Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 04 / 24.01.2005
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Alexander Weinlein

Aufgekehrt...


Auf das richtige Timing kommt es eben an: Während sich in Berlin die Pforten zur Grünen Woche - dem Eldorado der Jünger des lukullischen Genusses, öffneten, verdunkelten schwere Gewitterwolken bereits wieder den strahlenden Gourmet-Himmel. Der Republik droht einmal mehr ein Lebensmittelskandal - diesmal mit Dioxin in deutschen Eiern. Und es sind nicht irgendwelche Eier, nein das Gift hat sich heimtückisch ausgerechnet in die Produkte unserer politisch und ökologisch korrekt gehaltenen Freilandhühner eingeschlichen. Pfui!

Welch Ironie des Schicksals. Kaum war der Feldzug von Bundesverbraucherschutzministerin Renate Künast zur Befreiung der schändlich versklavten Käfighühner ins Rollen gekommen, kaum hatte das Bio-Ei seinen triumphalen Einzug auf deutschen Frühstücks-tischen gehalten, da werden die bundesrepublikanischen Geschmacksnerven erneut auf das unappetitlichste traktiert.

Der Verbraucher vor dem Lebensmittelregal reibt sich einmal mehr verwundert die Augen, muss sich selbst die Frage "Welches Ei hätten's denn gerne?" beantworten: aus Freiland-, Boden- oder Käfighaltung? Was ist höher zu veranschlagen, die eigene Gesundheit oder doch die Freiheit der Hühner?

Der innenpolitische Flurschaden ist unübersehbar: Schon sammeln sich tausende empörter Osterhasen zu Protestmärschen auf die Hauptstadt, drohen mit Bummelstreiks, sollte das hochgiftige Dioxin nicht bis zum Osterfest aus all ihren bunten Ostereiern verbannt sein.

Und die Politik reagiert wie gewohnt: Die Opposition nutzt die Gunst der Stunde, um Renate Künast kunstgerecht in die Pfanne zu hauen. Die Verbraucherschutzministerin, wahrlich kein Weichei, wenn es um den Tierschutz geht, warnt im Gegenzug vor übertriebener Panikmache - das übliche Rumgeeiere eben.

Auch auf internationaler Ebene könnten die deutschen Gift-Eier katastrophale Entwicklungen heraufbeschwören. Im Oval Office - nomen est omen - des Weißen Hauses in Washington wetzt George W. Bush bereits die Messer. Endlich hat der US-Präsident die ungeliebten Germans erwischt: geheime Bio-Waffen-Anlagen in Deutschlands Hühnerhöfen, gut getarnt vor allen UN-Inspekteuren. Diesmal gibt es kein Entrinnen: Condy Rice wird auf einer Sitzung des Weltsicherheitsrates unwiderlegbare Beweise vorlegen: Satellitenaufnahmen, ungenießbare deutsche Frühstückseier - eine Gefahr für die gesamte freie Welt - und verseuchte Bodenproben aus dem alten Europa. Deutschlands Eierfarmen gehören zur "Achse des Bösen" - und die packt die "Koalition der Willigen" jetzt an den Eiern.

In Guantanamo Bay errichten die amerikanischen Streitkräfte zur Stunde bereits gigantische Käfiganlagen, in denen die deutschen Bio-Gift-Hühner interniert werden sollen - garantiert dioxinfrei.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.