DerBundeswahlleiter und der Direktor beim Deutschen Bundestag diskutieren über die Neuwahl zum 16. Deutschen Bundestag - auch im Parlamentsfernsehen unter "www.bundestag.de".
Das Parlament: Herr Hahlen, Sie sind ein wichtiger, aber für einen Großteil der Bevölkerung doch ein eher unbekannter Mann. Ihre große Stunde kommt zumeist nur alle vier Jahre und dann oft auch noch nach Mitternacht, wenn Sie im Fernsehen das vorläufige amtliche Endergebnis einer Bundestagswahl verkünden. Fühlen Sie sich verkannt?
Johann Hahlen: Keineswegs! Dass ich nicht im Mittelpunkt einer Wahl stehe, stört mich überhaupt nicht. Meine Aufgabe ist es, die Wahlen nach dem Bundeswahlgesetz zu organisieren und für die Wahlberechtigten durchschaubar zu machen. Eigentlich wird eine Bundestagswahl in Selbstorganisation der Wahlberechtigten durchgeführt, indem in den Wahlvorständen der Gemeinden, in den Kreis- und Landeswahlausschüssen ehrenamtliche Bürger sitzen. Aber ein so großer Prozess wie eine Bundestagswahl mit rund 62 Millionen Wahlberechtigten muss natürlich doch auch zentral mit gesteuert werden. Dafür bin ich mit meinem Team zuständig.
Das Parlament: Sie sind nicht nur Bundeswahlleiter sondern auch Präsident des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden mit mehr als 2 500 Mitarbeitern. Das ist ja kein Mini-Job. Wie schafft man diese Doppelbelastung?
Johann Hahlen: Wir haben ja eine sparsame Organisation. Zwischen den Wahlen kümmert sich im Grunde niemand um die Bundestagswahlen. Da kann ich mich ganz auf meine Arbeit im Statistischen Bundesamt konzentrieren.
Das Parlament: Warum sind die beiden Ämter eigentlich aneinander gekoppelt?
Johann Hahlen: Das hat historische Gründe. Schon das Statistische Reichsamt der Weimarer Republik war mit seinen Holerit-Maschinen gewohnt, mit Massendaten umzugehen. Und bei der Gründung der Bundesrepublik 1949 hatte das Wiesbadener Amt den ersten Großrechner in Deutschland und damit die Software für die schnellen und millionenfachen Wahldaten. Heute sind unsere Computer längst nicht mehr die größten in der Republik.
Das Parlament: Professor Zeh, Sie sind als Direktor beim Bundestag nicht nur der oberste Verwaltungschef des Parlaments sondern auch einer der wichtigsten Berater des Präsidenten. Wieso eigentlich hat der Bundestag, der doch unser höchster Souverän ist, einen Direktor?
Wolfgang Zeh: Natürlich kann der Bundestag keinen Direktor über sich haben. Deshalb heißt es eben auch nicht Direktor des, sondern beim Bundestag. Der Bundestag ist ein großes und äußerst differenziertes Verfassungsorgan, deshalb braucht er eine effiziente Verwaltung. Er braucht aber auch Beratung und Zuarbeit. Denn wir wollen, dass die Abgeordneten und die zahlreichen Gremien des Bundestages - Präsident, Präsidium, Ältestenrat, Ausschüsse und viele mehr - sich nicht mit Details beschäftigen müssen. Also: Wer geht in die Bibliothek? Wer stellt Dokumente zusammen? Wer berät juristisch in wichtigen Fragen? Dafür brauchen wir gut ausgebildete Fachleute. Insofern sind wir die Service-Station des Bundestages.
Das Parlament: Herr Hahlen, die Zeit drängt. Statt wie sonst üblich haben Sie bei dieser Wahl nur wenige Wochen zur Vorbereitung. Schafft das Probleme?
Johann Hahlen: Eigentlich nicht. Als Ende Mai deutlich wurde, dass der Bundeskanzler die Vertrauensfrage mit dem Ziel von Neuwahlen stellen würde, konnten wir uns ja schon auf die Lage einstellen. Und als der Bundespräsident im Juli den Bundestag auflöste, war endgültig klar: Das ist der Ernstfall.
