74 Prozent der Deutschen mögen laut Umfragen vom Herbst 2004 den amerikanischen Präsidenten George W. Bush nicht. Die meisten von ihnen lehnen Bush sogar total ab und halten ihn für gefährlicher als Osama bin Laden. Das Buch "Bush auf der Couch" erklärt nun diesen 74 Prozent aus professionell-psychologischer Sicht, warum sie recht haben. Oder recht haben könnten. Denn alleine "das blöde Grinsen" des Präsidenten sage doch schon alles aus, meint der Autor Dr. Justin A. Frank. Diese Formulierung sagt allerdings auch viel über den Autor selbst und seine "Studie", wie er sein Buch nennt.
Frank ist ein in Washington stadtbekanter Psychoanalytiker und Professor für Psychiatrie. Politisch steht er links, also von Haus aus voreingenommen gegenüber dem konservativen George W. Bush. Dennoch versucht er in seinen Eingangsworten zu erklären, warum seine psychoanalytische Studie über den amerikanischen Präsidenten neutral und professionell ist: "Präsident Bush ist natürlich keiner meiner Patienten, jedoch erlaubt uns die Angewandte Psychoanalyse, das vollständigste Bild seiner Psyche zu bekommen, das er [Bush] jemals zulassen wird."
Bereits der Vater der modernen Psychoanalyse, Siegmund Freud, habe auf diese Weise Moses und Leonardo da Vinci erforscht, unterstützt Frank seine Untersuchung von Geist und Seele des Präsidenten. Selbst die CIA erstelle mittels der Psychoanalyse Profile von Menschen, über die die US-Regierung Näheres erfahren will.
Der Ansatz Franks ist fraglos überzeugend. Er nutzt für die Erstellung eines psychologischen Profils von Bush eine Fülle an Quellen: von alten Zeitungsartikeln über die Memoiren der Mutter Barbara bis hin zu Michael Moores polemischem "Anti-Bush-Doku-Film". Außerdem legt er Bushs öffentliche Aussagen geradezu auf die Goldwaage und zeichnet so eine Charakterentwicklung von der Kindheit bis zum heutigen Tag.
Insbesondere untersucht er die Rolle der Eltern des Präsidenten akribisch - allen voran die von Mutter Barbara, einer bekennend strengen Erzieherin, deren "eigene Unsicherheiten" sie daran gehindert haben könnten, ihren Sohn angemessen zu fördern, wie Frank glaubt. Wie alle Psychoanalytiker, sieht auch Frank vor allem in Bushs Kindheit die Wurzel allen Übels: neben der traumatischen Erfahrung des Todes seiner dreijährigen Schwester ist es "eine dramatische psychischen Abspaltung [von der Realität], die noch immer einen vorherrschenden Einfluss auf seine Weltsicht als Erwachsener hat".
Frank argumentiert, dass die Fähigkeit Bushs, mit seinen Ängsten umzugehen, zwangsläufig gehemmt und seine Psyche mit nervösen Ängsten belastet habe. Außerdem habe sie ihn so konditioniert, dass er die Welt in jenen Schwarz-Weiß-Kategorien sehe, die seine Regierung "so offensichtlich prägen".
Indem der Washingtoner Psychoanalytiker seinen Untersuchungsansatz erklärt, verdeutlicht er auch die durchgehende Schwäche seiner Studie: so sagt er, er habe Bushs "falsches Allmachtsgefühl" analysiert. Wissenschaftlich sauber wäre hingegen, wenn Frank sagte, er habe Bushs Kindheit untersucht und aufgrund bestimmter Erfahrungen sowie dessen tiefer "fundamentalistischer" Religiösität ein Allmachtsgefühl festgestellt. Doch seine Analyseart zieht sich durch das gesamte Buch.
Unterstellungen
Frank unterstellt dem Präsidenten "Wohlbefinden, außerhalb des Gesetzes zu leben, in seiner Präsidentschaft die internationale Gesetzgebung so frei zu interpretieren, wie er einst die Gesetze zum Fahren unter Alkoholeinfluss und die Dienstanforderungen des Militärs interpretierte". Bush verfüge über "rigide und vereinfachende Denkstrukturen, Paranoia und Größenwahn", die "ihn dazu getrieben haben, Gegner zu erfinden, damit er sie zerstören kann".
Bush sei ein notorischer Lügner, grausam und neige zu Sadismus. Der geneigte Leser, der zu den 74 Prozent Deutschen zählt, die Bush ohnehin nicht mögen, wird sich an Franks Buch Seite für Seite fraglos laben. Wer aber bereit ist, herkömmliche Politik- und Geschichtskenntnisse gelten zu lassen, und salopp ausgedrückt, den Spieß umzudrehen, wird feststellen: Tauscht man den Namen Bush in der Studie Franks einfach gegen andere Politiker aus jüngster Vergangenheit und Gegenwart aus - angefangen bei der "Eisernen Lady" Margaret Thatcher, dem "Lügner" Bill Clinton, über Gerhard Schröder, dessen Bruder Lothar Vosseler sogar öffentlich kein gutes Haar an dem Kanzler lässt, bis hin zum einst steinewerfenden und wehrlose Polizisten tretenden Joschka Fischer - passt die Studie Wort für Wort häufig auch auf diese Staatslenker - bei der verkorksten Kindheit der angeführten Personen angefangen.
Insofern ist diese Studie wohl eher eine für Führungspolitiker allgemein "zutreffende" Analyse - es kommt eben nur auf den jeweiligen Standpunkt an. Sie ist auf keinen Fall ernst zu nehmen. Das Motiv des Autors für das Verfassen seiner Buches ist klar:
Es wurde vor der Präsidentenwahl im November 2004 veröffentlicht und sollte amerikanische Wähler gegen Bush beeinflussen. Bekanntlich hat Professor Frank sein originäres Ziel nicht erreicht - das Buch war in den USA kein Bestseller -, aber mittels deutscher Leser könnte sich dies ändern. "Bush auf der Couch" hat die Chance, von 74 Prozent der Deutschen begeistert gelesen zu werden. Da bedarf es keiner weiteren Empfehlung.
Justin A. Frank
Bush auf der Couch.
Psychosozial-Verlag, Gießen 2004; 269 S., 24,90 Euro