Unter Israelis und Palästinensern breitet sich verstärkt die Erkenntnis aus: Das, was beide Seiten am meis-ten trennt, ist die Angst vor der Geschichte des anderen und die Weigerung, auch dessen Opfer und Leiden anzuerkennen. Andererseits mag die Frage naiv lauten: Warum hat die internationale Gemeinschaft nicht vor Jahrzehnten schon gewisse Dinge beobachtet? Die Schulbücher von Ramallah etwa, die Curricula von Haifa oder die Predigten von Gaza. Oder sich auch auf Beduinen-Bolzplätzen im Sinai umgesehen? Ja, wenn König Fußball regierte. Auf dem Fußballplatz von Maccabi Haifa jedenfalls arbeiten seit langem Ballkünstler zusammen: israelische (hier: jüdische Nicht-Araber) und palästinensische (muslimische, christliche oder andere Nicht-Juden). Der Club von Bnei Sachnin, einer arabischen Stadt mit 20.000 Seelen im Norden, schaffte 2004 sogar die Sensation und gewann den israelischen Pokal.
Erstmals durfte ein vorwiegend palästinensischer Club an einem europäischen Wettbewerb teilnehmen, was sogar bei den fußballverrückten Arabern Widerhall fand. Der ärmste Club der ersten israelischen Liga erhielt Förderangebote aus den Emiraten. Im Juli hat das Peres Peace Center in Tel Aviv in München ein gemischtes Fußballmatch gegen die Jugend des FC Bayern initiiert. Oder der "2. Jerusalem Friedensmarathon", an dem Wettläufer beider Völker teilnahmen, in diesem Jahr zu Ehren des - zu dem Zeitpunkt schwer kranken - Papstes Johannes Paul II. Wie der Botschafter des Heiligen Stuhles, Monsignore Pietro Sambi, sagte: eine "kleine, aber bedeutungsvolle Geste". Und welche! Start an der Geburtskirche zu Bethlehem, außerhalb der Stadt überreicht der Palästinenser George Michel die Fackel an den Israeli Faloro Eyal.
Internationale politische Friedensinitiativen gab es zuhauf. Sie blieben allesamt Makulatur. Nach Unterzeichnung des Osloer Abkommens im Herbst 1993 jedoch schien ein Friede erstmals keine Utopie mehr. Auch wenn die Euphorie rasch im Terror erstickt - die Roadmap offiziell allerdings auch nie begraben - wurde, so geschieht seitdem Wundersames, zumal seit der Jahrtausendwende. Auffällig viele, gar nicht so kleine Initiativen für Toleranz und interkulturelle Verständigung tauchen auf. Als hätten immer mehr Menschen den permanenten Spannungszustand satt, wie auch Umfragen bestätigen. Die im Grunde heldenhafte Arbeit, mitunter gegen den Willen der jeweiligen Regierungen, wird immer wieder durch einen einzigen Terror- oder Vergeltungsschlag in den Schatten gestellt. Auch ist damit über den Wirkungsgrad und die Reichweite der Initiativen wenig gesagt. Die Hoffnung der Initiatoren aber ist: Dass sie sich auf das arabische Umfeld auswachsen könnten zu einem Humus für ein friedliches Zusammenleben der wie siamesische Zwillinge aneinander gebundenen Völker.
International bekannt sind Aktivitäten mancher - keineswegs aller - Künstler wie Daniel Barenboim mit seinem gemischten Symphonieorchester. Neben wenigen Politikern wie dem Friedensnobelpreisträger Schimon Peres, der zurzeit von Oslo eine Vision der wirtschaftspolitischen Kooperation um das Tote Meer und das Jordantal entwarf, neben Einzelbranchen wie der israelisch-ägyptischen Zusammenarbeit im Textilbereich oder Friedensaktivisten wie dem aus Göttingen stammenden Uri Avneri mit ihren zivilcouragierten Einsätzen arbeiten noch zahllose unbekannte Idealisten daran, Vertrauen aufzubauen.
