Wird über den Arbeitsmarkt Kultur gesprochen, war in den vergangenen Jahren vor allem von den Wachstumspotenzialen dieser Branche die Rede. Das Land Nordrhein-Westfalen hat mit seinen Kulturwirtschaftsberichten bereits am Ende der 80er-Jahre das Signal gesetzt, dass der Kunst- und Kulturbereich nicht allein von öffentlichen Mitteln lebt, sondern auch ein Markt ist, in dem Umsätze erwirtschaftet werden und der Arbeitsplätze bietet. Bezeichnenderweise wurden diese Kulturwirtschaftsberichte vom Wirtschaftsministerium des Landes in Auftrag gegeben, nicht zuletzt um unter Beweis zu stellen, dass der Kultur- und Medienbereich den Strukturwandel dieses Bundeslandes unterstützen kann.
Teilweise entstand eine richtige Euphorie über die Potenziale dieses Arbeitsplatzsegmentes. So ist es nicht verwunderlich, dass andere Bundesländer mit Kulturwirtschaftsberichten nachzogen und sich einige Länder Wachstumsschübe von diesem Marktsegment erhofften. Berlin beispielsweise setzte vor der großen Krise der Tonträgerindustrie darauf, Musikhauptstadt Deutschlands zu werden. Die Ansiedlung der Branchenriesen Sony und Universal Music wurde ebenso gefeiert wie der Umzug des Musiksenders MTV nach Berlin. Und noch im Herbst des vergangenen Jahres lobte Kulturstaatsministerin Christina Weiss bei der Vorstellung der Studie "Kulturberufe in Deutschland" den Arbeitsmarkt Kultur als Vorreiter für den Strukturwandel in der Arbeitswelt, da hier Flexibilität, Mobilität, Offenheit im Denken und im Handeln gefordert sind.
Steiniger Berufsweg
Parallel zu diesen - teilweise erfüllten, teilweise nicht erfüllten - Hoffnungen auf den Arbeitsmarkt Kultur wurden an verschiedenen Universitäten und künstlerischen Hochschulen Aufbaustudiengänge im Kulturmanagement eingerichtet und zwischenzeitlich kann an Fachhochschulen Kulturmanagement auch grundständig studiert werden. Der Arbeitsmarkt Kultur ist ein großer Bereich und wächst in seiner Attraktivität. Dazu tragen sicherlich auch Fernsehsendungen wie "Deutschland sucht den Superstar" und andere bei, die suggerieren, jeder könne den Aufstieg in den Starhimmel schaffen und dabei unterschlagen, dass die meisten Künstlerinnen und Künstler einen eher steinigen Berufsweg gehen und einen sehr langen Atem brauchen.
Bei all der Aufmerksamkeit, die der Kulturwirtschaft und damit verbunden dem Arbeitsmarkt Kultur zu teil wird, wird der so genannte kreative Kern dieses Bereiches, die Künstlerinnen und Künstler, oftmals vergessen. Dabei sind sie es, die künstlerische Produkte erschaffen beziehungsweise interpretieren und erst dann können diese vermarktet werden.
Der bereits erwähnten Studie "Kulturberufe in Deutschland", die vom Arbeitskreis Kulturstatistik erstellt wurde, ist zu entnehmen, dass ein erheblicher Teil, nämlich insgesamt 63 Prozent , der Freiberufler im Kulturbereich einen Jahresumsatz erwirtschaften, der unter 16.617 Euro liegt. Sie werden bei diesem niedrigen Jahresumsatz von der Umsatzsteuerstatistik nicht mehr erfasst und können deshalb als Nichterfasste identifiziert werden. Als Untersuchungsbasis wurden Lehrer für musische Fächer, Architekten und Raumplaner, Fotografen, Bühnen-, Film- und Rundfunkkünstler, Schriftsteller und Journalisten, Bildende Künstler und Restauratoren, Designer, Musiker und Artisten genommen. Zum Vergleich sei darauf hingewiesen, dass bei anderen Selbstständigen außerhalb des Kulturbereiches das Verhältnis genau umgekehrt ist. Hier erwirtschaftet die Mehrzahl, nämlich 61 Prozent einen Umsatz, der über 16.617 Euro liegt.
