Ein kulturinteressierter Bankier als Wirtschafts- und Kultursenator - das ist genau der Richtige, dachte sich Bremens CDU-Chef Bernd Neumann (MdB), als er im Sommer 2004 einen Nachfolger für den aus Gesundheitsgründen ausgeschiedenen Hartmut Perschau suchte. Peter Gloystein, so hieß der Auserwählte, war aus CDU-Sicht eine Traumbesetzung. Doch nach acht Monaten im Amt ist bereits alles vorbei: Der neue Senator und Regierungsvizechef ist zurückgetreten, nachdem er einen Obdachlosen mit Sekt überschüttet hatte. Nun muss die CDU schon wieder nach einem Neuen Ausschau halten.
Zum 600-jährigen Rathaus-Jubiläum wollte sich Bremen werbewirksam mit einer Weinwoche auf dem Marktplatz in Szene setzen. Doch was die Eröffnungsgäste live und später auch die Leser der Bremer Bild-Ausgabe per Titelseiten-Foto zu sehen bekamen, war alles andere als imagefördernd: Gloystein (59) goss einem unter dem Rednerpodium stehenden Obdachlosen, der ihn bei seiner Ansprache gestört hatte, zufrieden lächelnd Sekt aus einer Magnumflasche über den Kopf (Hier hast Du auch was zu trinken). Der 44-Jährige fühlte sich in seiner Ehre verletzt, brach in Tränen aus und zeigte den Senator bei gerade anwesenden Polizisten wegen Körperverletzung und Beleidigung an.
Der Christdemokrat entschuldigte sich prompt und bot dem Obdachlosen eine Entschädigung an. Auch CDU-Chef Neumann und Bürgermeister Henning Scherf (SPD) hofften zunächst, der Fall wäre damit erledigt. Doch immer mehr Journalisten interessierten sich für die Sekt-Attacke; SPD-Fraktionschef Jens Böhrnsen legte dem Koalitionsfreund Gloystein den Rücktritt nahe (Was für ein Menschenbild steht hinter einer solchen Haltung!); und auch in der CDU-Fraktion fand der Neuling keine Fürsprecher.
Nach einem Tag gab Gloystein schließlich auf. Er bedauere den Zwischenfall aufrichtig, schrieb er in seinem Rücktrittsbrief und beteuerte, er habe den Obdachlosen keineswegs beleidigen oder diskriminieren wollen. Es habe sich um eine Affektreaktion in einer besonderen Situation gehandelt.
In Interviews äußerte sich Gloystein etwas genauer: Er habe dem 44-Jährigen, der zu der Flasche strebte, vom Podium herab Sekt in den Mund gießen wollen. Der sei aber nicht darauf eingegangen, und dann habe er einfach weitergegossen. Das war natürlich sehr blöd und peinlich, räumte der CDU-Mann ein, und später fügte er hinzu: Es sollte ein integrativer Akt sein, der aber völlig missglückt ist.
Bürgermeister Scherf zollte ihm später Respekt für den Rücktritt: Hier habe einer ganz persönlich krass einen Fehler gemacht und die Konsequenzen daraus gezogen. Besonders schlimm findet der Regierungschef die Folgen für das Image der Politiker: Das Foto von dem Übergriff werde sich tief in die Köpfe reinbrennen. Denn es bediene ein dramatisch gefährliches großes Vorurteil: So ist die Politik.
Um den Bestand der großen Koalition macht sich Scherf keine Sorgen. Dagegen sieht SPD-Landeschef Carsten Sieling die Union zunehmend als Belastung, nachdem erst kürzlich Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) einen tödlichen Brechmitteleinsatz gegen einen mutmaßlichen Dealer mit zu verantworten hatte. SPD-Fraktionschef Böhrnsen äußert sogar Zweifel an der Regierungsfähigkeit der Union.
Die CDU steht nun vor der schwierigen Aufgabe, einen Gloystein-Nachfolger zu finden. Wer will schon freiwillig für nur zwei Jahre bis zur nächsten Bürgerschaftswahl Wirtschaftssenator in einem extrem verschuldeten Bundesland werden? Die ersten Wunschkandidaten, darunter Handelskammer-Chef Patrick Wendisch, haben bereits abgesagt.
Ohne Penionsberechtigung
Gloystein hätte jetzt eigentlich Anspruch auf über 60.000 Euro Übergangsgeld, doch darauf verzichtet er freiwillig. Eine Senatspension bekommt er ohnehin nicht, nach nur acht Monaten Amtszeit. Zum Sozialfall wird er dennoch nicht - immerhin war er vor seinem Politik-Gastspiel Vorstandsmitglied der Commerzbank und zuletzt Chef der Frankfurter BHF-Bank.
Allzu viele Tränen wird die Koalition ihm nicht nachweinen. Als wenig redegewandter Manager gewöhnte er sich nur schwer an den Politikbetrieb. Erst kurz vor dem Rücktritt eckte er damit an, dass er ohne koalitionsinterne Abstimmung Maximalforderungen zur Privatisierung von Staatsbetrieben vertrat.
Gloystein ist bereits der zweite Bankier, der von Parteichef Neumann in die Politik geholt wurde und Neumanns Erwartungen enttäuschte. Der erste war Ex-Sparkassendirektor Ulrich Nölle. Als CDU-Spitzenkandidat erreichte er 1995 zwar den Aufstieg der ewigen Oppositionspartei in die Regierungsmitverantwortung, aber auch er konnte sich nicht an den üblichen Politikstil gewöhnen. Zudem scheiterte er mit einem Aufstand gegen Bernd Neumann, den er als Parteichef ablösen wollte. Nach nur zwei Amtsjahren trat Nölle 1997 als Finanzsenator zurück.