Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 32 - 33 / 08.08.2005
Zur Druckversion .
Rüdiger Robert

Auf dem Weg zu einer Wasserkatastrophe

Die Wasserknappheit in den Nahost-Ländern ist ein Politikum

Wasser, nicht Öl, gilt vielen Beobachtern seit den 80er-Jahren als wahrscheinlichste Ursache für einen weiteren Krieg im Nahen Osten. So hat der 1981 ermordete ägyptische Präsident Anwar al-Sadat anlässlich des Friedensschlusses mit Israel 1979 erklärt, dass sein Land nie wieder Krieg führen werde, es sei denn zum Schutz seiner Wasserressourcen. Ähnlich hat sich der 1999 verstorbene jordanische König Hussein geäußert. Und der frühere UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali hat gewarnt, der nächste Krieg im Nahen Osten könne sehr wohl ein Krieg um Wasser sein.

Zwischenzeitlich hat die Wasserproblematik zwar nicht an Brisanz verloren, ist aber wieder in den Hintergrund politischer Betrachtungsweisen gerückt. Die Ölfrage hat an politischem Gewicht zurückgewonnen. Vorrang auf der Tagesordnung der Weltpolitik hat die Gefahr durch den internationalen Terrorismus, überlappt mit den gleichfalls wachsenden Risiken einer Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen. Das ist zumindest bedenklich, ist Wasser neben Boden und Luft doch das dritte zentrale Umweltmedium, das menschliches Leben ermöglicht. Es fehlt objektiv nicht an der Dringlichkeit, wohl aber an der notwendigen Wahrnehmung und Dramatisierung der Problematik.

75 Prozent der Weltoberfläche sind von Wasser bedeckt. Es erscheint als Allgemeingut, ein "freies Gut", das ohne größere Kosten für die Nutzung in beliebiger Menge besorgt werden kann. Das ist eine Fehleinschätzung. Die Wassermenge verteilt sich nicht gleichmäßig über die Erdteile. Die geringsten Vorkommen entfallen auf die Länder des Nahen Ostens, Nordafrikas sowie auf das südliche Afrika. Wasser ist keineswegs eine unendliche Ressource, ist vielmehr begrenzt, in einigen Teilen der Erde seit eh und je eine knappe Ressource, die einer sorgfältigen Bewirtschaftung bedarf. Beispiele dafür sind die ehemaligen Hochkulturen in Mesopotamien und Ägypten. Aus der Knappheit wird in weiten Teilen der Welt zunehmend eine Krise aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung und des Anstiegs der Weltproduktion in Verbindung mit nicht nachhaltigen Verbrauchsmustern. Die Lebenserhaltungskapazität des Planeten Erde wird dadurch einer immer größeren Belastung ausgesetzt.

So hat die Pro-Kopf-Versorgung mit Wasser merklich abgenommen. Seit 1970 hat sie sich um 40 Prozent verringert. Für 2050 wird von der UNESCO erwartet, dass im schlimmsten Fall sieben Milliarden Menschen in 60 Ländern und im besten Fall zwei Milliarden Menschen in 48 Ländern von Wasserknappheit betroffen sein werden. Die privaten Haushalte beanspruchen weltweit etwa neun Prozent des Aufkommens. Der Pro-Kopf-Verbrauch der privaten Haushalte in den Industrieländern (USA circa 630, Deutschland 145 Liter) ist nach Schätzungen der Vereinten Nationen etwa zehnmal höher als in den Entwicklungsländern. Der industrielle Sektor ist mit circa 19 Prozent zweitwichtigster Wasserverbraucher. Die größte Beanspruchung menschlich nutzbarer Wasservorkommen resultiert mit 67 Prozent aus der Landwirtschaft. Rund fünf Prozent des Verbrauchs ist auf die Verdunstung infolge des Baus von Großstaudämmen zurückzuführen. Um die Wende zum 21. Jahrhundert hatten rund 1,3 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser, rund 2,6 Milliarden keinen Zugang zu angemessener Abwasserentsorgung. Zu einer strukturellen Konfliktursache hat sich der Mangel an Wasser auch aufgrund von Klimaveränderungen entwickelt.