Im Bereich Bildung und Schule vor allem tut sich einiges. An der Universität der überwiegend arabischen Hafenstadt Haifa hat der Soziologie-Professor Eugen Wiener Koexistenz-Projekte mit Studenten beiderlei Herkunft ersonnen. Im Alltag fällt gerade dort auf, dass sich beide Seiten kaum anblicken und in ihrer jeweiligen Realität leben. Bekannter ist Givat Haviva, eine Bildungs- und Begegnungsstätte zwischen Tel Aviv und Haifa, nach eigenen Angaben die älteste israelische Einrichtung in der Verständigungsarbeit, die 2001 den UNESCO-Friedenspreis erhielt. Man setzt auf Erziehung zu Demokratieverständnis und Toleranz. Oft zum ersten Mal finden hier Jugendliche Gelegenheit, sich auseinanderzusetzen. Über 50.000 Menschen besuchen Jahr für Jahr den Campus. Betrieben wird Givat Haviva von Havatzelet, der Kultur- und Bildungseinrichtung der Kibbuzbewegung HaArtzi. Zahlreiche Kinder aus dem nahen Wadi Ara-Menashe haben soeben auch wieder am Sommercamp im Schatten des "Friedensbaumes" von Givat Haviva teilgenommen.
Im Sommer durften Schüler der Bremer Internationalen Friedensschule sowie von vier Schulen in Israel und Palästina ein ähnliches Projekt beim Gartenfest des Bundespräsidenten in Berlin vorstellen. Im Reichstag hat die Deutsch-Israelische Gesellschaft am 11. Mai in Anwesenheit von Altbundespräsident Johannes Rau zum dritten Mal den Friedenspreis verliehen. Nach dem "Arab-Jewish Cultural Center Beit Ha Gefen" in Haifa und der international ausgezeichneten Friedensschule von "Neve Shalom/Wahat al Salam", der wohl bekanntesten Initiative, die auf halbem Weg zwischen Jerusalem und Tel Aviv liegt, erhielt die "Yad-be-Yad-Schule" (Hand-in-Hand) in Jerusalem die Ehrung. Just im Jahr 2000, als die Zweite Intifada anhob, wurde sie gegründet, mit Kindergarten und bilingualem Unterricht. Die Schule will nicht nur Hass und Vorurteile abbauen, sondern auch Verständnis für die andere Kultur, Identität, das andere Geschichtsverständnis bewirken.
Noch ist Erziehung zur Verständigung im Kindergarten nicht gesellschaftliche Realität, schon gar nicht in Palästina. Hand-in-Hand ist die erste von drei Schulen, die das 1997 gegründete "Zentrum für jüdisch-arabische Erziehung" einrichtete. In den beiden Modellschulen in Jerusalem und im galiläischen Misgav lernen derzeit etwa 500 Schüler. Schon findet das Beispiel Nachahmer: Dreieinhalb Jahre nach Beginn der "Al-Aqsa-Intifada" kündigte eine Gruppe von Bewohnern im Wadi Ara, im Dorf Kfar Kara nahe Katzir, eine weitere Initiative für eine Schule mit zwei Nationalitäten an. Die Schule "Gesher al ha wadi" (Brücke über dem Wadi) soll im kommenden Schuljahr ihre Pforten öffnen. Laut Amin Halaf, Leiter von Yad-be-Yad, ist es das erste Mal, dass eine gemischte Schule in einem arabischen Dorf gegründet wird. Die Schülerzahl im Jerusalemer Zentrum hat sich beinahe verdoppelt, die Warteliste ist lang.
