Sichtlich bester Laune präsentierten NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) und sein Vize Forschungsminister Andreas Pinkwart (FDP) nach 100 Tagen schwarz-gelber Regierungskoalition im bevölkerungsreichsten Bundesland ihre erste Bilanz. "Dem Land geht es heute besser. Optimismus, Zuversicht und Aufbruchsstimmung wachsen", erklärte Regierungschef Rüttgers im Düsseldorfer Stadttor. Pinkwart fügte hinzu: "Wir setzen den von uns versprochenen Politikwechsel Schritt für Schritt um." Beide versicherten, die neue Regierungskoalition habe die Arbeit zügig und partnerschaftlich aufgenommen. Rüttgers: "Die neue Regierung hat einen guten Start gehabt. Die Koalition arbeitet vorzüglich." Erwartungsgemäß sahen die Oppositionsparteien SPD und Grüne das anders.
Seinen Optimismus begründete Rüttgers mit jüngsten Zahlen des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik (LDS). Danach liegt das NRW-Bruttoinlandsprodukt im ersten Halbjahr 2005 erstmals seit 2002 über dem Bundesdurchschnitt. Während der Anstieg im Bund 0,6 Prozent beträgt, verzeichnet NRW 0,8 Prozent. Rüttgers: "Die positive Entwicklung hat auch damit zu tun, dass Unternehmer und Gewerbetreibende in Aussicht auf einen Regierungswechsel im Land wieder investiert haben."
Besonders hoben die neuen Koalitionäre hervor, dass sie das Kabinett viel schneller als frühere Regierungen gebildet und danach rasch und reibungslos mit ihrer Arbeit begonnen hätten. Unter den bereits in den ersten 100 Tagen getroffen Maßnahmen listeten sie vor allem die Schaffung von 1.000 zusätzlichen Lehrerstellen, den Gesetzentwurf zur Einführung der Studiengebühren und den Erlass zur Einschränkung der Windenergie auf. Außerdem komme die sozial verträgliche Schließung der Zeche Walsum früher als geplant. Auch mit der Modernisierung der Verwaltung sei begonnen worden. Das Land habe 13 von 16 Beauftragten gestrichen. Davon seien bereits fünf abgeschafft, darunter der Regierungsbeauftragte für den öffentlichen Dienst und der Kinderbeauftragte. Jedoch wurden auch knapp 100 neue Stellen in den Führungsetagen geschaffen, weil mit der alten rot-grünen Beamtenriege der geplante Politikwechsel nicht zu schaffen sei, wie es aus der Regierungszentrale hieß.
Aus der Wirtschaft kamen zur 100-Tage-Bilanz positive Signale. "Rüttgers hat einen ordentlichen Start ohne Fehler hingelegt", war von Arbeitgeberpräsident Horst-Werner Maier-Hanke zu hören. Der Regierungschef habe sich in seinen ersten Amtstagen weitaus dynamischer gezeigt als angenommen. Auch der Vorsitzende des Nordrhein-Westfälischen Handwerkstages Wolfgang Schulhof sprach von einem "deutlich spürbaren Paradigmenwechsel" in der Wirtschaftspolitik. Man merke, dass die Landesregierung ihr Bekenntnis zu Mittelstand und Handwerk ernst meine. "Ich habe den starken Eindruck, dass Ministerpräsident Rüttgers eine klare Idee hinsichtlich des in Nordrhein-Westfalen notwendigen Umgestaltungsprozesses hat."
SPD sieht Fehlstart
Der Nordrhein-Westfälische Lehrerverband (NRWL) sprach von einer zügigen schulpolitischen Weichenstellung. Mit den 1.000 zusätzlichen Lehrereinstellungen, der Aufstockung der Sachmittel für Vertretungsunterricht und der Rücknahme des erhöhten Schulträgeranteils für Ersatzschulen habe Schwarz-Gelb konkret eine "Bildung-Vorrang-Politik" praktiziert, erklärte der Präsident des NRWL Peter Silbernagel. Der Chef des Deutschen Beamtenbundes (dbb) Peter Heesen attestierte Rüttgers, Gespür für die tatsächlichen Herausforderungen der anstehenden Modernisierung des öffentlichen Dienstes bewiesen zu haben.
Nach Ansicht der sozialdemokratischen Landtagsfraktion hat die neue schwarz-gelbe Koalition dagegen einen klassischen Fehlstart hingelegt. Die Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion Hannelore Kraft sprach von einer "mageren Bilanz aus Täuschung und Enttäuschung". Auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende Sylvia Löhrmann kam zu einem negativen Schluss. Die neue Landesregierung habe kein Vertrauen in der Bevölkerung aufbauen können. "Der Weihrauch des Machtwechsels in NRW ist verflogen", sagte Löhrmann und setzte hinzu: "Was wir bislang erlebt haben ist eine Mischung aus Widersprüchen, Symbolpolitik und Schritten in eine völlig falsche Richtung."
Nicht zu leugnen ist, dass die nordrhein-westfälische CDU bei der Bundestagswahl einen Rückschlag hinnehmen musste. Nach ihrem fulminanten Sieg mit 44,8 Prozent bei der Landtagswahl am 22. Mai 2005 landete sie jetzt mit nur 34,4 Prozent hinter der SPD, die auf 40 Prozent kam. "Ich stand nicht zu Wahl", wiegelt Rüttgers die Häme der SPD ab, weiß aber, dass die CDU Lehren für das Land aus dem schlechten Abschneiden ziehen muss: "Wirtschaftliche Vernunft und soziale Balance müssen beieinander bleiben", heißt das Fazit des Regierungschefs. Weitere Auswirkungen auf die schwarz-gelbe Koalition in NRW befürchtet Rüttgers nicht. Dass der Ausgang der Bundestagswahl und eine mögliche große Koalition auf Bundesebene zu Konflikten zwischen CDU und FDP in NRW führen könnte, sieht der CDU-Mann nicht "Unsere Zusammenarbeit unterstreicht die besondere Bedeutung für die Bundespolitik", argumentiert Rüttgers. Sein FDP-Vize Pinkwart meint sogar: "Wir haben den Ehrgeiz, die NRW-Koalition zum Referenzmodell für den Bund zu machen."
Allerdings werden die Regierungsgeschäfte für Rüttgers durch die Berliner Ergebnisse nicht einfacher. Er muss damit rechnen, dass die Liberalen, die in Berlin besonders gut abgeschnitten haben, sich nun auch in Düsseldorf stärker zu profilieren versuchen werden. Die erste wirkliche Bewährungsprobe für Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen kommt mit der Aufstellung des Landeshaushalts 2006. Die Landesregierung will die Neuverschuldung deutlich reduzieren. Das wird schwierig, denn die neue Landesregierung hatte, um erste Wahlversprechen einzulösen, erst einmal in einem Nachtragshaushalt für das laufende Jahr 2,2 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen. Ende Oktober 2005 wird jetzt eine Expertenkommission zusammentreten, um Vorschläge zum Abbau der auf 7,3 Milliarden Euro angestiegenen Neuverschuldung zu machen. Vorsorglich mahnt Rüttgers denn auch: "Alle werden Opfer bringen. Jeder wird es merken." Aber die Sparanstrengungen seien ohne Alternative.