"To make the world safe for democracy", hatte Woodrow Wilson am Ende des Ersten Weltkriegs verkündet und war gescheitert, da die USA sich damals sogar aus Europa zurückzogen. Die Alte Welt ist zwar nicht unbedingt mehr gefragt, wenn die USA sich heute mit Jeffersonschem Idealismus oder Wilsonschem Messianismus aufschwingen, die Welt sicher zu machen für die Demokratie. Inzwischen aber taucht vereinzelt bereits die Frage auf, ob George W. Bush nicht etwa doch recht habe.
So bezeichnete der ägyptische Soziologe Saad Eddin Ibrahim die Bush-Regierung als Hebamme des arabischen Reformprozesses - die Elternschaft aber, schränkte er ein, könne sie gewiss nicht für sich reklamieren. Die Ursachen für die Entwi-cklungen etwa im Libanon oder in Ägypten lägen nicht in der starken Präsenz amerikanischer Truppen inmitten der autokratischen Systeme des Vorderen Orients. Die US-Präsenz sei zwar ein - wenig willkommener - Anlass für die arabischen Regime, ihre Herrschaftsstrukturen zu überdenken; alleiniger Auslöser für das Umdenken sei sie aber nicht. Eingebettet in eine übergreifende "Vorwärts-Strategie für Freiheit", so George W. Bush in seiner Rede zur Lage der Nation Anfang 2004, wird seit dem 11. September 2001 eine militärische Drohkulisse aufgebaut, die die Reformambitionen stützen soll.
In diesem Rahmen legte die Regierung mit der Middle East Partnership Initiative (MEPI) und anschließend der Broader Middle East and North Africa Initiative (BMENA) ein neues Programm für die gesellschaftspolitische Arbeit in der Region vor. Partner sind neben den Regierungen nun verstärkt auch Vertreter der Zivilgesellschaften, einschließlich moderater Islamis-ten. Anfang dieses Jahres sagte Condoleezza Rice einen Besuch in Ägypten ab, angeblich, um das Missfallen der Amerikaner über die Verhaftung des Oppositionspolitikers Ayman Nour zu bekunden.
In Marokko intervenierte der amerikanische Botschafter Michael Riley in einem Prozess gegen die Islamistin Nadia Yassine. Der Prozess wurde daraufhin auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Amerikaner verknüpfen ihre strategischen Interessen in der Region mit idealistischen Transformationsvorstellungen.
Außenpolitisch wurden die Weichen für Bush bereits vor seinem Amtsantritt 2001 gestellt. Die Konzepte seines Beraterstabs stammen zum Teil aus Strategiepapieren des Project for a New American Century (PNAC). Diese seit 1997 bestehende Denkfabrik neo-konservativer Prägung tritt für einen offensiven, wertegesteuerten amerikanischen Internationalismus ein, der die Reformierung autokratischer Regime weltweit beinhaltet. PNAC-Vertreter thematisierten früh die Gefahren von Massenvernichtungswaffen und erklärten die Auseinandersetzung mit dem islamistischen Terror zum Krieg. "America at War" lautet schon der Titel eines Memorandums nach dem Anschlag auf den Zerstörer USS Cole Ende Oktober 2000, wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl.
Nach dem 11. September 2001 setzten sich diese Ideen schnell durch. Zunächst ohne konzeptionelle Grundlage und ohne Nachkriegsplanung, begann im Oktober 2001 die Bombardierung Afghanistans. Die bis heute chaotischen Zustände im Land belegen das Fehlen einer schlüssigen Strategie. Die daraufhin erstellte Nationale Sicherheitsstrategie polarisierte die Welt, speziell die europäischen und arabischen Öffentlichkeiten. Um dem entgegenzuwirken, stellte Colin Powell im Dezember 2002 die Middle East Partnership Initiative (MEPI) vor, die die militärischen Interventionen der USA um zivile Aspekte ergänzen soll. Die USA engagieren sich hier in den Bereichen Wirtschaft, Politik, Bildung und Frauenrechte. Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sollen gefördert werden. Zur Finanzierung einzelner Projekte werden Gelder des Programms an staatliche und nichtstaatliche Organisationen in arabischen Ländern verteilt. Im Vergleich zu den Kosten des Irak-Kriegs ist das Budget der zivilen MEPI allerdings marginal. Im Haushaltsjahr 2005 sind 74,4 Millionen Dollar ausgewiesen, was insofern verwundert, als MEPI vom State Department als "primäres diplomatisches und entwicklungspolitisches Werkzeug" zur Unterstützung der Vorwärtsstrategie bezeichnet wird. Zudem zögern arabische Nichtregierungsorganisationen heute aus Imagegründen, Geld aus diesem Topf anzunehmen. Seit Anfang 2004 sucht die Bush-Regierung internationale Unterstützung für ihre Reformbestrebungen. Die im Juni 2004 von den G8-Staaten verabschiedete Broader Middle East and North Africa Initiative feierte ein neues gemeinsames Ziel: Demokratisierung der Region zwischen Marokko und Pakistan. Ihre Entstehung geriet jedoch zu einem Publicity-GAU.
Die Tageszeitung al-Hayat lancierte im Februar 2004 einen Entwurf. Arabische Politiker erfuhren aus der Zeitung von Vorschlägen, die angeblich mit ihnen abgestimmt worden waren. In der Region wurde vor allem die als legitim dargestellte externe Einmischung kritisiert. Die Europäer beklagten die Aussparung des Nahost-Konflikts. Auch wurde nicht klar, was die Region von Marokko bis Pakistan eint, um sie in einer Initiative zusammenzufassen - außer dem Islam.