Ein Vergleich zwischen den Kontinenten zeigt erhebliche Unterschiede in der Versorgung. Während Amerika, Australien und Ozeanien über ein Wasserangebot verfügen, das oberhalb ihres prozentualen Anteils an der Weltbevölkerung liegt, gilt für Europa, Asien und Afrika das Umgekehrte. Am schärfsten betroffen ist Asien. Dort leben 60 Prozent der Weltbevölkerung. Es verfügt aber nur über 36 Prozent der globalen Süßwasservorräte. Der Nahe Osten an der Schnittstelle zwischen Asien und Afrika ist eine der Regionen, die in besonderem Maß von Knappheit, Mangel, ja, Wassernot betroffen ist und deshalb auch ein besonders hohes Potenzial an Wasserkonflikten aufweist.

Die Region ist in ihrer naturräumlichen Ausstattung durch den Wechsel von Gebirge, Steppe, Wüste und Oase gekennzeichnet. Entsprechend unterschiedlich sind die Niederschlagsmengen verteilt. In den großen Steppengebieten Nordafrikas, auf der Arabischen Halbinsel, aber auch im Inneren Anatoliens und Irans liegen die Niederschlagsmengen zwischen 200 und 400 Millimeter pro Jahr. Ein Regenfeldbau ist hier zumeist nicht möglich. Das gilt erst recht für die Wüstengebiete des Nahen Ostens. Sie bilden einen breiten, nahezu durchgängig von Westen nach Osten verlaufenden Gürtel. Er umfasst die Sahara, die Arabische und die Persische Wüste. Die Niederschläge schwanken in diesen Gebieten zwischen null und 200 Millimeter pro Jahr und reichen nicht für eine breite Agrarnutzung. Substanziell beeinflusst wird das knappe Wasserdargebot (die zur Verfügung stehende Wasssermenge - Red.) des Nahen Ostens durch die Existenz zweier großer Flussoasen, des Nil- und des Euphrat/Tigris-Beckens. Hinzu kommen der Jordan und der Jarmuk als bedeutsame Flussläufe in einem ansonsten eher trockenen Umfeld. Nicht zuletzt sind es zahlreiche Quell- und Grundwasseroasen - teilweise mit fossilen Wasservorkommen -, die als Konzentrationsräume landwirtschaftlicher Produktion, speziell des Bewässerungsanbaus, aber auch städtischer Siedlungen dienen.

Ausschlaggebend für den Wassermangel ist die Relation zwischen der Menge des angebotenen und der Menge des nachgefragten Süßwassers. Grundlage ist die sich jährlich erneuernde Wassermenge pro Quadratmeter. Lediglich der Libanon und die Türkei liegen hier in einer Größenordnung zwischen 200 und 430 Litern. Die meisten Länder und Gebiete des Nahen Ostens müssen sich mit erneuerbaren Wasservorkommen von weniger als 100 Litern pro Quadratmeter und Jahr begnügen. In acht Fällen, darunter Algerien, Libyen und Saudi-Arabien, ist das Dargebot sogar geringer als zehn Liter.

Bezieht man die Nachfrage ein, so wird ersichtlich, dass sich die Region in einer Wasserkrise befindet. Zu Beginn dieses Jahrhunderts sind es noch vier Länder, die rein rechnerisch nicht unter Wasserknappheit zu leiden haben: der Sudan, die Türkei, der Irak und der Iran. Auch Somalia und Syrien scheinen quantitativ ausreichend versorgt. Für alle anderen Länder des Nahen Ostens gilt das nicht. Marokko und Ägypten befinden sich an der Schwelle von der Knappheit zum Mangel, müssen sich also mit etwa 1.000 Kubikmeter Süßwasser pro Kopf begnügen. Die übrigen Staaten und Gebiete sind durch Wassernot gekennzeichnet, das heißt es stehen pro Kopf der Bevölkerung nicht einmal 500 Kubikmeter sich jährlich erneuerndes Süßwasser zur Verfügung. Betroffen von diesem Notstand sind mehr als 100 Millionen Menschen. Wie prekär die Situation ist, zeigt sich auch daran, dass vier Staaten - Sudan, Ägypten, Syrien und Irak - nur deshalb nicht in die Kategorie der Länder mit Wassermangel fallen, weil sie wegen grenzüberschreitender Flussläufe auf externe Ressourcen zurückgreifen können.