Das Parlament: Wie, Professor Zeh, stellen Sie sich auf die kurzfristige Neuwahl ein?
Wolfgang Zeh: Selbstverständlich warten wir nicht ab, bis die Wahl gelaufen ist oder sich gar der Bundestag konstituiert hat, wofür er nach der Wahl 30 Tage Zeit hat. Mit jeder Wahl wird ja das Parlament strukturell neu aufgebaut. Deshalb laufen die Vorarbeiten für die neue Legislatur schon seit Wochen. Das betrifft die personellen Veränderungen, die Geschäftsordnung, die wahrscheinlichen Fraktionsstärken, die Wahlvorgänge, die Konstituierung von Ausschüssen und anderer Gremien und vieles andere mehr.
Das Parlament: Gibt es dafür feste Abläufe?
Wolfgang Zeh: Ja, denn es gibt ja durchaus Kontinuität im Verfahren und in unserer Verwaltung. Ich selbst bin schon über 30 Jahre dabei und habe mehrfache Wechsel von Wahlperioden mitgemacht. Also, man weiß schon, wie es geht und in welcher Reihenfolge die Dinge laufen müssen. Aber ein bisschen anders ist es doch immer wieder.
Das Parlament: Wann entscheidet sich, wer neuer Bundestagspräsident wird?
Wolfgang Zeh: Das entscheidet sich in einem politischen Prozess, den man nicht glatt definieren kann. Formal findet seine Wahl in der konstituierenden Sitzung des Bundestages statt. Politisch fällt die Entscheidung aber früher in den Fraktionen.
Das Parlament: Wie steht es mit der Zahl der Vizepräsidenten? Steht jeder Fraktion einer zu?
Wolfgang Zeh: Nach gegenwärtigem Stand ist das so. Nach unterschiedlichen Handhabungen in der Vergangenheit bekommt heute jede Fraktion einen Vizepräsidenten. Vermutlich wird das auch in Zukunft so bleiben.
Das Parlament: Hätte die neue Linkspartei die gleichen Rechte wie die anderen Fraktionen?
Wolfgang Zeh: Ganz gewiss. Es ist ein bewährtes Prinzip im Bundestag, dass die Rechte, die der Fraktionsstatus vermittelt, auch zugestanden werden und dass nicht getrickst wird. Neue Parteien von den Rändern des politischen Spektrums sollen ruhig die Gelegenheit haben, zu zeigen, was sie parlamentarisch können und wo ihr Fähigkeiten liegen. Man sollte ihnen nicht die geschäftsordnungsrechtlichen Möglichkeiten nehmen, sondern sie ihnen so wie jedem anderen zur Verfügung stellen. Dann wird sehr rasch deutlich, was das politische Angebot dieser Kräfte ist. Also: Man muss auch die Gelegenheit geben, mit der Geschäftsordnung sich zu decouvrieren.
Das Parlament: Herr Hahlen, hat Ihnen die neue Partei der Herren Gysi und Lafontaine Kopfzerbrechen bereitet?
Johann Hahlen: Hier war zu prüfen, ob die in Linkspartei umbenannte PDS, die Mitglieder der neu gegründeten WASG auf ihren Landeslisten kandidieren lässt, diese Partei nicht über ein verbotenes Huckepack-Verfahren in den Bundestag bringen will und dass insofern die WASG die Fünf-Prozent-Hürde umgeht. Das Gleiche gilt übrigens für NPD und DVU. Unser Wahlrecht lässt nicht zu, dass sich mehrere Parteien zusammentun und eine Landesliste gemeinsam aufstellen.
Das Parlament: Wenn die Linkspartei in den Bundestag kommt - wofür ja die Prognosen sprechen - wo wird sie dann im Plenarsaal sitzen?
Wolfgang Zeh: Wie man sich im Plenarsaal sortiert, ist eine Entscheidung des ganzen Parlaments und beruht auf historischen Vorbildern aus dem 19. Jahrhundert. Sollte die Linkspartei in Fraktionsstärke in den Bundestag kommen, wird sie vermutlich dort sitzen, wo früher die PDS ihren Platz hatte: Ganz links - vom Präsidenten aus gesehen; aus der Sicht der SPD: Ganz weit rechts.