Vieles indes wird von außen angestoßen, von (nicht nur deutschen) politischen Stiftungen, Kirchen, internationalen Organisationen wie dem Versöhnungswerk Eirene, oder von Persönlichkeiten, die Begegnungen in Israel und im Ausland, Jugendaustausch, Ausstellungen, Konzerte bis hin zu Sprach- oder Fotografiekursen ermöglichen. Hervorzuheben ist hier unbedingt das Engagement der Verlegerfamilien Springer und Holtzbrinck. In der "Nidbach-Serie" (Nidbach bedeutet Steinschicht), einer Reihe im pittoresken Jerusalemer Künstlerhaus, wurden seit 1992 Werke von an die 100 jungen Künstlern beider Seiten ausgestellt.
An vielen Projekten wie dem Zentrum ist die Jerusalem Foundation beteiligt, die nicht unerhebliche Hilfe aus Europa erhält. Die Schweizer Regierung spendete ebenso für dieses außerordentliche Koexistenz-Projekt wie Deutschland, Österreich und Großbritannien. Seit ihrer Gründung 1966 fördert die Stiftung den Dialog unter der ethnisch und religiös gemischten Bevölkerung Jerusalems. Die multikulturelle Heilige Stadt müsse ein Modell der friedlichen Koexistenz sein. Die Wiener Regierung finanzierte auch ein neues Projekt des Hagalil Colleges im Kibbuz Mizra, an dem zu Jahresbeginn erstmals 35 palästinensische Verwaltungsleiter und Ärzte aus der Westbank und Gaza teilnahmen. Dabei ging es um so nützliche Fragen wie die Leitung des Gesundheitssystems und den Umweltschutz.
Im Beisein von Staatspräsident Katsav wurde am 8. September 2004 das erste Kinderdorf der Organisation "Hole in the Wall Camps" in Israel eingeweiht, das "Jordan River Village Camp" bei Givat Avni in Galiläa. Es ist bereits das achte Dorf der Organisation, die Kinder aus Israel, Jordanien, dem Libanon und dem Gebiet der Palästinensischen Autonomiebehörde aufnimmt. Die Initiative ging vom israelischen Ehepaar Murray und Marilyn Grant aus, die beim Besuch ihrer Heimat Connecticut vor sechs Jahren durch eine Broschüre auf die Arbeit der Organisation aufmerksam wurden. Die Kinder und Jugendlichen im Alter von neun bis 18 Jahren, die dort betreut werden sollen, leiden an schweren physischen und psychischen Krankheiten. Hauptsponsor ist der Schauspieler Paul Newman.
Nach einem Bericht der "Jerusalem Post" vom März 2004 tut sich geradezu Ungeheures an Israels Schulen. So hat Bildungsministerin Limor Livnat (Likud) einen Vorschlag des Bürgermeisters von Haifa, Yona Yahav (Arbeitspartei), begrüßt, modernes Arabisch und arabische Kultur als Pflichtfach an israelischen Schulen einzuführen. Yahav hatte den Vorschlag bei einer Feier zur jüdisch-arabischen Koexistenz der Abraham Fund Initiatives (AFI) in Haifa angekündigt, die auch finanzielle Unterstützung für ein Pilotprojekt in 15 Volksschulen in Haifa zusagte. Der AFI-Vorsitzende Alan B. Slifka forderte zudem Koexistenz-Unterricht an israelischen Schulen und die Bildung eines entsprechenden Ministeriums. Bisher war Arabisch Wahlpflichtfach im Land.
