Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 32 - 33 / 08.08.2005
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Carsten Wieland

Sind Assads Tage gezählt?

Syrien unter Reformdruck

Syrien bleibt vielen ein Rätsel. Trotz langsamer Öffnung gehört das Regime in Damaskus weiterhin zu den undurchschaubarsten der arabischen Welt. Syrien ist das einzige Land, das auf der US-Terror-Liste steht und trotzdem diplomatische Beziehungen mit Washington pflegt. Lange vor dem 11. September 2001 hat Damaskus radikale Islamisten bekämpft und gab auch danach den USA wichtige Hinweise im Kampf gegen den Terrorismus. Dennoch wird Syrien heute vor allem von den USA und Israel in einem Atemzug mit Terrorismus genannt, unter anderem, weil es palästinensischen Organisationen Aufenthaltsrecht gewährt.

Das Land hat relativ wenige Rohstoffe, wenige Freunde und Geldgeber in der westlichen Welt. Dennoch ist die Kluft zwischen Arm und Reich im Vergleich zu anderen arabischen Staaten gering geblieben. Obwohl es kaum politischen Freiraum gibt, genießen die Syrer unter dem formal säkularen Baath-Regime einen gesellschaftlichen Liberalismus, größer als in den Nachbarländern. Das kommt vor allem Frauen zugute, die in mittleren Führungspositionen gut vertreten sind und mehr als die Hälfte der Studentenschaft stellen. Wenn es statt um Öl um westliche Werte ginge, bemerken Syrer, müssten sich die USA nicht mit dem totalitären saudischen Regime aus der "islamischen Steinzeit" verbünden, sondern mit dem säkularen Syrien.

Syrien befindet sich weiter im Kriegszustand mit Israel. Dennoch leben die verbliebenen Juden im friedlichen Nebeneinander mit den anderen Religionen. Syrien ist nach dem Irak-Krieg sogar zum Refugium zehntausender Christen aus dem Nachbarland geworden. Toleranz, Ruhe und Ordnung in Syrien, das bis 2000 von der eisernen Hand Hafez al-Assads regiert wurde, stehen im Kontrast zum blutigen Chaos an Euphrat und Tigris.

Noch in den 50er- und 60er-Jahren war das Land zerrüttet von unzähligen Putschen, ein Spielball europäischer Mächte. 1982 herrschte de facto Bürgerkrieg zwischen radikalen Muslimbrüdern und dem Assad-Regime. Seit der blutigen Niederschlagung des Aufstandes der Muslimbrüder in Hama waren die Baathis-ten ein Garant für Stabilität. Doch diese hat einen hohen Preis: Willkürliche Verhaftungen und brutale Menschenrechtsverletzungen gehören bis heute zum Alltag in Syrien.

Die sprichwörtliche Ruhe, ob positiv oder als Starre empfunden, ist jedoch dabei aufzubrechen. Bei den Syrern wächst die Ungeduld gegen die wirtschaftliche und politische Verkrustung. Ihnen gehen die Reformen des jungen Präsidenten Baschar al-Assad zu zäh voran. Zwar ist das Land einem rasanten sozialen Wandel ausgesetzt, und Assad hat daran großen Anteil. Vor fünf Jahren wurden die Syrer aus einem "Tal der Ahnungslosen" mit zwei staubigen staatlichen TV-Sendern ins Zeitalter des internationalen Satellitenfernsehens mit hunderten Kanälen katapultiert, ist das Internet für die Bevölkerung zugänglich geworden, haben Mobiltelefone das Leben verändert. Doch Zugang zu Kommunikation und Information haben sich noch nicht in mehr politischer Freiheit oder Mitbestimmung niedergeschlagen. Das ist ein Spannungsverhältnis, das in allen arabischen Staaten zu spüren ist und das die autoritären Regime nicht länger ungestraft ignorieren können.

