Es ist nicht bekannt, wie häufig Ärzte bei ihren Patienten feststellen müssen, dass diese - sofern sie sich motorisiert auf den Straßen bewegen - eine absolute Gefahr für sich und die übrigen Verkehrsteilnehmer darstellen, egal, ob aus physischen oder psychischen Gründen. Ärzte werden nicht selten in Gewissenskonflikte geraten, wenn sie spüren, dass wohl gemeinte Ratschläge nicht fruchten. Die Frage, mit der sich auch vor kurzem der 43. Deutsche Verkehrsgerichtstag in Goslar beschäftigte, ist dann: Sollen sie ihre ärztliche Schweigepflicht brechen und die Verkehrsbehörden über ihre Erkenntnisse und die potenziellen Gefahren informieren?
Der Verkehrsgerichtstag kam zu der Empfehlung, die ärztliche Schweigepflicht im Interesse des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient unverändert zu lassen, und dieser Überzeugung ist auch Hans Georg Faust, der Arzt und CDU-Bundestagsabgeordneter ist. Nur das in Deutschland fest verankerte Vertrauen in die Verschwiegenheit ermögliche die völlige Öffnung des Patienten dem Arzt gegenüber und sei für die Behandlung unerlässlich. Aus diesem Schutz der Schweigepflicht ergebe sich aber für Ärzte die Verpflichtung, ihre Patienten ausführlich über mögliche Fahreignungsmängel und die daraus herrührenden Gefahren im Hinblick auf die Teilnahme am Straßenverkehr aufzuklären, zu sensibilisieren und - falls notwendig - aufzufordern, freiwillig auf die Teilnahme am Straßenverkehr zu verzichten. Allerdings gebe es, so Hans Georg Faust weiter, bereits heute eine "ultima ratio": "Sollte jedoch einmal ein fahruntauglicher Patient derart uneinsichtig sein, dass seine weitere Teilnahme am Straßenverkehr das Leben von anderen gefährdet, so kann jeder Arzt, nach Maßgabe der bestehenden Regelung des rechtfertigenden Notstandes entscheiden, ob angesichts schwerer Fahreignungsmängel eine Durchbrechung seiner Schweigepflicht im Interesse der Verkehrssicherheit gerechtfertigt ist. Allerdings darf die Durchbrechung der Schweigepflicht nur die allerletzte Möglichkeit sein, um den Patienten selbst und auch andere vor Gefahren und Gesundheitsschäden zu bewahren."
Die besondere Aufklärungspflicht von Ärzten unterstreicht Birgitt Bender. Zu den Aufgaben jeden Arztes und jeder Ärztin gehöre es, so sagt die Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, Patienten über ihre Krankheiten aufzuklären. Gerade bei chronischen Krankheiten sei es für die Patienten wichtig, informiert zu sein, um auch aktiv an der Therapie teilzuhaben. Zu dieser Aufklärung gehöre aber auch die Information über die spezifischen Risiken, die eine Erkrankung mit sich bringe. Für den Straßenverkehr treffe dies in besonderem Maße zu: Hier ist nicht nur die Gesundheit des Patienten gefährdet, das Führen eines Fahrzeugs heißt auch, Verantwortung für andere Verkehrsteilnehmer zu übernehmen. Diese Verantwortung können die Betroffenen allerdings nur wahrnehmen, wenn sie über die Einschränkungen ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit wissen." Durch eine Aufklärung mit Dokumentationspflicht erhielten sie die Sicherheit, umfassend informiert zu sein. Strikt wendet sich Birgitt Bender jedoch gegen eine Verpflichtung der Ärzte, ihre Patienten den Behörden zu melden. Das Verhältnis zwischen Arzt und Patient sei in einem solchen Maß schützenswert, dass das Interesse an Ahndung von Fehlverhalten zurückstehen müsse. Kaum ein Mensch werde sich offen und vertrauensvoll an seinen Arzt oder seine Ärztin wenden, wenn er befürchten müsse, dass vertrauliche Informationen weitergegeben würden. Außerdem, so die Grünen-Abgeordnete abschließend: "Es sind nicht nur mögliche körperliche Einschränkungen, die eine Gefahr für den Straßenverkehr darstellen. Die meisten Unfälle entstehen jedoch durch nicht angepasstes Fahrverhalten. Hiervon sind jedoch weder Kranke noch Gesunde gefeit. Eine Aufklärung über Fahreignungsmängel ist notwendig, eine Meldepflicht schadet mehr, als dass sie nutzt."
Gleich eine Vielzahl von Gründen, die gegen eine Meldepflicht sprechen, führt der FDP-Bundestagsabgeordnete Horst Friedrich an. Auch er verweist auf das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt, das durch eine solche Pflicht schwer geschädigt werde, meint aber weiter: "Nicht ohne Grund genießt das Verhältnis zwischen Arzt und Patienten auch in strafprozessualer Hinsicht einen besonderen Schutz. Der Arzt würde gegen sein Standesrecht verstoßen. Zu dem gleichen Ergebnis führen auch datenschutzrechtliche Erwägungen. Der Eingriff in die Grundrechte, insbesondere in das Recht der informationellen Selbstbestimmung des Patienten wäre schwerwiegend. Es ist zudem völlig verfehlt, Private für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit heranzuziehen und ihnen entsprechende Pflichten aufzuerlegen." Ohnehin ist es nach Auffassung des verkehrspolitischen Sprechers der FDP-Bundestagsfraktion zweifelhaft, ob durch die Einführung einer Meldepflicht überhaupt ein nennenswerter Beitrag zur Steigerung der Verkehrssicherheit geleistet würde. Patienten, die eine Meldung ihrer mangelnden Fahreignung fürchteten, würden möglicherweise erst gar nicht zum Arzt gehen. Der richtige Weg bestehe darin, dass Ärzte ihre Patienten für ein gesteigertes Verantwortungsbewusstsein bei der Teilnahme am Straßenverkehr sensibilisierten. Der Arzt müsse versuchen, den Patienten zu der Einsicht zu bringen, die notwendigen Konsequenzen aus seinem Fahreignungsmangel zu ziehen. Eine ärztliche Verpflichtung, Fahreignungsmängel von Patienten der zuständigen Behörde zu melden, sei daher entschieden abzulehnen.