Anderes Beispiel: Im April kamen 21 Nachwuchsjournalisten - vor allem israelische und palästinensische - auf Einladung des Auswärtigen Amts und der Herbert-Quandt-Stiftung zu einem "Trialog" in München und in Berlin zusammen, um über die Rolle der Medien zu diskutieren, über die Auseinandersetzungen zwischen beiden Seiten, aber auch über die Shoa. Nisreen Abuorf, Palästinenserin mit Wohnsitz in Amman: "Ein schwieriges Unterfangen", aber auch ein Hebel, denn "durch den jeweils Dritten am Tisch geraten die Perspektiven durcheinander und werfen ein neues Licht". Im Vorjahr hatte das Auswärtige Amt Schüler zu etwas Ähnlichem zusammengebracht. "Ich hätte nie gedacht, dass es uns gelingt, so sorgsam miteinander umzugehen", meinte Lucy Aharish, die als einzige Araberin in einem israelischen Dorf aufwuchs. "Das war der Geist von Berlin." Statt jedoch nur die üblichen Erinnerungsstätten deutsch-israelischer Beziehungen zu besichtigen, sprach man auch mit dem Generaldelegierten der Palästinensischen Autonomiebehörde in Berlin. Der Unterschied zur "Realität" daheim: Statt die Gräben zwischen den Delegationen zu vertiefen, findet eine kritische Auseinandersetzung statt. Erst beim Besuch des Hauses der Wannsee-Konferenz, wo Anfang 1942 der Holocaust beschlossen wurde, wird manchem palästinensischen Teilnehmer das Ausmaß des Schreckens bewusst. Kleiner Erfolg des Treffens: ein Journalisten-Netzwerk soll in Israel und "den Gebieten" aufgebaut werden, um Nachrichten auszutauschen und die Ideen des "Trialogs" fortzuführen. Beruflichen Austausch unter Journalisten gibt es schon länger. Ähnliche Konferenzen mit jungen Leuten hat die europäische Studentenorganisation AGEE veranstaltet, so 2002 in Hamburg und 2004 in den Niederlanden.
Im September 2004 ging ein neuer israelisch-palästinensischer Radiosender ins Netz. Radio "Kol HaSchalom" (der ganze Friede) sendet von Ostjerusalem in hebräischer, arabischer und englischer Sprache. Die derzeit zwölf Mitarbeiter haben zwei Direktoren, den Israeli Schimon Malka und die Palästinenserin Majssa Siniora. Initiatoren sind Givat Haviva und die palästinensische Organisation "Biladi" (Mein Land), die von dem Geschäftsmann Hanan Siniora geleitet wird, dem Vater der Direktorin. Ursprünglich wollten sie nur Radio "Qol HaShalom" (Stimme des Friedens) des legendären Abie Nathan wieder aufleben lassen, das von einem Schiff im Mittelmeer außerhalb des israelischen Hoheitsgebietes gesendet hatte. Doch sie durften den Namen und die Jingles nicht verwenden. Also änderten sie den hebräischen Buchstaben Quf (Q) in Kaf (K): "Kol HaSchalom". Der Sender soll die Aktivitäten der Friedensgruppen voranbringen, alternative Informationen über Politik und Kultur senden, um negative Vorstellungen von der jeweils anderen Seite zu korrigieren. Finanziert wird er (Jahresbudget rund 180.000 Euro) aus EU-Geldern sowie von Organisationen aus Japan und den USA.
Gar nicht so kleine Schritte auf dem Weg, wie er Peres vorschwebte, gehen die "Friends of the Earth Middle East" (FoEME). Die Umweltorganisation initiierte erfolgreiche Projekte zur Rettung des Toten Meeres. Seit über einem Jahrzehnt arbeitet sie grenzüberschreitend für einen ökologischen Umgang mit Wasser und fördert so einen außergewöhnlichen Dialog, der den Mitarbeitern in Israel, Palästina und Jordanien in Zeiten gelingt, in denen der Austausch eben immer schwieriger wird. "Israelis und Palästinenser arbeiten leider am besten zusammen, wenn sie Wasser verschmutzen", meint Gidon Bromberg. Der Anwalt aus Tel Aviv hat 1994 EcoPeace (ÖkoFrieden) mit begründet, gemeinsam mit dem palästinensischen Umweltingenieur Nader al-Khateeb aus Bethlehem und dem jordanischen Architekten Munqeth Mehyar aus Amman. 1998 wurde EcoPeace Teil der weltweiten Umweltorganisation Friends of the Earth.