Assad hat Hoffnungen geweckt, die er nicht ganz eingelöst hat. Der bedeutendste Rückschlag war die Niederschlagung des Damaszener Frühlings 2001. Hardliner befürchteten, das Aufleben der oppositionellen säkularen Zivilgesellschaftsbewegung könnte zu einer Revolution ausufern. Assad gab nach und ließ namhafte Oppositionelle verhaften. Daraufhin konzentrierte er sich auf die Reform der Wirtschaft und Verwaltung nach dem chinesischen Modell: wirtschaftliche Modernisierung mit möglichst wenig politischen Zugeständnissen. Die meisten Oppositionellen sind überzeugt, dass Assad ohne außenpolitischen Druck mehr Reformen wagen würde. Nun hat er sich für Sicherheit statt Experimente entschieden.

Auch der Baath-Kongress Mitte Juni hat Oppositionelle enttäuscht, die auf die Aufhebung des Ausnahmezustands und die Zulassung unabhängiger Parteien hofften. Dennoch war der Kongress ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Viele aus der alten Garde traten von der politischen Bühne ab, Assad konnte jüngere Kräfte auf wichtige Positionen hieven. Außerdem soll die Macht der Partei und des kraken-ähnlichen Sicherheitsapparats eingeschränkt werden. Reformprojekte wie das private Bankenwesen, neue Gesetze zur Ankurbelung von Investitionen haben bereits zu greifen begonnen. Die Ratifizierung eines Assoziierungsabkommens mit der EU ist nach zähen Verhandlungen auf den Weg gebracht.

Doch die Drohungen der Neokonservativen in Wa-shington hängen wie ein Damoklesschwert über Assad. Sie wollen einen Regime-Wechsel in Damaskus, nachdem der Irak als Feind Israels ausgeschaltet ist. Entschieden wie kein anderer arabischer Staatschef hatte sich Assad im März 2003 gegen den Irak-Krieg gestellt. Dabei zogen die panarabischen Baa-thisten die Bewunderung vieler Araber auf sich, die in ihren Hauptstädten wütend gegen den Krieg und oft auch gegen ihre arabischen Regierungen protestierten. Innenpolitisch konnte Assad mit seiner harten Haltung ebenfalls punkten. Zwar drängen die Syrer auf Reformen, doch wollen die meisten eine geordnete Veränderung aus eigener Kraft, nicht per US-Diktat. Wachsender Antiamerikanismus verbindet Regime und Opposition. Ironischerweise führt dies auch zu einer Interessengemeinschaft zwischen sunnitischen Islamisten und dem einst verhassten Regime, das von Alawiten dominiert wird.

Assad pokerte hoch. Wochen nach dem Irak-Krieg sah es so aus, als drohe ein Militärschlag gegen Syrien. Dieser blieb zwar aus, aber die politische Erosion und Brüche in der Führung gehören seitdem zur Strategie der USA. Oppositionelle sprechen von einer Pluralisierung von Machtzentren. Akteure in der Partei, in Geheimdiensten und im Militär trauen sich aus der De-ckung, verfolgen eigene Interessen und arbeiten manchmal gar gegeneinander.

Der unerfahrene und oft steif wirkende Assad, der in England studierte und eigentlich Augenarzt werden wollte, hatte keine Schonfrist, als er im Juli 2000 mit 34 Jahren als erster "Kronprinz" einer arabischen Republik das Amt des Vaters antrat. Nur knapp drei Monate später begann die Zweite Intifada. Die Friedensgespräche mit Israel, in denen der alte Assad um Haaresbreite die Rückgabe des besetzten Golans erreichte, gerieten ins Stocken. Ein Jahr später sandte der 11. September Schockwellen in den Nahen Osten. "Terrorismus" wurde zum Sammelbegriff mit wässrigen Konturen. Er diente Israel und bald auch den USA dazu, den palästinensischen Widerstand pauschal da-runter zu fassen. Für das Regime jedoch ist die propa-lästinensische Politik ein Pfeiler seiner Legitimität. Als US-Präsident Bush die Parole "mit uns oder gegen uns" ausgab, fand sich Syrien auf der "falschen" Seite wieder.