Das Parlament: Herr Zeh, wer bereitet die konstituierende Sitzung des neuen Bundestages vor?
Wolfgang Zeh: Der Präsident des bisherigen Bundestages. Denn die alte Wahlperiode endet erst mit dem Zusammentritt des neuen Bundestages, insofern sind die Gremien des alten Bundestages noch voll im Amt. Aber natürlich spricht er sich dabei mit den Vertretern der neuen Fraktionen ab; aber das ist ein informeller Prozess. Der Gedanke daran ist, die Arbeit möglichst im Konsens und unter Beachtung der Minderheit zu organisieren. Demokratie heißt ja nicht nur Mehrheitsentscheidung, sondern immer auch Minderheitenschutz.
Das Parlament: Kann man jetzt schon sagen, wann die Wahl des Bundeskanzlers sein wird?
Wolfgang Zeh: Da wäre ich eher vorsichtig. Aber natürlich weiß man aus Erfahrung, dass in den 30 Tagen von der Wahl bis zur Konstituierung nicht nur Sachgespräche zur künftigen Regierungsarbeit stattfinden. Auch wenn die Regierungsbildung selber im entscheidenden Akt nach unserer Verfassung Sache des Parlaments ist, finden im Vorfeld natürlich zwischen den Koalitionsparteien informelle Gespräche darüber und über den Zeitpunkt der Kanzlerwahl statt. Denn man möchte nicht, dass man zwar das Parlament konstituiert und den Bundestagspräsidenten gewählt hat, aber die Frage nach der Kanzlerwahl offen bleibt. Jede Regierung möchte rasch Handlungsfähigkeit demonstrieren. Deshalb rechne ich mit einer schnellen Wahl des Kanzlers.
Das Parlament: Herr Hahlen, für die Bundestagswahl 2005 haben sich knapp 60 Parteien beworben, aber nicht alle sind zugelassen worden. Was sind die wichtigsten Kriterien, um an der Wahl teilnehmen zu dürfen?
Johann Hahlen: Die werden vom Parteiengesetz festgelegt. Das sind vor allem zwei Dinge: Einmal muss die Partei wirklich an der politischen Willensbildung im Bundestag oder einem Landtag teilnehmen wollen; zum anderen muss sie die Gewähr für die Nachhaltigkeit dieser Mitwirkung dadurch bieten, dass sie einen bestimmten Mitgliederstand hat und sich in der Öffentlichkeit betätigt. Diese Tatbestände sind vom Bundeswahlausschuss zu überprüfen. Das kostet viel Vorarbeit und Zeit. Denn wir müssen genau und objektiv sein. Immerhin haben kleinere Parteien schon beim Bundesverfassungsgericht geklagt, weil sie sich in der Kürze der Zeit gegenüber den "großen" Parteien benachteiligt fühlen.
Das Parlament: Wie viele Kandidaten bewerben sich in der Regel um eines der 598 Mandate im Bundestag?
Johann Hahlen: Bei der letzten Bundestagswahl lag die Zahl der Bewerbungen als Direkt- oder Listenkandidat bei über 3.500. Ob die Wahlvorschläge korrekt sind, wird von den Kreis- und Landeswahlausschüssen überprüft. Nur wenn es Probleme gibt, wird der Bundeswahlausschuss befasst. Aber beratend sind wir natürlich schon vorher tätig.
Das Parlament: Wie viele Wahlhelfer stehen Ihnen am Wahlabend zur Verfügung?
Johann Hahlen: Das sind sehr viele. Wir haben rund 630.000 ehrenamtliche Bürger, die in den Wahlvorständen der mehr als 80.000 Wahllokale und etwa 10.000 Briefwahlbezirken tätig sind.
Das Parlament: Wie rekrutieren Sie die?
Johann Hahlen: Das ist eine Aufgabe, die bei den Städten und Gemeinden liegt. Das ist nicht ganz einfach, denn das Ehrenamt an einem Sonntag ist nicht sonderlich beliebt, zumal es dafür vom Bund nur ein "Erfrischungsgeld" in Höhe von 16 Euro gibt. Aber viele Wahlhelfer betrachten ihren Einsatz ja dankenswerterweise auch als Engagement für die Demokratie.