Zu deren großen Projekten gehört der Erhalt des Toten Meeres, das aus dem Wasser des bedrohten Jordans gespeist wird. Um Gewässer, Tiere und Pflanzen zu retten, sollten Fluss und See von der UNESCO zum "Welterbegebiet" (World Heritage) erklärt werden. Das zwänge die Anrainer, gemeinsam einen nachhaltigen Entwicklungsplan aufzustellen. Zudem solle ein "Friedenskanal" Wasser aus dem Roten ins Tote Meer pumpen - vorausgesetzt, das Vorhaben gefährdet die Ökosysteme nicht. Im März haben sich auf Einladung von FoEME zum ersten Mal Regierungsvertreter und Bürgermeister der israelischen, palästinensischen und jordanischen Ufergemeinden getroffen, um darüber zu beraten. Schon war man im Gespräch. "Wenn Sie unsere Regierungen fragen", erklärt Mehyar, "fehlen dem Nahen Osten rund zwei Milliarden Kubikmeter Wasser. Wenn Sie uns als Umweltschützer fragen, dann gibt es keine Wasserknappheit, sondern ein Verteilungsproblem." Hier setzt ein weiteres Projekt an: die "Gute Wasser-Nachbarschaft". An dem Grenzfluss zwischen Israel, Palästina und Jordanien haben sich zehn Kommunen aller drei Seiten zusammengetan, um zu lernen, wie sie Wasser sparen oder aufarbeiten können. "Wenn Regierungen Friedensverträge unterzeichnen, ist das großartig, aber es reicht nicht aus - die Menschen müssen erst mal Vertrauen aufbauen." So geschehen in der israelischen Gemeinde Zur Hadasa und der palästinensischen Kommune Wadi Fukin, wo sogar eine gemeinsame Kampagne gegen die Mauer entstanden ist, die Israelis vor Terroristen schützen soll. Mehyar: "Die Umwelt kann nicht warten."
So ist nicht verwunderlich, wenn ein gemeinsamer Forschungsbeitrag von israelischen und palästinensischen Wissenschaftlern bei einer Konferenz zur Geologie des östlichen Mittelmeerbeckens im April 2004 in Thessaloniki den ersten Preis bekam. Die Arbeit untersucht das Grundwasservorkommen im Gebiet des Toten Meeres und des Jordangrabens, neue Wasserressourcen, die Überwachung der Qualität sowie die Förderung und Verteilung. An dem Projekt im Rahmen des Kooperationsprogramms zwischen deutschem und israelischem Forschungs- und Wissenschaftsministerium, vom Bundesbildungs- und -forschungsministerium finanziert, waren deutsche, israelische, jordanische und palästinensische Wissenschaftler beteiligt.
Ihre Ergebnisse trugen sie in einer Datenbank zusammen, die ein ausgeklügeltes Hilfsmittel für die gemeinsame Erforschung der hydrologischen und geologischen Gegebenheiten der Region darstellt. Insgesamt lagen 450 Beiträge zur Auswahl. Die Jury lobte die Arbeit auf "höchstem wissenschaftlichen Niveau", die regionale und geologische Kooperation, "die keine Grenzen kennt".
