Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 40 / 04.10.2005
Zur Druckversion .
Karl-Otto Sattler

Heikle Mission

Freiburg, Ishafan und der Atomstreit

Eine internationale Städtepartnerschaft ist eine schöne Sache. Bei Freiburgern sehr beliebt sind zum Beispiel Bürgerreisen ins ferne Persien, um das architektonische und gesellschaftliche Flair des seit dem Mittelalter als "Perle des Orients" geltenden Isfahan mit seinen 1,5 Millionen Einwohnern zu genießen. Südbadische Theaterleute treten in Isfahan auf, iranische Schauspieler gastieren im "Marienbad", einer Spielstätte an der Dreisam. Stipendien ermöglichen Studenten Auslandssemester an der Partner-Uni. Für Schulklassen sind Fahrten in die persische Stadt natürlich besonders reizvoll. Ein "Freundeskreis Freiburg-Isfahan" ist recht aktiv. Zum Nationalfeiertag am 3. Oktober präsentierten sich beide Orte bei einer Ausstellung über Baden-Württemberg in der deutschen Botschaft in Teheran: Die "Öko-Hauptstadt" Freiburg erläuterte auf Schautafeln Techniken der Solarenergie, ein Koch zelebrierte kulinarische Spezialitäten aus Baden. Große Pläne kursieren: Isfahan will im Breisgau einen persischen Garten anlegen, die Südbadener möchten in Isfahan ein "Freiburg-Haus" für Konzerte, Ausstellungen und Lesungen errichten.

Es ist wahrlich viel los bei der einzigen deutsch-iranischen Städtepartnerschaft. Wenn Oberbürgermeister Dieter Salomon und eine Gemeinderatsdelegation Ende Oktober nach Isfahan reisen, werden sich sogar die Scheinwerfer der internationalen Medienszene auf die kommunalen Außenpolitiker richten. Doch diese Publicity hat nichts mit Kultur und Bürgerbegegnung zu tun: Die Kontakte zwischen Freiburg und Isfahan stehen plötzlich im Fadenkreuz dramatischer politischer Spannungen, der brodelnde Streit zwischen Teheran, Washington und der EU wegen des iranischen Atomprogramms wirft neuerdings dunkle Schatten auf das vor fünf Jahren gestartete Projekt einer Völkerverständigung auf lokaler Ebene. Ausgerechnet in Isfahan nämlich arbeitet jene Nuklearanlage, die eines Tages vermutlich auch atomwaffenfähiges Uran produzieren kann - weswegen die EU auf diplomatischem Weg, die USA jedoch mit militärischem Druck Teheran zum Verzicht auf die Bombe bewegen wollen.

Um diesen Konflikt vermögen die Kommunalpolitiker keinen Bogen mehr zu machen. Gewiss, das Rathaus von Isfahan, in dem seit 2003 konservative Kräfte das Sagen haben, entscheidet nicht über die persische Nuklearpolitik. Salomon: "Die Atomanlage ist keine Einrichtung der Stadt Isfahan." Man könne jedoch nicht so tun, betont der Grüne, als gehe Freiburg "die große Politik" nichts an. Und so basteln die südbadischen Strategen nun an einer speziellen Form von kommunaler Entspannungspolitik nach dem Muster "Wandel durch Annäherung", wobei auch diverse Bundespolitiker von Berlin aus mitmischen.

"Die Dinge beim Namen nennen"

Die im Jahr 2000 vom damaligen SPD-OB Rolf Böhme vereinbarte Partnerschaft hat ja auch zum Ziel, durch Kontakte zum Westen die Öffnung des Irans zu befördern und auf diesem Weg die dortigen Reformkräfte zu stärken. Angesichts des Atomstreits ist es aber für Salomon unvermeidlich, bei den Gesprächen Klartext zu reden: Man müsse "die Dinge beim Namen nennen". Das Thema aufs öffentliche Tapet gebracht hatte zunächst vor allem die Freiburger Junge Union (JU) mit schrillen und auch in den Reihen der örtlichen CDU nicht sonderlich goutierten Aktionen. Die JU fordert, die Städtepartnerschaft auszusetzen und die anstehende Reise abzusagen. Vor dem Rathaus veranstaltete die Truppe Gedenkminuten für Folteropfer im Iran, wobei der Vorsitzende Daniel Sander die Freiburger Politiker der Anbiederung an "Unterdrücker und Mörder" bezichtigte. Diese Attacke der JU stieß auf heftige Empörung. Maria Viethen, Vorsitzende der Grünen im Gemeinderat, spricht von einer "beschämenden Entgleisung", ihr Fraktionskollege Eckart Friebis kritisiert eine "Rambo-Mentalität".

Nun, OB Salomon und das Kommunalparlament wollen an der Partnerschaft festhalten. Auch die Reise nach Isfahan, die in Berlin und international unter genauer Beobachtung steht, findet statt. Klar ist freilich, dass die Beziehungen ihre politische Unschuld verloren haben. Was die Freiburger zusätzlich unter Druck setzt: Die Breisgaustadt hat sich ihrerseits symbolisch zur "atomwaffenfreien Zone" erklärt, richtet die lokale Energiepolitik auf die Abkehr vom Nuklearstrom aus und verlangt die Abschaltung des Kernkraftwerks Fessenheim am französischen Ufer des Oberrheins, mithin also im Ausland. Da darf man zu Isfahan natürlich nicht schweigen. Die dortigen Geschehnisse müssten Freiburg sensibilisieren, mahnt CDU-Gemeinderatsmitglied Conrad Schroeder, früher Regierungspräsident in Südbaden.

Gefordert ist eine politische Gratwanderung. OB Salomon bezeichnet den Staat der Ajatollahs als "autoritäres, ja totalitäres Land", dieses System habe "mit unseren Vorstellungen einer offenen und liberalen Demokratie nichts zu tun". Allerdings könne man nur im Rahmen der Partnerschaft mit Isfahan die atomkritische Sicht und Menschenrechtsfragen diskutieren, man dürfe den Gesprächsfaden nicht kappen.

Der SPD-Außenpolitiker Gernot Erler, örtlicher Bundestagsabgeordneter, plädiert für eine "Strategie der Einbindung statt der Isolation". Angesichts der Gefahr einer iranischen Bombe müssten künftig jedoch politische Fragen thematisiert werden. Erler plädiert dafür, in Freiburg oder in Isfahan eine friedenspolitische Konferenz auszurichten. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Gerhardt macht sich für den Besuch der südbadischen Delegation in Isfahan stark: Zu Gesprächen gebe es keine Alternative. Der grüne Politiker Fritz Kuhn sagt, eine Städtepartnerschaft müsse auch in schwierigen Zeiten Bestand haben. Wolfgang Schäuble von der CDU ist ebenfalls für diese Kontakte, doch müsse man dabei der iranischen Seite die westliche Position zum Nuklearkonflikt vermitteln.

Der Erwartungsdruck, der in Isfahan auf der Freiburger Gesandtschaft lastet, ist enorm. International im Scheinwerferlicht der Medien zu stehen, hat aber auch etwas Angenehmes: So etwas kommt im Breisgau nicht unbedingt häufig vor.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.