Die "Ohne-mich-Bewegung" zu Beginn und die "Paulskirchen-Bewegung" in der Mitte der 1950er-Jahre waren keinesfalls Splittergruppen. In ihnen vereinte sich ein breites Protestpotential quer durch alle Parteien und Bevölkerungsschichten mit dem Ziel, eine Wiederbewaffnung der Bundesrepublik zu verhindern. Noch war die Erinnerung an die unrühmliche Rolle, die die Wehrmacht während des Nationalsozialismus gespielt hatte, überaus präsent. Es war der gesellschaftlichen Konflikt jener Zeit, und Konrad Adenauer, Verfechter einer auch militärischen Einbeziehung der Bundesrepublik in das westliche Bündnissystem, versank seinetwegen fast zwei Jahre im Umfragetief. Vor allem die USA drängten vor dem Hintergrund neuer militärischer Ost-West-Konflikte wie dem Korea-Krieg aber auf einen westdeutschen Wehrbeitrag. Eine Bewaffnung, das wurde deutlich, war nur auf der Basis einer umfassenden Militärreform möglich. Nur ein solch totaler Neubeginn konnte erfolgreich sein. Seinen Ausdruck fand er im Konzept der "Inneren Führung". Mit diesem Prinzip sollte verhindert werden, dass noch einmal eine deutsche Armee zu einem "Staat im Staate" jenseits parlamentarischer Kontrolle werden kann. Die neue Bundeswehr verstand sich fortan als integraler Bestandteil der demokratischen Gesellschaft, deren Werte vor dem Kasernentor nicht Halt machen. Sie sollten vielmehr auch dahinter den Alltag der Soldaten, als "Staatsbürger in Uniform", bestimmen. Um über die Durchsetzung dieser Prinzipien zu wachen, schuf sich das Parlament eine bis dahin in Deutschland unbekannte Kontrollinstanz: Nach geheimer Wahl durch die erforderliche absolute Mehrheit trat 1959 der erste Wehrbeauftragte des Bundestages sein Amt an.
Zunächst betrachtete man den Wehrbeauftragten in Bundeswehrkreisen misstrauisch als "Aufpasser" oder "Vormund". Und natürlich ist es seither seine Aufgabe, "aufzupassen" und auf die Einhaltung der Grundrechte der Soldaten und des Prinzips der Inneren Führung zu achten: In Artikel 45b GG heißt es: "Zum Schutz der Grundrechte und als Hilfsorgan des Bundestages bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle wird ein Wehrbeauftragter des Bundestages berufen." Seine Aufgaben beschränken sich jedoch nicht darauf, im Auftrag des Parlaments die Streitkräfte zu kontrollieren. Das Wehrbeauftragtengesetz weist ihm darüber hinaus die Rolle einer besonderen Petitionsinstanz zu. Alle Soldaten, unabhängig vom Dienstgrad, haben demnach das Recht, sich einzeln und ohne Einhaltung des Dienstweges unmittelbar an den Wehrbeauftragten zu wenden. Sie können in ihren Eingaben grundsätzlich alles vortragen, was sie nach subjektiver Beurteilung als ungerecht empfinden, angefangen vom Führungsstil des Vorgesetzten bis hin zu Besoldungs- oder Bekleidungsfragen. Sanktionen müssen sie deswegen nicht befürchten, denn sie genießen den Schutz des Petitionsrechts. Auch in diesem Petitionsrecht drückt sich ein Prinzip der Inneren Führung aus, denn es versteht die Soldaten nicht als bloße Befehlsempfänger, sondern als mitverantwortliche Träger von Rechten und Pflichten.
Die Zuordnung des Amtes zum Parlament ermöglicht dem Wehrbeauftragten eine unabhängige Position gegenüber der Bundeswehr. Doch damit nicht genug. Er soll in einem viel umfassenderen Sinn unabhängig in seiner Arbeit sein, weshalb er nicht gleichzeitig ein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben sowie kein politisches Mandat innehaben darf. Die Amtszeit wurde bewusst auf fünf Jahre festgelegt, um ihn auch von parteipolitischen Entwicklungen unbeeinflusst zu lassen. Eine solche Unabhängigkeit bedeutet jedoch nicht, dass der Wehrbeauftragte sich eindeutigen Positionen verweigert. Willfried Penner, von 2000 bis 2005 Wehrbeauftragter, definierte sein Amtsverständnis so: "Es ist seine Aufgabe, Hinweise zu geben, wo es um Probleme der Inneren Führung oder um Rechtsverletzungen geht. Aber politisch zu kommentieren, das ist nicht seine Aufgabe." Ein Wehrbeauftragter solle sich davor hüten, sich von parlamentarischen Mehrheits- oder Minderheitenmeinungen instrumentalisieren zu lassen, sagte Penner weiter. Und doch ist der Wehrbeauftragte mehr als ein Hinweisgeber, ist der jährliche Wehrbericht mehr als eine Mängelliste über den inneren Zustand der Bundeswehr. Jenseits parteipolitischer Bekenntnisse, aber dennoch deutlich äußert sich zum Beispiel der Wehrbericht 2004 zu einer gesellschaftlichen Debatte über das Für und Wider der Folter. Sie hatte sich entwickelt, nachdem Bilder von folternden amerikanischen Soldaten aus dem Irak bekannt geworden waren. In diesem Zusammenhang erklärte auch ein Professor der Universität der Bundeswehr in München, Folter und die Androhung von Folter seien legitime Mittel im Kampf gegen Terroristen. Im Wehrbericht heißt es dazu: "Der demokratische Rechtsstaat darf sich unter keinen Umständen der Mittel von Verbrechern bedienen. Das gilt auch für die Bundeswehr."