Schon kündigte Forschungsminister Sandberg laut "Jerusalem Post" eine Ausweitung der Forschungszusammenarbeit an. Auf politischer Ebene hatten Ende 2003 die Außenminister Silwan Schalom und Marwan al-Muascher bei einem Treffen in Neapel über die Wiederaufnahme der Arbeit des Eilat-Aqaba-Komitees und die wirtschaftliche Zusammenarbeit Israels und Jordaniens beraten. Gleichzeitig unterzeichneten Infrastrukturminister Josef Paritzky und der palästinensische Energieminister Azzam al-Schawa in Rom einen Vertrag über die gemeinsame Nutzung von Energie - das erste Wirtschaftsabkommen zwischen beiden Seiten seit drei Jahren. Der Vertrag sollte die Zusammenarbeit bei der Stromversorgung und den Transport von natürlichem Gas sorgen. Eine ganz andere "Fakultät" im Wissenschaftsdialog: 1994 hatte der Religionswissenschaftler Schalom Ben-Chorin in Jerusalem über den jahrtausendealten christlich-jüdischen Dialog gesprochen und hinzugefügt, einen jüdisch-islamischen Dialog erkenne er nicht. "Ohne Religionsfriede kein Weltfriede", lautete Ben-Chorins Credo. Eine der vielen ermutigenden Folgen des Oslo-Abkommens indes war eine Einladung des Muftis von Kairo zu einer internationalen Konferenz über religiöse Toleranz im selben Jahr. Sie hatte Folgen. Denn dazu war auch der Sozialpsychologe Dan Bar-On mit Kollegen eingeladen worden. Der Professor aus Beerschewa lernte am Rande den palästinensischen Kollegen Elia Awwad kennen. Man beschloss ein gemeinsames Projekt: Junge Israelis und Palästinenser, die sich während der Ersten Intifada von 1987 bis 1993 als Feinde gegenüber gestanden hatten, zu interviewen. Ergebnis, wie vorhersehbar: Unter den zornigen jungen Männern überwogen Zweifel und Misstrauen. Selbst ein von oben verordneter Friede allein tut's hier eben nicht, wie man erkannte, als Arafat die Vorschläge in Camp David zurückwies und nach Scharons "Spaziergang" auf dem Tempelberg die Zweite Intifada ausbrach. Wer erfahren möchte, welche psychologischen Faktoren einen dauerhaften Frieden nicht mehr nur als Utopie erscheinen lassen, lese ihr Buch "Erzähl dein Leben!" (edition Körber-Stiftung, Hamburg 2004).
Nachdem Bar-On die Nachkommen von Holocaust-Überlebenden und Nazi-Tätern an einen Tisch gebracht und die Methode des gegenseitigen "Storytelling" entwickelt hatte, wandte er sich im Jahr 2000 der Dialogarbeit mit Israelis und Palästinensern zu, ermutigte beide Seiten, einander ihre Lebensgeschichten zu erzählen. Und da zeigt sich, wie sehr der Mensch - so der israelische Schriftsteller David Grossman - "eine große Angst, der Geschichte des anderen zuzuhören", besitzt. Vor allem Palästinenser haben immer noch eine große Scheu, die andere Geschichte zu hören, neigen mitunter gar dazu, den Holocaust zu leugnen oder die israelische Armee mit Nazis gleichzusetzen. Bar-On erkannte, dass die Palästinenser sich noch immer sehr stark über die Ablehnung "des anderen" definieren, Angst haben, sich in die Lage der Israelis zu versetzen. Solch simple Wahrheiten erklären mehr als Analysen, warum ein Treffen zwischen Abbas und Scharon den Frieden nicht gleich in greifbare Nähe rückt.
Denkt man zurück an Terrorakte der Vergangenheit wie das Vergiften israelischer Zitrusfrüchte, so zeigen andere, zum Teil erst erwogene Kooperationsprojekte, welche Wege heute doch begehbar erscheinen. So gibt es eine Reihe gemeinsamer Unternehmungen, die mit Hilfe anderer Staaten ins Leben gerufen wurden. Bei einem "grenzüberschreitenden" Vorhaben zwischen der palästinensischen Stadt Tulkarem und dem israelischen Emek Hefer (seit 2004) geht es etwa darum, Abwasser aus Palästina zu reinigen und zu verwenden und im Gegenzug Strom aus Israel zu liefern. Die Kos-ten wurden auf rund eine Million Euro geschätzt und von Berlin übernommen. Bei einem anderen Projekt sollen Straßen im Westjordanland saniert werden, finanziert von den USA, die sich entschlossen haben, dort zu investieren, nachdem jede finanzielle Hilfe im Gaza-Streifen nach einem Anschlag auf einen US-Konvoi ausgesetzt worden ist. Die israelische Zivilverwaltung schätzt die Höhe der ausländischen Unterstützungsgelder für die Palästinensischen Gebiete insgesamt auf etwa 7 Milliarden US-Dollar.