Betrachtet man die Einkommenssituation der in der Künstlersozialkasse (KSK) Versicherten, so verdichtet sich das Bild der niedrigen Einkommen von selbstständigen Künstlerinnen und Künstlern. Am 1. Januar 2005 lag das Durchschnittseinkommen der in der KSK Versicherten bei 11.091 Euro im Jahr. Trotz dieser eher trüben Einkommensaussichten wächst die Zahl der Versicherten stetig. Zum 30. Juni 2005 wurde erstmals die Marke von 140.000 Versicherten überschritten. Ein Ende des Zuwachses an Versicherten ist nicht abzusehen.
Auch in jenen Berufsgruppen, in denen bis vor einigen Jahren der Status als Angestellter üblich war, nimmt die Tätigkeit von Selbstständigen zu, was wiederum einen Anstieg der in der KSK Versicherten nach sich ziehen wird. Die Deutsche Orchestervereinigung, die Gewerkschaft der Orchestermusikerinnen und -musiker, weist bereits seit einigen Jahren darauf hin, dass die Zahl der Absolventen an Musikhochschulen deutlich über der der freiwerdenden Stellen in Orchestern liegt. Nicht berücksichtigt ist dabei, dass sich längst nicht nur Absolventen der deutschen Musikhochschulen auf die wenigen freien Stellen bewerben, sondern es sich selbstverständlich und notwendigerweise um einen internationalen Arbeitsmarkt handelt.
Und auch bei den Fernseh- und Filmschauspielern sind Veränderungen unverkennbar. Bislang konnten sie engagementlose Zeiten oder die Vorbereitung auf neue Rollen durch das ihnen zustehende Arbeitslosengeld überbrücken. Da Film- und Fernsehschauspieler auch bei kurzen Engagement von wenigen Drehtagen stets sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden, entstand ein Anspruch auf Arbeitslosengeld. Ab dem 1. Februar 2006 entsteht durch die Hartz-Gesetzgebung dieser Anspruch erst, wenn für die letzten zwei Jahre eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von zwölf Monaten nachgewiesen wurde. Bislang sind die letzten drei Jahre maßgeblich. In der Branche wird davon ausgegangen, dass die Mehrzahl der Beschäftigten in der Film- und Fernsehbranche die neuen Voraussetzungen nicht erfüllen wird. Die Film- und Fernsehschauspieler drängen deshalb verstärkt in die Selbständigkeit und damit auch in die Künstlersozialversicherung, da eine sozialversichungspflichtige Beschäftigung in der Zukunft immer öfter keine Absicherung von zeitweiser Arbeitslosigkeit über das Arbeitslosengeld mehr gewährleistet und deshalb als nicht mehr lohnend angesehen wird.
Nach diesen düsteren Aussagen zum Arbeitsmarkt Kultur stellt sich die Frage, was junge Menschen dazu bewegt, einen Beruf zu ergreifen, der die Aussicht auf Unsicherheit, Unstetigkeit, harte Arbeit bei geringem Verdienst bietet. Was fasziniert die vielen tausend jungen Menschen, die jährlich einen Studienplatz an einer Kunst- und Musikhochschulen anstreben und es auch nach einer vergeblichen Bewerbung ein zweites, ein drittes und ein zehntes Mal versuchen. Ich bin der festen Überzeugung, dass zum Künstlerberuf Obsession gehört. Künstlerinnen und Künstler, insbesondere die Schöpfer künstlerischer Werke müssen dieser Berufung folgen. Ihre Kreativität, ihre Ideen suchen den künstlerischen Ausdruck. Dabei ist der künstlerische Schaffensprozess oft schmerzlich, von Irrwegen und Misserfolgen gekennzeichnet. Die Erfolge und die öffentliche Anerkennung wiegen dieses auf. Oftmals reicht schon die Hoffung auf den Erfolg um einen lebenslanges persönliches Ringen um die eigene Kreativität zu rechtfertigen. Künstlerinnen und Künstler wollen sich exponieren, sie suchen die Anerkennung durch Dritte, sie streben nach Öffentlichkeit. In wohl kaum einem anderen Beruf wird die Suche nach öffentlicher Anerkennung so positiv sanktioniert wie bei Künstlerinnen und Künstlern. Da der innere Schaffensdruck so immens ist, lassen sich Künstlerinnen und Künstler glücklicherweise auch nicht von düsteren Verdienstaussichten und einer schwierigen Marktsituation abhalten.