Das Parlament: Bitte ein paar statistische Daten vom Oberstatistiker Deutschlands: Wie viele Wähler gibt es insgesamt, wie viele sind Erstwähler, wie viele wählen per Briefwahl?
Johann Hahlen: Wir haben ungefähr 62 Millionen Wahlberechtigte, so viele wie noch nie in der Bundesrepublik. Erstwähler, also alle die, die seit der letzten Bundestagswahl 18 Jahre und älter geworden sind, sind rund 2,6 Millionen Bürger, die sich sehr paritätisch in junge Frauen und Männer aufteilen. Die Zahl der Briefwähler nimmt von Wahl zu Wahl zu. 2002 belief sich ihr Anteil auf 18 Prozent. Ich rechne für diese Wahl mit einer ähnlichen Größenordnung. Denn die Mobilität ist ja nicht geringer geworden.
Das Parlament: Was kostet eigentlich eine Bundestagswahl?
Johann Hahlen: Das ist schwierig zu sagen. Beim letzten Mal hat der Bund den Ländern und Gemeinden rund 62 Millionen Euro erstattet - vor allem für Porto und Erfrischungsgeld. Ich nehme an, dass es bei dieser Wahl ein ähnlicher Betrag sein wird. Insgesamt ist die Wahl aber natürlich noch teurer. Denn die Gemeinden müssen ja Wahllokale anmieten, herrichten und reinigen. Also: Eine Bundestagswahl ist durchaus eine kostspielige Angelegenheit, aber das ist eine notwendige Ausgabe für unsere Demokratie.
Das Parlament: Wie steht es mit der Wahlkampfkostenerstattung für die Parteien?
Wolfgang Zeh: Die ist in dieser Summe nicht enthalten. Denn nach der letzten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist die staatliche Mitfinanzierung der Parteien für ihre gesamten Aufgaben gedacht. Sie hat den Zweck, die Parteien nicht völlig abhängig zu machen von privatem Geld. Also von Mitgliedsbeiträgen, die ja nicht beliebig hoch gesetzt werden können, und von Spenden von Firmen oder Verbänden. Wir sehen ja in anderen Ländern, etwa USA oder Japan, dass die starke Abhängigkeit der Parteien von wirtschaftlich starken Gruppen auch ein Problem sein kann. Deshalb hat Deutschland den Weg einer Art Mischfinanzierung gewählt, so dass sich die Parteien etwa halb und halb aus Spenden und Beiträgen und öffentlichen Zuschüssen finanzieren.
Das Parlament: Können alle Parteien auf eine Kostenerstattung hoffen oder gibt es ein Mindestquorum?
Wolfgang Zeh: Ja, es gibt ein Einstiegsquorum. Denn es darf nicht sein, dass eine Minipartei sich nur zu dem Zweck an einer Wahl beteiligt, um ein paar Euro abzustauben. Deshalb müssen Parteien auf mindestens ein halbes Prozent der abgegebenen Stimmen kommen, um beteiligt zu werden. Die Wahl darf nicht zum Geschäft werden.
Das Parlament: Wird man eines Tages online wählen können?
Johann Hahlen: Vor einigen Jahren hatte man in der Tat daran gedacht, dass es schon 2006 eine Online-Wahl geben könne. Inzwischen sehe ich dies für Deutschland gegenwärtig aber nicht. Das Internet ist zwar ein faszinierendes Instrument, aber doch zugleich zu anfällig für Blockadeaktionen durch Außenstehende. Die technischen und praktischen Probleme, aber auch die finanziellen Anforderungen sind einfach zu groß. Wir können es uns nicht leisten, dass am Wahlabend blockiert wird.
Das Parlament: Fällt Ihnen, wenn die Wahl gelaufen ist und der Bundestag sich konstituiert hat, eine Last vom Herzen?
Johann Hahlen: Ja, das kann man schon sagen. Aber richtig befreit fühle ich mich erst, wenn Anfang Oktober das endgültige Wahlergebnis durch den Bundeswahlausschuss festgestellt wird.
Wolfgang Zeh: Bei mir ist es etwas anders - nach der Wahl fängt die Arbeit eigentlich erst richtig an.
Das Gespräch führte Sönke Petersen