Als kurios mag die Frage anmuten, die im Juni 2004 in einem Bericht des jüdischen Nationalfonds Keren Kayemeth LeIsrael (KKL) auftauchte: "Wie 14 Millionen Fruchtfliegen pro Woche den Frieden zwischen Israel und Jordanien fördern können." Diese unangenehmen kleinen Viecher respektieren nämlich keine internationale Grenze. So bedrohen sie jedes Jahr die Ernte in der Arava-Wüste im Jordantal südlich des Toten Meeres. Seit dem Frieden zwischen Israel und Jordanien (1991) gibt es hoffnungsvolle Kooperationen im landwirtschaftlichen Forschungsbereich, so bei der Frage: Eindämmung der Schädlingspopulationen durch Sterilisation der männlichen Fruchtfliegen in Israel. In der Landwirtschaftlichen Forschungsstation "Yair" des KKL bei Hatzeva (Arava) treffen pro Woche 14 Millionen, durch Röntgenstrahlen sterilisierte Insektenpuppen der schädlichen Fliege ein. Sie werden 96 Stunden lang in einem Inkubator gehalten. Die drei Forschungszentren sind Außenstellen der Fakultät für Wüstenforschung der Ben-Gurion-Universität. Ihre Aufgabe ist es, unter den Gesichtspunkten Wüstenökologie, Desertifikation und Agrotechnologie zur Entwicklung der Arava-Region beizutragen. Nach der Inkubationszeit werden die Fliegen dann mit dem Flugzeug über den Anbaugebieten Israels und Jordaniens freigelassen - das erfolgreichste Verfahren, um die Schädlinge in der Wüste zu bekämpfen.
Noch eine andere "Fakultät": Im Januar 2004 erreichte die Antarktis-Expedition "Breaking the Ice" ihr Ziel. Die israelisch-palästinensische Segelexpedition hatte am 1. Januar 2003 in Südchile abgelegt, um einen unbezwungenen Berg in der Antarktis zu besteigen. Das Team - vier Israelis, vier Palästinenser, darunter zwei Frauen - gab laut der Zeitung "Ha'aretz" dem Gipfel den Namen "Berg der israelisch-palästinensischen Freundschaft". Ihr gemeinsames Statement merkte an: "Wir haben bewiesen, dass Palästinenser und Israelis, einer mit dem anderen, in gegenseitigem Respekt und Vertrauen kooperieren können." Die Teilnehmer wurden von einem siebenköpfigen Begleitteam unterstützt, darunter je zwei Bergsteiger und Ärzte. Ausgedacht hatte sich die Expedition der in Deutschland lebende israelische Geschäftsmann Heskel Nathaniel. Es war die erste Expedition, die von "Extreme Peace Missions", einer Berliner Non-Profit-Organisation, auf Initiative des Peres-Centers in Tel Aviv durchgeführt wurde.
Der Beispiele gibt es mehr. Vielleicht breiten sie sich eines Tages aus wie Aladins Mini-Teppich zu einem großen Netzwerk - rasanter als es große Friedensinitiativen von oben ohne zivilgesellschaftliche Grundlage vermögen. Das Thema verdient wahrlich eine größere Untersuchung. "Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen", hatte Theodor Herzl seinen Entwurf für einen zionistischen Staat genannt. Der kann heute nicht länger allein überleben. Und auch die junge israelische Spaß-Generation will nicht länger Krieg führen. Was Desertifikateure, Eisberge erklimmende Wüstensöhne, ganz zu schweigen von der Fruchtfliege, vermögen, sollte dies nicht im größeren Maßstab in einem - allen Religionen - Heiligen Land möglich sein? Wenn man nur in die Schulbücher, die Predigten oder auf die Bolzplätze schaute.