Die schließlich auf dem G8-Gipfel 2004 verabschiedete Fassung legte mehr Wert auf Kooperation und eine Regelung des Nahost-Konfliktes. Hatte der Entwurf die Entwicklungsdefizite in der Region noch als "Gefahren für die nationalen Interessen der G8-Mitglieder" beschrieben, betont BMENA nun wesentlich stärker den partnerschaftlichen Charakter der Initiative. Statt erzwungener Entwicklung als Antwort auf westliche Sicherheitsbedürfnisse, werden nun Angebote gemacht, aus denen "Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in freier Entscheidung Unterstützung beziehen können", um im eigenen Interesse zu reformieren. Unumstritten sind Projekte wie Existenzgründerfonds, Kooperationen zukünftiger Wirtschaftseliten oder eine verbesserte Berufsausbildung. Schwierig gestalten sich Maßnahmen wie zur Erwachsenenbildung breiterer Schichten, Unterstützung von Wahlen oder Verpflichtung auf politische Liberalisierung.
In den Golfmonarchien sind erste Fortschritte zu beobachten: Wirtschaftlicher und demografischer Wandel führen dort bereits zu erweiterter Partizipation. Wie nicht zuletzt die Arab Human Development Reports der UN feststellen, ist die Integration von Frauen entscheidend für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung. Der stetig sinkende Altersschnitt arabischer Gesellschaften und die versiegenden Öl- und Geldquellen machen es für die Autokraten darüber hinaus notwendig, sich neu zu legitimieren. Falls es soweit käme, dass die ehemals großzügigen Ölstaaten Steuern erheben müssten, griffe das Prinzip der englischen Parlamentsgeschichte noch stärker: "No taxation without representation" - Besteuerung nur bei parlamentarischer Vertretung. Den USA bleibt nur eine begleitende, in engem Rahmen unterstützende Rolle. Auf ihrer Seite ist die Einsicht notwendig, der Region nicht nur Freiheit von etwas zu bringen, sondern auch die Freiheit zu etwas. Dazu gehört, dass freie Wahlen auch zugelassen werden müssen, sollte eine Gewinnchance für Vertreter des politischen Islams bestehen. Auch islamistische Regierungen sollten vor die Herausforderung gestellt werden, politische und wirtschaftliche Entwicklungen anzustoßen, die die Bevölkerung zufrieden stellen. Dass sie sich selbst entzaubern, kann man im Iran, in Jordanien oder der Türkei beobachten. Der wachsende soziale Druck durch die jungen arabischen Bevölkerungen könnte dafür sorgen, dass gewählte Regierungen ihre Macht nicht weiter missbrauchen, um die Reformen rück-gängig zu machen.
Der präventive Ausschluss bestimmter Akteure aus den eigenen Ordnungsvorstellungen unterminiert die behauptete Universalität der von den USA propagierten Werte und ihre Glaubwürdigkeit. So prangert der ehemalige libanesische Kulturminister Ghassan Salamé, Autor des Buches "Democracy without Democrats?", die "fehlende moralische Autorität" Amerikas an. Durch die Nicht-Anwendung der Genfer Konvention in Guantánamo oder das Hinwegsetzen über UN-Sicherheitsratsbeschlüsse hätten die USA jede Glaubwürdigkeit als "Verkäufer" demokratischer Reformen und Menschenrechte verspielt. Wo die strategische Notwendigkeit dies gebietet, wird zudem weiterhin über das autokratische Gebahren der Herrschenden hinweg gesehen, so im Fall von Pakistans General Musharraf. Ein zweigleisiges - interessen- und prinzipiengeleitetes - Vorgehen bringt die arabischen Reformer ebenso in Bedrängnis, wie es den Westen entzweit und die Erfolgsaussichten von MEPI oder BMENA schmälert. Erstere sehen sich in der Region dem Vorwurf ausgesetzt, Kooperation mit den USA sei gleichbedeutend mit der Zustimmung zu ihren Interventionen. Die Europäer haben mit ihrem zur Nachbarschaftspolitik erweiterten Barcelona-Prozess klargemacht, dass sie auf die langfristige Wirkung kultureller und ökonomischer Kooperation setzen, ohne eine Destabilisierung der Regime (offen) zu riskieren.
Mit dem Amtsantritt von Condoleezza Rice gibt es nun auch selbstkritischere Töne zu hören. Vor der American University in Kairo sagte sie am 20. Juni: "60 Jahre lang hat mein Land, die Vereinigten Staaten, Stabilität auf Kosten der Demokraötie in dieser Region hier im Nahen Osten angestrebt - und beides nicht erreicht. Nun verfolgen wir einen anderen Kurs." Inwieweit ihre Ankündigung einer neuen Nahost-Friedenskonferenz nach der israelischen Räumung des Gaza-Streifens in diesem Sommer die tote Roadmap wiederbelebt, bleibt abzuwarten. Selbst wenn mehr Geld in MEPI und BMENA flösse, müsste das unübersehbare, in der gesamten islamischen Welt überwiegende fundamentale Vertrauensdefizit gegenüber den USA beseitigt werden. Jenseits aller Erklärungen und Initiativen bleibt den USA und der EU gleichermaßen - mit den Worten von Außenminister Fischer - nur die "Option Erfolg". Scheitert die versuchte Neuordnung im Irak, werden die USA ihr Verhältnis von Interessen und Prinzipien überdenken müssen.
Nicolas Schöneich ist Politikwissenschaftler in Berlin.