Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 38 - 39 / 23.09.2005
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Heike Schmidt

"Ich nehme mein Leben selbst in die Hand"

Eine Berliner Existenzgründungsberatung hilft Behinderten auf dem Weg in die Selbstständigkeit

Ich warte nicht auf bessere Zeiten, ich nehme mein Leben selbst in die Hand." Beate Müller ist Architektin - und behindert. Die rheumakranke Berlinerin eröffnete vor kurzem eine gesundheitsorientierte Bauberatung. Hilfe erhielt sie dabei von "EnterAbility". Seit Februar 2004 gibt es diese Berliner Existenzgründungsberatung für Menschen mit einer Schwerbehinderung, die arbeitslos oder unmittelbar von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Im Fall von Beate Müller half "EnterAbility" dabei, sich durch das Kompetenzgerangel von Arbeitsagentur und Integrationsamt zu lotsen.

Sich durch den Behördendschungel zu schlagen, ist nicht das einzige Problem von Schwerbehinderten, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen möchten. Neben den üblichen finanziellen Startproblemen haben sie zudem häufig mit unbegründeten und diskriminierenden Vorurteilen gegenüber ihrer Kompetenz zu kämpfen - ein Problem, das bei "EnterAbility" ganz sicher nicht besteht.

Doch auch "EnterAbility" musste einige Hürden nehmen, um überhaupt eröffnen zu können. Schon 2003 begann der Initiator Manfred Radermacher zusammen mit Fachkräften und Unterstützern über die Realisierung einer Existenzgründerberatung für Menschen mit Behinderung nachzudenken. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Berlin mehr als 10.000 Arbeitslose mit einer Schwerbehinderung. Gleichwohl stieß Radermacher auf taube Ohren. Eine Existenzgründungsberatung für Menschen mit Schwerbehinderung brauche niemand, bekam er zu hören. Viele Menschen glaubten, Schwerbehinderte seien nicht leistungsfähig und deshalb den Belastungen einer beruflichen Selbstständigkeit nicht gewachsen.

"Es ist das Hauptziel unser Bewerber, selbst ihren Lebensunterhalt zu bestreiten", so Projektleiter Radermacher. Die Agentur biete ihnen ein konkretes und vor allem individuelles Unterstützungsangebot beim Aufbau einer beruflich selbstständigen Existenz. Dabei stehen zielgruppenspezifische Probleme im Vordergrund, die Eigeninitiativen von Behinderten oft schon vor der Darstellung der eigenen Geschäftsidee ausbremsen. Diesen kann "EnterAbility" jedoch mit jeder Menge Sachkompetenz und Know-how begegnen. Neben einer allgemeinen Beratung bietet das Team Existenzgründerschulungen und Hilfestellungen bei der Ausarbeitung von Geschäftsplänen an. Zudem unterstützen die Mitarbeiter Interessenten mit zusätzlichem Wissen über besondere Fördermittel der Integrationsämter oder Stiftungen. Gefördert wird das Projekt vom Integrationsamt beim Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales. Der Existenzgründungsberatung mit Sitz in der Muskauer Straße geht es nicht darum, möglichst viele Selbständige auf den Markt zu werfen. Wenn ein Projekt nicht tragfähig erscheint, rät "EnterAbility" ab.

"Vor der Gründung hatte ich Ängste", erzählt der Elektromeister Dietmar Schröder. Doch die konnte ihm die Agentur nehmen. "EnterAbility" ermutigte ihn, seinen Traum, einen eigenen Meisterbetrieb für Elektroinstallation, zu verwirklichen. Durch Beratungen und Schulungen überwand er anfängliche Probleme mit der Buchhaltung und den Finanzen. Wenn das Geschäft so weiter läuft, will Dietmar Schröder nächstes Jahr sogar noch einen weiteren Auszubildenden einstellen.

Die langfristigen Überlebenschancen der neu gegründeten Projekte sind noch nicht abzuschätzen. Auf jeden Fall aber sieht Radermacher sein Projekt auf einem sehr guten Weg. Die wachsenden Wartelisten der Agentur und auch erste Erfolge seiner Klienten geben ihm Recht. Yamuar Osmans Leben hat "EnterAbility" schon jetzt nachhaltig verändert. Seit er sich mit seinem Kristall- und Porzellanhandel selbstständig gemacht hat, ist er unabhängig: "Jeder Tag, an dem meine Arbeit durch ein positives Feedback belohnt wird, ist ein besonderes Erlebnis für mich."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.