Der Irak-Krieg kam als Testfall für Assad. Viele fragten sich, wie wohl sein Vater gehandelt hätte, der sich im Golfkrieg 1991 überraschend an die Seite der Amerikaner gestellt hatte. Schließlich waren die meisten Syrer froh, dass Saddam gestürzt wurde. Der Bruderzwist zwischen den Baath-Parteien in Syrien und Irak ist nicht vergessen. Kritik an Baschar al-Assads Haltung im Irak-Krieg kommt auch von Teilen der Opposition. Michel Kilo, führender Kopf der Zivilgesellschaftsbewegung, ist überzeugt: "Hafez al-Assad hätte den Konflikt mit den Vereinigten Staaten vermieden. Das kann jetzt nur noch die letzte Schlacht bedeuten."

Diese Worte erlangten mit den Turbulenzen im Libanon ein neues Gewicht. Im Herbst vergangenen Jahres beging Assad einen entscheidenden Fehler. In einer persönlichen Auseinandersetzung überwarf er sich mit Libanons Premier Rafiq Hariri. Vor dem Hintergrund des internationalen Drucks wollte Assad in der Libanon-Frage nach innen wie nach außen Stärke beweisen.

Als Provokation empfand er die UN-Resolution 1559, die den Abzug syrischer Truppen aus dem Libanon forderte. Washington nutzte sie, um Syriens Handlungsspielraum weiter zu beschneiden. Assad verkannte den Ernst der Lage, reagierte trotzig, setzte das Parlament in Beirut unter Druck, die Verfassung zu ändern und dem prosyrischen Präsidenten Lahoud eine weitere Amtszeit zu ermöglichen. Hariri, ein sonst eher moderater Politiker, protestierte, trat nach dem Zusammenstoß mit Assad zurück und näherte sich der antisyrischen Opposition an. So zeigten nach seiner Ermordung am 14. Februar alle Finger nach Damaskus.

Ob Assad an der Entscheidung beteiligt war, ist noch nicht geklärt. Das Attentat erscheint zumindest nicht als sein "Stil", wenn man seinen Charakter und seine bisherigen Handlungen analysiert. Wie auch immer: Assad ist der Verlierer. Sollten Teile des syrischen Geheimdienstes auf eigene Faust gehandelt haben, ist das ein weiteres Indiz, dass ihm die Zügel aus der Hand gleiten. Hat er mit entschieden, Hariri zu ermorden, wäre sein Ruf ruiniert.

Mit dem erzwungenen Abzug aus dem Libanon musste Assad einen weiteren Gesichtsverlust hinnehmen. Doch das Desaster könnte ihm auch helfen, finanzielle und politische Erblasten abzuwerfen. Die Beziehungen zum Libanon werden auf wirtschaftlicher Ebene weiter rege bleiben. Assad hat auf der Suche nach neuen Partnern zudem die Türkei gewonnen. Die Verbindungen mit dem Nachkriegs-Irak haben sich ebenfalls positiv entwickelt. Syrien könnte somit als Handelsscharnier seine geografische Lage nutzen, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen und damit den Verlust an politischer Macht zu kompensieren.

Die EU sollte sich auf Assad und seine Reformmannschaft konzentrieren, ohne bedingungslose Hilfe anzubieten. Der Druck, Menschenrechte einzuhalten und Reformen durchzuziehen, muss aufrechterhalten bleiben. Statt eines Regimewechsels verfolgen die Europäer das deutsch-deutsche Konzept "Wandel durch Handel". Auch die Syrer hoffen auf einen weichen Wandel statt auf einen lauten Zusammenbruch. Ob Assad Teil der Lösung und einer neuen Ordnung sein kann, wird sich daran entscheiden, ob er nach innen seinen Reformwillen stärker zeigt und die außenpolitischen Klippen ohne weiteren Schaden zu umschiffen weiß.


Dr. Carsten Wieland, zurzeit Kairo/Damaskus, ist Politikwissenschaftler und Redakteur bei dpa.


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