Der langjährige Leiter des ARD-Fernsehstudios in Paris, Heiko Engelkes, hat ein Buch über den französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac geschrieben. In 22 teilweise stark von seinen persönlichen Erfahrungen gefärbten Kapiteln schildert der Fernsehjournalist Stationen, Personen und Probleme aus der Karriere jenes Mannes, der mindestens seit 1974 zu den Spitzenpolitikern der fünften Republik gehört.
Die Bedeutung der politisch aktiven Ehefrau des heutigen Präsidenten, Bernadette Chodron de Courcel, wird ebenso in einem Kapitel gewürdigt wie die Geschichte des Pariser Sitzes des Staatspräsidenten, des Elysee-Palastes. In mehreren Kapiteln werden verschiedene Episoden aus der deutsch-französischen Freundschaft seit de Gaulle und Adenauer erzählt, und die mit Jacques Chirac zusammenarbeitenden oder mit ihm um die Macht streitenden Politiker Juppé, Sarkozy und Jospin werden jeweils in einem oder zwei Kapiteln vorgestellt. Chiracs unmissverständliche Haltung gegen jede Form von Antisemitismus, die seine kritische Haltung gegenüber der Palästina-Politik Israels ergänzt, füllt ebenso ein Kapitel wie die gaullistische Tradition, die Irak-Krise, die britisch-französischen Beziehungen und die legalen und illegalen Formen der Korruption des "Systems Chirac".
Versäumnisse von Nizza
Das Kapitel über die Vorgeschichte und den Ablauf des Konflikts der von Chirac geführten Republik Frankreich mit den Vereinigten Staaten von Amerika wegen der ?Intervention“ im Irak gehört ebenso zu den Glanzlichtern dieses Buches wie Heiko Engelkes Schilderung der französisch-britischen Hassliebe. Insgesamt erfährt der Leser relativ viel über Chiracs Außenpolitik, auch wenn die mangelhafte Vorbereitung der Konferenz von Nizza durch die gastgebende französische Diplomatie vom Autor diplomatisch oder unanalytisch verschwiegen wird. Es war immerhin in Nizza unter französischer Federführung, als versäumt wurde, die Europäische Union in Vorbereitung auf die Aufnahme der neuen Mitglieder sinnvoll umzubauen. Jetzt quält sich ganz Europa durch die Ratifizierungsdebatten der verspäteten Europa-Verfassung.
Zwar beschäftigt sich das Buch viel mit der Außenpolitik des französischen Staatspräsidenten, von den innenpolitischen Halbheiten Chiracs ist dagegen nur am Rande die Rede. Frankreich hat ja tatsächlich ähnliche Probleme wie die Bundesrepublik. Seine sozialen Sicherungssysteme, sein Haushalt und seine Wirtschaftsdynamik weisen große Defizite auf. Es ist erstaunlich, dass der deutsche Bundeskanzler, der Sozialdemokrat Schröder die notwendigen Reformen mutiger auch zuungunsten seiner engsten Wählerklientel durchsetzt als der konservative Gaullist Chirac in Frankreich. Darüber findet der Leser bei dem doch sehr an der Oberfläche bleibenden Buch von Engelkes nichts. Die gesamte Innenpolitik unter dem Präsidenten Chirac reduziert sich in dieser Schilderung auf Wahlkämpfe, Machtkämpfe und ein Kapitel über die Gleichberechtigung, in dem Chirac nur am Rande vorkommt.
Statt dessen erliegt der Autor einer in Frankreich leider beliebten Schwäche: Er berichtet über Belangloses, was aber bei den Untertanen und am "Hofe", im Kreis der Mächtigen, Gegenstand witziger Aperçus sein kann. So beschreibt Engelkes, welche Socken der ehemalige Premierminister Balladur trägt; welche amourösen Abenteuer der Student Chirac in den USA erlebte, wie die Kleidertracht der Helfer in Jospins Wahlkampfteam aussah, dass Frau Sarkozy "ungeschminkt älter als auf den Hochglanzfotos" wirkt oder gar, dass bei einem Empfang für Chirac in Berlin Frau Barbara Becker noch nichts von der ihr bevorstehenden Trennung vom Tennishelden Boris gewusst zu haben scheint.
Es ist wahr, dass diese Art von Hofberichterstattung über die Hintertreppe ein Charakteristikum von Monarchien ist, die über die ernsten Probleme der Gesellschaft keine republikanisch gebotene Debatte führen. Vielleicht empfindet Engelkes Frankreich als eine derartige Monarchie, der Buchtitel "König Jacques" lässt es ebenso vermuten, wie die falsche Aussage im Kapitel "Ohne de Gaulle kein Chirac", nach der in den 1.000 Jahren vor der Revolution in Frankreich "die Könige als ,Herrscher von Gottes Gnaden’ ohne Verfassung regierten". Wenn der Autor aber vermutet, Frankreich sei oder werde eine Wahlmonarchie, sollte er dies analysieren und nicht durch seine Art zu schreiben klammheimlich bestätigen.
Heiko Engelkes
König Jacques – Chiracs Frankreich.
Aufbau-Verlag, Berlin 2005; 400 S., 19,90 Euro