sie unterstreichen den oberflächlich-subjektiven Eindruck von den beschriebenen Städten, weil sowohl die Unterschriften als auch der direkte Bezug zum Text der Essays fehlen. Die Auswahl wirkt ähnlich zufällig, wie die der Städte: Hongkong oder Seoul hätten sich gut in die Sammlung gefügt. Der Großteil der Beiträge erschien bereits in verschiedenen Tageszeitungen.
Spielwiese für Architekten
Die Essays reißen interessante Grundsatzthemen an, ohne sie zu vertiefen: Wie verändern Vermischung, Verwestlichung und neue Architektur die Lebensform der Menschen? Bedeutet Modernisierung in Asien gleichzeitig auch Verwestlichung? Oder Japanisierung? Inwieweit berücksichtigen Planer in Asien die historischen Charakteristika der Städte? Pekings traditionelle Hauptachsen orientieren sich streng an den Himmelsrichtungen. Ist dies weiterhin ein verbindliches städteplanerisches Konzept? Wie äußern sich die Gegensätze zwischen Konservierung des Alten und Schaffung des Neuen?
Obwohl Tokyo eine riesige Spielwiese ist, auf der sich Architekten aus aller Welt nahezu uneingeschränkt austoben, regen sich doch Stimmen, die den Schutz des Stadtbildes fordern. In Shanghai waren die alten Gebäude, die heute angesichts der Wucht der gigantischen Neubauten als schützenswert empfunden werden, zum Zeitpunkt ihrer Entstehung gleichfalls als zusammengewürfelt abgelehnt worden. Das Buch richtet sich an eine sehr breite Leserschaft.
Ulf Meyer
Cities of the Pacific Century.
Reportagen und Essays aus Ostasien.
Mit einem Vorwort von Nancy Chikaraishi.
Verlagshaus Braun, Berlin2004; 144 S.; 14,95 Euro