Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 04 / 24.01.2005
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Alva Gehrmann

Politiker mit menschlichen Zügen und Schwächen - so wie die echten

Fiktive ZDF-Serie "Kanzleramt" will hinter die Kulissen der Macht blicken

Es scheint so, als würden wir alles von Politikern mitbekommen. Ihren Alltag, ihr Leben. Die Medienrepublik macht es möglich. Doch tatsächlich sehen wir die immer gleichen Bilder: Blitzlichtgewitter, ein kurzes Statement für die Journalisten, dann huschen sie, umringt von Bodyguards, schnell in die nächste Sitzung. Vielleicht sieht man Politiker noch mal in einer Talkrunde und in den Nachrichten. Das war's. Doch was passiert, wenn die Fernsehkameras aus sind und sich die Türen des Kanzleramts schließen? Wenn also die eigentliche Arbeit gemacht wird.

Dezember 2004: Auf dem Schreibtisch des Bundeskanzlers steht eine Champagner-Flasche, daneben halb leere Sektgläser. Ansonsten ist sein Schreibtisch ordentlich, ein Telefon, das Foto seiner Tochter - im Büroregal steht der Brockhaus. Es ist nicht das echte Kanzlerbüro, sondern die Kulisse der neuen ZDF-Serie "Kanzleramt". Ab 23. März werden zunächst zwölf Folgen ausgestrahlt.

Die fiktive Serie erzählt aus dem Leben des Kanzlers und seinem engen Umfeld: dem Kanzleramt. Die Macher wollen einen realistischen und unterhaltsamen Einblick in die Regierungspraxis geben. Wie wird überhaupt Politik gemacht? Wie funktioniert Macht? Wie verändert es den Menschen? Im Mittelpunkt stehen neben dem Kanzler auch der Regierungssprecher, der Redenschreiber, die Büroleiterin und der Kanzleramtschef. Sie werden mit all ihren Ängsten und Zwängen gezeigt - es geht dabei um die ihre Verantwortung für die Gesellschaft, dem eigenen Karrieredenken und den privaten Wünschen.

So wie das auch im echten Leben ist. Und dennoch ist es nicht die Realität. "Es sind rein fiktive Fragen und Geschichten", sagt Ulrich Lenze, der Produzent. "Aber sie müssen natürlich heutig sein, glaubhaft und aktuell wirken, damit der Zuschauer sie als spannend empfindet." So sind die politischen Probleme durchaus realistisch: Ärger wegen der anstehenden Tabaksteuererhöhung, ein Geiseldrama in Südamerika, Streit mit der Opposition. Der TV-Kanzler heißt nicht Gerhard Schröder, sondern Andreas Weyer. Er ist verwitwet und hat eine halbwüchsige Tochter, die ihre Ansprüche stellt.

Da im echten Kanzleramt nicht gedreht werden kann, wurde kurzerhand eine nachgebaut. In einer alten Fabrikhalle in Berlin-Siemensstadt befindet sich das TV-Kanzleramt auf 2.000 Quadratmetern. Der Eingangsbereich ist nahezu originalgetreu - die Säulen, die Decken, selbst die hellen Farbtöne und das Porsche-Grün sind wieder zu erkennen. Ebenso die Kanzler-Ahnengalerie, die Gänge zu den Büros, bis hin zur Einrichtung. Es soll gut aussehen, nicht billig. Denn hier werden über die Hälfte der Szenen gedreht. Axel Schultes, Architekt des echten Kanzleramts, hat sich die Kulisse auch angesehen, stand beratend zur Seite. 700.000 Euro kostete das Studio.

Man hat viel investiert. Nicht nur in die Kulisse. Ein Wagnis sei das Projekt. Tollkühn, sagt das ZDF. In letzter Zeit sei so viel von Politikverdrossenheit die Rede. Dabei ist sie doch so bedeutend, sagt Martin E. Süskind. "Politik prägt unser Leben, ob wir es wollen oder nicht. Politik ist wichtig, spannend, notwendig, unterhaltsam." Süskind muss es ja wissen: Er hat viele Jahre als politischer Journalist gearbeitet, war Redenschreiber von Willy Brandt, später Chefredakteur der "Berliner Zeitung". Für die Serie "Kanzleramt" hat er gemeinsam mit Hans-Christoph Blumenberg die Bücher geschrieben. Dabei war eins von Anfang an klar: "Es sollte keine Satire werden, sondern wir wollten die Politiker ernst nehmen", sagt Blumenberg.

Was also will die Serie erreichen? Die Bevölkerung aufklären? Ihnen Politik schmackhaft machen? "In erster Linie wollen wir mit unserer Serie unterhalten. Es ist eine politische Serie mit unterhaltenden Elementen", sagt Blumenberg, der bei den ersten beiden Folgen auch Regie geführt hat.

Zurück zum Set. Es wird der 88. Tag gedreht. Sie proben die nächste Szene: die morgendliche Lagebesprechung im Kanzleramt. Auch das wird gezeigt. "Haben wir uns verstanden?", sagt Kanzler Weyer mit energischer Stimme in die Runde. Gespielt wird er von Klaus J. Behrendt, den kennt der Zuschauer bisher vor allem als Kölner "Tatort"-Kommissar, dort ist er stets leger gekleidet, ein lockerer Typ. Als Kanzler trägt Behrendt einen schicken Anzug, hat zurückgekämmte Haare und eine randlose Brille. Das ZDF setzt auf bekannte Schauspieler. Robert Atzorn, Rita Russek, Herbert Knaup. Auch das soll Interesse für ihre Serie wecken.