Die Bundeswehr ist Teil dieses Rechtsstaates, und die Existenz eines Wehrbeauftragten sowie sein jährlicher Bericht sind ein Ausdruck dessen. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse sagte anlässlich des 40-jährigen Bestehens des Amtes 1999: "Wenn Umfragen zeigen, dass über 75 Prozent der Bevölkerung die Bundeswehr als ?positiv' einschätzen, dann liegt das nicht zuletzt auch an der überzeugenden Arbeit der Wehrbeauftragten, die die Anliegen der Soldaten nach innen und außen immer konstruktiv aufgenommen und vertreten haben." Mitunter mussten sie sie auch vor Angriffen in Schutz nehmen. Mitte der 1990er-Jahre verteidigte die Wehrbeauftragte Claire Marienfeld-Czesla, die erste Frau in diesem Amt, die Bundeswehr vor dem Vorwurf, in besonderer Weise rechtsradikal unterwandert zu sein: "Gewaltbereitschaft, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus haben in der Gesellschaft allgemein zugenommen. Es wundert mich deshalb nicht, dass sie auch im Verhalten einzelner Soldaten der Bundeswehr stärker als je zuvor zutage getreten sind." Auch Willfried Penner verteidigte im Dezember 2004, im Zusammenhang mit Missshandlungsfällen in einer Kaserne in Coesfeld, die Armee. Dort hatten Ausbilder mit Grundwehrdienstleistenden Geiselnahmen und Gefangennahmen nachgestellt, bei denen massiv Gewalt ausgeübt worden war. "Die Bundeswehr ist keine Armee der Schleifer und Drangsalierer", sagte Penner vor dem Bundestag, ohne seine Kritik an den Vorfällen zu verschweigen. Gefangennahme und Geiselnahme seien als Ausbildungsteil ausdrücklich untersagt, und "wer dagegen verstößt, macht sich eines Vergehens schuldig".
Neben den grundsätzlichen Problemen der Inneren Führung oder der Missachtung von Grundrechten bearbeiten die Wehrbeauftragten in der Hauptsache Eingaben über ganz alltägliche Bedürfnisse der Soldaten. Da macht auch der Wehrbericht 2004 keine Ausnahme. Von den insgesamt 6.154 Eingaben bezieht sich der größte Teil (über 4.000) auf den Bereich Menschenführung, Wehrrecht und soldatische Ordnung sowie auf Personalangelegenheiten. Aber hat der Wehrbeauftragte eine solche Fürsorgepflicht überhaupt zu erfüllen? In einem Vortrag vor der Militärakademie in Sofia im März 2005 begründete Willfried Penner, warum das seiner Meinung nach so ist: "Der Wehrbeauftragte ist dafür zuständig, weil Fürsorge ein wichtiges Führungsmittel, ein Element der Inneren Führung ist."
Umfangreiche Rechte
Für die Bearbeitung der Eingaben stehen dem Wehrbeauftragten umfangreiche Informationsrechte zur Verfügung. So hat er gegenüber dem Bundesverteidigungsminister und allen ihm unterstellten Dienststellen das Recht auf Auskunft und Akteneinsicht. Er kann also jederzeit Stellungnahmen zu den Beschwerden verlangen und sich einschlägige Unterlagen vorlegen lassen. Darüber hinaus kann er Zeugen und Sachverständige anhören, sowie jederzeit und unangemeldet alle Truppen, Stäbe, Einrichtungen und Verwaltungsstellen der Bundeswehr besuchen. Ein solches Truppenbesuchsrecht steht nur dem Wehrbeauftragten persönlich zu. Nach Abschluss der Überprüfung kann der er die zuständigen Stellen, bei denen Mängel festgestellt wurden, bitten, Regelungen zu treffen, um die Mängel künftig zu beseitigen. Das nennt sich "Anregungsbefugnis". Solche Anregungen sind keine verbindlichen Weisungen oder Befehle, weshalb dem Amt mitunter zu geringe Einflussmöglichkeiten unterstellt werden. Schon allein die Existenz eines unabhängigen Parlamentsbeauftragten wirke sich präventiv auf das Führungsverhalten vieler Vorgesetzter aus, so die Gegenposition. Die Möglichkeit des Wehrbeauftragten, Einfluss zu nehmen, zeigt sich also weniger in einer rechtlich verbindlichen Autorität als in dem moralischen Gewicht des Amtes. Dennoch beklagte Willfried Penner Ende vergangenen Jahres: "Die von mir festgestellten Mängel werden von der politischen Führung der Bundeswehr weitestgehend bestätigt. Abhilfe wird jedoch nicht überall oder nur in Ansätzen geleistet. Bei dieser Reaktion darf es nicht bleiben." Den nächsten Wehrbericht wird Reinhold Robbe, seit dem 12. Mai 2005 im Amt, präsentieren. Er ist der erste Wehrdienstverweigerer auf diesem Posten. Auf sein Resümee darf man gespannt sein.
Claudia Heine arbeitet als freie Journalistin in Berlin.