Dynamisieren wir die auf das Jahr 2000 bezogenen Angaben über die Relation von Wasserangebot und Bevölkerung, so zeichnet sich ab, dass aus der Krise im Nahen Osten eine Wasserkatastrophe zu werden droht. Ausschlaggebend dafür ist das nahezu ungebrochene Bevölkerungswachstum. Ergebnis ist eine Zunahme des bereits gegenwärtig anzutreffenden extremen Wassermangels. Letzterer liegt vor, wenn weniger als 500 Kubikmeter an erneuerbarem Süßwasser pro Kopf und Jahr zur Verfügung stehen. Das war im Jahr 2000 in 13 Staaten des Nahen Ostens der Fall. Dazu zählten nicht nur die Golf-Emirate, Jemen, Saudi-Arabien und Jordanien, sondern auch Israel einschließlich der besetzten Gebiete sowie Algerien, Libyen und Tunesien.

Die sich abzeichnende Entwicklung gibt Anlass zu außerordentlicher Beunruhigung. 1975 lag die Bevölkerungszahl der Region (ohne palästinensische Gebiete und Dschibuti) bei 218,2 Millionen. Bis 2000 ist diese Zahl auf 420,1 Millionen Menschen angestiegen. In einer mittleren Projektion kann davon ausgegangen werden, dass sie sich bis 2025 auf 648,4 Millionen erhöhen wird. Das bedeutet ein Bevölkerungswachstum innerhalb eines halben Jahrhunderts von nahezu 300 Prozent bei annähernd gleichem Wasserdargebot. Schlimmer noch ist, dass der Kreis der unter Wasserknappheit und -mangel leidenden Länder immer größer wird und dass der Wassernotstand in der Region sich permanent verstärkt. Dabei ist die Situation heute schon mehr als bedenklich. Nicht erneuerbare Grundwasserreserven werden deshalb auch bereits in unverantwortlichem Ausmaß und Geschwindigkeit ausgebeutet.

Die Wasserkrise des Nahen Ostens ist letztlich ein Ausfluss globaler Grenzen des menschlichen Wachstums. Diese Grenzen wahrzunehmen und zu respektieren, wird spätestens seit den Berichten an den Club of Rome gefordert. Dies hat in den drei zurückliegenden Jahrzehnten zu einer Vielzahl internationaler Konferenzen wie der Wasser- und Umweltkonferenz in Dublin 1992, der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992, ihrer Nachfolgekonferenz in Johannesburg 2002 sowie verschiedenen Welt-Wasser-Foren geführt. Die auf diesen Konferenzen gewonnen Erkenntnisse zeigen Wege aus der Weltwasserkrise, von der der Nahe Osten in besonderem Maße betroffen ist, auf.

Als allgemein akzeptierte Auffassung hat sich die Notwendigkeit eines Wassermanagements durchgesetzt. Management bedeutet in erster Linie Verhaltenssteuerung. Dazu gehören - gerade für den Nahen Osten - die Entwicklung und Durchsetzung des internationalen Wasserrechts, gezielte Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit, die Erarbeitung und Umsetzung einzelstaatlicher Master-Pläne im Hinblick auf die künftige Wasserver- und Wasserentsorgung, die gezielte "Inwertsetzung" von Wasser als wirtschaftlichem Gut, nicht zuletzt der Aufbau grenzüberschreitender Wasserregime an Euphrat und Tigris, Jordan und Jarmuk sowie am Nil. Nur so lassen sich in Zukunft sowohl inner- als auch zwischenstaatliche, mit Gewalt ausgetragene Konflikte um die immer knapper werdende Ressource vermeiden.


Professor Rüdiger Robert ist stellvertretender Direktor des Instituts für Politikwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.