Entweder die Leute schauen es sich an, weil sie die Schauspieler mögen, oder weil sie endlich verstehen wollen, wie es hinter den Kulissen der Macht aussieht. Das ist die Hoffnung der Macher. Neben dem Kanzler spielt der Chef des Kanzleramtes eine zentrale Rolle. Denn: Was macht der eigentlich? Kaum einer kennt Walter Steinmeier - den echten Chef des Kanzleramts. Kaum einer weiß, welche Arbeit er macht. Die erste Folge von "Kanzleramt" zeigt es bereits ansatzweise.

Darin gerät die Bundesregierung unter Druck, weil der Forschungsminister auf einmal in Pressekonferenzen Aussagen macht, die der Linie des Kabinetts widersprechen. Außerdem prügelt er sich auf offener Straße mit einem Bürger, der Minister wird zum Risiko. Was ist da los? Wie soll das Kanzleramt dazu Stellung beziehen? Zumal der Kanzler auf Dienstreise in Neuseeland ist. Die Mitarbeiter werden hektisch, nur der Kanzleramtschef bleibt ruhig. In einer Szene sagt er: "Ich werde dafür bezahlt, Druck auszuhalten."

Druck aushalten. Schnelle Entscheidungen treffen, alle Ministerien koordinieren, dem Kanzler direkt zuarbeiten. All das wird im Kanzleramt, der Schaltzentrale der Macht, geregelt. "Politiker auf diesem Niveau arbeiten unter einem wahnsinnigen Druck und Stress. Spitzenpolitiker müssen Nerven wie Drahtseile haben", sagt Produzent Ulrich Lenze. "Der Bürger auf der Straße weiß gar nicht, was für ein mörderischer Job das ist." Der ebenso verführerisch sein kann, gibt es doch die Droge Macht und Wichtigkeit. "Unsere erfundenen Politiker sind keine perfekten Menschen - sie haben erkennbare Macken, Schwächen und sind zur niedrigen Intrige fähig", so Hans-Christoph Blumenberg. Wie die echten Politiker.

Regisseur und Autor Blumenberg ist noch von der Bonner Republik geprägt. "Seitdem ist die Politik hinter den Kulissen aber nicht anders geworden", sagt der 57-Jährige. Anders sei lediglich die Rolle der Medien. Auch in der Berliner Medienrepublik gelte: "Es geht viel um den Machterhaltungstrieb - und das wird sich auch nie ändern." Parteien werden in der Serie übrigens nicht genannt. "Regierung der Mitte", bezeichnet Ulrich Lenze sie. Mal legt sich die Regierung von Kanzler Weyer mit dem Gewerkschaften an, ein anderes Mal mit den Unternehmerverbänden.

Das Staatsoberhaupt als Filmheld. Das gibt es in den USA seit sieben Jahren mit der Serie "West Wing", sie ist auch ein Vorbild der ZDF-Serie "Kanzleramt". 2004 gab es im deutschen Fernsehen schon die ARD-Liebes-komödie "Küss mich Kanzler!", ebenso die fünfteilige Doku-Reihe von ARTE, die das Innenleben des Kanzleramts zeigte - aus dem Alltag des Ministerialrats, Redenschreibers und der Putzfrau erzählt. Anfang Januar lief der ARD-Film "Spiele der Macht - 11011 Berlin".

Ab März also kommt nun noch eine Serie aus dem Kanzleramt. Wenn die Quote stimmt, wird es auch weitere Staffeln geben. Sollte es weiter gehen, kann Produzent Lenze sich durchaus auch einen Wahlkampf vorstellen - ob es beim echten Regierungswechsel auch zu einem Wechsel der Regierung Weyer kommt? Mal sehen.

Man habe keinen Kontakt zur aktuellen Regierung gesucht, es gebe keinen Austausch, "worüber auch?", sagt Ulrich Lenze. Denn die Serie ist kein Abbild der derzeitigen Bundesregierung. Schließlich ist es eine erfundene Regierung. Sind sie dennoch auf die Kommentare von Politikern gespannt? "Mich interessiert mehr die Reaktion des Publikums", sagt Hans-Christoph Blumenberg. Auch wenn immer wieder betont wird, dass sie keine didaktische Absicht haben, so glaubt Produzent Lenze dennoch, dass sie mit der neuen Serie auch mit Vorurteilen aufräumen können - etwa, dass alle Politiker nichts tun und korrupt sind. Und Autor Blumenberg sagt: "Unser Ziel und unsere Hoffnung ist, dass die Zuschauer sagen: Das ist die Regierung, die wir haben wollen. Denn unsere Politiker strengen sich schon an, arbeiten leidenschaftlich - man soll sie mögen."

"Wenn sich durch unsere Serie die Wahlbeteiligung 2006 erhöhen sollte, wäre das natürlich ein Traum", sagt Blumenberg. Er mag Kanzler Weyer mit all seinen Macken. Augenzwinkernd sagt er: "Vielleicht ist Weyer dann der übernächste Kanzler."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.