Ich denke, dass auch ausübende Künstlerinnen und Künstler - also Musiker, Tänzer und Schauspieler - diese innere Überzeugung haben müssen. Dennoch haben sie oftmals einen anderen Berufseinstieg und einen anderen Berufsalltag. Musiker und Tänzer fangen bereits als kleine Kinder mit der Berufsvorbereitung an. Was als Spiel und Freizeitbeschäftigung beginnt und für die Mehrzahl auch bleibt, mündet bei einigen in eine Berufslaufbahn als Musiker, Tänzer oder Schauspieler. Der wesentliche Unterschied zu Bildenden Künstlern, Schriftstellern oder Komponisten besteht darin, dass die ausübenden Künstler ein bereits bestehendes Werk interpretieren, wohingegen die Urheber erst das Werk schaffen und aus dem Nichts heraus eine Symphonie, ein Lied, einen Schlagertext, ein Bild, einen Roman, eine Skulptur oder anderes schaffen. Dazu gehört neben dem unabdingbaren Handwerkszeug auch der innere Druck, die Obsession.
Kunst- und Musikhochschulen versuchen bereits bei den Aufnahmeprüfungen herauszukristallisieren, ob das Potenzial für eine schöpferische oder ausübende Künstlertätigkeit vorhanden ist. Nur ein kleiner Teil der Bewerber wird aufgenommen. So bewerben sich für die Aufnahmeprüfung als Schauspieler oftmals 1.000 junge Menschen und es erhalten schließlich zehn bis 15 den begehrten Studienplatz.
Während des Studiums ist es die Aufgabe der Hochschullehrer immer wieder die Frage aufzuwerfen, ob eine künstlerische Laufbahn der richtige Weg ist. Und danach muss jeder Einzelne seinen Weg suchen, ein Alleinstellungsmerkmal, das die eigene Arbeit gegenüber der anderer auszeichnet,. Ob dies immer glücklich macht, muss jeder für sich entscheiden, für viele Künstlerinnen und Künstler ist es der einzig mögliche Lebensweg.
Die Verpflichtung des Staates
Für die Gesellschaft ist Kunst mehr als das Produkt eines Einzelnen. Kunst ist Reflektion der Gesellschaft, Kunst verweist auf einen transzendenten Sinn, Kunst ist schön - und zwar auch in ihrer Hässlichkeit, Kunst berührt die Sinne und die Seele des Menschen. Kunst entwickelt die Gesellschaft.
Weil Kunst etwas anderes ist als die Herstellung von Staubsaugern, Bügeleisen oder anderem besteht die Verpflichtung des Staates zur Kunst- und Kulturförderung. Für die Künstlerinnen und Künstler ist neben der direkten Förderung in Form von Aufträgen oder Stipendien die Künstlersozialversicherung ein wichtiges, vielleicht sogar das wichtigste Instrument der Künstlerförderung. Sie ermöglicht den Künstlerinnen und Künstlern die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Kranken-, Pflege und Rentenversicherung und ist damit ein wichtiger Teil der sozialen Sicherung. Die Stärkung und Sicherung der Künstlersozialversicherung ist daher eine wesentliche kultur- und sozialpolitische Aufgabe.
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen
Kulturrates, Sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission
"Kultur in Deutschland".